Sonntag, 6. November 2011
Und auf einmal ist sie doch da, die Feindin, eingepackt in drei Schals, mit Mütze auf dem Kopf, Taschentuchbox in der Handtasche und Freund am Arm steht sie hinter mir, als die erste Band abbaut, nimmt mich in die Arme, strahlt mich an und sagt, sie kann mich doch nicht einfach alleine lassen.
Dann fügt sie hinzu, dass sich die drei Paracetamol, die sie intus hat, vermutlich nicht mit ihrem zweiten Malibu-Kirsch vertragen und deutet dabei auf das fast leere Glas, das sie in der freien Hand hält.
Als ich offensichtlich sehr besorgt dreinblicke, lacht sie kurz, drückt mich dann nochmal und sagt, ach Maus, du bist schon super.
Habt ihr das gehört, ich bin super. Jawohl.
So sieht das übrigens auch Faust, der keine fünf Minuten später eintrifft, im Schlepptau, oh wunder, die alte Sache, dessen Freundin, die Altesacheschwester, den Kumpel mit der weiblichen Seite und dessen Hasischatzi. Volles Programm, und irgendwie ist es ja doch doof, wenn jeder auf dem Schoß/im Arm von irgendwem hängt und man selbst..naja, irgendwie nicht so.
Faust schien das auch so zu sehen und ließ mich die meiste Zeit nicht aus den Augen, außer,wenn der Rauch der Nebelmaschine mal wieder so dicht war, dass weder Atmen noch Gucken drin war.
Yes, Nebelmaschine. Nachdem die erste Grindcoreband abgerückt war enterte nämlich eine selbsternannte Elektrometalband die Bühne und unterstützte so ziemlich alles, was sie spielte, mit dramatischen Nebelwolken.
War eigentlich nicht mal schlecht, das Elektrometalzeugs,aber leider auch nicht gut,was auch der Nebel nicht wieder wettmachte, und so nutzte ich die Zeit, die ich mit solidarischem Mitwippen verbrachte (Hey, eine halbwegs lokale Band gegen die ganzen anderen, da muss man vorne stehen), um über den ganzen Ubootfunk und das Gestampfe mal in mich reinzuhören. Ob da irgendwo Schmerzen sind.
Da waren keine.
Mein Knie tat weh, aber Beinwechsel war nicht drin, man hat beim bangen und den Vorstufen ein Standbein und ein anderes,ein Wechsel hätte meine Koordination überlastet.
Aber sonst? Nichts. Blick zur alten Sache,der gerade wieder sehr pärchenhaft Pärchen ist.
Melancholie. Ja,so heißt das Gefühl.
Melancholie ist es, was ich empfinde, wenn ich es sehe, die beiden, traurige Melancholie. Ich sollte doch an ihrer Stelle sein.. Aber Schmerz? Nein. Nicht jetzt, nicht heute, vielleicht garnicht.
Und wer sagt, dass ich an ihrer Stelle sein sollte? Wer, außer mein Wunschdenken? Also.
Und was hat mein Wunschdenken der Realität schon zu sagen... garnichts, die hört mein Wunschdenken vielleicht mal kurz an, und dann lacht sie es aus und rotzt ihm vor die Füße.
Etwas zieht an meinem Zopf; es ist die Hand der alten Sache, als ich mich umdrehe, ist da sein Gesicht vor meinem, so vertraut, so wie damals, und er versucht wieder behämmert zu smalltalken, aber stellt sich wieder so doof an wie immer und ich kann deswegen nichts antworten, und in meinem Kopf stehen wir wieder nebeneinander vor der Bühne, hier, wo wir jetzt sind, nur auf der anderen Raumseite, und die Band auf der Bühne ist in meinem Kopf eine ganz andere und sie covert " Auf Gute Freunde" von den Onkelz.
Ich lächle in an, um zu zeigen, dass der Smalltalkversuch zwar missglückt ist, ich ihn aber trotzdem nicht hasse, und er lächelt zurück, wird aber dann gleich wieder von seiner Freundin beschlagnahmt, und im nächsten Moment sehe ich ihn fast nicht mehr,obwohl er so physisch nah neben mir ist, weil diese behämmerte Nebelmaschine schon wieder läuft und ich direkt in der Schusslinie stehe.



Auch das Elektrometalgematsche geht vorbei und mir fällt auf, dass die Einlassleute vergessen haben, meinen Ausweis einzubehalten; somit ziehe ich es vor, Kriemhild und den Kriemhildfreund nicht über die richtige Uhrzeit aufzuklären und mir die letzte Band noch anzuhören, was sich als schlaue Entscheidung erweist, die sind nämlich richtig gut.
Ich somit ganz vorne, und mir pustet es regelmäßig Nebelwolken ins Gesicht, sodass sich mein Hirn irgendwann auch benebelt fühlt, und ich frage mich,kann man von dem Zeug high werden?
Anscheinend ja, der Metalmensch mit den Theo-Waigel-Gedächtnisaugenbrauen,der an der anderen Ecke der Bühne steht, spielt schon die ganze Zeit übertrieben Luftgitarre und schleudert seine immerhin schulteraufliegenden Haare, was er auch schon beim Elektromatsch gemacht hat. Und in den Pausen.
Sonst stehen in der ersten Reihe nur mein schmerzendes Knie, die Melancholie und ich, am anderen Eck, bis er auftaucht.

