Thema: oh happy day.
Es ist 19.30 Uhr, als der Fremde mich abholt, und 19.30 Uhr, als ich aus dem Auto des Rauchers steige, mich ins Haus schleppe, die Katze vom Boden aufsammle und mich mehr als nur fertig (erkältungsbedingt, physisch, mit den Nerven ) auf mein Bett fallen lasse .
Dazwischen 24 Stunden, insgesamt 16km laufen, immerhin zwei Gläser Wein, einmal spontan einen neuen Schlafplatz suchen, am nächsten Tag unerwarteterweise die Rückkehr meiner Tasche, Mehr-oder-weniger-Entschuldigungen des Fremden für einen beschissenen Abend, später Spontanjamsession und FIlmgucken beim Raucher, und hätte ich nicht für Ms Golightly da sein müssen, wäre ich diejenige gewesen, die als Erste zusammengebrochen ist.
So war sie es, die mittelschwer alkoholisiert vorm Eingang der Bitchparty stand und weinte, nonstop, die ganze Zeit, nach ein paar Stunden Vorglühen beim Raucher, die eigentlich nur nett zusammensitzen waren, einem Endlosfußmarsch zur Bitchparty und einem kleineren Weltuntergang, weil der Fremde, selbst schon angetrunken, nur für eine Person die Aufsichtspflicht übernehmen konnte, weshalb Ms Golightly nicht mehr reindurfte, woraufhin die Nervöse die nächstbeste Schnapsleiche angeschleift hatte, an deren Tauglichkeit Ms Golightly berechtigerweise zweifelte und somit einen hysterischen Schreianfall der Nervösen auslöste.
Und überall starrende Menschen, die heulende Ms Golightly sagt, es tut ihr alles so Leid, der Raucher und ich ( alias die Ersten, die drin waren, die Letzten, die noch den vollen Eintrittspreis bezahlt, und die Einzigen, die sofort kehrtgemacht hatten und zu ihr rausgekommen waren), wir sollten doch wieder reingehen, sie würde jetzt alleine heimlaufen.
Eigentlich habe ich Probleme mit Umarmungen, aber es gibt gerade wichtigeres als meine Ängste, und deshalb nehme ich sie in die Arme, wie man das wohl so macht und erkläre ihr,dass ich einen Dreck tun und sie alleine durch die Pampa laufen lassen werde.
"Und das Herkommen war schon so ultracool, da wird das Heimlaufen bestimmt noch besser." Sie muss lachen. Ziel erreicht.
Wir haben die dreifache Zeit zum hinlaufen gebraucht,weil die Ghettoschwester zwischendurch telefonieren musste, sich über uns aufregte, kichernd in die falsche Richtung wegrannte, sich auf die Straße legte oder andere Heldentaten, die Betrunkene so leisten, vollbrachte; der Fremde meistens hinterher als persönlicher Schoßhund.
Dazwischen immerhin einzelne Momente, in denen wir geredet haben, bis er auf einmal doch neben mir war und wir Halt machen mussten, weil wir querfeldein gelaufen sind und er mehr Steine im Schuh hatte, als da eigentlich Platz finden.
Haben so auf dem Radweg gesessen, er entsteinte seine Schuhe, der Rest war zum kollektiven Blaseentleeren verschwunden und eigentlich war das alles ganz nett so, fanden wir.
"Weißt du, mayhem, ich habe nicht das Gefühl, dass du sowas oft machst... also nachts neben einem Betrunkenen und seiner Weinflasche mitten auf einem Radweg an der Hauptverkehrsstraße sitzen, den Mond angucken und darauf warten,dass der Rest endlich mit pissen fertig ist, aber ich finde das hier gerade gut so. Also, die Gesamtsituation."
Die Flugsaurierschmetterlinge in meinem Bauch fallen synchron in Ohnmacht , um von ihrer eigenen Aufregung sofort wieder aufzuwachen und völlig kirre durch die Gegend und gegen Wände zu flattern.
Mindestens genauso effektiv, aber nicht ganz so positiv umgehauen wurden sie ansonsten vor allem in den zahllosen Momenten, in denen der Fremde dauernd der Ghettoschwester nachrannte, sämtliche ihrer Zickereien einfach hinnahm und zwar auf der Bitchparty blieb, hoch und heilig versprach, beim Raucher vorbeizukommen, damit Ms Golightly mit zur Ghettoschwester , bei der sie übernachtete, und ich mit zu ihm, bei dem ich eigentlich einquartiert war, laufen konnte, aber schließlich um fünf Uhr anrief, sie seien bei ihm daheim, hätten aber keine Lust mehr, vorbeizukommen, seien sowieso zu betrunken zum Laufen und außerdem sei kein Platz mehr, denn die Ghettoschwester habe beschlossen, bei ihm zu übernachten.
"Alles wird gut, wir kriegen das hin". Diesmal ist es der Raucher, der die weinende Ms Golightly in die Arme nimmt. Der Musiker ist zwischendurch erneut verloren gegangen, und so sitze ich, mich so deplatziert und verloren fühlend wie schon lange nicht mehr, auf dem Sofa des Rauchers, mit dem ich bis jetzt vielleicht zweimal wirklich was zu tun hatte, hübsch zurechtgemacht und sogar mit lackierten Nägeln, der Lidstrich perfekter als sonst und eigentlich sollte doch sowieso alles besser sein heute.
Die Erinnerung an das undefinier- und leicht wunderbare Positivgefühl, das da war, als der Fremde mich abgeholt und mir unaufgefordert und aus heiterem Himmel versprochen hat, nicht ganz so viel zu trinken und mich am nächsten Tag heim zu fahren..
