Sonntag, 1. April 2012
Der Abend eine Zeitrafferaufnahme, man sieht alles im Schnelldurchlauf.Sieht mich, wie ich vom Bahnhof zur Absteige laufe, alleine, weil Kriemhild Pärchen ist, vor der Absteige sie treffe, die mich zur Begrüßung umarmt, später die Feindin, die dasselbe tut, und bei genauem Hinsehen auch,dass ich immernoch Probleme mit Umarmungen habe.Später das Eintreffen des Solariumfans, den ich noch von früher kenne und pflichtbewusst zurückbegrüße, als er mich in der Menge sichtet und ein herzliches "Heeeey, mayhem!" quer durch die Absteige hallen lässt.
Wir reden ein bisschen, über Solarium und Sport und Slipknot, und dann steht da auf einmal der Schlagzeuger neben dem Solariumfan.Mein Herz bleibt fast stehen vor Schock, dann hole ich tief Luft und es fängt wieder an, deutlich zu schlagen, immer schneller schlägt es und immer lauter, lauter, als der Evilmetalbruder später auf sein Schlagzeug eindreschen wird, und ich lasse das Herz vor sich hin schlagen, nehme meinen ganzen Mut zusammen und lächle unsicher den Schlagzeuger an. Es dauert einen winzigen Moment, dann lächelt er ebenso verunsichert zurück.Die Zeitrafferaufnahme bleibt in dieser Sekunde kurz stehen, so, wie es meine kleine Welt in diesem Moment tat.Dann raste der Zeitraffer noch schneller weiter, so, wie das Blümchenkleid tragende Etwas, das aus dem Nichts auf den Schlagzeuger zuschoss,ihm um den Hals fiel und von ihm freudestrahlend umarmt wurde.Das Etwas blieb an seine Brust gelehnt bei uns stehen. Es trug ockerfarbene Omaschuhe, eine beige Strickjacke, ein weiß-blaues Blümchenkleid, Echtlederhandtäschchen, eine Nerdbrille und stellte sich spätestens, als er versuchte, sie zu Küssen und sie sich gekünstelt und von Gekichere begleitet zierte, als seine Freundin heraus.
Da ist man mal ein paar Wochenenden nicht in der Absteige, weil auf den letzten Drücker Absagen kommen, und dann sowas.
Ich verabschiede mich vom Solariumfan, stelle mich wieder zur Feindin und zu ihr und schaue gelegentlich wieder zum Schlagzeuger und dem Etwas. Während es allgemein sehr anhänglich zu sein scheint und prinzipiell jeden umarmt, scheint es zum Schlagzeuger wirklich eine besondere Bindung zu haben, dann und wann legt er seinen Arm um ihre Taille oder nähert sich ihr anderweitig und wirkt dabei genauso unbeholfen, wie es das Problem auch immer ist, wenn es um öffentliche Zuneigungsbekundungen geht.
Die, die besser ist als ich, trägt Nerdbrille und Omaschuhe.Was Blümchenkleider betrifft, lasse ich ja noch mit mir diskutieren. Aber die Schuhe. Die Brille. Ihre furchtbar laute, furchtbar quietschig-quirlig-kindische Art. Wäre Faust jetzt da, er würde sie ansprechen. "Ich werde Arzt, ich kann dir vielleicht helfen. Beruhigungsmittel darf ich dir offiziell noch nicht verschreiben, aber ein gut platzierter Hammerschlag hat schon vieles wieder in Ordnung gebracht", würde er sagen, wenn er betrunken ist, macht er sowas, und manchmal auch, wenn er nüchtern ist.Danach würden "wir" eine rauchen gehen, er würde vielleicht erkennen, was los ist, und mir erklären,dass Männer alle scheiße sind. Und Frauen auch. Und ich am besten einsame, verzweifelte Autorin werden solle.Das erklärt er mir meistens, wenn "wir" rauchen und sein Gefühl ihm sagt, dass es mir schon deutlich besser ging.
Aber Faust ist nicht da, und auch, wenn ich an diesem Abend ein richtiges Zugehörigkeitsgefühl habe, wird es von einem benerdbrillten Etwas überschattet. Mein Verstand, das miese Schwein, lacht mich höhnisch aus. Hätte den Schlagzeuger früher ansprechen sollen, viel früher. Auch,wenn da gar keine Chance zum Ansprechen war und die Situation nicht gepasst hat; hätte es einfach machen sollen, so, wie die Nachbarin das auch immer macht, bei ihr scheint es doch zu funktionieren...
Wie es denn eigentlich aussähe, frage ich mein Herz, was der Schlagzeuger denn jetzt bedeuten würde, und ob er denn etwas bedeutet.Es schweigt beharrlich.
Aber schlecht fühlt es sich an.Nicht so richtig schlimm,kein Liebeskummerweltuntergang, aber schlecht. Schlecht und etwas traurig.
