Montag, 17. September 2012




Phönixpotenzial.
Der Kumpel hat gesagt, ich habe Phönixpotenzial; zerfallen zu Staub, verbrennen an den eigenen Gefühlen und dann aus der Asche wieder aufstehen.
Aber der Kumpel hat auch gesagt, ich solle mich vor dem Raucher in Acht nehmen.

Dem Raucher, bei dem ich von Samstag auf Sonntag geschlafen habe, weil der Fremde spontan den Musiker beherbergen musste.
Dem Raucher, der mich anlächelte und meinte, das würde doch was werden, als der Fremde vor und nach dem Auftritt das Gratisbier Gratisbier sein ließ und lieber bei mir blieb; als er mich umarmte, immer wieder, und pünktlich war, als wir abends wieder zum Raucher gingen, nachdem ich zwischendurch eine Seminaraktion und der Fremde eine Taufmusikprobe überstanden hatte.
Dem Raucher, der, als ich von dem Gespräch mit Ms Golightly wiederkam, sofort gemerkt hat, was los ist, mich auf die Terasse bugsiert und im Arm gehalten hat, als ich angefangen habe, zu weinen.

Es ist auch der Raucher, neben dem ich auf einem Stein auf dem Aussichtspunkt sitze und die Sterne anschaue, weil man die in der Kleinstadt nicht gut sieht, und es ist der Raucher, dem ich sage, dass ich das so nicht mehr kann. So weitermachen.
Überhaupt, weitermachen, mit welcher Kraft denn…
Er sagt, dass er es nicht versteht. Den Fremden. Der mit Ms Golightly über mich geredet hat und laut ihr meinte, er habe versucht, sich auf die Sache mit mir zu konzentrieren, aber es sähe im Moment eben nicht danach aus.
Keine Begründung, nichts. Dafür ein „im Moment“.
Wenn es etwas gibt, was ich durch das Problem gelernt habe, dann, mich von „im Moment“ und Konsorten nicht zu Hoffnung anstiften zu lassen.
Es gibt keine Hoffnung, nicht in dem Fall.
Also Hoffnung, stirb endlich, aber richtig.

Zu erwachsen.
Der Raucher vermutet, dass es daran liegt. Bin zu erwachsen, sagt er; hab zu viel mitgemacht, und deshalb klappt es mit Leuten wie dem Problem oder dem Fremden nicht.
Vielleicht hat er Recht.
Aber es ist mir egal, gerade ist alles egal, ich will nicht, dass es so ist, wie es ist, und ich will mein schnelles Existenzende oder dass es aufhört, wehzutun.
Ich sage ihm das so, wortwörtlich, und er ist unter Garantie völlig überlastet, aber in dem Moment ist mir das egal.
Im nächsten komme ich mir egoistisch vor und es tut mir Leid, also entschuldige ich mich, aber er sagt, das ist schon ok. Und dass er den Fremden nicht versteht.
Ich sage, mit Mädchen wie der Ghettoschwester kann ich wohl nicht mithalten und denke dabei an ihr Selbstbewusstsein und dass sie dünner ist und weiß genau, dass zumindest letzteres kein ausschlaggebender Punkt ist.
Vielleicht das Selbstbewusstsein, und ihre Art an sich. Offener, und prinzipiell nicht am sichsorgenmachen, sondern immer am mitsaufen.
Der Raucher sagt, dass ich besser bin als solche Mädchen. Und der Fremde dumm ist, wenn er das nicht versteht, oder einfach noch nicht so weit. Er tippt auf letzteres, und sagt, wenn der Fremde sich verhält wie ein Fünfzehnjähriger, wie soll er dann mit einer Freundin klarkommen, die mit 18 ist wie 23 und in den achtzehn Jahren vom Schicksal mehr auf die Fresse bekommen hat als normale Menschen in 50 Jahren.
Mein Gefühl sagt, dass er Recht hat, aber das ist gerade egal.

Überhaupt ist gerade alles egal, nur dieses Gefühl, mein kleines Herz wieder hergeschenkt, und wieder muss ich es mir kaputt zurückholen.
Kaputtes Herz, kaputtes ich.
Und das Einzige, was ich aus der Sache mitnehme, ist das Wissen, dass ich manchmal über meinen Schatten springen muss und das auch kann.
Ich wollte nicht nur das mitnehmen, ich wollte ihn mitnehmen. Eigentlich von Anfang an.
Aber das geht nicht. Also hole ich mir mein Herz zurück, mal wieder, weil das Ding niemand haben will, und jedes Mal wird es hässlicher, und der Raucher hält mich im Arm und hält mich weiter fest, während meine Musik über usb läuft, erst Thoughts Paint the Sky, ich weine, und dann Wings von Frittenbude, das immer lief in den letzten Minuten, bevor ich am Bahnhof ankam und dass immer das Lied war, verknüpft mit dem Fremden, das Lied, das gesagt hat, es wird schmerzhaft, aber es wird, und ich weine.
Da ist das Festival in meinem Kopf, der eine Abend, händchenhaltend durchs Moshpit und kuschelnd im Zelt, da ist der Auftritt, nach dem es mal von ihm aus ging.
Das erste Mal übernachten bei ihm, als ich auf seinen Rücken gestarrt und mir gesagt habe, ich würde gerne öfter neben ihm einschlafen.
Er hat versucht, sich auf ne potenzielle Beziehung mit dir zu konzentrieren..
In seinem Arm im Auto schlafen, beim Warten auf die Festivalbändchenausgabe, beim Warten auf Ms Golightly, beim Warten am See.
..aber er sagt, dass das im Moment nichts wird. Sagt er dir aber nochmal persönlich.
„Wenn er dann mal ne Freundin hat, wars das.
Egal, ob Ghettoschwester, Fangirlie oder sonst was, dann wars das. Ich halte es ja schon jetzt nicht mehr aus, und wir sind befreundet, so irgendwie. Ich kann das nicht, ich hab jetzt schon Horrorszenarien im Kopf.“
-„Ach man..“ Der Raucher zieht mich ein Stück an sich und packt mich in seine Jacke. „ Ich versteh den Kerl nicht. Ich verstehs echt nicht…aber so blöd, wies jetzt klingt, er ist halt echt nicht so weit. Der ist einfach noch nicht so weit, auch wenns dieses Wochenende wieder echt gut aussah… und ich habs dir gewünscht. Ehrlich, ich habs dir echt gewünscht, dass das was wird, einfach, weil dus verdient hast, dass du mal glücklich bist...“
„Vermutlich sieht mein Schicksal mich nicht gerne glücklich.“
-„Mir egal, was das sagt, ich will dich glücklich sehen.“
„Ach Raucher…“