Den Fremden habe ich den ganzen Abend nicht gesehen, bis er auf einmal mitten vor der Bühne steht, in der Hand eine Bierflasche, zur Abwechslung mit offenem Hemd und Bandshirt drunter. Seine Haare sind kürzer, zu kurz, um überhaupt verwuschelt zu wirken, und die ausgeblichene Jeans ist einer schwarzen gewichen.
Manchmal tut er sich mit dem Metalmenschen zusammen und sie schleudern ihre teilimaginären Haarmatten um die Wette, sehr oft schleudert er aber alleine und wirkt mit fortschreitender Zeit immer betrunkener.
Wird von jemandem weggezerrt, weil er sich mit einem der Grindcorefans anlegen wollte, der drei Köpfe größer und geschätzt 20kg Muskelmasse schwerer ist als er.
Zeigt sich erstaunlich stark, sodass der etwas massigere, gemütliche Absteigenangestellte Probleme hat,ihn festzuhalten, und in meinem Herz macht sich ein seltsames Gefühl breit.
Die Musik, so gut sie ist, rückt in den Hintergrund, ich sehe mehr den wankenden, schwankenden kleinen Mann, der da so einsam steht und die Musik so übertrieben feiert, und zwischendurch so tut als habe er sich unsterblich in den Sänger der Band verliebt.
Meine Reflexe reichen gerade noch,um einen Schritt nach vorne zu machen,als die Band gegen Ende Gratiscds verteilt,ich drehe mich aber wieder um, zum Kumpel, frage ihn, ob er mit vorgeht,weil ich das einzige Mädchen und die einzige Nüchterne bin, und es doch viel zu viele Leute für viel zu wenige Cds seien.
Eigentlich hatte ich auch ein bisschen Angst.
Ein dumpfer, dunkler Angstsumpf, der sich aufs Herz gesetzt hat, Ursprung unbekannt, Größe bis jetzt noch klein,aber man bemerkt ihn.
Hasischatzi hält den Kumpel fest und die CDs werden immer weniger, also stelle ich mich dazu, vor mir der Rücken des Fremden, der die letzte CD angeln will und ich denke mir na gut dann nicht, bis der Sänger, der austeilt, mich sieht, seinen Arm über den Fremden streckt und sie mir reicht.
Der Fremde, sein Blick war mit der CD mitgegangen wie der meiner Katze, wenn sie den Bändel meines Armbands im Visier hat...
Jetzt schauen wir uns an, und der Angstsumpf verschluckt mit einem Mal das ganze Herz, und ich starre in seine Augen, diese leeren, vernebelten Augen, diese schrecklich leeren, stumpfen Augen in diesem schrecklich leeren Gesicht, und er starrt zurück,aus seinem grausam leeren und vernebelten Gesicht, und lallt, hey, du hast mir meine CD weggenommen, und ins betrunkene mischt sich ein wenig Wut, aber keine echte, sondern diese betrunkene Pesudowut, die sie haben, wenn sie auf einmal ein riesiges Selbstbewusstsein haben, die Betrunkenen; aber ich merke es nichtmal wirklich.
Dieses leere Gesicht. Dieses furchtbar leere, benebelte, vernebelte, gequälte Gesicht.
Inzwischen spielt die Band schon wieder, aber ich stehe immernoch da, das Blut in meinen Adern gefroren, und sehe seine Augen vor mir, seine leeren Augen.
Bewege mich irgendwann mechanisch zum Rand, muss mich an der Wand anlehnen. Er kommt zurück,mit noch einer Flasche Bier, kann schon fast nicht mehr laufen, registriere ich.Und sehe immernoch dieses Gesicht, nein, eher den Ausdruck darin, der gar keiner war. Diese Leere, dieser gemeine,alles verzehrende Leere.
Schon gesehen, schmerzhaft gesehen.
Es ist nicht irgendeine Leere, sondern die Leere.
Die Leere, die man nur sehr selten bei Betrunkenen sieht, und da niemals bei den regulären Fällen.
Der letzte Betrunkene, bei dem ich Anzeichen dieser Leere gesehen habe, war ein gescheiterter Suizidversuch, der auf meiner Rotkreuztrage lag.
Das letzte Mal, dass ich die Leere wirklich gesehen hatte,war bis dato, als ich sie gefunden habe. Meine Mutter. Ihr Gesicht gesehen habe, ihr aufgedunsenes, totes Gesicht, die Augen nicht ganz zu und in ihren Augen,in ihrem Gesichtsausdruck diese schreckliche, grausame, furchtbare,alles auffressende, mir so schreckliche Schmerzen zufügende Leere.
Jetzt habe ich sie wieder gesehen, die Leere, in seinem Gesicht.


Ich habe Angst.