Samstag, 20. August 2011
Nach um die 11h Gesamtfahr- und Lauftzeit, dem Besuch zweier Informationsschalter, mal mehr, mal weniger eingehenden Gesprächen mit sich generell nicht so wirklich zuständig fühlendem Bahnpersonal, diversen Verwirrungen, einmal im Kreisfahren, stundenlangem Beobachten diverser sehr interessanter Persönlichkeiten (was einen eigenen Eintrag verdient hat) und zum Schluss 5km Durchdieprallesonnelaufen bin ich also mit einer Blase auf jedem Zeh und zwei an den Fersen wieder zu Hause an- und zu dem Ergebnis gekommen, dass ich möglichst schnell meinen Führerschein haben und volljährig werden sollte; aber eins nach dem anderen.


Ganz und gar nicht guter Dinge, dafür aber hochgradig nervös, vielleicht sogar ein bisschen verängstigt, wartete ich heute morgen in Berlin auf meine Bahn, verabschiedete mich, als diese auftauchte (da auch noch pünktlich) und enterte das Gefährt, das meine erste Station auf dem langen Weg nach Hause darstellte, zu diesem Zeitpunkt flatterte mein Nervenkostüm bereits derartig, dass es schon fast wieder stabil war und eine gewisse Flexibilität herstellte...

..die ich auch brauchen konnte, als bereits IC Nummer 1 leichte Verspätung hatte, gnadenlos überfüllt war und sich, wie auf der Hinfahrt, wieder einmal eine Person auf meinem extra reservierten Sitzplatz befand; bei dieser Person handelte es sich, wie bereits auf der Hinfahrt, um einen nicht unfreundlichen, intellektuell-beamtenhaften Mann ohne Kopfhaare, dafür aber mit schmaler, randloser Brille,der, wie bereits das Exemplar auf der Hinfahrt, im falschen Waggon gelandet war und von mir, wie das Exemplar auf der Hinfahrt, aufgrund meiner extrem zersetzen Nerven nicht verscheucht wurde, da sich ein weiterer, nicht reservierter Sitzplatz fand. Wie gesagt, bei der Aufgabe eines Sitzplatzes handelt es sich um eine Ausnahmeaktion meinerseits, ich war (bereits zu diesem Zeitpunkt) extrem übermüdet, verängstigt, nervös und ein klassischer Fall von "kleines Mädchen in der großen Stadt".

Mit nur 3 Minuten Verspätung erreichte ich ein paar Stunden darauf den nächsten Monsterbahnhof, hetzte an diversen Einkaufsläden (welches kranke Hirn pflanzt einen Bahnhof mit Einkaufsläden zu? Was zur Hölle haben die da zu suchen? Zum Einkaufen gibts da, wo ich herkomme, ein Einkaufszentrum. Wobei, sieht man von den großen Bahnhöfen in den "großen" Städten mal ab, steht "Bahnhof" da, wo ich herkomme, für einen etwa raucherbereichsgroßen Betonklotz, der deplatziert am Gleisrand steht als hätte ein Riese dort sein Geschäft verrichtet) vorbei und zu meinem Gleis,nur, um pünktlich, als ich dort war, zu hören, dass der nächste IC etwa 5 Minuten Verspätung haben würde.
Na gut, dachte ich mir, 5 Minuten wird stressig beim Umsteigen nach dem Überstehen dieses Reiseteils, aber ist zu schaffen.
Mein Optimismus verkrümelte sich in eine Ecke und weinte, als die Durchsage bezüglich der "5 Minuten" im Fünfminutentakt wiederholt wurde, und lediglich eine fast blinde alte Dame, die mich um Hilfe beim Finden ihres Waggons gebeten hatte und zwischen Smalltalkbedürfnis und Eingeschüchtertsein hin- und hergerissen schien, erleichterte meine Situation etwas, da sie zwar aufgrund einer Hörbehinderung vermutlich maximal die Hälfte verstand, aber mir wenigstens so etwas wie menschliche Gesellschaft bot.
Im Zug setzte ich sie an einem Platz ab, suchte mir meinen..
..und die Odyssee begann.

