Thema: von herzen

Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.

Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.

Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:

Und wie stumm in abgeschlossner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.

( Städter von Alfred Wolfenstein.)

Dear Nebensitzerin,

Vielleicht ist unsere Freundschaft nicht die allertiefste, die du kennst, und sicher nicht die allertiefste, die ich kenne, jedoch kann ich trotzdem sagen, dass ich immer da war, sicher nicht immer so, wie du es wolltest, aber ich war da, und ich kann ruhigen Gewissens sagen, dass meine Handlungsweise jedes Mal die richtige war. Auch du hast das mitbekommen, und auch, wenn ich nie ein "Du hattest Recht" oder gar ein "Danke" gehört habe, die Tatsache, dass du auf einmal genau das sagtest, was ich dir vorher gesagt hatte und wofür du mich verflucht und als verständnis- und ahnungslos und dumm und gefühlskalt bezeichnet hast, hat fast den selben Stellenwert.
Ich habe Nervenzusammenbrüche mit durchgestanden, ebenso wie Beziehungsdramen, Schulwechsel und Neuverlieben, und jedes Mal war ich mit dabei, habe zugehört und mitgefühlt, und es ertragen, wenn alles, was ich tat, um dir zu helfen, abgeschmettert und mit möglichst viel Schwung und mindestens einer Dosis "verletzend" für mich zurückgeschleudert wurde. Wenn ich etwas gesagt habe, dann warst du traurig, oder du warst wütend, oder beides, aber im Nachhinein hatte ich dann doch das richtige gesagt, und irgendwann war die Welt wieder in Ordnung und unsere Freundschaft dann ja irgendwie auch.
Weißt du, ich glaube nicht nur an das Gute im Menschen, meistens, sondern auch daran, dass alles gut wird, immer.
Diese Einstellung ist nicht gerade die seelenschonendste, aber sie gehört nunmal genauso zu mir, wie mein manchmal ziemlich eigenartiger Humor, mit dem ich dich meistens irgendwie wieder aufmuntern konnte, mal früher, mal später,
und so habe ich auch daran geglaubt, dass man Freundschaft ohne Fundament wieder aufrichten kann. Aber das ist genauso wie mit dem Weltretten, wie ich es der Freundin meines Vaters erklärt habe: Ohne Fundament kann man kein Haus dauerhaft aufbauen, da kann es noch so toll aussehen oder so perfekt durchgeplant sein.
Und so ist das bei uns.
Ich möchte es nicht akzeptieren, gewöhne mich aber daran, dass du sagst, an irgendwem musst du ja deine Aggressionen auslassen, egal wer es ist, wenn du wieder grundlos wütend bist, und dass ich dann die Zielscheibe bin.
Ich möchte es nicht akzeptieren, das deine, im Moment ausnahmsweise ohne ersichtlichen Grund, wuchernden Aggressionen einen Batzen Intoleranz geboren und in dein Hirn gespuckt haben, und daraus eine Fluch-und Beleidigungssalve zusammen mit wüsten Gewaltphantasien resultieren, die du immer abschießst, wenn es ein Kind, ein Ausländer, eine alte Frau oder irgendein anderes atmendes Wesen gewagt hat, sich in deinem Radius aufzuhalten.
Ich möchte es nicht akzeptieren, dass dein Hirn nur noch ein Haufen Brei ist, in den es von zu viel Talkshows, zu viel Engstirnigkeit, zu viel unselbstständigem Denken, zu viel bevormundet werden, zu viel sinnloser Aggression, zu viel Klischeedenken, zu viel "Ghettotusse"-Sein bei dem Versuch, böse Metalfrau zu sein, zu wenig Weltsicht, zu viel Naivität und schließlich und endlich als Resultat und Wurzel des ganzen, zu wenig Bereitschaft und Wille, selbstständig ohne andere und unvoreingenommen zu denken, verwandelt wurde!
Scheiße man.
