Samstag, 9. April 2011
Weißt du, ich war nie ein Kind von der Sorte, die unsichtbare Freunde hat; ich hatte ja meistens nicht mal reale, und so gingen die Kindergärtnerinnen davon aus, dass ich nicht sonderlich kreativ, entwickelt oder begabt war und zudem irgendwie seltsam. Ganz am Anfang hatte ich eine gute Freundin, wohl die beste überhaupt, sie hieß Ranja und hatte somit einen Namen, der meinem sehr ähnlich war.
Laut meiner Mutter war ich die einzige, die verstand, was das Mädchen erzählte, weil ich es irgendwie geschafft hattte, zu verstehen, was sie sagen wollte, auch ohne die Sprachkenntnisse, die dafür eigentlich vonnöten gewesen wären, denn ihre Eltern sind Griechen und die Deutschkenntnisse der Familie waren wohl sehr beschränkt. Sie betrieben eine kleine Wirtschaft, und immer, wenn wir da waren, durfte ich in die Küche und aus einer Keks- und Plätzchenkiste etwas herausnehmen und meine Eltern bekamen einen Schnaps umsonst.
Dann sind sie umgezogen, und seitdem hatte die Wirtschaft irgendwie kein Glück, kein Besitzer konnte sich länger als ein Jahr halten, einer hat angeblich Selbstmord begangen.
Angeblich wohnt sie jetzt mit ihren Eltern in einer Stadt, die ca. 60km entfernt ist, keine unendlich weite Entfernung, allerdings habe ich erst zehn Jahre nach ihrem Umzug erfahren, dass sie dort ist. Den Nachnamen kenne ich nicht mehr, und so kam bei der Suche in diversen sozialen Netzwerken kein nutzbares Ergebnis heraus und eine erneute Kontaktaufnahme scheiterte.
Sicher, mit großer Wahrscheinlichkeit erinnert sie sich nicht mehr an mich, davon abgesehen, was hätte ich schreiben sollen. "Hallo, wir waren vor vierzehn Jahren allerbeste Freunde, im Kindergarten, bis du umgezogen bist"?
Kennt mich doch gar nicht mehr, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt haben, ist..groß.


Als Ranja umgezogen ist, war ich in einer on/off-Freundschaft mit einem Mädchen, dessen Mutter von den Philippinen kommt. Wir waren an einem Tag beste Freunde und am nächsten total zerstritten, dann auf einmal wieder gute Freunde, weil sie eins von den coolen Kindergartenkindern war und ich eben nicht, und während sie in der Malecke immer sagten, sie würden mich in den Kamin stopfen und verbrennen und mich irgendwie alle scheiße fanden, war es das selbe Gefühl, das es ungefähr acht Jahre später war, wenn alle in ihrer ach so tollen Gesprächsrunde standen und ich mich am Rand mit dazuquetschte, um so zu wirken, als ob ich dazu gehörte, damit keiner der sich manifestierenden Upper Class auf die Idee kam, sein mangelndes Selbstwertgefühl mal wieder ausgleichen zu müssen, indem er mich runterputzte.
Meine Mutter fand die on/off-Freundschaft bestenfalls seltsam, meistens hab ich eine Strafpredigt bekommen, weil ich mich so behandeln ließ, und sehr oft hat sie mich darauf hingewiesen, wie dünn und zart und elfenhaft das philippinische Mädchen doch im Gegensatz zu mir ist und damals war das wirklich so, selbst die allerkleinsten Größen waren noch ein Stückchen zu groß für sie.