Angetrieben von meiner Sorge bezüglich des Anschlusszuges und aufgrund meines Wissens um die noch lausigeren Verbindungen, sobald man Regionalbahngebiet erreicht hat, näherte ich mich mit genügend Sicherheitsabstand einer Lebensform der Gattung Bahnpersonal. Um es nicht zu erschrecken, kündigte ich mein Auftauchen mit einem freundlich-zurückhaltenden "Entschuldigung" an, doch offensichtlich wurde das Wesen der Gattung Bahnpersonal davon in Aufruhr versetzt, hatte Angst, einen schlechten Tag oder war gerade auf der Balz, jedenfalls reagierte es mit einem "Hrrmmmpf" und teilte mir auf meinen Hinweis, dass das Erreichen des Anschlusszuges für mich technisch schwierig bis unmöglich werden könne, mit, dass es dafür nicht zuständig sei und überhaupt, es befänden sich noch 2 Stationen vor meiner, ich solle gefälligst den Mann fragen, der die Fahrscheine kontrolliert.
Motiviert von dieser überaus freundlich hervorgebrachten verbalen Hilfestellung äußerte ich also, abermals mit einem "Entschuldigung" vorneweg, bei dem Männchen der Gattung Ticketus Controllus mein Anliegen, nur, um von diesem zunächst ein "Joa doa koann ich Ihnen jetzt oach nicht helfen" und dann später den Hinweis "Doafür bin ich nicht zuständig" zu erhalten.
Dies trug natürlich nicht gerade zu meiner Beruhigung bei, und nachdem erste Nervenstränge gerissen schienen und ich kurz davor war, mich aus dem geöffneten Zugfenster zu stürzen, hielt ich die nächste vorbeikommende Bahnperson an, stellte ihr zunächst meinen Fuß, dann kurz entschlossen meinen ganzen Körper in den Weg, damit sie nicht fliehen konnte, fixierte ihr Gesicht mit dem gebildet-wahnsinnig-arroganten Blick, den nur ganz spezielle Elitegymnasiasten beherrschen und den ich mir abgeguckt hatte, ließ das "Entschuldigung" weg und haute der Person freundlich, aber bestimmt ins Gesicht, dass mein Anschlusszug nicht auf mich warten würde, wenn keine Sau das Bedürfnis habe, zu melden, dass im aktuellen, verspäteten Zug Passagiere sitzen, die in eben diesem Anschlusszug mitfahren müssen.
Die Bahnpersonalperson schien etwas überrumpelt von meinem Frontalangriff, schaffte es aber tatsächlich, mir innerhalb der nächsten Stunde mitzuteilen, dass die Hoffnung, den Zug zu erreichen, eher gering ausfalle und das, natürlich völlig überraschend für mich (...nicht.) die nächste entsprechende Bahn erst zwei Stunden später fahren würde als die erste.
So fuhr ich dann noch eine Stunde vor mich hin, zwar etwas angefressen, aber mit der Gewissheit, nach Hause zu kommen, bis mir eine Durchsage mitteilte, die Passagiere der Regionalbahn, mit der ich den Restweg zurückgelegt hätte und die ich aufgrund der Verspätung nicht würde erreichen können, sollten doch bitte eine Station weiter mitfahren.
Gesagt, getan, mein Vertrauen in die deutsche Bahn stieg ein Stückchen an, hatte ich doch das Gefühl, man habe sich um mich gekümmert und eventuell eine Alternativverbindung aufgetan.

