Sonntag, 23. Januar 2011
Da du mich inzwischen wohl mehr oder weniger gut kennst, hast du wohl früher als ich gewusst, dass ich hingegangen bin.
In schwarzer Hose, mit dreifacher Dosis Medikament, Kriemhild an meiner Seite und mehr als tödlichen Magenschmerzen nebst Schädelexplosion und Schwindligkeit stand ich in einer nur mittellangen Schlange vor einem winzigkleinen Einlass, fand vor lauter Zittern und Schütteln und Gleichgewichtsverlust meinen Ausweis nicht auf Anhieb, stellte, nachdem ich ihn seit ca. 5 Minuten abgegeben hatte, verwundert fest, dass ich zur Abwechslung mal nach meinem Ausweis gefragt worden war und etwas später dann auch, dass die Eingangstür, die ich so verzweifelt suchte, sich direkt vor mir befand.
Dachte mir, Scheißkerl, was tu ich mir eigentlich für dich an, nur um dann wieder halbüberzeugt zu sein, das ich es nur wegen der Musik tue.
Ja,hm. Hust.
Die war bis auf einige Ausnahmen nicht mal schlecht, und als er nach der Hälfte aller Bands noch nicht da war, wurde alles Gefühl erfolgreich abgetötet durch den überragend gut growlenden 13jährigen auf der Bühne, und während in der ersten Reihe, direkt vor mir, die großen, bösen Metalheads die Mähnen schleuderten, dachte ich mir, scheiß drauf, erwiderte den Blickkontakt des Vermutlichstudenten, der vermutlich schon die ganze Zeit drauf wartete, und als er sich nach 4 Minuten immernoch nicht traute, mich anzusprechen, dachte ich mir wieder, scheiß drauf, löste meine Pseudofrisur und wollte mich zu den großen, bösen Metalheads vor mir gesellen, aber die waren schon fertig und das war doof.
Als nächstes spielte was fastakustisches, melodisch-tiefgründiges, und vielleicht, weil es so einen großen Kontrast zur vorherigen Band darstellte, und vielleicht, weil Kriemhild neben mir am Heulen war und ich doch immer aus Sympathie mitheule, war mir dann auch nach Heulen zu Mute. Hab ich aber gelassen, irgendwer muss doch für uns alle stark sein, und wenn nicht ich, wer dann?
Nachdem mich die Band noch weiter an die Heul- und meine Schmerzen mich an die Belastungsgrenze gebracht hatten, stand auf einmal der Vermutlichstudent samt Gitarre bei, Mikro vor, und Band um sich auf der Bühne und sang sogar ziemlich angenehm, wenn auch etwas zu ruhig für meinen Normalgeschmack, was ich dann aber doch ganz nett fand, den Kerl an sich auch, und weil er danach dann immernoch so nett dastand und Kriemhild hochgradig abgelenkt und ich ja irgendwie mal wieder am Ende war und zudem vergessen hatte, wie seine Band eigentlich hieß, beschloss ich, mal zu gucken, wie er guckt, wenn er sieht, dass ich sehe, dass er guckt.
Fand er dann anscheinend ganz ansprechend, und weil der Abend sowieso nicht schlimmer werden konnte, er nur mittelschlimm aussah, aber Wuschelhaarbonus und Gitarre hatte, ein Stück weit relativ anhänglich war und ich wohl sowas wie Ablenkung brauchte, einigten wir uns halbnonverbal auf mittelintensiven Körperkontakt, der durch die nächste schwarzmetallische Band im Hintergrund meiner Meinung nach nicht im geringsten gestört wurde. Seiner Meinung nach anscheinend schon, war wohl eher anderes gewohnt, jedenfalls wirkte er ziemlich verunsichert, meinte dann, die Band würde die ganze Stimmung zerstören, fragte, ob wir, natürlich nur deshalb, mal rausgehen könnten, wirkte enttäuscht, als ich ihm eine entschiedene Absage samt Entfernung seiner Hand aus illegalem Gebiet erteilte, war dann sauer, stellte nach einem Blick auf mein Einlassbändchen fest, dass ich nicht, wie geschätzt, U22 (hab ja gesagt, der Pony macht mich jünger), sondern U18 war, und suchte schockiert das Weite.
Und weil mich die ach so wichtige, von einem mittelmäßigen Modelabel supportete Folgeband so wahnsinnig ankotzte, stellte ich mich demonstrativ mähneschleudernd direkt vornehin, was bei den großen, bösen Metalheads erst Verwirrung stiftete, da sie nicht wussten, was nonverbaler Sarkasmus ist, dann stiegen aber 2 darauf ein und wir standen mähneschleudernd in der ersten Reihe vor einer schlechten 80er Jahre angehauchten Band in schlechten Outfits, deren Bassist Mr.Oheristjasoogeil aus der Upper Class war und der auf einer Bühne irgendwie garnicht so geil aussah.
Hatte schon was, auch wenn es nicht gerade gesund für meine Kopfschmerzen war.
Nach dieser Band hatte ich die Hoffnung auf eine gute Gruppe mit zumindest teilweise weiblicher Besetzung schon aufgegeben, als dann am Schluss eine weiblich gefrontete Band samt Gitarrenhalbgöttin die Bühne betrat, war meine Welt musikalisch gesehen aber wieder in Ordnung, und als ich auf dem Weg nach draußen ein Mädchen auf seinen tollen Hut ansprechen wollte, dann aber leicht schockiert bemerkte, dass es sich bei dem Mädchen nicht um ein Mädchen, sondern um meine ehemals Möchtegernsonstwasdrecksbeziehung und bei dem Hut um meinen, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, handelte, überlegte ich, ob ich ihm den Hut straffrei abnehmen könnte. Als ich Kriemhild diesen Gedankengang mitteilte, meinte sie, ich solle darauf lieber verzichten, die Dame an seiner Seite würde mich sonst aus Rache über den Haufen rollen.
Ich hab sie darauf hingewiesen, dass man keine Witze über das Gewicht anderer Leute macht, fühl mich da selbst immer gleich mit beleidigt.
Sie meinte, ich sei viel zu nett und außerdem garnicht dick, und mir ist aufgefallen, dass die alte Sache ersteres auch öfter zu hören bekommt. Letzteres nicht, der ist zufrieden mit seiner Figur und hat da auch Grund dazu.

