Donnerstag, 13. September 2012
Alles so harmonisch.
Es wirkt alles so harmonisch, wie wir hier sind, der Raucher und ich am Pizzabacken, der Fremde versucht, zu helfen und macht dabei im Endeffekt mehr Arbeit als vorher, Ms Golightly gießt die Blumen.
Es fühlt sich so richtig an, hier zu sein, vielleicht habe ich eine Bedeutung von "zuhause" gefunden, und der graue Schmerzvorhang, der normalerweise unter der Woche über allem liegt, wurde zur Seite gefegt und lässt Licht durch und es scheint auf das ganze Gemetzel, das da in mir drin ist.

Sie sehen es.
Der Raucher scheint es zu spüren, kaputte Menschen finden sich immer, im Fremden ist eine Ahnung davon, nicht genau greifbar vermutlich, aber sie ist da, und Ms Golightly weiß lange nicht alles, aber einiges.
Eigentlich ist ihr schon das zu viel. Unbegreiflich, krasse Sache, und ich wirke doch noch so normal...


Normal ist eine Täuschung.
Merke es, während ich später am Abend an der Schweigsamkeit des Fremden leide, während der Raucher grummelt, es könne doch gar nicht sein, dass der Kerl es nicht rafft, aber der Fremde scheint es wirklich nicht zu raffen und irgendwann gegen drei, als der Seelenschmerz unerträglich geworden ist, sodass ich mich auf die Terasse gesetzt, die Augen geschlossen und mich aufs weiteratmen konzentriert habe, verabschiedet er sich. Mit Umarmung, aber er geht.
Schlafe nicht bei ihm, weil er erst gegen neun aufstehen muss und ich schon um sieben (und es für ihn untragbar gewesen wäre, um diese Uhrzeit von meinem Handysignal kurz aufgeweckt zu werden); wäre ich daheim, würde ich dann bereits auf dem Weg zum Bus sein.
"Ist es sehr schlimm?" Der Raucher steht im Durchgang zur Terasse und scheint zu überlegen, ob ich jetzt lieber alleine wäre und ob man diesen potenziellen Wunsch genehmigen sollte oder eher nicht.
Ich weiß es ja selbst nicht.
-"Ja, gerade schon". Aber ich weine nicht. Einfach weiteratmen. Geweint wird nicht, nicht schon wieder.
Nicht schon wieder wegen dem Fremden und nicht schon wieder vorm Raucher.
Schweigen, dann: "Pass auf: Ms Golightly und ich, wir gehn schonmal pennen, aber wenn was is, bitte sag was. Mich kriegt man zwar nicht auf Anhieb wach, aber dann kitzel mich oder tritt mich meinetwegen,dann wach ich auf, denk ich. Und egal, wie gern du dir Sterne und Glühwürmchen und son Zeugs anschaust, geh bloß nicht auf den Balkon, der is total marode. Ok, mayhem?"
Der Balkon kann gar nicht so marode sein, wie ich mich fühle. Herz marode, Stützbalken morsch, meine ganze Person brüchig und einsturzgefährdet.
Der Raucher legt mir die Decke mit dem Katzenmuster, die sonst auf seinem Sofa liegt, um die Schultern.
"Sonst erfrierst du bestimmt. Soll ich dir noch nen Tee machen oder so?"
-"Nein, schon ok. Danke." Einfach weiteratmen.
Augen zu, weiteratmen, alles wird gut, du musst nur atmen.
"Na gut. Dann sag ich mal gute Nacht, auch, wenn du wahrscheinlich eh nicht schläfst.."
-"Gute Nacht, Raucher. Und danke, so allgemein".
Auch, wenn du mich verwirrst, so rein emotional.
Aber ich bin am zusammenbrechen und wegbröseln, da kann das schonmal passieren.

Als es draußen schon wieder hell und in mir nicht besser, aber auch nicht schlimmer wird, beschließe ich wagemutig, einen Versuch zu starten, zu schlafen.
Zähneputzen, Abschminken und innerlich bereite ich mich schon darauf vor, den Hund vom Sofa jagen zu müssen,als ich feststelle, dass das Deckenknäuel dort Ms Golightly ist. Sämtliche Versuche, sie ansatzweise zu verschieben und mir wenigstens eine kleine Schlafecke zu schaffen, schlagen fehl, und ich will sie nicht aufwecken.