Dieser Glücksmoment hielt allerdings nicht lange an, kaum stand ich in Reichweite des Ausgangs meines Zuges, steuerte die von mir angegriffene Bahnperson, welche auch die Durchsage getätigt und sich um mich "gekümmert" hatte, an, fragte mich mit großen Augen, ob ich wieder zurück zum vorherigen Bahnhof fahren wolle, und meinte auf meinen Hinweis bezüglich der Durchsage, die mir eindeutig mitgeteilt hatte, dass Gäste der Regionalbahn Richtung Heimat doch bitte an dem angesteuerten Bahnhof aussteigen sollten, das sei nicht ihr Zuständigkeitsgebiet und ich definitiv falsch im Zug und quasi am Arsch.
Zugegebenermaßen etwas verwirrt erkundigte ich mich nach meinen Möglichkeiten und wurde an die Reiseauskunft am Bahnhof verwiesen,von wo man mich zum Servicepoint weiterschickte, dessen Angestellte von den Anweisungen ihres Kollegen genauso verwirrt schien wie ich und mir zusammen mit einem 2Euro-Verpflegungsgutschein und der Auskunft bezüglich des nächsten Zuges zurück zum eigentlich eingeplanten Bahhof ein Beschwerdeformular reichte mit den Worten "Ich glaube, das können Sie jetzt brauchen".
Natürlich war an Essen nicht zu denken und als ich in einem Zug der Regionalbahn Richtung eigentlicher Bahnhof saß, der (auf unsere Regionalbahn ist wenigstens Verlass) 2 Minuten zu früh dran war, überlegte ich kurz, meinen Gutschein an eines der Kinder, die anscheinend im Rahmen eines Ferienprogrammes unterwegs waren, zu verschenken, besann mich aber eines besseren, als der dazugehörige Betreuer sich neben mich pflanzte und ich aus seinen Akten schloss, dass es sich um eine christliche Reisegruppe handelte. Halb erwartete ich, von einem von Gott geschickten Blitz gegrillt zu werden, doch meine Erwartungen/Hoffnungen blieben unerhört, stattdessen setzte sich auf den Platz mir gegenüber das wohl ansprechendste männliche Christenwesen, das mir die letzten Wochen,oder gar überhaupt,über den Weg gelaufen war,und ich verzichtete sogar darauf, mehr Platz in meinem Vierersitz einzunehmen, als mir zustand. Gelgentlicher Blickkontaktaufbau scheiterte, dafür schloss ich aus dem Gesppräch, das das Christenwesen mit dem Betreuer, seines Zeichens Pfarrer, führte, dass das Christenwesen etwa mein Alter hatte (hach wie putzig..kinder), erfuhr außerdem seinen Namen und meine Fresse, er trug nicht nur einen Holzfisch um den Hals, sondern ein Frittenbudeshirt am Körper. Eindeutig ein Zeichen, sich ihn, das Shirt oder das, was sich so darunter befand, genauer anzusehen,allerdings machten mir meine chronische Schüchternheit und die daraus resultierende Wortkargheit gegenüber Fremden einen Strich durch dei Rechnung und so begnügte ich mich damit, ihn in der Scheibenreflexion zu beobachten, bis ich schließlich, nach 1,5h, am eigentlich angepeilten Bahnhof ankam, wo ich die restlichen 30 Minuten Wartezeit damit verbrachte, grimmig dreinblickend auf dem Boden zu sitzen und zu hoffen, dass die Ghettohiphopstylerbratzenfront in Gleisabschnitt b mich ignorieren und vor allem nicht im letzten Zug dieses Tages mitfahren würden.

Zumindest diese Hoffnung wurde erhört, und als ich in dieser finalen Bahn Richtung Heimat saß, vertrautere Landschaftszüge vorbeirasten und in meinen Ohren Frittenbude klangen, dachte ich an die sms zurück, die ich von meinem Vater bekommen hatte, nachdem ich ihn über meine Abfahrt informiert hatte, morgens, als ich dachte, alles würde nach Plan laufen.
Am Ende der sms stand nicht nur das obligatorische "Lg, Papa", nein. Vorher stand ein "hab dich lieb". Was mich schon in Berlin fast umgehauen hatte, und als es wieder in den geistigen Vordergrund trat, quetschte sich doch tatsächlich ein Tränchen ins freie, während ich immer weiter in den Radius des heimatlichen Kuhkaffs fuhr, unnötig zu erwähnen, welches Lied ich gerade hörte.
Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich von meinem Vater ein "hab dich lieb" gehört habe, klar, als sms in Verbindung mit "Lg" und weiteren sachlichen Informationen, aber meine Fresse, das hat mich mehr aus dem Konzept gebracht, als das mein spontaner Entschluss, ihn zu Umarmen, als wir an dem Tag, da ich losfuhr, am Bahnbetonbunker standen und auf meinen Zug warteten, bei ihm getan haben muss.

Resultierend aus einer circa elfstündigen Reise schließe ich also:
-Vertraue niemals der deutschen Bahn, und
-wenn du doch mit ihr reisen musst, vergiss deine Freundlichkeit und deinen Anstand (gegenüber dem Personal) wenn es sein muss; wirke außerdem am Besten sehr businesslike
-es gibt mehr als ein nett wirkendes, warmäugiges, mit gutem Musikgeschmack und längeren, wellig-lockigen Haaren ausgetattetes männliches Wesen auf dieser Welt, wenngleich ich aus den verschiedensten Gründen (ist ein Arschloch; sieht nur einen guten Freund in mir und hat eine Freundin gefunden; ist als Jugendbetreuer mit Gitarre und Frittenbudeshirt bei einem christlichen Freizeitprogramm dabei und die Situation mehr als unpraktisch;etc..) bis jetzt mit noch keinem davon so (gerne (auch) dauerhaft) zu tun hatte, wie ich das gerne hätte,

und das wichtigste:
-Das Handy meines Vaters hat geschrieben, dass er mich lieb hat.
Und es ist mir scheißegal, ob das doch seine Freundin war, die mal wieder in seinen Sachen rumgeschnüffelt hat, und es ist mir scheißegal, dass die Benutzung eines Smileys, die Abwesenheit von Rechtschreibfehlern und die Geschwindigkeit, in der geantwortet wurde, sehr dafür sprechen, dass sie es war.
Mein Papa hat geschrieben, er hat mich lieb. Punkt.