Einzelne Zweiergesprächsmomente auf dem Weg zur Bitchparty, das Sitzen auf dem Radweg.
In meinem Kopf läuft Wings von Frittenbude, mein Verstand hat nen Scheißhumor, in der Realität irgendeine Black Metal-Band, die klingen sowieso alle gleich, und wenig später sind wir es, die laufen, und zwar zum Fremden, bei dem auch noch meine Tasche mit Zahnputzzeug und Schlafkleidung steht.
"Wir" sind in dem Fall der Raucher und ich, denn zwischendurch ist der Musiker aufgetaucht, der alleine hatte zurückfinden müssen, weil der Fremde nicht auf ihn gewartet hatte, und hat Ms Golightly bewusst-aufbauend in eine angeregte Diskussion über die französische Sprache und mögliche Urlaubsziele in Frankreich verwickelt.
Inzwischen wird es schon wieder hell und die ersten herumstreunenden Katzen machen sich auf den Heimweg; wir zählen vier Stück, bis wir vor der Haustür des Fremden stehen, die er eigentlich offen lassen wollte, weil wir keinesfalls klingeln sollten.
Unnötig zu erwähnen,dass die Tür abgesperrt war.
"Ich klingel jetzt, mir egal, ob er dann Ärger kriegt!" Die Aggressionen, die man beim Musiker (sitzen gelassen, auf der Bitchparty ausgesetzt, musste alleine heimlaufen) oder mir (sitzen gelassen, Schlafplatz weg, Zahnputzzeug und Co. noch beim Fremden, Heimfahrgelegenheit weg, Chance weg, ab jetzt wohl wirklich eher unglücklich verliebt) vermuten könnte, konzentrieren sich im Raucher, und ich kann ihn gerade noch davon abhalten, den kleinen gelb-weißen Knopf zu drücken. Er atmet tief durch, befindet dann aber,dass ich Recht habe, und wir verbringen die nächsten Minuten damit, Rindenmulch, Kies und schließlich Steine gegen den Rolladen des Fremden zu werfen, hinter dem noch eindeutig Licht brennt, um irgendwie auf uns aufmerksam zu machen. Keine Reaktion, auch nicht auf Anrufe.
"Ey, sieht so aus, als würdest du heute nicht beim Fremden pennen", spricht der Raucher das Offensichtliche aus, "kannst bei mir das Bett haben, ich hau mich aufs Sofa. Ne neue Zahnbürste hab ich noch da, die kannste benutzen, wenn du nicht in Klamotten pennen willst, kannste auch was von mir haben, und morgen fahr dann halt ich dich heim. Wennde dich auf den Assi verlässt, biste halt echt verlassen".
Tief durchatmen, alles wird gut. Meine Schuhe trage ich in der Hand, das Blümchenkleid wird schon längst aufgewertet durch meine treue Bandjacke, die ich drüber trage, fast alle meine Sachen stehen im Zimmer des Fremden und was viel wichtiger ist, es tut gerade alles so furchtbar weh.
"Hey, was ist denn los...." Augen zu, weiteratmen. Einfach weiteratmen, alles wird gut, irgendwann. Einfach weiteratmen, soweit das mit Erkältung geht. Mir ist wieder schwindlig.
Der Raucher legt mir ganz vorsichtig eine Hand auf den Arm. " Ich finds auch total scheiße vom Fremden, da jetzt so einen Mist abzuziehen, nur, weil er immernoch denkt, er hätte Chancen bei der Ghettoschwester, und, seit er die kennt, dass er das "über-krasse Partymachen", das ihn irgendwie nie so interessiert hat, jetzt nachholen muss. Und er is zwar n guter Kumpel von mir, aber das Ganze heute find ich mehr als unter aller Sau. Bringt jetzt aber nix, sich deswegen so nen Kopf zu machen... weinst du?"
Nicht jetzt. Mechanisch das Ablenkungsmanöver, Haare vors Gesicht fallen lassen, in der Handtasche wühlen und mit kratziger Stimme was von "Erkältung...Taschentücher.." murmeln. Liegt im Moment absolut im Bereich des Wahrscheinlichen, klappt auch beim Raucher, und weil er immernoch die Handtasche der Ghettoschwester mit sich herumschleppt, die sie zwischendurch bei ihm abgeladen hatte, finden wir sogar welche.
"Nach dem Abend is die dir eigentlich mehr als n Taschentuch schuldig, so oft, wie du sie ausm Graben oder Feldern gezogen und um Wühlmauslöcher rumgesteuert hast", findet der Raucher.
-"Ist mir, ehrlich gesagt, inzwischen relativ egal, ich will nur noch von dem Haus hier weg, die sollen doch machen, was sie wollen." Schnäuzen, halbwegs wiederatmenkönnen, dafür emotional jenseits von Herzschmerz, schon den halben Abend lang; auch die Katze, der wir begegnen und die bei mir mehr als nur kuschelig wird, kann daran nichts ändern, und die noch nicht ausgestandene Erkältung macht es auch nicht besser.
Auf dem Rückweg kämpfe ich gegen Schwindelgefühl und zunehmenden Gleichgewichtsverlust, während der Raucher die ganze Zeit murmelt, was für ein Idiot der Fremde ist.
Ich bin nicht sauer, sondern enttäuscht. Einfach enttäuscht, das sage ich auch dem Musiker, der, als wir wiederkommen, mit Ms Golightly, zwei Fremden und dem Schmiertypen vom letzten Wochenende am Küchentisch sitzt , ihnen beim Kartenspielen zusieht und mich fragt, ob ich dem Fremden genauso gerne ein paar Knochen brechen würde, wie er es gerne täte.
