Mittwoch, 24. Dezember 2014

I'm good at feeling bad.


Eigentlich war ich die letzte Zeit ziemlich stabil davon überzeugt, mir selbst genug zu sein.
Ich habe mich phasenweise attraktiv, mindestens aber annehmbar gefunden, und gelegentlich fanden das auch andere.

Dann hat das Weihnachts-Wrestling angefangen.
"Frohe Weihnachten an dich und deinen Freund!"
Danke, der hat im Februar beschlossen, dass das alles nur die Anfangseuphorie war.
"Vor nem Jahr hat du einfach vor meiner Tür gestanden!"
Da kam ich von Mr.Gaunt und kam mir vor wie der stabilste Mensch der Welt, mit dem stabilsten und wunderbarsten Menschen an meiner Seite.
"Macht es dir eigentlich was aus, wenn wir am Freitag auch Mr.Gaunt und seine Freundin sehen?"

So ein Pech aber auch.

Zur Vorbereitung auf die Mischung aus Heimatbesuch, Konzert und emotionalem Selbstmord, die mich erwartet, tue ich das Einzige, was in solchen Situationen an vernünftigen Optionen bleibt:
Tee trinken, Schokoriegel vernichten und versuchen, einen großen Bogen um die Musik zu machen, die negative Erinnerungen wecken oder das mühsam zurückgehaltene Selbstmitleid entfesseln könnte (also quasi alles, was sich aktuell auf meinem Handy tummelt).
Morgen vielleicht ein Kneipenbesuch mit der ehemaligen Feindin.

Würde ich unser Haus im leeren Zustand nicht so furchtbar gruselig finden, könnte ich mich wenigstens mit einem Glas Wein (oder nem Bier) in die Badewanne legen.
Aber ich hätte eh nichts da.
Kommt davon, wenn man fast nie was trinkt.

Bis ich in zwei Tagen also wie Phönix aus der Asche auferstehe, wünsche ich Ihnen aus meiner Schokoladenpapierchen-Zigarettenasche-90er-Jahre-Versenkung angenehme oder zumindest erträgliche Weihnachten.
Ich versuche solange, das aufkeimende Selbstmitleid in positive Energien (Welthass, Wut, Aggression, etwas mehr Motivation beim Unterfangen, Legolas flachzulegen,...) und noch mehr Positivmusik im Keim zu ersticken.

Peace, Love und ein paar Katzenhaare,
mayhem.




Donnerstag, 18. Dezember 2014
Als ich gegen elf Uhr vormittags aus dem Bett des Wikingers klettern will, hält der mich reflexartig fest.
"Wo willst du denn hin?"
-"Heim." Wohin auch sonst? "Du hast doch gesagt, um halb eins holst du deinen Sohn, und ich bin jetzt nicht davon ausgegangen, dass dem die Fickbekanntschaften seines Daddys vorgestellt werden."
"Ach, ich glaube, in dem Fall könnte das ganz nett werden. Und jetzt komm erstmal wieder her, bis halb eins haben wir noch alle Zeit der Welt."

Um halb eins stehe ich dann tatsächlich dem Miniwikinger gegenüber.
Der hat lange Haare wie sein Papa, und umklammert verängstigt dessen Knie, bis er hochgehoben wird und sich effektiver (sprich: In den Haaren des Wikingers) vor mir verstecken kann.
Bringt ihm alles nichts, die Anwohner neben der Kindertagesstätte sind schon seit 10 Minuten am Meckern,weil der Motor des Wikingermobils nonstop laufen muss (sonst springt es nicht mehr an) und das schließlich eine Belästigung sondergleichen darstellt, sodass der große Wikinger sich ihrem Zorn stellt, während der kleine bei mir im Auto geparkt wird.
Erstmal ne Kippe drehen.

