Sonntag, 26. August 2012
Distanz.
Da ist Distanz zwischen dem Fremden und mir, man fühlt sie nicht, aber sie ist da, und ich weiß nicht, ob das Schüchternheit ist oder Ablehnung.
Ich schlafe nicht in seinem Arm, zögere lange, bis ich mich an seiner Schulter ablege und drehe mich auch aus dieser Position irgendwann wieder weg; da kam zwar kein Einspruch gegen Annäherung, aber auch keine wirkliche Reaktion.
Ich schiebe es auf den Wein, der uns alle müder gemacht hat, als das reguläre Schlaftabletten geschafft hätten, und darauf, dass es vier Uhr dreißig ist.
Sogar ich schlafe, trotz unbequemem Schlafsofa, kaputtem Rolladen und Gedankenrasen, und wache erst wieder auf, als der Fremde und sein Bruder die Wohnung aufräumen, sitze etwas deplatziert rum und leide so an meiner Deprimiertheit und zuviel Negativgefühl und Unsicherheit vor mich hin, bis der Raucher und der Schlagzeuger vorbeikommen und ich somit wenigstens zeitweise jemanden zum Reden habe, auch, wenn mir nicht nach reden ist.
Eher nach jammern und spontanem Sich-in-Luft-auflösen. Aber dieser Kampf ist noch nicht vorbei (hoffe ich), und vorher wird nicht aufgegeben..


Am Vorabend bei der Bandprobe ohne Drummer gewesen, anschließend mehrere Stunden mit der dann vollständigen Band und Ms Golightly auf dem Spielplatz gesessen und irgendwie habe ich nebenher die Hürde "Reden mit fremden Menschen" gemeistert, jedenfalls fand mich der Schlagzeuger so sympathisch, dass er mit mir auf ein Stone Sour-Konzert will, und weil die anderen zwei das auch ganz nett finden, scheint das jetzt beschlossene Sache zu sein.
In Kombination mit dem Schlagzeuger ist der Fremde auch ganz ohne Alkohol im grenzdebilen Bereich, aber auf nette Art und Weise, und ein wenig danke ich dem Problem dafür, dass es diese Band zusammengebracht hat, und außerdem so ein bisschen dem Schicksal dafür, dass ich auf der Vernissage war.
Stelle bei dieser Gelegenheit fest, wie egal er geworden ist.
Nebenher, still und leise, irgendwann zwischen der Sache mit der alten Sache und dem Loslösen davon ist auch das Problem verloren gegangen. Es hat aufgehört, weh zu tun, und es schmerzt auch nicht, als der Schlagzeuger, bevor er sich auf den Weg zur Nerdbrille macht, nach meinem vollständigen Namen fragt, sich durchs Wuschelhaar fährt und dann wie vom Blitz getroffen ausruft: "Ey, mein Cousin wollte mal was von dir!"
Schweigeminute, der Raucher kratzt sich den Bart, der Fremde starrt auf die Weinflasche, die wir zwischendurch dann doch mal angefangen haben, und ich suche nach Anzeichen einer emotionalen Überreaktion in mir.
"Welcher Cousin?" Kann ja sein, dass er mehrere hat.
-"Das Problem. Der war zwischendurch total verschossen in dich, hat sich aber nicht getraut, das zu sagen, weil du so voll von nem anderen Stern kommst. Also halt so anders bist undso, und er ja voll das Gegenteil zu dir."
Der Raucher tätschelt dem Schlagzeuger die Schulter. "Ich glaub, du hast wieder zuviel Bier getrunken, geh mal lieber, die Nerdbrille wartet schon."
-"Ja, hast ja Recht.. die tickt sonst wieder übelst aus. Aber voll krass, dass ich die mayhem jetzt mal getroffen hab." Er winkt mir zum Abschied. " Du bist voll die Coole,echt mal. Bis dann, man sieht sich spätestens bei Stone Sour!"
-"Vorher bin ich noch bei eurem Auftritt dabei; bis dann."
"Joa, dann tschüss, bis denne!"
Und weg ist er.
Da hätte also doch was sein können, mit dem Problem.
Wobei, hätte es wirklich sein können? Man weiß es ja nie so genau, wenn man es nicht ausprobiert. Aber eventuell war es zwischendurch doch nicht überinterpretieren dank viel zu viel Hoffnung, sondern real.
Es hätte real werden können.
Der Raucher schaut mich nachdenklich an. "Willst oder wolltest du was vom Problem?"
-"Ja, mehr als fünf Jahre lang."
"Das is krass."
-"Vermutlich."
"Und das hat einfach so aufgehört?"
-"Nachdem ich wiederholt das Gefühl hatte, ich würde an unglücklicher Liebe sterben, und auch deswegen oft genug das Bedürfnis, mich möglichst effektiv aus dem Leben zu befördern oder mir wenigstens mein viel zu empfindliches Herz rauszureißen, ja. " Auch, wenn dich das eigentlich nichts angeht. Aber du hast mir schließlich auch diverse seelische Abgründe um die Ohren gehauen..
"Wir sind schon alle solche kaputten Menschen."
-"Da hast du allerdings recht".
Er drückt seine Zigarette aus, und bevor wir in die Wohnung zurückgehen, schaut er mich an, legt mir die Hand auf die Schulter und gratuliert mir dazu, dass das Problem egal ist. "Ehrlich, das ist ne totale Leistung. Überhaupt, was du so emotional alles auf die Reihe kriegst..ich wär da schon längst dran zugrunde gegangen."

Alles wird gut, man muss nur atmen. Irgendwann wird alles gut, ich habe es mir jedes Mal gesagt und sage es mir immer wieder, bis es soweit ist.
Damit habe ich es durch die Sache mit der alten Sache und am Problem vorbei geschafft, durch die ganzen zwischenmenschlichen Weltuntergänge und bis hierher.

Und jetzt ist da der Fremde in meinem Herzen.
Einfach so.
Und auch "einfach weiteratmen" ändert nichts an der Tatsache, dass es, zumindest aktuell, mehr wehtut als fünf Jahre mit dem Problem.