Ich weiß, dass du zur Zeit nichts hören willst, wenn ich etwas sage, bist du wütend, und wenn ich nichts sage, bist du genauso wütend, darum habe ich mich heute darauf verlegt, einfach nichts zu sagen, als du von der Haltestelle losgehastet bist und ich neben dir fast joggen musste, um mit deinem Tempo mithalten zu können, obwohl ich technisch gesehen die längeren Beine habe. Hab dich nur anfangs gefragt, ob wir bitte langsamer laufen könnten, du hast mir ein aggressives "Nein" ins Gesicht gehämmert und dich nicht einmal umgedreht, also bin ich mitgerannt, durch dem Mund atmend, weil ich erkältungsbedingt nicht gut Luft bekam, und als wir vor deiner Haustür angekommen waren, fühlte sich jeder Atemzug an, als würde jemand meine Luftröhre mit einer Raspelfeile bearbeiten, aber ich hatte dir nonverbal zu verstehen gegeben, dass ich da bin.
Richtig.
Auch, wenn du es dir wohl eher nicht denken kannst, weil ich bei dir doch so viel anders bin, als ich es eigentlich bin, möchte ich, dass du weißt, dass ich da bin, so irgendwie ja immer, und das auch sein werde.
Vielleicht ist das im Moment das einzige, was du verträgst, jemand, der einfach nur zuhört.
Ohne irgendwas zu sagen, was auch den Vorteil der auf wenige Millimeter reduzierten Angriffsfläche bietet. Oberflächenverkleinerung zur Optimierung des Überlebens.
Vielleicht brauchst du ja jemand, der einfach nur zuhört, an dem alles, was du so verletzendes in die Welt schleuderst, abprallt oder der es eben absorbiert,
Vielleicht brauchst du das, um dich zu beruhigen.
Vielleicht. Sicherlich geht es dann irgendwann genauso weiter wie zuvor,
und die Welt sieht wieder in Ordnung aus.
Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dazu nein sage.
Ich bin immer da, das habe ich dir schon gesagt, aber trotz einem gewissen Hang dazu, persönliche Grenzen zu ignorieren, ich tus mir nicht mehr an.
Auch, wenn es dir unvorstellbar erscheinen mag, ich hätte gerne, nein, fordere ein Mindestniveau für meine Behandlung.
Ich will nicht das Ding sein, an dem du deine grundlose Wut auslässt, in Form von sinnlosen Diskussionen, weil du wieder mal die Bild als das ultimative Dogma oder eine Aussage eines unwissenden Idioten bezüglich eines Themas, über das ich eben ausnahmsweise wirklich besser Bescheid weiß, als unumstößlich richtig und mich als dumm und unwissend einsortiert hast.
Ich will nicht zu viel.
Ich möchte nur, dass, wenn ich schon meine ehrliche Meinung sage, diese nicht einfach abgeschmettert und als falsch, unrealistisch oder "hat eh keine Ahnung" einsortiert wird, ich möchte, dass du aufhörst, immer andere grundlos unter dir leiden zu lassen, weil du in deinem hobbylosen Leben sonst eingeengt bist, ohne zu sehen, dass die Haustür offen steht und du jederzeit rauskannst.
Und ich möchte, dass du anfängst, deinen Verstand zu benutzen. Sapere Aude, undso.
Ich helfe immer, auch wenn es die meisten erst sehr viel später merken, und zuhören tu ich auch fast immer.
So werde ich also morgen wieder schweigend neben dir herlaufen, vermutlich.
Und ich werde nicht wieder versuchen, dir zu erklären, dass es mich verletzt und dass ich nicht immer diejenige sein will, an der du deine Wut auslässt, denn als ich es das letzte Mal sagte, kamen nur ein "Na und?" und ein "Ich lass meine Wut aus, an wem ich will" als Antwort, und weißt du, das hat mir nicht gerade geholfen oder mich sonderlich aufgebaut, aber das ist wohl auch nicht dein Job.
Es bleibt also so, wie es nicht bleiben kann, irgendwann wird wieder alles gut und dann nicht mehr, oder es bleibt alles beschissen und du ziehst weg, bevor es sich von selbst ausgesessen und totgeschwiegen hat. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es ist mir völlig egal, klar will ich, dass wir es wieder hinbekommen, aber ich kann nunmal nicht nur Liebesbeziehungen, sondern auch Freundschaften nicht alleine am Laufen halten oder retten, und insofern stehen wir gerade ziemlich doof da, und ich verlege mich abermals darauf, nur stumm zuzuhören und da zu sein, für den Fall, dass du mal jemand brauchst.

Dein Supernichts.