Als der Raucher mich vorm Hoftor verabschieden will, stellen wir fest, dass mein Vater nicht da ist, Garage leer, dann: Hausschuhe weg, Schlafzimmer abgeschlossen. Also kommt er noch mal mit rein, und wir schweigen uns so an, während ich Kater Mayhem, der in letzter Zeit so schrecklich von mir vernachlässigt wird, beiläufig den Kopf kraule und er schnurrt, als gäbe es kein morgen mehr.
Wenigstens für den Kater bin ich die Größte, zumindest in diesem Moment.
Teile dem Raucher diese Feststellung mit und er sagt, dass ich die Größte bin. Zumindest die Größte und Stärkste und Tollste, die er kennt.
“Du bist viel größer, als du denkst“, hat der Fremde auf dem Festival gesagt.
Auf dem Festival, als da so was wie Hoffnung war. Manchmal.
Vermutlich geht es jetzt darum, zu zeigen, wie groß ich bin.
Ich habe mal geschrieben, vielleicht bin ich groß genug, um das alles zu überstehen. Ich bin mir da nicht mehr so sicher, wissen Sie.
Nein, stimmt nicht.
Eigentlich ist mir völlig klar, dass es das diesmal war. Sehe mir wieder beim Scheitern zu und warte auf meinen Zusammenbruch, und diesmal kommt er sicher, die Frage ist nur wann. Vielleicht bin ich auch schon mittendrin.
Mein Gefühl sagt, dass es diesmal nicht mehr weitergeht, nicht so und nicht an diesem Punkt und…eben überhaupt nicht.
Und ich hätte jetzt sehr gerne jemanden, der mich auffängt, irgendwann, möglichst vorm Aufprall, oder mir hilft, ihn abzudämpfen, aber im Endeffekt kann man sich nur selbst retten.

Ich kanns nicht mehr. Nicht jetzt, nicht später, nicht in dieser Situation, alles zu viel und jetzt noch mehr.
Das Problem mit dem „stark sein“ ist, dass es nicht aufhört, weh zu tun; das Schicksal denkt sich nicht, gut, jetzt reichts aber mal, das Schicksal entscheidet sich nicht dafür, einem spontan was Gutes zu tun, nicht, wenn es um so was geht; vielleicht den Fund eines Geldstücks als Höchstleistung; aber wenn es kein Euro ist, den man findet, sondern eine Person, vergisst das Schicksal jede Nettigkeit und jeden Skrupel, und wenn dann noch das Herz auf Wanderschaft geht, weiß man, es wird schmerzhaft.

Vielleicht Hamburg.
Vielleicht doch für den Freiwilligendienst nach Hamburg, ein halbes Jahr, und das andere halbe Jahr nach Prag.
Ich habe gesagt, ich gehe nach Prag, irgendwann.
Leere Pläne, Überreaktion, aber vielleicht hilft das.
Einfach zulassen, alles geht vorbei.
Einfach weiteratmen, alles wird.
Nächstes Wochenende ohne den Fremden, er geht aufs Dorffest, mit der Ghettoschwester, den Groupies und den Fangirlies, ich gehe in die böse Kneipe mit dem Raucher, dem Masochisten und eventuell der alten Sache und Co. .
Ich sage meinen Dienst ab, no Dorffest for me, denn es ist schlimm, wenn ich mir den ganzen Abend den Kopf zerbreche, was das Fangirlie mit ihm anstellen könnte, aber es wäre wohl schlimmer, wenn ich dabei wäre und ihm dauernd nachrennen würde.
Also nimmt mich der Raucher mit in die böse Kneipe, hat er gesagt, und es ist ok, wenn ich da wieder weg will, weil es mir schlecht geht wegen dem Fremden, oder weil ich mich unwohl fühle, weil so viele unbekannte Leute da sind, oder weil die alte Sache wieder so komisch ist. Er sagt, dass es ok ist, einfach aus Räumen und von Orten wegzulaufen, weil die Situation zu viel ist, und er sagt, dass er dann mit mir wegläuft, weil es zur Zeit keine gute Idee ist, mich alleine zu lassen.
Und er sagt, dass alles gut wird. Irgendwann wird alles gut, sagt er; hat das so von mir übernommen und glaubt daran, und er sagt mir immer wieder, dass alles gut wird.
Für mich bedeutet das gerade, dass es mit dem Fremden was wird, aber das bleibt Wunschtraum.
Also wird nicht alles gut.
Vielleicht habe ich nicht genug daran geglaubt.

Vielleicht wird doch nicht alles gut, Raucher, sage ich ihm. Vielleicht hatte ich Unrecht, als ich das gesagt habe, jedes Mal. Aber alles geht vorbei.

Alles geht vorbei, Nein wir bleiben nicht stehen.
Alles geht vorbei, auch ein wieder mal gebrochenes Herz.