Zwei Stunden später sitzen der Miniwikinger und ich auf dem Bett seines Vaters und "lesen".
Instinktiv habe ich mich zur einzig wahren Sicherheitsquelle meines Lebens, dem Bücherregal, geflüchtet, und aus der Reihe, die für den Kleinen reserviert ist, ein paar rausgezogen.
Nachdem wir mit "Wasisdaaas?" - "Das ist ein Bagger", "Wasisdaaaas?"-"Das ist ein Feuerwehrauto" bereits ein Bilderbuch durchgearbeitet haben, will er, dass ich ihm aus einem Kurzgeschichten-Bilderbuch-Hybriden vorlese.
Lesen ist gut, Lesen gibt Sicherheit, man kann sich wunderbar dahinter verstecken und so muss weder ich mich mit meiner Verunsicherung und Abneigung gegenüber Kindern, noch das Kind sich mit seiner Verunsicherung und Abneigung gegenüber Fremden beschäftigen. Als sein Vater verkündet, wir müssen noch zum Supermarkt, Pfand abgeben und Abendessen besorgen, lässt sich der Miniwikinger sogar von mir den Jackenreißverschluss schließen und weicht mir fortan nicht mehr von der Seite.

"Ich find ja, ihr macht das prima", meint der Wikinger, während er Biotomaten auf Schimmel untersucht, von diversen anderen Frauen erzählt und nebenher seelenruhig dabei zuschaut, wie ich seinen Miniklon beständig davon abhalte, mit Vollgas (und seinem Kinder-Einkaufswagen) in einen Stapel Mehlpackungen oder andere Menschen zu fahren, verloren zu gehen oder die Regale leer- und in seine Taschen zu räumen.
"Eigentlich ist das auch nicht anders als das, was ich sonst immer mache. Gut zureden und davor bewahren, Scheiße zu bauen. Und Kinder sind ja eh nur betrunkene Minizwerge. Auch, wenn ich sie trotzdem nicht mag."
Die letzte Bemerkung hat offensichtlich die Aufmerksamkeit einer Vorstadtoma auf sich gezogen, die neben dem Wikinger gestanden hatte und deren Blick sich jetzt auf mich richtet, dann vom Kind zu mir, und wieder zum Kind wandert.
"Hilde! Hilde, da siehs dir an!", zischt sie so leise wie eben möglich in Richtung einer weiteren Vorstadtoma.
Die mutmaßliche Hilde glotzt ebenfalls zu mir, dann zum Miniwikinger, und wieder zu mir.
"Ach, das arme Kind. Nee, also wirklich. Jetzt ist der kleine Wurm ja noch so jung, aber später, später da schämt er sich bestimmt. Unverantwortlich, absolut unverantwortlich, als Mutter so herumzulaufen. Und das arme Kind. Die Haare. da weiß man ja nicht, ob das ein Bub ist oder ein Mädel."
Einfach weitergehen, beschließe ich und lenke den "armen Bub" und seinen Miniatureinkaufswagen in Richtung Orangensaft.
Als er wissen will, was die Omas "böses" gesagt haben, erkläre ich ihm auf kindgerecht-pädagogisch wertvolle Art und Weise (immerhin bin ich im Hauptfach umzingelt von Lehramtsstudenten, das färbt ab), dass es Menschen gibt, die schlecht von anderen Menschen denken, wenn die nicht so aussehen oder sind, wie man das normalerweise gewöhnt ist. Und dass die anscheinend oft ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis haben.
Die beiden Schlussfolgerungen des Miniwikingers:
1. Die sind ja doof.
2. Die haben da was Böses gesagt, da muss sich Papa einschalten.
In absoluter Höchstgeschwindigkeit rennt der Miniwikinger zurück zu seinem Vater, während ich Orangensaft und den Minieinkaufswagen einsammle, den er vor lauter Eile stehen gelassen hat.
Aufgrund geringer Unterschiede unserer Beinlänge bin ich knapp nach dem kleinen wieder beim großen Wikinger und dem Gemüse, und bekomme mit, wie "der arme Bub" markerschütternd laut in Richtung der Vorstadtomas, die an der Kasse stehen, deutend schreit:" Dieeeeeee sind böööööööööseeee Papaaaaaaaaaaaa!"
Empörtes Glotzen und Getuschel an der Kasse.
Dann sehen mich die Vorstadtomas, zählen ihrer Logik folgend eine langhaarige Gestalt plus die zweite, plus das ebenfalls langhaarige Kind zusammen, und wenden sich vertrauensvoll an mich. "Also, was machst du denn mit dem Bub? Der ist ja ganz durch den Wind."
Und in Richtung des Miniwikingers: "Na na, du armer Wurm. Ist doch alles gut."
Woraufhin der Miniwikinger das einzig Vernünftige tut, auf die Omas deutet, ganz leise, und so bedrohlich, wie man das als Zwei- oder Dreijähriger eben kann, "bööööööööööööseeee" zischelt, bevor er sich hinter dem Bein seines Vaters versteckt.
Der zuckt als Reaktion auf die Blicke der Vorstadtomas nur mit den Schultern. "Wenn der Kurze das sagt, wird er schon Recht haben."

