Thema: monolog
30. März 12 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
Spätestens jetzt kann man bei meiner Verbindung zu dieser Musik von "Liebe" sprechen.
Heute ein Anruf der kleinen Schwester der ehemaligen Busnebensitzerin,
deren Freund hat Schluss gemacht und die Schwester hat Angst um sie.
Wo sie jetzt ist? Erstmal wieder daheim.
Ich sofort los, durchs ganze Dorf, vorbei an Leuten, die sehr seltsam dreinblickten, wie ich da so in Jogginghose und bösem Metalbandpullover halb rannte.
Stand dann vor ihr, ich zerzaust vom Weg, sie zerzaust und verweint, und schwarze Schlieren zogen sich über ihr ganzes Gesicht, vom Kajal und vom Weinen.
Stand da vor mir, in ihrer Tür, und ich habe sie in den Arm genommen.
Da standen wir, ohne ein Wort, und sie hat geweint und ich sie festgehalten und trotz der Entfremdung und ihrer schwierigen Art, die mich in der Vergangenheit so sehr belastet hatte, blieb ich bei ihr und ließ sie traurig sein und jammern und weinen, bis es ihr besser ging. Ohne zu äußern,was ich mir dachte; dass es vorhersehbar war; dass ich mir denken konnte, warum Schluss war,
das alles.
Weil wir einmal Freunde waren, und ich ihr das nicht vergessen werde, egal,was passiert.
Wieder zuhause ein Anruf der Vatersfreundin, die sich vor kurzem zum wiederholten Mal so sehr mit ihm gestritten hatte, dass sie nicht wieder herkommen mag.Sagte sie.
In einer Sekunde war ich Schuld, in einer anderen er, und aktuell hatte sie mal wieder eine ihrer Kontaktabbruchsphasen abgebrochen, er fuhr wieder zu ihr und nicht mehr nur sie zu uns.
Eine Einladung sprach sie aus, ich könne einen Teil meiner Ferien mit Katze bei ihr verbringen.
Mein Vater würde sie zur Zeit so furchtbar ankotzen, sie könne verstehen,wenn der mich nerve, aber ich sei ja eigentlich auch nicht besser.
Könne trotzdem mit Katze vorbeikommen, es würde allerdings schwierig für sie werden, immer die Türen hinter sich zu schließen,damit das Tier nicht auf die Straße läuft.
Wenn doch, sei es ja nur eine Katze. Ich solle es mir überlegen und Bescheid sagen, das Gästezimmer sei frei.
Ich habe abgelehnt.
Keine Flucht.
Und kein Ausweg.
Wir haben heute die Trümmer unserer aufgelösten Vater-Tochter-Bindung in Stein gemauert.
Saßen so nebeneinander auf dem Sofa und konnten einfach nichts sagen.
Schwiegen uns an, irgendwann setzte er seine Arbeit an der Flurbeleuchtung fort, und selbst die damit verbundene Konversation fiel uns schwer, so schwer, dass er sich seinen Schraubenzieher und die Leiter selbst holte, ohne ein Wort zu sagen, und obwohl ich direkt daneben stand.
So schwer fiel uns die Konversation, so unmöglich war es uns zwei Fremden, zu reden, dass ich ihm nicht erzählt habe, dass die Biologienote sich stabilisiert, so, wie die anderen Fächer auch, dass die 1,8 in Reichweite rücken,wenn es so weitergeht, und es vielleicht sogar 1,6 werden könnten, wenn ein Wunder geschieht und ich es durchhalte bis zum Schluss, dass ich nicht erzählt habe, dass seine Freundin mir angeboten hat, in den Ferien eine Weile bei ihr zu bleiben; dass ich nicht erzählt habe, dass ich wieder auf der Grenze balanciere wie ein Seiltänzer.
Ohne Sicherheitsnetz.
Das alles hier findet ohne Sicherheitsnetz statt, ohne Bungeeseil, das einen wieder hochzieht, ohne Geländer neben oder Trampolin unter einem, ohne Sportmatten, die den Aufprall dämpfen, ohne Halt.
Nichts und niemand, das oder der einen hält.
Mich nicht, ich balanciere alleine, und mein Gleichgewichtssinn ist in etwa so gut ausgeprägt wie mein räumliches Vorstellungsvermögen, also quasi nicht vorhanden.
Den Fremden nicht, er balanciert alleine, und er schwankt schlimmer als eine Weide im Wind.
Papa Mayhem nicht, der nur deshalb noch nicht gefallen und am Boden zerschellt ist, weil er sich trotzig und grimmig einfach weigert, so, wie ich.
Man kann sich wohl nur selbst Halt geben.
Vielleicht ist es ja das, was Erwachsensein bedeutet; dass man sich selbst festhalten muss, weil es sonst nichts und niemand kann.
Etwas kann dir Halt geben, aber festhalten musst du dich selbst.
Und der Halt, der so stabil scheint, dass man sich auf ihn stützt, bröselt schneller weg, als man sich umsehen kann, und dann stolpert man.
Ich stolpere wohl öfter als andere Menschen
und jedes Mal ein bisschen schlimmer.
Trotzdem war ich da, als die ehemalige Busnebensitzerin um ihre vergangene Beziehung trauerte, als die Vatersfreundin um ihren gestorbenen Mann trauerte und sich über Papa Mayhem beschwerte;
als mein mir fremder Vater und ich uns wieder anschwiegen.
Vielleicht findet er es ja doch wieder; irgendeinen Grund, mich wieder als seine Tochter anzusehen.
Vielleicht finde ich einen Grund, mich wieder wie seine Tochter zu fühlen.
Ich will nicht vaterlos durch mein Leben laufen,solange er noch da ist.
Aber vermutlich tue ich es bereits.
Laufe da vaterlos durch, ohne Plan, aber mit dem Optimismus der Verzweifelten, wie Faust sagte, und halte mich an meinem Glauben, dass alles gut werden wird, fest, während das alles an mir vorbeizieht, eigene Trennungen, andere Trennungen, immer wieder der Tod, der schon jetzt laufende Kampf für die Zahl, die Unis davon überzeugt, dass ich fürs Studium geeignet bin, die Entfremdung, verschwindene Freundschaften, Absteigenkonzerte, Einsätze und Absicherungen, Führerschein, die Seminararbeit, das Wiederauftauchen der ehemaligen Busnebensitzerin, Berlin, Prag.
Der Kopf ist voll, doch das Herz ist so leer..