"Wir beide kennen uns doch...!" Schmiertyp, falscher Moment. Am Küchentisch ist glücklicherweise sowieso kein Platz mehr, sodass es nicht wie Totalflucht wirkt, als ich mich schnellstmöglichst in Richtung der Tür schleppe, hinter der ich meinen Schlafplatz vermute, um meine Jacke und Handtasche irgendwo abzulegen.
Ganz langsam, nicht zu schnell wieder aufrichten. Kreislaufzusammenbrüche lassen einen zum wehrlosen Pedobär-Opfer werden, und das wäre so ziemlich das Letzte, was ich heute noch gebrauchen könnte.
"Du läufst sicherlich nicht alleine und betrunken durch die Stadt heim." Ohne ein Wort der Widerrede zu dulden, folgen der Raucher, ich und dann auch die anderen Ms Golightly, deren Tante dienstbedingt schon wieder wach ist und bei der sie sich laut eigener Aussage hinlegen und etwas ausnüchtern könne, woraufhin sie vor lauter Rührung schon wieder anfängt, zu weinen.
Ein "aaaaaaaaw" des Musikers, dann meldet sich der Schmiertyp zu Wort: "Wir stehen also gerade um 6.24Uhr vor der Bude vom Raucher mitten auf der Straße, sind fast alle betrunken und haben zwar zwei Weiber dabei, von denen eine echt geil ist, aber wir liefern jetzt die Fette ab, wenn sie endlich fertig geflennt hat, und danach ist Schicht im Schacht, weil ihr alle pennen wollt? Und die Tussi lasst ihr beim Raucher? Hallo, das lohnt sich doch garnicht, die wär bei uns viel besser aufgehoben, da kannse noch was lernen."
Der Schmiertyp lacht ein Pedobärlachen, Ms Golightly ist so fassungslos, dass sie sogar aufhört, zu schluchzen.
Allgemeines Schweigen, ich frage den Raucher leise, ob er kurz die auch physisch unsicher stehende Ms Golightly stützen könnte, die eindeutig nicht mitbekommen muss, wie sich meine komplette Abscheu über dem Schmiertypen entlädt.
"Nicht nötig, ich mach schon. Ich will echt, dass du weißt, dass ich normalerweise total gegen Gewalt und so bin, aber der Typ war schon letztes Wochenende an der Grenze, und jetzt reichts mir."
Er richtet seinen Blick auf den Schmiertypen und macht einen Schritt in seine Richtung. "Alter, ich weiß ja nicht, was bei dir falsch läuft, aber du entschuldigst dich jetzt."
Schmiertyplachen. "Du willst mir vorschreiben, wann ich mich zu entschuldigen hab? Hallo, du machst doch jetzt nur einen auf starker Mann, weil die Weiber dabei sind. Wenn du auf die Fette stehst, ist das kein Problem, alles cool, aber sonst kommen wir uns in die Quere, und da hab ich echt mal keinen Bock drauf, genauso wenig wie die Tussi auf dich, also lass mich halt heute mal. Morgen kannste ja machen, was du willst."
"So ein Spinner...so ein Spinner", flüstert der Musiker kopfschüttelnd. Ms Golightly vergräbt ihr Gesicht weiter an meiner Schulter und in meinem Haar.
"Mädels, ich will hier nur nochmal klarstellen, dass ich eigentlich gegen Gewalt bin, ehrlich.. aber der ist schon lange zu weit gegangen." Mit diesen Worten bringt der Raucher einen gut platzierten Schlag im Gesicht des Schmiertypen an.
Das hysterisch-fröhliche "Yes Alter, yeeeees!" des Musikers und sein Applaus schallt deplatziert durch die leeren Straßen, der Schmiertyp starrt nur fassungslos den Raucher an, der sich langsam umdreht, Ms Golightly und somit auch halb mich kurz drückt und uns dann sanft Richtung Neubaugebiet weiterschiebt, weg vom Pedobären, dem Musiker, der uns hoffentlich wieder finden würde, und den anderen, die ich nicht kenne.
Bis zum Haus der Tante Schweigen, und durchs obligatorische Abschiedsumarmungsritual schaffe ich es sogar noch, dann wird mir so schwindlig, dass der Versuch, sich schnellstmöglichst auf den Bordstein zu setzen eventuell eher nach Fallen aussieht, sich aber in jedem Fall so anfühlt.
"Fuck, alles klar bei dir?" Das Gesicht des Rauchers neben mir sehe ich schon nicht mehr richtig, aber wenigstens mein Hirn funktioniert noch. Einfach weiteratmen, einfach.. Atemnot.
"Ok, anscheinend nicht." Werde vom Raucher hochgehoben, einfach so, obwohl er kleiner ist als ich und leichter, irgendeine Jacke, dem Geruch nach die des Musikers, der es anscheinend tatsächlich schon zum zweiten Mal geschafft hat, selbstständig zu uns zurück zu finden, wird auf dem halben Weg über mich gelegt und dann ist auch seine Stimme neben mir.
"Voll süß das Ganze hier, voll süß undso, aber echt, mayhem, du hast mich gerade voll erschreckt!"
"Du wirst immer so emotional, wenn du trinkst, Musiker".
Habe es geschafft, durch den Nebel, der mich umgibt, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Hauptsache nicht komplett das Bewusstsein verlieren.