Wir haben uns nach ein paar Jahren endgültig auseinander gelebt und schließlich aus den Augen verloren, und als ich sie jetzt, nach geschätzten 12 Jahren, in einem sozialen Netzwerk wiederfand, stellte ich fest, dass sie inzwischen in die Kategorie "mollig/einige Kilos zu viel" fällt, und das sie nicht mehr daheim/hier im Ort wohnt. Ich habe ihre Familie eigentlich als eine glückliche eingeschätzt, manchmal durfte ich zu ihr nach Hause, einmal haben wir Videokassetten angeschaut, Das letzte Einhorn und Die Schwanenkönigin oder wie es hieß, und ich weiß noch, wie wir uns gestritten haben, weil sie steif und fest behauptete, es hieße "die Schwabenkönigin" und ich meinte, das gäbe doch gar keinen Sinn.
Als ihre Mutter vor Kurzem ins Geschäft kam, hätte ich sie fast nicht wiedererkannt, sie sah nämlich nicht aus wie knapp 48, sondern wie höchstens 20, an ihrer Seite einer der Amerikaner vom Stützpunkt in der Stadt, und als sie meinte, wenn sie schon da sei, würde sie gern meiner Mutter Hallo sagen, und ich sie darüber informierte, dass diese vor dreieinhalb Jahren gestorben ist, wurden ihre großen Kinderpuppenaugen noch ein Stück größer und sie entschuldigte sich, das habe sie nicht gewusst, sie würde nicht mehr hier im Ort wohnen.
Bis zum Ende der vierten Klasse war ich mit dem Mädchen von gegenüber, das nicht mehr gegenüber wohnt, befreundet. Gestritten haben wir uns oft genug und ich weiß noch, wie ich mit ca. 8 Jahren überlegte, ob es sein könne, dass ich geistig irgendwie anders war als die anderen Achtjährigen. "Weiter" oder irgendwie anders . Ich empfand die Freundschaft mit ihr gegen Ende als Belastung, weil ich mich verkleinern musste, um in ihre Welt zu passen, und wenn ich es nicht tat, sah sie mich verwirrt an und wusste nicht, was ich eigentlich sagen wollte.
Parallel war ich mit meiner jetzigen Mitgitarristin befreundet, ebenfalls kompliziert aufgrund meines Egos, schon damals die seltsame Wandlung hin zum selbstbewussten Arschloch, die ich nur vollziehe, wenn sie dabei ist.
Zwischendrin blieb die Einsamkeit. Beide beliebter als ich, und wenn es zu einem Streit kam, hatte ich die Arschkarte gezogen, weil ich dann ganz allein war.
Immerhin, die Mitgitarristin und ich, wir hatten schon früh erkannt, dass sich Hausaufgaben machen nicht lohnt, und in den Pausen spielten wir Geschichten, in denen wir Figuren aus den Zeichentrickserien waren, die mittags auf RTL 2 liefen.
Dann der Wechsel ans Gymnasium, Mitgitarristn weg und ebenso das Mädchen von gegenüber, es folgt ein wenig Alleinsein in der Schule und das Sitzen im Bus neben meiner aggressionsgeplagten Nebensitzperson, dann sitzt Kriemhild neben mir im Bus, mal wieder, als meine eigentliche Nebensitzerin neben einer gemeinsamen Bekannten sitzt, und diesmal traue ich mich, mit ihr zu reden. Ich bin in der 7. oder 8.Klasse und habe noch schwarz gefärbte Haare, und wir sitzen da und reden über die nicht vorhandenen Zigarettenschachteln in ihrer nicht vorhandenen Handtasche. Und weil ich doch so phantasie- und humorlos bin, findet sie lustig, was ich erzähle, und es wird zu einem festen Ereignis, das wir im Bus nebeneinander sitzen.
Dann die Beliebtheitsphase, gefolgt von den Zweckgemeinschaften und inzwischen der teilweisen Akzeptanz durch die werte Nochparallelklasse.
Die Zweckgemeinschaft mit der Mitsanitäterin löst sich immer mehr auf und Kriemhild hat nach ihrem Realschulabschluss an die FOS gewechselt, der Plan lautet sie macht ihr Abitur dort, ich meines hier, und später wird zusammen studiert.