Dienstag, 1. September 2020

Unter meiner Schädeldecke wimmeln schwarze Schaben. Sie rascheln.
(...)

Mein ganzes Inneres kriecht nach außen. Ich werde gleich ganz um und um gewendet und ganz rot sein.
(...)
Ein Ungeheuer geht auf mich zu. Es hebt die Tatze auf."

(Aus: L.N. Andrejew: Das Leben des Menschen, fünftes Bild)

Fünfzehn Seiten geschrieben bis jetzt. Mal beinahe fröhlich, mal Höllenqual.
Höllentsunami, sobald ich Pause oder Feierabend mache (wenn die Belastungsgrenze zu weit überschritten ist). Meine Mutter war Schauspielerin, natürlich muss ihr Abgang dramatisch sein, erst recht, weil ich sie von der Bühne jage. Sie beschwört alles herauf, was sie hat.
Ich auch.
Manchmal dreht meine eigene Erschöpfung auch die Hirngeisterachterbahn leiser. Eigentlich ideale Arbeitsbedingungen, wenn es nicht fünf Uhr morgens wäre und mein Sprachzentrum nicht, wie der Hirnmotor generell, zusammengekauert auf dem Sessel neben meinem Schreibtisch eingeschlafen wäre.


Ich nehme meine Medikamente.
Ich putze meine Zähne, versorge die Katzen und mache Yoga. Schulterstand? Lässig. Pflug und Bogen? Läuft.
Ich schleife mich jeden Tag aus dem Bett und an den Schreibtisch, vor die Bücher, konfrontiere mich mit dem virtuellen Papier und schreibe was drauf.
Manchmal erst nachmittags, manchmal erst abends, aber zuverlässig jeden Tag.
Jede Minute ist die Hölle, aber ich schaffe durchschnittlich 300 davon, bevor endgültig nichts mehr geht.
Großartig.

Aber zu wenig.
Ich bin zu langsam.
Mein Abgabedatum ist fest.
Kann fast keine Wunder mehr vollbringen, bin kein junger Gott mehr wie mit Anfang zwanzig.


Aber nur fast.
Heute vielleicht ein Tag Pause, der erste seit ich-weiß-nicht-wann. Schlechtes Gewissen, irgendwer meckert in meinem Kopf, aber ich bin der Captain, ich entscheide, wohin wir steuern.
Morgen Telefonat mit der Therapeutin, in unserer letzten Sitzung hatte sie den Eindruck, bei aller Bewunderung für dieses Talent, mein Balancieren zwischen Extremen und über Abgründen werde doch langsam ein wenig besorgniserregend, da sollte man mal was machen.
Mission also: Abgabefristverlängerung. Ein oder zwei Wochen mehr würden mir schon reichen.

Schwierig zu beantragen, wenn der Betreuer nicht da ist und die zuständigen Amtsdrachen mir nur dann Aufmerksamkeit schenken, wenn ich mit einer Armee anrücke.
Mit dem Höllenschlund im Kopf erst recht zutiefst ungünstig.
Wird trotzdem versucht, die Therapeutin übernimmt so weit wie möglich. Könne doch schließlich nicht sein, dass es nach dem ganzen Scheiß an ein, zwei lächerlichen Wochen scheitert.

Mal sehen, was aus dem Möglichen ins Wirkliche kippt:

- aberwitzige Selbst-Überwindung meinerseits, die sämtliche Wahrscheinlichkeiten ebenso zur Seite pustet wie so circa alles, was außer der Abschlussarbeit in meinem Kopf ist (inklusive der naturgegebenen Leistungsgrenzen, die tatsächlich nicht weiter verschiebbar scheinen)

- eine Woche mehr und großartige Selbstüberwindung meinerseits, die fast sämtliche Wahrscheinlichkeiten ebenso zur Seite pustet wie fast alles, was außer der Abschlussarbeit in meinem Kopf ist

- zwei Wochen mehr und damit im Vergleich zu dem, was noch geschrieben werden muss, beinahe genug Zeit, um das als realistisch bis fast angenehm für Normalsterbliche zu bezeichnen

- alles fliegt mir um die Ohren und ich geh doch in den Rettungsdienst, für ein paar Jahre müsste mein Rücken das mitmachen und mit Panikattacken lässt sich's schlecht kellnern.


Es bleibt spannend.