Der Raucher lacht und klingt dabei so besorgt, dass ich ihn am Liebsten umarmen würde. "Wie du sowas einfach noch durch ne halbe Ohnmacht mitbekommst. "
"Und wie du einfach mal echt Glück hast, das wir jetzt hier sind", fährt der Musiker fort, "Wärst du jetzt beim Fremden, du wärst am Arsch, hättest verloren, total Pech gehabt. Da würdste abkratzen, wenn die Ghettoschwester da ist, ist egal, wies anderen geht. Ich musste alleine heimlaufen, und wir sind Freunde seit der Grundschule, seit der Grundschule. Und ich musste alleine zurücklaufen, 8km, ohne Plan, wie man da Laufen muss, ganz alleine. Alter, das ist so schlimm..." Und die nächste schluchzende Person, die sich an den Raucher und dadurch auch mich hängt, während ich mich eisern ins Vollbewusstsein zurückkämpfe, langsam, aber stetig.
"Und überhaupt, wir können echt froh sein, echt froh, dass wir drei uns gefunden haben." Der Musiker umarmt den Raucher und mich, während ersterer langsam versucht, weiter zu laufen. "Voll das Dreamteam ey, voll das Dreamteam. Hab ich schon aufm Fest gemerkt, wir sind echt die Guten. Und der Fremde, der soll machen, was er will. Wir nehmen jetzt die mayhem in unsere Gruppe auf, die hat genau so nen Knall wie er, aber auf coole Art und Weise, ist mindestens genauso depressiv und genauso genial, riecht auch gut, nur ein bisschen anders, und die ist total sozial, viel sozialer, als gut für sie ist." Er tätschelt mir die Wange.
"Totaler Flashback gerade..",murmelt der Raucher, und es klingt, als müsse er schmunzeln. "Wie beim Fest, nur war es da erst drei Uhr und nicht sieben, und ich hab keinen von euch getragen."
-"Total wie beim Fest, echt mal, total wie beim Fest, nur habt ihr da mich getragen, voll sozial undso, ich erinner mich noch, mein Gedächtnis vergisst nie, und ich sags ja, wir sind die Guten ey, wir sind echt die Guten. Die drei Musketiere, gemeinsam unbesiegbar undso. Ich hau die alle mit meinem Intellekt weg, du haust die, die dann noch stehen, um, und die mayhem kehrt die Reste zusammen, Rotes Kreuz undso. Ja, voll die Soziale, echt mal..."
Als wir vorm Gartentor der Wohnung des Rauchers stehen,äußere ich, unterbrochen von mehreren Hustenanfällen, den meiner Meinung nach absolut legitimen Wunsch, auszutesten, ob ich wieder alleine und halbwegs geradeaus laufen kann.
-"Nix da, die paar Meter trag ich dich noch."
Die paar Meter bedeutete in dem Fall, bis zum Sofa (ich hatte mich geweigert, ihm sein Bett wegzunehmen) getragen und dort übervorsichtig abgelegt zu werden, anschließend noch Decke und Kissen gebracht zu bekommen und aus heiterem Himmel vom strahlenden Musiker umarmt zu werden, weil er fand, das wäre "jetzt echt mal nötig" gewesen.
Dann fluchte er noch eineinhalb Stunden auf den Fremden, verzog sich ins Schlafzimmer und begann bald, glücklich, zufrieden und betrunken so laut zu schnarchen, wie das nur glückliche, total zufriedene Betrunkene können.
Der Raucher bleibt neben mir sitzen, und weil sowieso alles egal ist, gefühlt die Welt untergeht und entweder das Sofa zu kurz ist oder ich zu lang bin, lehne ich mich an ihm an, zurückhaltend genug, um keine Abwehrreaktion in mir auszulösen.
Irgendwann zieht er seinen zwischen mir und dem Sofa eingeklemmten Arm aus der unbequemen Position und legt ihn vorsichtig um meine Schultern und neben mir ab.
Wir liegen, beziehungsweise in seinem Fall sitzen immernoch so da, als ich um 8.30 Uhr wegdämmere, und auch noch, als der Fremde um 10.30 uhr meine Tasche vorbeibringt und sich dem Vorwurfsbomardement des Musikers aussetzt.
Mehr als ein "Ja..,ja,aber ich war betrunken, und die Ghettoschwester..." hört man von ihm erstmal nicht, dann eine Beschreibung seines Abends und eine Erklärung für die Bissspuren an seinem Hals (vom Groupie Nr.1 zur Begrüßung angebracht, und da man die Dame kennt, ist die Wahrscheinlichkeit mehr als sehr groß, dass es sich um keine Lüge handelte)und die Gefühlslage von gestern Abend ist bei mir immernoch so schlimm wie am Anfang, also setze ich mich aufrechter hin und sehe dem Fremden direkt in die mehr als nur übermüdeten Wolfsaugen.
"Mir ist es egal, wo deine Bissspuren herkommen, oder wie besoffen du gestern warst. Mir ist auch egal, wie lustig das ja gestern alles noch war, und inzwischen auch,dass wir Ewigkeiten vor deinem Fenster standen und keiner reagiert hat, obwohl noch Licht brannte.
Ich bin schlicht und einfach enttäuscht. "
Und nach kurzem Zögern füge ich hinzu:"Auch, wenn mir das vielleicht gar nicht zusteht, weil wir uns noch nicht so lange richtig kennen."
Betretenes Schweigen, der Musiker starrt auf seine Schuhe, der Raucher beobachtet seinen Hund, der im Garten mit irgendeinem Ast spielt, ich schaue immernoch zum Fremden.
Der scheint zu überlegen, was er sagen soll. Dann: "Enttäuscht ist viel schlimmer als sauer. War wohl gestern ein bisschen unfreundlich, ja, aber die Ghettoschwester..."
