Donnerstag, 5. November 2020
Eine Prüfungsleistung vom Frühsommer ist immer noch nicht verbucht, bei der Abschlussarbeit ist auch noch alles in der Schwebe. Nicht gerade angenehm, aber ich hab ja Schwebe- und Ausnahmezustandsroutine mittlerweile.

Dafür ein neues Sólstafir-Album am Horizont, was standardmäßig Achterbahnen, Zeitreisen, Emotions- und Erinnerungsstürme, Euphorie und Wellenreiten bedeutet.


Das Album heißt Endless Twilight of Codependent Love und in anderen Zusammenhängen würde ich mich schon mal darauf vorbereiten, mich über pathetischen oder/und romantisierenden Müll aufzuregen.

Die erste und dominanteste Reaktion auf das Lesen des Titels, spezifisch nur darauf, war tatsächlich weder Aufregen, Melancholie, Zeitreisen, noch aus irgendwelchen Gräbern emporsteigender ZombiePhantomHerzschmerz (die Sorte Liebeskummer, die eigentlich gar keiner ist, weil man entweder durch den verzerrten Erinnerungsfilter schaut, oder auf die Reflektorfläche für eigene Wunschvorstellungen, zu der man eine Person gemacht hat).
Sondern: gesehen, gehabt, überstanden, zu den Akten gelegt und zwar endgültig.
Keine Sofortidentifikation, korrespondierende Erinnerungen und Seelenqualen oder Herstellung von Parallelen zur irgendwelchen aktuellen Situationen.
"Man muss ja auch nicht alles in Endlosschleifen durchleiden oder jeden Scheiß mitnehmen", sagt die innere MutterVaterKindPersonalunion, nicht ohne Anerkennung, und fügt ein paar Tatsachen und Erkenntnisse hinzu.
- Sowohl ein Selbst (in verschiedenen Versionen) als auch der dazugehörige Selbstwert sind vorhanden; man könnte sogar einen Selbsterhaltungstrieb attestieren und eine Tendenz zur positiven Fürsorglichkeit
- Nix hier endloses Zwielicht
- Sólstafir machen trotzdem eigentlich meistens gute Musik und das Album ist es somit vermutlich auch
- ich kann Dinge (mit-)fühlen und erinnern, ohne mich (wieder) reinstürzen zu müssen
- Album klassisch kaufen und anhören wird dank akutem Mangel an funktionierenden CD-Abspielmöglichkeiten schwierig
- CDs sind mittlerweile auch oldschool anscheinend
- technische Innovationen sorgen dafür, dass ich mich wie eine grantige Oma fühle
- bis ich in paar Jahren 30 bin, hab ich mich wahrscheinlich durch genug Skurrilitäten in vergleichsweise kurzer Lebenszeit navigiert, um innerlich tatsächlich zur grantigen Oma hochzuleveln
- was jetzt auch nicht wirklich schlimm wäre
- ich bin gerne eine grantige Oma. So eine, die in Kneipen sitzt und Schwänke aus ihrer Jugend, Lebensweisheiten und schlechte Witze raushaut, je nachdem, worauf sie gerade Bock hat
-Endlosigkeit ist eine Illusion
- Aussichtslosigkeit auch




Vielleicht ist das dieses ominöse Persönlichkeitswachstum, das die Life Coach - Klonkrieger immer beschwören.