Mehr oder weniger gezieltes Zurückblättern hat ergeben, dass es bereits letztes Jahr im Oktober wieder angefangen hat.
Natürlich gibt es gute und schlechte Tage, aber der altbekannte Grauschleier fing an, wieder über allem zu schweben und sich langsam abzusenken.
Das große Namenlose ist aus seinem Sommerschlaf aufgewacht.
Die Weltuntergänge haben wieder begonnen, an meine Tür zu klopfen.


Inzwischen stehen sie quasi im Wohnzimmer.
Es sind nicht mehr schlechte Episoden an guten Tagen, sondern neutrale Phasen im Sumpf, während ich alles, was beobachteter Alltag ist, noch erstaunlich gut auf die Reihe kriege.
Was außerhalb der Uni, oder in Kursen, in denen ich alleine bin, stattfindet, steht (Achtung, pathetisch) irgendwo zwischen Verzweiflung,Unfähigkeit und Scham.


Es ist nicht mehr damit getan, dass mich Kleinigkeiten aus dem Konzept bringen und in endlose Abgründe zu stürzen drohen.
Das passiert inzwischen auch einfach so.
Mit wechselnder Häufigkeit steigen Blasen aus dem trüben Sumpf, den ich in mir züchte, nach oben und überqueren die Grenze zu meinem Bewusstsein.
Dann explodieren sie, und lösen einen unbeschreiblich intensiven Platzregen aus teilweise/oft erinnerungsinduzierter tiefster Überlastung, Verzweiflung und genereller Auswegslogikeit aus, um so schnell wieder zu verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.
Alles in Sekundenbruchteilen.


Es kommt mir komisch vor, das in einem Moment, der sich vollkommen stabil und normal anfühlt, zu schreiben, aber ich beobachte mich schon lange genug, um zu wissen, wann ich absichernde Maßnahmen ergreifen sollte.
Noch ist es nicht völlig soweit, es ist noch nicht akut, aber ich habe Angst davor, dass es das wird.

Ende diesen Monats habe ich einen Termin, der mir eventuell einen Platz auf einer Warteliste bei einer Therapeutin, der ich zumindest theoretisch nicht wieder zu komplex sein sollte, einbringt.
Zwei Wochen später die vorletzte Sitzung bei der aktuellen, deren Arbeitsvertrag nur noch bis Juli geht und die somit noch weniger als ursprünglich gedacht in meinem Hirn wühlen kann.
Sie hat mir sehr nahe gelegt, mir wieder Antidepressiva verschreiben zu lassen.

Natürlich habe ich mich noch nicht getraut, mir hier einen Hausarzt zu suchen.
Oder überhaupt bei einem anzurufen und einen Termin auszumachen, an dessen Ende ich hoffentlich ein Rezept für irgendwas, was mich heil durch die Übergangsfrist bringt, in der Hand halte.

Aber ich habe den Ziegenmann vorgewarnt. Ansatzweise.
Was ich ihm noch erklären muss: Ich kann mich nicht mehr auf meine Wahrnehmung verlassen (zum Beispiel bin ich aktuell sehr davon überzeugt, dass die Amazone mich für einen blöden, oberflächlichen Jammerblobb hält; auch, wenn ich hier ganz rational aufschreiben und wissen kann, dass das wahrscheinlich Schwachsinn ist) und das ist ziemlich schrecklich.
Eigentlich ist das so ziemlich der Umstand, für den das Wort "schrecklich" erfunden wurde.
Meine Wahrnehmung sämtlicher zwischenmenschlicher Kontakte ist so verschoben, dass das Einholen einer zweiten Meinung nicht nur sinnvoll, sondern gefühlt manchmal obligatorisch ist.
Und manchmal geht die Welt halt einfach unter, und während das passiert, kann das auch niemand ändern. Man muss eben warten, bis es vorbei ist.

Das Bedürfnis, eine Kurzanleitung zu verfassen, die erklärt, wie man aktuell mit mir umgehen sollte, ist manchmal ziemlich akut.

Vor Allem, weil ich das einzig Vernünftige getan, die Mitbewohnerin, die Amazone und den Ziegenmann um mich geschart und mit dem Mut, den ich nicht habe, von dem Geld, das vom Studienkredit abgespart ist, eine Pragfahrt auf die Beine gestellt habe.
Man könnte sich jetzt darüber streiten, ob das so eine gute Idee ist (zumal nicht nur Depressionswahnsinn in meinem Kopf, sondern auch eine ganz banale, aber sehr fiese Erkältung in meinem Körper brütet), und ich bin aktuell eher ein Nerven- als ein Vorfreudebündel, aber so ist das halt, wenn keinerlei Schutzbarriere zwischen dem, was einen verletzen oder verunsichern könnte, und einem selbst mehr vorhanden ist.