In meinem Kopf inzwischen Wonder von Soap&Skin, und ich lasse mich so weit zurücksinken,dass ich zwischen dem Raucher und einem Sofakissen liege, Gesicht zu letzterem gedreht, damit niemand mitbekommt, dass jetzt ich diejenige bin, die weint.
Dazwischen 24 Stunden, insgesamt 16km laufen, immerhin zwei Gläser Wein, einmal spontan einen neuen Schlafplatz suchen, am nächsten Tag unerwarteterweise die Rückkehr meiner Tasche, Mehr-oder-weniger-Entschuldigungen des Fremden für einen beschissenen Abend, später Spontanjamsession und FIlmgucken beim Raucher, und hätte ich nicht für Ms Golightly da sein müssen, wäre ich diejenige gewesen, die als Erste zusammengebrochen ist.
So war sie es, die mittelschwer alkoholisiert vorm Eingang der Bitchparty stand und weinte, nonstop, die ganze Zeit, nach ein paar Stunden Vorglühen beim Raucher, die eigentlich nur nett zusammensitzen waren, einem Endlosfußmarsch zur Bitchparty und einem kleineren Weltuntergang, weil der Fremde, selbst schon angetrunken, nur für eine Person die Aufsichtspflicht übernehmen konnte, weshalb Ms Golightly nicht mehr reindurfte, woraufhin die Nervöse die nächstbeste Schnapsleiche angeschleift hatte, an deren Tauglichkeit Ms Golightly berechtigerweise zweifelte und somit einen hysterischen Schreianfall der Nervösen auslöste.
Und überall starrende Menschen, die heulende Ms Golightly sagt, es tut ihr alles so Leid, der Raucher und ich ( alias die Ersten, die drin waren, die Letzten, die noch den vollen Eintrittspreis bezahlt, und die Einzigen, die sofort kehrtgemacht hatten und zu ihr rausgekommen waren), wir sollten doch wieder reingehen, sie würde jetzt alleine heimlaufen.
Eigentlich habe ich Probleme mit Umarmungen, aber es gibt gerade wichtigeres als meine Ängste, und deshalb nehme ich sie in die Arme, wie man das wohl so macht und erkläre ihr,dass ich einen Dreck tun und sie alleine durch die Pampa laufen lassen werde.
"Und das Herkommen war schon so ultracool, da wird das Heimlaufen bestimmt noch besser." Sie muss lachen. Ziel erreicht.
Wir haben die dreifache Zeit zum hinlaufen gebraucht,weil die Ghettoschwester zwischendurch telefonieren musste, sich über uns aufregte, kichernd in die falsche Richtung wegrannte, sich auf die Straße legte oder andere Heldentaten, die Betrunkene so leisten, vollbrachte; der Fremde meistens hinterher als persönlicher Schoßhund.
Dazwischen immerhin einzelne Momente, in denen wir geredet haben, bis er auf einmal doch neben mir war und wir Halt machen mussten, weil wir querfeldein gelaufen sind und er mehr Steine im Schuh hatte, als da eigentlich Platz finden.
Haben so auf dem Radweg gesessen, er entsteinte seine Schuhe, der Rest war zum kollektiven Blaseentleeren verschwunden und eigentlich war das alles ganz nett so, fanden wir.
"Weißt du, mayhem, ich habe nicht das Gefühl, dass du sowas oft machst... also nachts neben einem Betrunkenen und seiner Weinflasche mitten auf einem Radweg an der Hauptverkehrsstraße sitzen, den Mond angucken und darauf warten,dass der Rest endlich mit pissen fertig ist, aber ich finde das hier gerade gut so. Also, die Gesamtsituation."
Die Flugsaurierschmetterlinge in meinem Bauch fallen synchron in Ohnmacht , um von ihrer eigenen Aufregung sofort wieder aufzuwachen und völlig kirre durch die Gegend und gegen Wände zu flattern.
Mindestens genauso effektiv, aber nicht ganz so positiv umgehauen wurden sie ansonsten vor allem in den zahllosen Momenten, in denen der Fremde dauernd der Ghettoschwester nachrannte, sämtliche ihrer Zickereien einfach hinnahm und zwar auf der Bitchparty blieb, hoch und heilig versprach, beim Raucher vorbeizukommen, damit Ms Golightly mit zur Ghettoschwester , bei der sie übernachtete, und ich mit zu ihm, bei dem ich eigentlich einquartiert war, laufen konnte, aber schließlich um fünf Uhr anrief, sie seien bei ihm daheim, hätten aber keine Lust mehr, vorbeizukommen, seien sowieso zu betrunken zum Laufen und außerdem sei kein Platz mehr, denn die Ghettoschwester habe beschlossen, bei ihm zu übernachten.
"Alles wird gut, wir kriegen das hin". Diesmal ist es der Raucher, der die weinende Ms Golightly in die Arme nimmt. Der Musiker ist zwischendurch erneut verloren gegangen, und so sitze ich, mich so deplatziert und verloren fühlend wie schon lange nicht mehr, auf dem Sofa des Rauchers, mit dem ich bis jetzt vielleicht zweimal wirklich was zu tun hatte, hübsch zurechtgemacht und sogar mit lackierten Nägeln, der Lidstrich perfekter als sonst und eigentlich sollte doch sowieso alles besser sein heute.
Die Erinnerung an das undefinier- und leicht wunderbare Positivgefühl, das da war, als der Fremde mich abgeholt und mir unaufgefordert und aus heiterem Himmel versprochen hat, nicht ganz so viel zu trinken und mich am nächsten Tag heim zu fahren..
Einzelne Zweiergesprächsmomente auf dem Weg zur Bitchparty, das Sitzen auf dem Radweg.
