Ich bin eigentlich nur teilfreiwillig Schulsanitäterin geworden, wollte jemandem einen Gefallen tun. Hab mich inzwischen daran gewöhnt und genau einen Einsatz gehabt bis jetzt, da durfte ich das Blut vom Knie wischen.
Fortbilden lassen hab ich mich auch nicht mit einer richtigen Intention, habe wohl wieder nicht schnell genug "Nein" gesagt und mich dann darauf berufen, dass ich es jetzt noch vom Roten Kreuz finanziert bekomme, es mich später aber nicht gerade wenig Geld kosten würde.
Ich hab bestanden, SAN A+B, falls das jemandem was sagt. Keine große Sache, Praxis zu einfach und in der Theorie war ich nur halb vorbereitet, scheine es aber trotzdem geschafft zu haben.

Ich hab gesagt, ich bin Schulsani, ist ok, zieh ich durch; aber niemals werde ich "richtig" was machen.Und vor allem werde ich niemals einen "richtigen" Bereitschaftsdienst machen und werde niemals, niemals, niemals Rettungsdienst fahren. Weil ich es nicht kann. Nicht auf die Reihe bekomme, erst recht nicht psychisch. Mir das nicht zutraue vom Wissen her, aber vor allem, weil ichs einfach nicht gebacken kriegen würde.
Will keinen Rettungsdienst fahren, alles, nur nicht Rettungsdienst, keine weinenden Leute, keine Dramen, keine Toten, vor allem keine Toten und keine abgetrennten Körperteile, keine Verrückten und keine Sterbenden, ich krieg das nicht hin, wenn jemand einfach vor mir liegt und tot ist, oder wenn mir jemand einfach so wegstirbt. Keine Drogenleichen und keine, die kurz davor sind, keine Familentragödien, keine eingeklemmten Unfallopfer, die du beruhigen sollst, während du genau weißt, dass es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie...ruhig sind.
Niemals Rettungsdienst oder ähnliches. Schulsanitäterin mit etwas besserer Ausbildung reicht voll und ganz.

Dann habe ich mich auf einmal für eine Absicherung bei einem Sporturnier gemeldet, das heißt, ich würde da rumsitzen und wenn was passiert, wäre ich eine von denen, die helfen.
Ist ok, hab ich gedacht, krieg ich grade noch auf die Reihe; ein paar, die umkippen, paar Sonnenbrände, Schürfwunden, eventuell ein paar Hitzschläge. Vorhersehbares, nichts, was mich zu sehr aus der Routine bringen könnte. Das Risiko, mit etwas ....anderem konfrontiert zu werden eher gering. Alles super.
Absage bekommen für die Absicherung, gedacht,ok, dann wann anders. Vorsichtig fürs Nächste angemeldet, Absicherung bei einem Sponsorlauf. Auch ok, alles super, krieg ich hin. Risiko eher gering. Keine weinenden Mütter, die die Hand ihres Sohnes, der sich ins Koma gesoffen hat, immernoch umklammert halten. Keine toten Kinder und keine Eltern, denen man den Tod ihrer Kinder beibringen muss. Keine Kinder, denen man den Tod ihrer Eltern beibringen muss.
Alles super, alles ok. Hab mir gesagt, ich krieg das hin. Sicher, mich etwas von meinem Grundsatz, nichts "richtiges" zu machen, entfernt, aber geht noch. Kein Alarm, der einen aus dem Halbschlaf reißt. Keine Dramen. Nichts, was ich eventuell nicht verarbeiten könnte. Keine Sonderfahrten zur Psychatrie mit Leuten, die einen mindestens genauso verstören, wie sie es selbst sind.
Hab ja nichtmal die Ausrüstung für was "richtiges", hab gar keine. Bald ein "Schulsanitätsdienst"-Shirt, das wars auch. Beim Bereitschaftsdienst auf einer Rettungswache musst du dich bei jedem Einsatz erneut in deine Dienstkleidung werfen, und die ist auf der Wache und immer nur in Männergröße L aufwärts da, für die Schuhe gilt das selbe. Hab Springer, 20Loch, Stahlkappen, verschraubte Sohle. Zählen aber nicht. Eigentlich muss man auch sämtlichen Schmuck und alle Piercings rausmachen, und Frauen mit langen Haaren, die diese gerne sicher wissen und behalten würden, haben je nach Patient mitunter auch öfters mal Probleme.

Als er mich und meine Fahrgemeinschaft abgeholt hat, hat mein Vater mir nicht nur gesagt, dass ich morgen ab 7 Uhr arbeiten muss, wieder mal 12-kg-Kisten schleppen bis zum Umfallen und noch länger, sondern auch, dass ich nächstes Wochenende sein dritter Mann bin, also mit ihm und seinem regulär eingeteilten Kollegen Dienst habe. Ab dann regelmäßig, immer wenn er auch Dienst hat.

Mein Vater hat nächstes Wochenende Bereitschaft.
Er fährt im Rettungsdienst.

Ich bin gerade mal geistig und gefühlsmäßig außer Betrieb. Nein, nicht vor Freude.