Donnerstag, 19. April 2012
Im Gesicht der Vatersfreundin der blanke Hass, in mir die altbekannte Verzweiflung.
Sie am schreien, mein Vater am Schweigen, die Sätze fliegen mir entgegen wie Handgranaten und weglaufen geht nicht, also lasse ich sie zu meinen Füßen detonieren und hoffe darauf, mit dem Leben davonzukommen.
Und sie schreit und schreit und lässt mich nicht zu Wort kommen, keinen Ton darf ich sagen, eigentlich solle ich noch viel weniger dürfen als nichts, und mit 18 würde ich rausgeworfen, von ihr höchstpersönlich, wenn es mein Vater nicht über sein kleines, kaputtes, eingegangenes Herz bringen sollte.
Keinen Cent Unterstützung werde ich von ihnen bekommen, schreit sie mir entgegen, Kindergeld und die halbe Waisenrente würden ja wohl dicke reichen, würde mir eigentlich auch sowieso beides nicht zustehen.
Lässt mich nicht zu Wort kommen, als ich sie darauf hinweisen möchte, dass ich dafür auch praktisch alles außer Strom und Wasser selbst bezahle und man von dem Geld mit Glück gerade die Kaltmiete für eine Wohnung zusammenbekommt.
Schreit, ich solle in mein Zimmer gehen, sonst würde sie gehen.
Dass ich sie und meinen Vater kaputt mache. Und damit aufhören soll, ich soll mich gefälligst selbst kaputt machen, man habe ja an meiner Mutter gesehen,dass ich das kann.
Wie meine Mutter sei ich, genau so.
Und wieder, entweder ich gehe oder sie geht.
Mein Vater im Hintergrund. Hatte sich hinter ihrer Wut und seinen Akten versteckt und tut es eigentlich immernoch, sieht aber ein, dass er Stellung beziehen muss.
"Geh jetzt in dein Zimmer". Ganz leise sagt er es und mit der Ruhe, die er sonst nur zeigt, wenn wir Dienst haben.
Der Kopf ist frei, doch das Herz ist so schwer, es könnte leicht sein, doch es wird immer mehr
Sehe der Vatersfreundin in die Augen, ohne ein Wort, eine Minute lang, und der blanke Hass starrt zurück und keift wieder, dass ich gehen soll, es würde sonst eskalieren, da ist dieses Vorahnungsgefühl, das man hat, wenn aggressive Familienmitglieder kurz davor sind, handgreiflich zu werden, und ich drehe mich um und gehe, bevor ich ihr die Gelegenheit gegeben hätte, ihre ungewaschenen Hände in mein Gesicht zu schlagen.

Sie schwankt zwischen betont fröhlich und vertontem Hass, beides möglichst so laut, dass ich es mitbekomme.
Da wird im Nebenzimmer ganz laut gelacht, um sich anschließend in der Küche über einen noch nicht in die Spülmaschine geräumten Löffel aufzuregen. Nicht mein "Neger" sei sie, und wenn ich unfähig sein "drinnen zu fressen", solle ich "auf dem Hof fressen, was anderes als fressen macht die ja nicht".
Ich bin mindestens acht Zentimeter größer als die Vatersfreundin und zwei Kilo schwerer.
Wobei man Gefühle ja nicht wiegen kann.

Alles wie Bleigewichte an meinen Füßen, eigentlich zieht schon das Restleben stärker, als es sollte, und so werde ich mal wieder nach unten gezogen, gefühlt geht es diesmal tiefer denn je.
Frage mich wieder, wo mein Kompensationsverhalten hin verschwunden ist, und wieso ich noch halbwegs funktioniere, obwohl es sich anfühlt, als würde ich jeden Moment zerspringen, einfach so.
Es tut weh, mehr denn je, jede Sekunde tut es das und ich übertreibe nicht.
Trotzdem geht es weiter. Die Ferien hindurch, bis jetzt, und auch morgen wird es weitergehen, wenn der Fakt, dass ich vor lauter Kaputtgehen viel zu wenig gelernt habe, sich in der Klausur aus der Hölle rächen wird.

Es wird auch am Samstag weitergehen, wenn ich mit der Nachbarin, dem Solariumfan und diesen fremden Menschen unterwegs bin.
Anfangsabsteigenphase, nur gesteigert und je nachdem, wie ausgeprägt sich meine Schmink- und Schauspielfähigkeiten an diesem Abend zeigen, ohne u18-Bändchen.
Und ohne die alte Sache, seine Schwester, die Feindin, sie und die Anhängsel.
Geht verloren, all das. Ist vielleicht schon verloren gegangen.

Geht alles verloren,inklusive mir, und eigentlich sollte doch alles ganz anders sein, leichter zu ertragen und nicht so kaputtmachend.
Keiner hat mir gesagt, dass es mich so kaputt machen wird.

Aber es hat auch keiner gesagt, dass es leicht wird.
Meine Mutter hat gesagt, ich muss kämpfen. Wir müssten kämpfen, und es war ja so, wir beide gegen den Rest der Welt. Immer wir beide..
Sie gegen mich.
Sie gegen ihn.
Der Rest der Welt gegen sie.
Ich zwischen den Fronten.
Aber immer wir beide gegen den Rest der Welt.
Es gibt niemanden, dem ich eine derartige Verbundenheit entgegenbringe, wie ich es bei meiner Mutter tat, und es gibt nur wenige Personen, die ich ähnlich verabscheute, wie ich sie.

Ich verabscheue die Vatersfreundin.
Ich verabscheue sie für alle Handgranatensätze, die sie auf mich abgeworfen hat und abwirft, verabscheue sie für ihre aufgestauten Aggressionen, ihre Wut, ihren Hass, ihr Reinsteigern, ihr Nichtausredenlassen, ihr Tatsachenverdrehen und vor allem dafür, dass sie es an mir auslässt und auf mich konzentriert.
Die Quasi-Stiefgeschwister hatten, als sie alt genug waren, alle den Kontakt zu ihr abgebrochen, eine von ihnen hat daran bis heute nichts geändert.
Sollte ich so lange durchhalten, werde ich es vermutlich genauso handhaben.

Durchhalten ist wohl das Wort der Stunde, mehr denn je.
Durchhalten und hoffen, dass Amtsgewalten und das Schicksal gleichermaßen auf meiner Seite sind und möglichst auch bleiben.
Durchhalten und vergessen, dass es für mich schon schwierig ist, fremde Menschen nach der Uhrzeit zu fragen, und eigentlich unmöglich, ihnen meine Situation auf den Schreibtisch zu werfen, um Hilfe zu bitten und zu erklären,dass es keine andere Option gibt.
Alleine.
Wie eigentlich fast immer in den schwierigsten Situationen.
Das ist jetzt wohl einer der Momente, in dem ich mir wünsche, die alte Sache, der Kumpel oder irgendeiner dieser (ehemals?) so wichtigen Menschen hätte es ernst gemeint, als er sagte, er sei immer da, egal, was ist.

Vermutlich bin ich noch naiver als gedacht.











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Zitat aus Einfach nicht leicht von Frittenbude