"Das ist rein freundschaftlich."
Ziehe das Kopfkissen so weit unterm Raucher vor, dass ich auch was davon habe, wickle mich in die Katzendecke, kauere mich in meine Standardschlafposition alias die halbe Embryonalhaltung, Rücken zum Raucher und horche in mich rein, ob da Müdigkeit ist.
Eigentlich schon, aber da ist auch leichtes Flattern.
Herzflattern, Schmetterlingsflattern.
Moment, Schmetterlinge?
Könnte sein, ist aber nicht sicher.
Auf jeden Fall nicht flugsauriergroß. Vermutlich nur Verwirrung, Verzweiflung, das Wissen, dass da jemand ist, der versteht und da sein will und zusätzlich Hormonchaos.
"Das auch. Ehrlich."
Er rutscht näher ran, ich spüre ganz leicht seinen Atem im Nacken.
horche wieder in mich rein, ob da eine Abwehrreaktion ist.
Da ist keine, also bleibe ich liegen.
Da kommt auch keine, als er seinen Arm um mich legt, also bleiben wir so liegen.
Von irgendwoher kommt diffuses Licht, das sich grauschleierhaft über alles gelegt hat, Lichtstaubschicht auf uns. Der Raucher ist relativ schnell eingeschlafen, aber sein Arm hält mich immer noch fest und sein Kopf lehnt ganz leicht an mir und sein Bart kratzt an meinem Hals.
Irgendein diffuses Gefühl ist da wieder, vielleicht Herzflattern, wer weiß.
Es fühlt sich seltsam an.
Ich kann nicht einmal sagen, ob gut-seltsam, schlecht-seltsam oder neutral-seltsam und denke über diesen Umstand nach, bis das Handy des Rauchers irgendein Black Metal-Geschrei in den Raum kotzt, um seine Weckerfunktion zu erfüllen.
Der Mensch hinter mir grummelt, dreht sich Richtung Handy, haut einmal sehr fest drauf, dreht sich wieder zu mir, legt seinen Arm wieder um mich, drückt mich kurz an sich und scheint dann weiter zu schlafen.
Jetzt ist da eine Angstvorstufe.
Immerhin noch sehr weit entfernt von richtiger Angst, vermutlich heißt das Verunsicherung.
Oder sichsorgenmachen.
Weil ich ihm nicht wehtun will eigentlich, und ihm keine Hoffnungen machen will, eigentlich, weil für mich doch so völlig klar ist, dass das nur Freundschaft ist.
Eigentlich.
Tatsächlich bin ich umarmungsüberlastet und will das eigentlich gar nicht sein, denn eigentlich finde ich es nicht unangenehm, ich weiß nicht, wie ich es finde, denn mein kleines Herz ist übelastet und am zerfallen, und mein Verstand schreit mir die Fakten so laut ins Gesicht, dass mir schlecht wird.
Dass das gemein von mir ist, schreit mein Verstand. Was das soll, ihm Hoffnungen zu machen. Was das überhaupt soll, da ist doch der Fremde, zumindest in Arbeit.
In Arbeit heißt nicht, dass es etwas wird, schreien die Zweifel mindestens genauso laut zurück.
Davon abgesehen hat er gesagt, das ist freundschaftlich, und eigentlich haben wir das gesagt, nur Freundschaft, beteiligt sich die Naivität an der Diskussion.
Gedankenrasen, und er liegt einfach so hier und hält mich fest und atmet schon wieder ganz ruhig und sein Bart kratzt wieder an meinem Hals.
Konzentrieren aufs ruhige weiteratmen ist zwecklos, mein Hirn ist gerade nicht ruhig und mein Herz auch nicht, da ist so viel Verwirrung und Überlastung und überhaupt, klar denken ist gerade so schwierig.
Es wird etwas einfacher, als ich von ihm weg und an die andere Seite des Bettes gerutscht bin, also doch umarmungsbedingte Überlastung.
Dass mich das noch so sehr erwischt...
Selbstkontrolle ist eben doch nur Illusion.
Beruhigung kommt schubweise, die Panikvorstufe verabschiedet sich schrittweise, draußen wird es heller und nach ein paar Runden erzwungen ruhigem "einfach weiteratmen" klappt es tatsächlich, das ruhige Weiteratmen, und noch ein paar Runden später bin ich wieder im neutralen Bereich, so stabil, wie das bei mir eben geht.
Dafür kommt jetzt der graue Schmerzvorhang wieder, zusammen mit Verlorenheitsgefühl und der Frage, wie das alles eigentlich weitergehen soll. Welchen Weg, und vor allem, woher die Kraft kommen soll, ihn einzuschlagen und weiter zu machen.
Allgemein, woher die Kraft für das alles. Woher soll ich sie denn nehmen...

Als ich mich wieder zum Raucher drehe und ein Stück in seine Richtung rutsche, ist er ansatzweise wach, und vielleicht kann er ja Gedanken lesen oder man sieht mir inzwischen alles an, jedenfalls nimmt er meine Hand, sieht mich wieder ganz ernsthaft an, drückt sie sanft und erinnert mich wieder, "rein freunschaftlich".
Sagt er und schaut so, dass ich es ihm glaube. Oder glauben könnte, ich weiß es nicht.
Was auch immer da ist, es verwirrt mich.
Vielleicht nur Überlastung und Hormonchaos.
Wenn nicht, habe ich ein Problem.

Ja, es tut weh. Alles.