Hach, Familienidylle.




Samstag, 13. Dezember 2014
Thema: gefunden.
"Mut hab ich genug, um barfuß mitten durch die Hölle zu gehen."
(aus Die Räuber von Friedrich Schiller)

Von außen betrachtet Diagnose, von innen Prog- Vorsatz für 2015.




Freitag, 28. November 2014



Die Kleinstadt-WG gibt es nichts mehr.

Eine leer stehende, verwüstete, vermüllte Wohnung. Irgendwo da drin noch meine Erinnerung ans Abitur, und mit Glück die von Großvater Mayhem geerbte Stehlampe.
Eine Küche, die aussieht wie ein Container voller uralter Schlachtabfälle, und auch so riecht.
Irgendwo da drin noch meine Tees und Geschirr.
Ein Badezimmer, das wirkt, als wäre es vor Jahren so hektisch verlassen worden, dass keiner mehr Zeit hatte, den Wasserhahn zu- und die Heizung runter zu drehen und ein Fenster zu kippen.
Neben dem Waschbecken noch ein Regal Tante Emmas.

Heute eine Nachricht der Nachbarin, die schon länger nicht mehr mit dem Knastbruder zusammen ist.

Der Kater hat den Kontakt abgebrochen.
Ich weiß noch nicht, was passiert ist, aber der Kater hat den Kontakt zum Knastbruder abgebrochen.
Der hat sich nach Hessen abgesetzt.
Der Kater wieder zu seiner Mutter.
Und die Katerfreundin ist nicht mehr mit ihm zusammen und als einzige in der Kleinstadt geblieben.

Ich weiß noch nicht, was passiert ist, aber es ist vorbei.
Die ehemalige WG gibt es nicht mehr.
Der Knastbruder ist weg.
Der Kater hat keinen Halt mehr.
Im sozialen Netzwerk ist immer noch die Kleinstadt als Wohnort angegeben, im Whatsapp-Status steht immer noch das Datum, an dem er mit seiner jetzt Ex-Freundin zusammen gekommen ist.
Aber es ist vorbei.

Bis zum 30. dieses Monats hat die Katerex noch die Wohnungsschlüssel.
Hätte ich nicht gefragt, hätte ich meine Sachen nie wieder bekommen.
So fahre ich, wenn es denn klappt, bald schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage in Richtung Heimat.
Ein letztes Mal zur ehemaligen WG.
Auf der Suche nach einer gefühlt einen Zentner schweren Stehlampe mit gerüschtem Schirm, einem Plastik-Oscar mit meinem Namen auf dem Sockel, und Tante Emmas Regal.
Ein letztes Mal ins Wohnzimmer, dessen Wände der Kater auf einem Trip mit Neonfarben besprüht, und auf dem alle Besucher und Bewohner, auch die Barmaid und ich, sich mit Unterschrift verewigt haben, und auf dessen Fensterbank eine einsame und unkaputtbare Madagascarpalme steht.
Dafür notgedrungen durch die Küche, in der die Natur schon bei meinem Auszug die Machtübernahme eingeleitet hat.
Vielleicht ein Blick in das Zimmer, das mal meines war. In dem ich zuerst mit dem Kater gesessen oder gelegen, und mich später vor ihnen allen versteckt und dabei mehr oder wenigerr tot gestellt habe.
Und ein kurzer in den später zum Gästezimmer erklärten Raum, in dem ich übernachtet habe, als ich zum ersten Mal zu Besuch war.
Eine Runde durch den stinkenden, modrigen Keller, sichten, was mir gehört und noch verwertbar ist, und dann raus da.
Was keinen Nutzen mehr hat, bleibt zurück.
Es ist vorbei.