Mittwoch, 7. November 2012
Thema: von herzen
Fremder,

er sagt, es ist meine Schuld.
Es sei eindeutig meine Schuld,dass du dich auf die Reihe bekommst, sagt er, auch, wenn er natürlich keine Ferndiagnosen stellen könne und weder dich, noch mich sonderlich gut kennt.

Ich bin traurig, weil ich uns nicht auf die Reihe bekommen habe und du es erst jetzt schaffst, wo ich aus deinem Leben so ziemlich verschwunden bin,
und weil ich so viel Hoffnung hatte und mich so oft überwinden musste,
auf dem Festival und hier,
und so oft versucht habe, meine Intuition als Paranoia abzutun,
aber der Gedanke, dass ich es vielleicht doch geschafft habe, dir zu helfen, ist ein ganz schöner, eigentlich.

Er sagt, dass ich Schuld bin, weil ich die Einzige bin, die je ehrlich zu dir war.
Die ganzen Fangirlies dauerläufig am anhimmeln, der Rest schießt sich schlimmer ab als du, und mittendrin tauche ich auf und himmle dich nicht einfach nur nicht stumm an, trinke nur so viel, wie ich auch vertrage und sage dir schonungslos ehrlich ins Gesicht, wenn ich finde, dass du Scheiße gebaut hast.
Muss ziemlich ungewohnt sein.

Vielleicht hat es dich zum Nachdenken gebracht.
Das, was ich gesagt habe und das, was ich nicht gesagt habe; die Tatsache, dass es Alternativen gibt, live vorgelebt von mir, und der Fakt, dass es weitergeht, egal, was einem passiert.
Und du löst dich von der Ghettoschwester, die Angst hat, dass du den Kontakt abbrichst, weil du jetzt nur noch mit anderen Ghettomädchen und vielen Fangirlies unterwegs bist,
und von ihrer Vorgängerin, die im achten Monat schwanger ist von ihrem Freund, den sie seit neun Monaten kennt.
Und du versuchst tatsächlich, auf der Arbeit mal was zu leisten, dein Chef erkennt dich nicht wieder,
und verbringst deine freie Zeit unter der Woche nicht mehr mit der Ghettoschwester oder mit Pizza vorm Fernseher, sondern mit dem Grinch, oder Fangirlies, oder Ghettomädchen, und selten sogar mit Bandproben,
und irgendwie passe ich da nicht mehr rein.

Ich gehe auf Konzerte, nicht in die Dorfdisko, und ich lasse mich nicht planlos vollaufen, weil ich den Sinn darin nicht sehe.
Ich kann mehr, als doof kichern und hohl sein, ich habe ein Gehirn, und manchmal weiß ich sogar, wie man es benutzt.

Und ich wäre so gerne mehr für dich gewesen, aber im Moment geht es wohl wirklich nicht.
Weil du erst langsam realisierst, dass man sich nicht zwingend planlos vollaufen lassen musst,
weil du irgendwie erst noch lernst, wie man sein Gehirn einsetzt und selbstständig denkt,
und weil dir die Welt, die mir oft so schmerzhaft und unbegreiflich vorkommt, so riesig und unfassbar erscheint, dass du erst langsam damit anfängst, über sie nachzudenken.

Er sagt, dass du wegen mir damit anfängst.
Wenn es so ist, und ich es ausgelöst habe, unbewusst oder bewusst, bin ich wenigstens nicht komplett gescheitert und wir haben beide was aus der Sache gelernt.
Ich hätte nach wie vor lieber dich als ein paar neue Lebensweisheiten, aber das bleibt wohl Wunschdenken und ich löse mich davon und konzentriere mich darauf, mein Selbstwertgefühl vom Boden aufzusammeln, während du dich schrittweise auf die Reihe kriegst.

Weißt du was, wir schaffen das. Wir kriegen uns auf die Reihe, jeder für sich.
Es gibt kein "wir", nicht mit uns.
Und ich werde nicht auf dich warten.
Ich werde nicht warten, bis du soweit bist, und hoffen, dass dir dann doch auffällt, wie toll du mich findest,
ich muss wachsen, erstmal versuchen, nicht zu zerbrechen, größer werden, meinen Weg und Frieden finden, irgendwo. Da kann ich nicht einfach auf der Stelle treten und hoffen, dass du irgendwann mit mir weiterlaufen willst.

Letztendlich habe ich schließlich doch das geschafft, was ich anfangs wollte: dir helfen.
Auch,wenn es nie so geplant war. Und immerhin, ich habe etwas aus der Sache gelernt, den Raucher aufgegabelt und deiner Schwester die Haare gefärbt, war auf einem Festival und mit dir in einer kleinen Wall of Love, habe neben dir im Zelt und in deinem Arm geschlafen,
wurde von dir nach der Bitchparty ausgesetzt und allein gelassen, habe gelernt, dass man Gefühle auch so ein bisschen zeigen sollte, und alte Bands wiederentdeckt,
werde von Manchen inzwischen zum Absteigeninventar gezählt und darf manche Bands sogar live fotographieren, weil du mich empfohlen hast und sie gesehen haben, was ich bei euren Auftritten so fertig gebracht habe.
Es hat ja doch alles irgendwie einen Sinn,und unseren haben wir hiermit wohl gefunden, jeder für sich.

Vermutlich ist es damit beendet, vermutlich war es das jetzt wohl. Ich versuche, mich nicht zu sehr daran festzuklammern, damit es in Frieden gehen kann und nicht wieder so hässlich wird, wie es damals mit dem Problem war.
Natürlich tut das weh, zeitweise fühlt es sich an, als würde ich auf der Stelle krepieren deswegen, aber weißt du, auch das geht vorbei, und ich habe zu viele andere Probleme, um nur wegen dir zu weinen.


Nach wie vor wünsche ich dir alles Gute und glaube daran, dass das schon alles irgendwie einen Sinn und seine Richtigkeit hat, auch, wenn es mich emotional zerfleddert und du es mir nicht gerade einfach machst, aber was ist im Leben schon einfach, und für mich bildet sich gerade ein ganz neuer Weg, von dem ich noch nichts weiß, außer, dass er meine ganze Kraft verlangen wird.
Deshalb lasse ich dich gehen, hoffe, dass du dich nicht verläufst, weiß aber, dass das manchmal notwendig und das einzig Richtige ist.
Du machst das schon, irgendwie, zumindest hoffe ich das,
und irgendwie werde ich es auch auf die Reihe kriegen. Ohne dich.
Ohne alles.
Im Endeffekt kann einem niemand helfen, man muss das schon selbst schaffen, irgendwie.
Wir schaffen das schon.
Jeder für sich.

von Herzen,

Frau mayhem.