Thema: od serca
Sie haben ihre Sachen geholt.
Als klar wurde, dass meine Kunstlehrerin wohl nicht wieder kommen würde, wurde fieberhaft nach einer neuen Lehrkraft gesucht, während ich mindestens genauso fieberhaft nach einer neuen Leitung für die Theatergruppe suchte, hatte mir doch die Kunstlehrerin gesagt, ich solle diese Suche übernehmen, da sie sich nicht mehr um die Gruppe kümmern würde.
Es kam nicht überraschend, das mit ihr, für manche vielleicht schon, für mich nicht.
Ich hab es gemerkt, ansatzweise. Hab es gefürchtet.
Hab es wohl kommen sehen, aber immer gehofft, es würde nicht passieren, du kennst mich,ich will immer,dass alles wieder gut wird.
Das letzte richtige Stück haben wir ohne sie gespielt, unter Eigenregie, und ich bin fast verzweifelt unter dem Terror meiner Mitschauspielerin, die die Leitung an sich gerissen hatte und mich mehr als einmal ernsthaft dazu brachte,ans Aufhören zu denken.
Wir waren gut, minimale Ausgaben, maximale Wirkung,volles Haus, und als ich als Frau Momsen aus Dürrenmatts Meteor, von meiner Mitschauspielerin eingepackt in kackbraune Strumpfhosen, Zeltkleid und andere wunderbare Dinge, die mich 20kg schwerer wirken ließen, auf die Bühne stampfte, so schwerfällig, wie ich es eben spielen konnte, und den entsetzten Gesichtsausdruck der Sport-und Sprachlehrkraft, die mich als unfähige,unsportliche Lügnerin bezeichnet, sah, und als ich hörte, wie schon wieder die Verdunkelung einfach hochfuhr, stotterte, wackelte, weiter hochfuhr, und das Fluchen der alten Sache wahrnahm, die hinter der Bühne an der Technik saß und mit eben der Hallenverdunkelung kämpfte, und als mir dann klar wurde, dass es so zu Ende gehen würde, da hab ich gespielt.
Saß als menschliche Tonne da, sprach laut und deutlich und schwerfällig, lebte den Wutausbruch und war,kaum das ich saß, Frau Momsen, und als meine Co-Schauspielerin als Schwitter ihren Text vergaß, improvisierte ich, und als sie,nach meinem Bühnentod, meinen Kopf so zurückknallte, dass ich drei Tage danach immernoch eine Beule hatte, zuckte ich nicht, und ich saß 12 Minuten regungslos unter einem nach Mottenkugeln stinkenden Tuch auf der Bühne, mit überstrecktem Hals und somit unfähig zu atmen, und mit pochendem Schädel, und dachte an alles zurück.
An das erste Jahr, mit dem Probenwochenende, bei dem ich das Foto, das sich im seitlichen Header des neuen Layouts befindet, geschossen habe.
An das Schämen bei den Einspielübungen.
Ans nicht abschalten können.
An vergangene Stücke, und die Unsicherheit.
An den letzten Tag, an dem ich die alte Sache sah.
Daran, dass sich endlich Gruppendynamik ergeben hatte, und
daran, dass ich endlich akzeptiert wurde, ernstgenommen wurde,von ihnen.
Dass wir nicht nur gut, sondern genial spielten, an diesem Abend.
Daran, dass es vorbei war. In diesem Moment.

Nach beinahe zwei Jahren Kampf ist es wohl wirklich vorbei,amtlich noch nicht, faktisch schon,
Und nicht nur die Kunstlehrerin ist weg, sondern inzwischen sind es auch die Theaterrequisiten.
Der neue Kunstlehrer wollte den Werkraum, die Lagerstätte für den etwas aktuelleren Theaterkram, ernsthaft als Werkraum benutzen.
Kurz bevor sie weg war, habe ich dort bereits aufgeräumt, auf ihren Wunsch hin sortiert, in Kartons gepackt und diese zur Seite gestellt. Die Arbeitsplätze waren frei und der Raum begehbar, doch das reichte ihm anscheinend nicht.
Als ich in de Schule kam, stand auf dem Pausenhof ein riesiger Bauschuttcontainer, er schien surreal groß, und er war komplett gefüllt. Ich sah Kleider, eine Pfauenfeder,Stühle, einen Pappbriefkasten, noch mehr Kleidung, der ganze Container bis oben hin und noch ein Stück mehr vollgestopft.
Hunderte von Euros und Mark, Wochen des Nähens und Milliarden von Erinnerungen auf den Müll geworfen.
Ich hab es nur noch mal gesehen, als ich ihm Labor war und aus dem Fenster gesehen habe. Zweimal.
Dann kam der Laster.
Ein Laster, genauso unreal groß wie der Container, mit einem Kettengreifdings, holte den Container, ich habe es nicht sofort mitbekommen, und so war das letzte, was ich von unserem Theater sah, eine kurz zwischen Bäumen durchscheinende Ecke eines blauen Müllcontainers.