Weitere Bands rasen vorbei, die selbe Veranstaltung wie damals vor einem Jahr, und auf einmal steht wieder die selbe Popband da, wie vor einem Jahr, und in der ersten Reihe bildet sich die Front der Indiekinder, unter ihnen auch das Omaschühchen-Nerdbrillenmädchen, das sich vorhin, als die Metalband vor sich hinschrie und ihr Freund in der ersten Reihe gestanden hatte, nach draußen verzogen hatte, und sie fangen an, zu tanzen, die Indiekinder; jedenfalls tun sie etwas, das sie wohl für tanzen halten. Da sehe ich Windmühlenbewegungen, aufderStellehüpfen, sehr viel spastische Zuckungen und Kombinationen aus diesen drei Komponenten; das Etwas tut so, als würde es auf einem Laufband rennen und schlägt sich dabei fast die Füße in den Arsch, so sehr zieht sie die Beine dabei an; als der Refrain gespielt wird, vollzieht sie dazu sogar noch die Windmühlenarmbewegung.Das ist also die, die besser ist als ich.Mein Blick wandert zum Evilmetalbruder, der zusammen mit den anderen bösen Metalmenschen ein Stück entfernt von mir steht und das Geschehen sehr grimmig beobachtet.Dann sieht er mich, unsere Blicke treffen sich und ein Teil der bösen Metalmenschen und ich, wir tun das einzig Vernünftige, das, was wir schon letztes Jahr getan hatten: Wir schubsen uns unseren Weg in die erste Reihe frei, zwischen die abspackenden Indiekinder, und fangen an, zu bangen.Synchron und gut koordiniert, als hätten wir das schon Monate im Voraus trainiert. Die passiv am Rand stehenden Mitglieder der Metalfront sind begeistert, andere dem Indiepop eher skeptisch gegenüberstehende Absteigenbesucher ebenfalls.
Und wieder einmal haben mayhem and the metalheads den Tag gerettet. (Sie müssen sich jetzt amerikanische Happy-End-Filmmusik zu diesem Satz denken).
Als wir kurz Pause machen (auch gut trainierte Nackenmuskeln wie die der Metalmenschen brauchen immer mal Ruhe), wirkt die Band auf der Bühne nicht ganz so irritiert wie die Indiekinder um uns herum, aber schließlich machten letztere das ja auch zum ersten Mal mit.Der Evilmetalbruder grinst mich an, legt einen Arm um meine Schultern und wir setzen zur letzten Runde an, bei der er es schafft, dem Etwas sein Haar ins Gesicht zu klatschen, wie wir später feststellen, als sie uns angeekelt anstarrt und mit einer Indiefreundin tuschelt.Vielleicht liegt es daran, dass mein Hirn gerade massiv durchgeschüttelt wurde, während eine Mischung aus Franz Ferdinand und Britney Spears aufgetreten war, aber in diesem Moment ist die Welt fast in Ordnung.
"Du siehst total kaputt aus", stellt der Evilmetalbruder sensibel wie immer fest, "Als würdste gleich von ner Brücke springen". Grinst mich an und geht, um sich ein weiteres Bier zu holen. Na danke.
Und da stehe ich alleine zwischen Indiekindern und Metalmenschen, und in diesem Moment geht gerade ein wenig die Welt unter, auch,wenn ich nicht einmal genau sagen kann, wieso.
Sie geht immernoch unter, als ich mich, nach einer weiteren Band, die ich mir wieder eher stillstehend und mit ihr plus der Feindin angehört habe, von eben diesen verabschiede und die Absteige verlasse, meinen Ausweis zurückhole und das Auto suche, das mich abholt.
Der Weltuntergang nimmt etwas an Stärke und Geschwindigkeit ab, als ich meinen treuen,eigentlich total kaputten mp3-Player einschalte und mich abwechselnd die Onkelz angröhlen, beziehungsweise Louise Attaque singen.
Und auf einmal taucht da Papa Mayhems Auto auf der Straße auf, überfährt mich fast, hält dann aber neben mir an. Das erste Mal seit langem, dass mein Vater mich abholt.Natürlich sitzt nicht er am Steuer, sondern die Vatersfreundin, und sie sagt, sie habe ihn mitgeschleift, alleine würde sie mit dem Auto nicht fahren, und fährt fort, sich in einer Tour über das unsichere Auto, meinen überarbeiteten Vater, die abgeranzte Absteige, meine langen Haare und alles mögliche aufzuregen, während mein Vater stumm auf die Straße starrt.Irgendwann fragt sie mich, wie es denn war."Ganz gut", murmle ich und will es eigentlich dabei belassen, entscheide mich dann aber dafür, zur Abwechslung mehr als das zu sagen, " Wollte jemanden ansprechen, der mir schon vor ein paar Konzerten aufgefallen ist, hab mich sogar getraut, den anzulächeln, blöderweise hat ihn dann seine Freundin halb übern Haufen gerannt und ich dachte mir, ok, das mit dem Ansprechen lasse ich lieber".
Und das Rotkreuzmädchen war auch nicht da.
-"Das is ja scheiße. Ach, dann versuchs doch mal mitm Egon, du warst ja bei der Hochzeit nicht da, aber das ist so ein netter...", setzt die Vatersfreundin an und schafft es tatsächlich, die ganze Fahrt durchzuquatschen,während Papa Mayhem schweigend auf die Straße starrt und ich schweigend die vorbeiziehenden Häuser beobachte.
Das ist also das Ende der Schlagzeugergeschichte.
Kein gemeinsames Happy End(wie kitschig das klingt), aber zumindest einer von uns beiden ist glücklich.Meine ach-so-tolle Bekanntschaft durfte er nicht so wirlich machen, dafür weiß ich jetzt, dass er genauso toll lächeln kann wie das Problem (sie sind ja auch verwandt) und sich, trotz Interesse an langhaarigen, tätowierten und musikbegeisterten Menschen, genauso wie das Problem im Ernstfall für ein wandelndes H&M-Prospekt mit Nerdbrille,seltsamemTanzstil und Indielifestyle entscheidet.
Da kann ich, bekampfstiefelt, wie ich nunmal normalerweise bin, mit einem musikalischen Schwerpunkt im lauten und einem anderen im seltsamen Bereich und einer Tanzmotivation, die im Normalfall der eines Elefanten auf Valium gleicht, eben einfach nicht mithalten.
Ich trage ja nicht einmal eine Nerdbrille.
Weshalb ich mich selbstverständlich bei jedem Blick in den Spiegel aufs Neue ganz furchtbar schäme.