Ich verabschiede mich also gen Tschechien, um in ein paar Tagen wohl weder besser, noch schlechter, aber immerhin mit einigen Stangen Zigaretten ausgestattet wieder zu kommen.
In meinem Gepäck befinden sich, neben Erkältungstee, meine verbliebenen Notfall-Tavor (5/6. Und die sind vom letzten Jahr. Da soll noch mal einer sagen, ich könne mich nicht beherrschen)und, elementar, die hochspannende Seminar-Pflichtlektüre Emilia Galotti.

Eigentlich bin ich also auf alles vorbereitet.





c17h19no3, Donnerstag, 14. Mai 2015, 07:29
ich bin ja nun woche sechs ohne pillen, und es ist exakt das, was du beschreibst, sumpfblasen. irrlichter. da sind die medis schon gold wert, v.a. wenn du welche gefunden hast, die auch wirken.
mein hausarzt verschreibt mir die ohne mit der wimper zu zucken. also kein grund zur scham, meine frühere hausärztin war da eigen, die behauptete, da sie keinen plan von sowas habe, müsse ich mir extra einen psychiater dafür suchen. pah! hausarzt gewechselt und gut. ;)

viel spaß in tschechien. ich beneide dich.


mayhem, Montag, 1. Juni 2015, 00:01
Die Therapeutin, bei der ich war, hat mich zwar psychisch noch mehr fertig gemacht, aber mir immerhin was verschrieben. Jetzt bin ich schubweise seltsam verstrahlt/einfach nur komisch, Eingewöhnungsphase halt.

Danke :)

huehnerschreck, Donnerstag, 14. Mai 2015, 12:49
oh, dang it.

das sind die fälle, in denen es mit "aufstehen, hörnchen neu lackieren, weiter gehen" nicht getan ist. bitte, bitte such dir einen hausarzt, bei dem du die überbrückungsmedikamente bekommst!! morphine ist, glaube ich, ein verdammt guter berater bei solchen dingen (ich selber weniger, da meine weltuntergänge im vergleich zu dem, was du erlebst, nur ein paar ordentliche gewitter waren, erlebt in einer wackligen, wenngleich funktionierenden, gartenlaube).

meine hiesige hausärztin kann ich dir leider nicht in ein paket packen ...

ich schick dir ne vorsichtige umarmung, falls gewünscht, daumen sind ... na, du weißt schon - und sag, ob und wie ich dir helfen kann, ja?

und, äh, naTÜRlich viel spaß in tschechien!!einsellef1!


mayhem, Montag, 1. Juni 2015, 00:02
Medikamente hab ich erstmal; nachdem ich aber nicht mehr zu der Frau möchte, außer, um ihr nen Haufen Katzenscheiße an die Praxisfenster zu werfen, werd ich mir fürs nächste Mal wen anders suchen.

Umarmungen sind immer gut, danke :)

arboretum, Sonntag, 17. Mai 2015, 19:50
Mehr oder weniger gezieltes Zurückblättern hat ergeben, dass es bereits letztes Jahr im Oktober wieder angefangen hat.

Den Eindruck hatte ich vorigen Herbst auch, deshalb fragte ich damals auch, ob Du in Deiner neuen Heimat schon Ärzte gefunden hättest. Es tut mir leid, dass es nun wieder so schlimm geworden ist.

Ich hoffe, die Prag-Fahrt war trotzdem schön, zumindest ein bisschen.


mayhem, Montag, 1. Juni 2015, 00:06
Dass es schlimmer wird, war ja eigentlich absehbar. Aber in 2 Wochen sollten die Medis voll reinhauen, damit ist die Therapeutensuche doch etwas einfacher.


2/4 Tagen war ich erkältungstechnisch total kaputt, aber davon abgesehen war es schön, ja :)

threebluesheeps, Donnerstag, 21. Mai 2015, 23:25
Was du beschreibst kommt mir ziemlich bekannt vor. Meine Taktik ist wohl etwas ähnlich wie deine. Ich versuche vermehrt was mit Menschen zu machen, die ich gerne mag und die mir auch gut tun. Ich hoffe, das etwas von deren "realitätsnaher" Wahrnehmung auf mich abfärbt. Rausgehen, was sehen, was unternehmen ist auch immer ein guter Ansatzpunkt um wieder Wurzeln im Leben zu schlagen, die einen halten. Lass dich nicht unterkriegen. Ich fühle mit dir und wünsche dir Zeit zum Durchatmen, Wohlfühlen & dass sie dich durch all das durchträgt.


mayhem, Montag, 1. Juni 2015, 00:08
Mir kann das auch schnell zu anstrengend werden; ich finde es manchmal schwierig, da die Balance zu halten zwischen "Menschen würden mir gut tun" und "eigentlich will ich gerade sehr gerne alleine sein".

Und danke. Dir auch alles Gute weiterhin.