Sonntag, 3. Juli 2011
Meine Mutter hätte heute Geburtstag, wenn sie noch leben würde. Wobei, sie ist ja nicht einfach wegradiert aus der Geschichte..sie spielt nicht mehr mit, das ist es.
Also muss es heißen: Meine Mutter hat heute Geburtstag.
Weder ich, noch mein Vater erwähnten diesen Umstand mit einem einzigen Wort, als wir heute neun Stunden lang Sanitätsdienst hatten, vielleicht auch, weil unser Kollege in einer Tour besserwisserisches Geschwätz von sich gab und wir in den Momenten, in denen er nicht da war, weil er eine Raucherpause einlegte, meistens einfach die Stille genossen.
Das Buch, das ich mir mitgenommen hatte, war schon bald ausgelesen und mein Vater hatte die Werbeprospekte auch bald durchgearbeitet, so blieb uns nichts,wohinter wir uns vor dem gesprächigen Kollegen oder voreinander hätten verstecken können, wider Erwarten war die Stimmung aber vergleichsweise entspannt, nur dann, wenn der gesprächige Kollege wieder einmal das Bedürfnis hatte, eine unqualifiziert-dumme Aussage von sich zu geben, erlaubte ich mir, ganz offen gereizt zu reagieren. Dieser Mut überraschte mich ehrlich gesagt, hatte aber den positiven Nebeneffekt, dass der gesprächige Kollege auf einmal wusste, wo die Grenzen sind und diese nicht mehr überschritt, etwas, was mein Vater ihm laut eigener Aussage schon seit fast einem Jahr erfolglos aufzuzeigen versucht. Somit feuerte der g.K. sein unqualifiziert-dummes Geschwätz also mehr in Richtung meines Vaters ab, der, ganz die Tochter, andere Leute einfach erzählen lässt, wenn es ihnen dann besser geht, im Gegensatz zu mir allerdings gerne dabei einschläft, seine Umgebung ordnet oder diese säubert.

Durch das Gerede ermüdet, versuchte ich, mit dem Kopf am kalten Fensterglas und den Füßen auf theoretisch unmögliche,aber durchaus sehr bequeme Art und Weise zwischen Sitz und nicht vorhandenem Fußraum des 30Jahre alten Krankentransportwagens ein bisschen zu schlafen, was aufgrund des rauschenden Funks, des ständig redenden Moderators und der direkt an uns vorbeischießenden Autos nicht gerade einfach war.
Zusätzlich erschwert wurde mir mein wohlverdienter Schlaf (schließlich musste ich um 6 Uhr morgens aufstehen) durch die Tatsache, das zwar mein Vater und der gesprächige Kollege auch schlafen wollten, dies aber offensichtlich durchaus taten und sich im Schnarchen abwechselten, sodass entweder ein tiefes, klassisches Grunz-Schnarchen (der g.K.) oder arythmische, röchelnde Gruselfilmlaute (mein Vater) den Funk und sogar zeitweise den Moderator übertönten.
Als ich mich innerlich mehrfach verflucht hatte, weil ich den mp3-Player nicht mitgenommen hatte, verstummten beide mit einem zufriedenen Grunzer bzw. erstickten Röcheln. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mein Vater noch atmete, wage ich also einen vorsichtigen Versuch,ebenfalls zu schlafen, als plötzlich beide anfingen, im tiefsten Bass zum Abschluss des kleinen Konzerts eine Runde klassisches Schnarchen anzustimmen. Ich überlegte, das Auto zu verlassen, die Tatsache, dass um mich herum nur Rennstrecke und ein Bratwurststand waren,ließ mich allerdings zögern, und so versuchte ich weiter eisern, zu schlafen, was mir schließlich trotz sämtlicher Widrigkeiten auch fast gelungen wäre, wäre nicht der gesprächige Kollege schlagartig aufgewacht und sofort wieder in Gesprächslaune gewesen. So redete er und redete und redete, bis er sich das sechste Bratwurstbrötchen holen wollte und ich ihn, um Zeit zu schinden, auch gleich von einer weiteren Raucherpause überzeugte. Irgendwann in deren Verlauf wachte mein Vater mit einem weitern Erstickungslaut auf, röchelte noch einmal besorgniserregend, streckte und schüttelte sich und meinte dann: "Ist er weg?" Sah sich prüfend um.
Ich antwortete:"Ja." Und fügte hinzu: " Und wenn er zu schnell wiederkommt und das heute den ganzen Tag so weitergeht, brauche ich dringend Aggressionsbewältigungstraining". Mein Vater teilte mir mit, dass es wohl jedem so ginge, der mit dem gesprächigen Kollegen Dienst hatte, geistig fügte ich hinzu, dass ich wohl zusätzliche "Sonderbehandlung" von diesem bekam weil ich a)weiblich und b) noch nicht volljährig bin. Und minderjährige Mädchen haben natürlich kein funktionierendes Gehirn und auch keine Ahnung, selbst, wenn sie den selben Ausbildungsstand haben wie der erwachsene Mann, der mit ihnen zusammen Schicht hat.
In der fünfzigsten Raucherpause,nachdem die Vaterfreundin unangemeldet aufgetaucht war und die Liege und den ganzen Wagen für Kaffee und Kuchen beschlagnahmt hatte (hätten wir einen Einsatz gehabt, wäre das zu einem Problem geworden..) und die überladene "überglückliches Pärchen"-Keule so massiv geschwungen worden war, dass ich überlegte, mich entweder in unseren Proviantbeutel zu übergeben oder aber aus Frust anzufangen, zu weinen,was ich nur deshalb unterbinden konnte, weil sie bald genug wieder abhaute, waren sowohl mein Vater als auch ich wach genug, um miteinander zu reden, und so kamen wir irgendwie aufs Thema nette Menschen. Stellten fest, dass irgendwie immer alle das Bedürfnis hatten, sich an unsere starken Schultern zu lehnen, und weil ich gerade in der Stimmung war erzählte ich ihm in einer kurzen, ent-emotionalisierten Zusammenfassung die Sache mit der alten Sache, dass sie schon das letzte halbe Jahr,nein, fast noch länger, alles überschattet und das es mir schwer fällt.Ganz sachlich, war auch nichtmal in Heulstimmung dann, und mein Vater auch ganz sachlich. Sagte nichts, vielleicht wusste er ja nicht, was er sagen sollte, und so beschloss ich, ihm zu liebe das Thema etwas zu verschieben, hin zu "Männer sehen mich immer als einen von ihnen, der halt irgendwie in einem Frauenkörper gelandet ist".Da wusste er dann Rat, wenn auch keinen sonderlich guten, aber ich hatte ihm das Gefühl gegeben, mir geholfen zu haben, und vielleicht gibt das ja einen Pluspunkt auf meiner Karmaliste.