Sonntag, 6. März 2011
geschrieben noch gestern Nacht.

Angefangen hat es,als wir Kriemhild bei ihrem Freund abgeliefert hatten und das männliche Wesen, das weiblicher ist als ich, meine befreundete Friseurazubine und ich weiterfuhren, noch Inglorious Basterds gucken und ein Bier trinken.
Es gibt unterwegs eine Stelle, an der die vorher schnurgerade Straße nach unten abknickt und kurz darauf wieder steil ansteigt,ich meinte reflexartig:"Achterbaaahn", und als wir die Stelle passierten,fiel mir ein, dass das von meiner Mutter kam.Früher, wenn wir aus irgendeinem Grund dort vorbeikamen, hat sie auf vermutlich illegales Tempo beschleunigt, was sich bei ihrem Polo jedes Mal nach, richtig, Achterbahnfahren, anfühlte. Ich bin noch nie Achterbahn gefahren, aber in unserer kindlichen Begeisterung haben wir beide "Achterbahn" ausgerufen und so wurde das zu einem Ritual. Auf einmal war da Erinnerung. Als das Radio San Francisco von Scott Mckenzie spielte, siegten die Tränen, die schon in den Sekunden vorher angefangen hatten, den Kampf gegen meine Selbstkontrolle aufzunehmen, für kurze Zeit. Währenddessen hörte ich mich, erstaunlich klar mit überraschend gut gespielter Genervtheit den Fahrer darum bitten, einen anderen Sender zu suchen, was er nach ein wenig Murren auch tat, worauf es mir gelang, meine Fassung wiederzugewinnen und alle aufsteigenden Erinnerungen wieder in die Kiste zurückzuquetschen, aus der sie hervorquellen wollten, und zwar bis wir bei ihm zu Hause und etwa bei der Mitte des Films angekommen waren.
Als das männliche Wesen zwischenzeitlich meine Beine und mich auf seinem Schoß lagerte, wurde ich geistig zurück in die Verangenheit geschleudert, um 3 Jahre, und sah ein Paar graugrüne, so schrecklich verletzend freundliche Augen in einem übermüdeten Gesicht mit 3Tagebart, eingerahmt von ein paar losen Wellen, direkt vor mir. Das männliche Wesen befördert mich wieder in die Gegenwart, indem es mir ein Kissen gegen den Kopf knallt, ich habe irgendetwas überhört, das er gesagt hat, erinnere mich an meine Schauspielkenntnisse und steige ein, wobei ich auf einem anderen Sofaplatz lande und meine Beine wieder bei mir.
In einer Umarmung versucht er,mich umzukippen, und geistig bin ich auf einmal in einem Zimmer in dem Ort, in dem ich auch zur Schule gehe, und sehe in das zu stark beaugenbraute Gesicht des Beweises dafür, dass aus "das ist ein Freund" nicht "das ist mein Freund" werden sollte, sehe wieder, wie er lächelt und höre die Frage, und dann sieht man diesen Hirnkurzsschluss meinerseits, den Beweis dafür, dass man seinen Verstand niemals abschalten sollte,egal, was passiert, weil sonst irgendetwas anderes die Führung übernimmt, was zu schmerzhaften Ergebnissen führen kann.

Später noch mehrmals San Francisco im Radio, und ich schalte ab, bestehe nur noch aus den gescheiterten Versuchen, zu sagen, was in mir vorgeht, die jedes Mal wieder unterbrochen wurden, den Erinnerungen, die wieder alles überschwemmen wollen, und dem Gefühl von "Eigentlich sollte ich jetzt ganz wo anders sein", als Friseurazubine und männliches Wesen auf Kuschel- und Fastrummachkurs gehen, während sich zwischen gelegentlichen Erinnerungsströmen immer wieder der Wunsch nach einer kurrzzeitigen, reversiblen Existenzauslöschung meiner Person manifestiert.
Irgendwann sage ich nichts mehr, sehe und höre nur noch Kopfrauschen, und in dem Kopfrauschen taucht sie auf, immer wieder, dazwischen ein Paar graugrüne Augen und noch einmal ein zu stark beaugenbrautes,lächelndes Gesicht, und als ich nach Ewigkeiten wieder die Kontrolle über mich habe, schaffe ich es, die Augen zu öffnen, aufzustehen, ins Bad zu gehen und die verschmierte Schminke wegzuwischen.
Als ich wieder ins Zimmer zurückkehre, notgedrungen, da er mich heimfahren muss, sind zum Glück alle noch angezogen, und nachdem ich noch ein paar Mal unterbrochen wurde und das Gefühl des fehl am Platze- Seins seinen Höchststand seit geschätzten 5 Jahren erreicht hat, sagt sie, sie ist müde, und nachdem sie seinen Vorschlag, sie könne ja bei, bzw. mit ihm schlafen, dankbar ablehnt und auf "nächstes Mal" vertagt, machen wir uns auf den Heimweg, während dem ich durchgehend schweige, nicht direkt gedankenversunken, aber erinnerungsgeplagt, daheim füttere die Katze, die ich vor der Abfahrt ganz vergessen habe, und als ich die Zähneputzende im Spiegel sehe, will ich ihr sagen, wie fertig, verheult, leer, traurig und aufgelöst sie aussieht, bis mir die Logik sagt, eigentlich müsse ich das sein. Ich suche Ähnlichkeiten, aber davon abgesehen, dass sie wohl so aussah, wie ich mich fühlte, fand ich nichts.
Dafür dachte ich mir, eine Umarmung wäre ganz nett, und dass die ganze Sache mit der alten Sache eventuell nur so etwas gewesen war, jemand Haltgebendes, eine Umarmung, aber als Zustand und Gefühl, die Sehnsucht danach.
Die Friseurazubine und das männliche Wesen sind von meiner Stärke überzeugt, sehen mich als Fels in der Brandung, auch wenn er meint, dass ich eventuell nicht zu 130% selbstbewusst bin, dies aber durch eine große Klappe ganz gut kaschiere.
Vielleicht sucht man ja als weder mit dem Boden, noch mit sonstwas verbundener Fels in der Brandung bewusst jemand ähnlichen. Das würde es erklären, sogar relativ gut.
Klingt logisch.
Klingt nach Wunschtraum.
Vielleicht ist es das auch, und eventuell soll es ja so sein, noch ein Ergebnis, zu dem ich in meiner heutigen Isolation gekommen bin.


scott mckenzie-san francisco - MyVideo