In meinem Kopf läuft Wings von Frittenbude, mein Verstand hat nen Scheißhumor, in der Realität irgendeine Black Metal-Band, die klingen sowieso alle gleich, und wenig später sind wir es, die laufen, und zwar zum Fremden, bei dem auch noch meine Tasche mit Zahnputzzeug und Schlafkleidung steht.
"Wir" sind in dem Fall der Raucher und ich, denn zwischendurch ist der Musiker aufgetaucht, der alleine hatte zurückfinden müssen, weil der Fremde nicht auf ihn gewartet hatte, und hat Ms Golightly bewusst-aufbauend in eine angeregte Diskussion über die französische Sprache und mögliche Urlaubsziele in Frankreich verwickelt.
Inzwischen wird es schon wieder hell und die ersten herumstreunenden Katzen machen sich auf den Heimweg; wir zählen vier Stück, bis wir vor der Haustür des Fremden stehen, die er eigentlich offen lassen wollte, weil wir keinesfalls klingeln sollten.
Unnötig zu erwähnen,dass die Tür abgesperrt war.
"Ich klingel jetzt, mir egal, ob er dann Ärger kriegt!" Die Aggressionen, die man beim Musiker (sitzen gelassen, auf der Bitchparty ausgesetzt, musste alleine heimlaufen) oder mir (sitzen gelassen, Schlafplatz weg, Zahnputzzeug und Co. noch beim Fremden, Heimfahrgelegenheit weg, Chance weg, ab jetzt wohl wirklich eher unglücklich verliebt) vermuten könnte, konzentrieren sich im Raucher, und ich kann ihn gerade noch davon abhalten, den kleinen gelb-weißen Knopf zu drücken. Er atmet tief durch, befindet dann aber,dass ich Recht habe, und wir verbringen die nächsten Minuten damit, Rindenmulch, Kies und schließlich Steine gegen den Rolladen des Fremden zu werfen, hinter dem noch eindeutig Licht brennt, um irgendwie auf uns aufmerksam zu machen. Keine Reaktion, auch nicht auf Anrufe.
"Ey, sieht so aus, als würdest du heute nicht beim Fremden pennen", spricht der Raucher das Offensichtliche aus, "kannst bei mir das Bett haben, ich hau mich aufs Sofa. Ne neue Zahnbürste hab ich noch da, die kannste benutzen, wenn du nicht in Klamotten pennen willst, kannste auch was von mir haben, und morgen fahr dann halt ich dich heim. Wennde dich auf den Assi verlässt, biste halt echt verlassen".
Tief durchatmen, alles wird gut. Meine Schuhe trage ich in der Hand, das Blümchenkleid wird schon längst aufgewertet durch meine treue Bandjacke, die ich drüber trage, fast alle meine Sachen stehen im Zimmer des Fremden und was viel wichtiger ist, es tut gerade alles so furchtbar weh.
"Hey, was ist denn los...." Augen zu, weiteratmen. Einfach weiteratmen, alles wird gut, irgendwann. Einfach weiteratmen, soweit das mit Erkältung geht. Mir ist wieder schwindlig.
Der Raucher legt mir ganz vorsichtig eine Hand auf den Arm. " Ich finds auch total scheiße vom Fremden, da jetzt so einen Mist abzuziehen, nur, weil er immernoch denkt, er hätte Chancen bei der Ghettoschwester, und, seit er die kennt, dass er das "über-krasse Partymachen", das ihn irgendwie nie so interessiert hat, jetzt nachholen muss. Und er is zwar n guter Kumpel von mir, aber das Ganze heute find ich mehr als unter aller Sau. Bringt jetzt aber nix, sich deswegen so nen Kopf zu machen... weinst du?"
Nicht jetzt. Mechanisch das Ablenkungsmanöver, Haare vors Gesicht fallen lassen, in der Handtasche wühlen und mit kratziger Stimme was von "Erkältung...Taschentücher.." murmeln. Liegt im Moment absolut im Bereich des Wahrscheinlichen, klappt auch beim Raucher, und weil er immernoch die Handtasche der Ghettoschwester mit sich herumschleppt, die sie zwischendurch bei ihm abgeladen hatte, finden wir sogar welche.
"Nach dem Abend is die dir eigentlich mehr als n Taschentuch schuldig, so oft, wie du sie ausm Graben oder Feldern gezogen und um Wühlmauslöcher rumgesteuert hast", findet der Raucher.
-"Ist mir, ehrlich gesagt, inzwischen relativ egal, ich will nur noch von dem Haus hier weg, die sollen doch machen, was sie wollen." Schnäuzen, halbwegs wiederatmenkönnen, dafür emotional jenseits von Herzschmerz, schon den halben Abend lang; auch die Katze, der wir begegnen und die bei mir mehr als nur kuschelig wird, kann daran nichts ändern, und die noch nicht ausgestandene Erkältung macht es auch nicht besser.
Auf dem Rückweg kämpfe ich gegen Schwindelgefühl und zunehmenden Gleichgewichtsverlust, während der Raucher die ganze Zeit murmelt, was für ein Idiot der Fremde ist.
Ich bin nicht sauer, sondern enttäuscht. Einfach enttäuscht, das sage ich auch dem Musiker, der, als wir wiederkommen, mit Ms Golightly, zwei Fremden und dem Schmiertypen vom letzten Wochenende am Küchentisch sitzt , ihnen beim Kartenspielen zusieht und mich fragt, ob ich dem Fremden genauso gerne ein paar Knochen brechen würde, wie er es gerne täte.
