Montag, 9. April 2012
Der Hund war nicht da, Bruder Nr.2 auch nicht.
Dafür hat es die Nachbarin geschafft, dass ich mich für ein paar Stunden in Ordnung gefühlt habe, nicht falsch und deplatziert.
Als wäre es ok und richtig, dass ich hier und so bin, wie ich es eben bin. Haben geredet, die Nachbarin und ich, sie hat wahrscheinlich einiges nicht verstanden, sie versteht sehr vieles nicht, aber sie lässt sich gerne von mir die Welt erklären, weil ich sie dafür nicht auslache, sondern einfach erkläre, möglichst bildhaft und ohne komplizierte Wörter, auch,wenn sie schwierige Fragen stellt,wie die, was Glück für mich ist, oder warum ich an Liebe glaube.
Ich hätte manches fast ausgesprochen, den Grauschleier, das Unwohlsein, wenn es um fremde Menschen geht, und auch anderes, habe mich aber beinahe jedes Mal dafür entschieden, den Versuch abzubrechen. Hemmschwelle meinerseits, Unverständnis ihrerseits, auch, wenn sie es nicht böse meint.
Sie meint es eigentlich nie böse, aber ihr Gehirn ist besonders; so, wie mein Gehirn irgendwie auch besonders ist, nur ihres ist anders besonders und die Leute haben irgendwann mal beschlossen,ihr besonders als einen Grund anzusehen, sie an eine Förderschule zu schicken, und während mein besonders auch heute noch zu seltsam ist, um es definieren zu können, wird sie von ihrer Chefin "blöd" und von anderen Menschen "zurückgeblieben" genannt. Meistens sind das Menschen mit randlosen Brillen und einem besorgniserregend hohen Kaffeekonsum, aber auch die scheinen sich nicht einig zu sein,welchen Stempel sie der Nachbarin aufdrücken wollen; während einer von einer leichten geistigen Behinderung sprach, meinte ein anderer, sie würde sich nur "doof anstellen".
"Du bist nicht blöd, du denkst nur anders als die meisten", habe ich ihr mal geantwortet, als sie wissen wollte, ob ich sie für dumm oder blöd halte. Sie stellt manchmal solche Fragen, aus dem Nichts heraus; manchmal will sie sowas wissen, manchmal, wie ich mir die Welt vorstelle, manchmal, wie der Farbeindruck im Auge entsteht und manchmal, wie ich mir meine spätere Familie vorstelle,und ob ich überhaupt eine will.


Und sie hat gesagt, wir gehen da hin, auf das Konzert, auf das der Solariumfan mich eingeladen hat; wenn wir dort sind, solle ich gefälligst mutig sein und, wenn mir jemand gefällt, den verdammt nochmal auch ansprechen, und außerdem dem Rotkreuzmädchen eine sms schreiben, wenn ich schon zur Abwechslung mal wieder ein aufgeladenes Handy habe; die würde sich bestimmt über eine Einladung freuen. Sofort. Nein, nicht morgen. Keine Widerrede. Nein, es ist nicht zu spät,um ihr jetzt noch eine Nachricht zu schicken. Los,schreiben.
Habe mich massivst unter Druck gesetzt gefühlt, aber sie somit um 24.50 Uhr gefragt , ob sie mit mir und ein paar anderen Leuten aufs Konzert gehen wolle und mir gedacht, dass sie gleich vorbeikommt und mir eine scheuert, weil ich ihr so spät eine so dumme Frage stelle.Kurz darauf dann ein Handyvibrieren, neue Nachricht.
Die Absenderin heißt Rotkreuzmädchen, und sie schreibt, sie wird alleine deshalb schon versuchen, aufs Konzert gehen, um mir die nächstbeste Flasche über den Kopf zu ziehen, weil meine sms sie gerade geweckt und der Signalton ihre Katze erschreckt hat.

Also Konzert.
Nicht in der Stadt, sondern in der Fremde.
Nicht mit Kriemhild, sondern mit der Nachbarin.
Vielleicht auch mit dem Rotkreuzmädchen.
Und vermutlich dem Solariumfan.
Und dem Bruder des Fremden, der aussieht wie ein einsamer, verloren gegangener Plüschpinguin.
Selbstverständlich mit einer spontan um die Ecke biegenden, ultimativ-seelenverwandten Person, die ihr ganzes Leben auf mich gewartet hat. Hust, hust.
Egal. Wird schon alles werden.



Vielleicht ist das Schicksal ja manchmal doch auf meiner Seite.