Da war dann auf einmal wieder die Enttäuschung da.

Vielleicht wars ja für irgendwas gut..
Vielleicht will das Ding, das Schicksal, irgendwas bestimmtes bezwecken damit.. hab ich gedacht und bin auf der Heimfahrt nochmal den ganzen Abend durchgegangen, und im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich Schulterblatt-an-Kapuzenpulli-Kontakt zu einem mehr oder weniger guten Freund des 6jahresproblems hatte, mehrmals, und das er auffällig oft bei mir rumstand. Nach längerem Überlegen fiel mir auch er wieder ein, der hatte da ja auch rumgestanden, auch egal, vielleicht hatte er auch nicht da rumgestanden und Aspirin wirkt bei mir eben doch härter als gedacht.
Kriemhild betonte, wie toll der Abend gewesen war, während sie die Handynummern, die sie eingesammelt hatte, abspeicherte, und ich motivierte mich selbst in die emotionale stabile Seitenlage, indem ich mich wieder daran erinnerte, dass die Musik, die ja eigentlich der Hauptgrund meiner Anwesenheit hätte sein sollen war, bis auf den einen, modelabel-gesponsorten Ausrutscher fast durchgehend überragend war, und es wirkte fast so, als ob selbst die übersteigerte eheliche Idylle, die die uns abholenden Eltern Kriemhilds ausstrahlten, meine stabile Seitenlage nicht wieder verschieben könnten.

Als ich, möglichst leise, um meinen Großvater nicht zu wecken, die Haustür wieder aufschloss, dröhnten meine Ohren. Wenigstens klingelten sie nicht, nur ein mitteldumpfschrilles Dröhnen war zu hören, zusammen mit dem Rauschen meines Blutes.
Haustür wieder zu.
Enttäuschung, ein Stück weit.
Magenschmerzen.
Tasche in die Ecke werfen.
Leichter Seelenschmerz setzt wieder ein.
Bad betreten.
Würgereflex.