"Wir beide kennen uns doch...!" Schmiertyp, falscher Moment. Am Küchentisch ist glücklicherweise sowieso kein Platz mehr, sodass es nicht wie Totalflucht wirkt, als ich mich schnellstmöglichst in Richtung der Tür schleppe, hinter der ich meinen Schlafplatz vermute, um meine Jacke und Handtasche irgendwo abzulegen.
Ganz langsam, nicht zu schnell wieder aufrichten. Kreislaufzusammenbrüche lassen einen zum wehrlosen Pedobär-Opfer werden, und das wäre so ziemlich das Letzte, was ich heute noch gebrauchen könnte.
"Du läufst sicherlich nicht alleine und betrunken durch die Stadt heim." Ohne ein Wort der Widerrede zu dulden, folgen der Raucher, ich und dann auch die anderen Ms Golightly, deren Tante dienstbedingt schon wieder wach ist und bei der sie sich laut eigener Aussage hinlegen und etwas ausnüchtern könne, woraufhin sie vor lauter Rührung schon wieder anfängt, zu weinen.
Ein "aaaaaaaaw" des Musikers, dann meldet sich der Schmiertyp zu Wort: "Wir stehen also gerade um 6.24Uhr vor der Bude vom Raucher mitten auf der Straße, sind fast alle betrunken und haben zwar zwei Weiber dabei, von denen eine echt geil ist, aber wir liefern jetzt die Fette ab, wenn sie endlich fertig geflennt hat, und danach ist Schicht im Schacht, weil ihr alle pennen wollt? Und die Tussi lasst ihr beim Raucher? Hallo, das lohnt sich doch garnicht, die wär bei uns viel besser aufgehoben, da kannse noch was lernen."
Der Schmiertyp lacht ein Pedobärlachen, Ms Golightly ist so fassungslos, dass sie sogar aufhört, zu schluchzen.
Allgemeines Schweigen, ich frage den Raucher leise, ob er kurz die auch physisch unsicher stehende Ms Golightly stützen könnte, die eindeutig nicht mitbekommen muss, wie sich meine komplette Abscheu über dem Schmiertypen entlädt.
"Nicht nötig, ich mach schon. Ich will echt, dass du weißt, dass ich normalerweise total gegen Gewalt und so bin, aber der Typ war schon letztes Wochenende an der Grenze, und jetzt reichts mir."
Er richtet seinen Blick auf den Schmiertypen und macht einen Schritt in seine Richtung. "Alter, ich weiß ja nicht, was bei dir falsch läuft, aber du entschuldigst dich jetzt."
Schmiertyplachen. "Du willst mir vorschreiben, wann ich mich zu entschuldigen hab? Hallo, du machst doch jetzt nur einen auf starker Mann, weil die Weiber dabei sind. Wenn du auf die Fette stehst, ist das kein Problem, alles cool, aber sonst kommen wir uns in die Quere, und da hab ich echt mal keinen Bock drauf, genauso wenig wie die Tussi auf dich, also lass mich halt heute mal. Morgen kannste ja machen, was du willst."
"So ein Spinner...so ein Spinner", flüstert der Musiker kopfschüttelnd. Ms Golightly vergräbt ihr Gesicht weiter an meiner Schulter und in meinem Haar.
"Mädels, ich will hier nur nochmal klarstellen, dass ich eigentlich gegen Gewalt bin, ehrlich.. aber der ist schon lange zu weit gegangen." Mit diesen Worten bringt der Raucher einen gut platzierten Schlag im Gesicht des Schmiertypen an.
Das hysterisch-fröhliche "Yes Alter, yeeeees!" des Musikers und sein Applaus schallt deplatziert durch die leeren Straßen, der Schmiertyp starrt nur fassungslos den Raucher an, der sich langsam umdreht, Ms Golightly und somit auch halb mich kurz drückt und uns dann sanft Richtung Neubaugebiet weiterschiebt, weg vom Pedobären, dem Musiker, der uns hoffentlich wieder finden würde, und den anderen, die ich nicht kenne.
Bis zum Haus der Tante Schweigen, und durchs obligatorische Abschiedsumarmungsritual schaffe ich es sogar noch, dann wird mir so schwindlig, dass der Versuch, sich schnellstmöglichst auf den Bordstein zu setzen eventuell eher nach Fallen aussieht, sich aber in jedem Fall so anfühlt.
"Fuck, alles klar bei dir?" Das Gesicht des Rauchers neben mir sehe ich schon nicht mehr richtig, aber wenigstens mein Hirn funktioniert noch. Einfach weiteratmen, einfach.. Atemnot.
"Ok, anscheinend nicht." Werde vom Raucher hochgehoben, einfach so, obwohl er kleiner ist als ich und leichter, irgendeine Jacke, dem Geruch nach die des Musikers, der es anscheinend tatsächlich schon zum zweiten Mal geschafft hat, selbstständig zu uns zurück zu finden, wird auf dem halben Weg über mich gelegt und dann ist auch seine Stimme neben mir.
"Voll süß das Ganze hier, voll süß undso, aber echt, mayhem, du hast mich gerade voll erschreckt!"
"Du wirst immer so emotional, wenn du trinkst, Musiker".
Habe es geschafft, durch den Nebel, der mich umgibt, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Hauptsache nicht komplett das Bewusstsein verlieren.
Der Raucher lacht und klingt dabei so besorgt, dass ich ihn am Liebsten umarmen würde. "Wie du sowas einfach noch durch ne halbe Ohnmacht mitbekommst. "
"Und wie du einfach mal echt Glück hast, das wir jetzt hier sind", fährt der Musiker fort, "Wärst du jetzt beim Fremden, du wärst am Arsch, hättest verloren, total Pech gehabt. Da würdste abkratzen, wenn die Ghettoschwester da ist, ist egal, wies anderen geht. Ich musste alleine heimlaufen, und wir sind Freunde seit der Grundschule, seit der Grundschule. Und ich musste alleine zurücklaufen, 8km, ohne Plan, wie man da Laufen muss, ganz alleine. Alter, das ist so schlimm..." Und die nächste schluchzende Person, die sich an den Raucher und dadurch auch mich hängt, während ich mich eisern ins Vollbewusstsein zurückkämpfe, langsam, aber stetig.
"Und überhaupt, wir können echt froh sein, echt froh, dass wir drei uns gefunden haben." Der Musiker umarmt den Raucher und mich, während ersterer langsam versucht, weiter zu laufen. "Voll das Dreamteam ey, voll das Dreamteam. Hab ich schon aufm Fest gemerkt, wir sind echt die Guten. Und der Fremde, der soll machen, was er will. Wir nehmen jetzt die mayhem in unsere Gruppe auf, die hat genau so nen Knall wie er, aber auf coole Art und Weise, ist mindestens genauso depressiv und genauso genial, riecht auch gut, nur ein bisschen anders, und die ist total sozial, viel sozialer, als gut für sie ist." Er tätschelt mir die Wange.
"Totaler Flashback gerade..",murmelt der Raucher, und es klingt, als müsse er schmunzeln. "Wie beim Fest, nur war es da erst drei Uhr und nicht sieben, und ich hab keinen von euch getragen."
-"Total wie beim Fest, echt mal, total wie beim Fest, nur habt ihr da mich getragen, voll sozial undso, ich erinner mich noch, mein Gedächtnis vergisst nie, und ich sags ja, wir sind die Guten ey, wir sind echt die Guten. Die drei Musketiere, gemeinsam unbesiegbar undso. Ich hau die alle mit meinem Intellekt weg, du haust die, die dann noch stehen, um, und die mayhem kehrt die Reste zusammen, Rotes Kreuz undso. Ja, voll die Soziale, echt mal..."
Als wir vorm Gartentor der Wohnung des Rauchers stehen,äußere ich, unterbrochen von mehreren Hustenanfällen, den meiner Meinung nach absolut legitimen Wunsch, auszutesten, ob ich wieder alleine und halbwegs geradeaus laufen kann.
-"Nix da, die paar Meter trag ich dich noch."
Die paar Meter bedeutete in dem Fall, bis zum Sofa (ich hatte mich geweigert, ihm sein Bett wegzunehmen) getragen und dort übervorsichtig abgelegt zu werden, anschließend noch Decke und Kissen gebracht zu bekommen und aus heiterem Himmel vom strahlenden Musiker umarmt zu werden, weil er fand, das wäre "jetzt echt mal nötig" gewesen.
Dann fluchte er noch eineinhalb Stunden auf den Fremden, verzog sich ins Schlafzimmer und begann bald, glücklich, zufrieden und betrunken so laut zu schnarchen, wie das nur glückliche, total zufriedene Betrunkene können.
Der Raucher bleibt neben mir sitzen, und weil sowieso alles egal ist, gefühlt die Welt untergeht und entweder das Sofa zu kurz ist oder ich zu lang bin, lehne ich mich an ihm an, zurückhaltend genug, um keine Abwehrreaktion in mir auszulösen.
Irgendwann zieht er seinen zwischen mir und dem Sofa eingeklemmten Arm aus der unbequemen Position und legt ihn vorsichtig um meine Schultern und neben mir ab.
Wir liegen, beziehungsweise in seinem Fall sitzen immernoch so da, als ich um 8.30 Uhr wegdämmere, und auch noch, als der Fremde um 10.30 uhr meine Tasche vorbeibringt und sich dem Vorwurfsbomardement des Musikers aussetzt.
Mehr als ein "Ja..,ja,aber ich war betrunken, und die Ghettoschwester..." hört man von ihm erstmal nicht, dann eine Beschreibung seines Abends und eine Erklärung für die Bissspuren an seinem Hals (vom Groupie Nr.1 zur Begrüßung angebracht, und da man die Dame kennt, ist die Wahrscheinlichkeit mehr als sehr groß, dass es sich um keine Lüge handelte)und die Gefühlslage von gestern Abend ist bei mir immernoch so schlimm wie am Anfang, also setze ich mich aufrechter hin und sehe dem Fremden direkt in die mehr als nur übermüdeten Wolfsaugen.
"Mir ist es egal, wo deine Bissspuren herkommen, oder wie besoffen du gestern warst. Mir ist auch egal, wie lustig das ja gestern alles noch war, und inzwischen auch,dass wir Ewigkeiten vor deinem Fenster standen und keiner reagiert hat, obwohl noch Licht brannte.
Ich bin schlicht und einfach enttäuscht. "
Und nach kurzem Zögern füge ich hinzu:"Auch, wenn mir das vielleicht gar nicht zusteht, weil wir uns noch nicht so lange richtig kennen."
Betretenes Schweigen, der Musiker starrt auf seine Schuhe, der Raucher beobachtet seinen Hund, der im Garten mit irgendeinem Ast spielt, ich schaue immernoch zum Fremden.
Der scheint zu überlegen, was er sagen soll. Dann: "Enttäuscht ist viel schlimmer als sauer. War wohl gestern ein bisschen unfreundlich, ja, aber die Ghettoschwester..."
In meinem Kopf inzwischen Wonder von Soap&Skin, und ich lasse mich so weit zurücksinken,dass ich zwischen dem Raucher und einem Sofakissen liege, Gesicht zu letzterem gedreht, damit niemand mitbekommt, dass jetzt ich diejenige bin, die weint.