Mittwoch, 5. Dezember 2012
Eine Delle.
Da ist eine Delle in mein Auto gefahren, ein Stück Kofferaumplastikteil ist abgebrochen und der 90 Zentimeter hohe Blumenkübel, der, an der Straßenlaterne festgebunden und zwei Meter von meinem Parkplatz entfernt, unsere Einfahrt ziert/zieren soll, ist kaputt.
Ich habe das Mayhemmobil seit drei Tagen nicht mehr gefahren, weil es von alleine beschleunigt, auch dann, wenn man steht, und in die Werkstatt muss.
Die letzten, die den Schlüssel hatten, waren mein Vater und Anhang, weil er sich die Sache selbst ansehen wollte, standardmäßig davon ausgehend, dass es nur an mir liegt.
Die Vatersfreundin hat trotzdem eine derartige Wutwelle durchs Haus und in mein Zimmer schwappen lassen, dass sogar die Saiten meiner Gitarre hörbar geschwungen haben, mich, standardmäßig, als Lügnerin bezeichnet und verkündet, wie tieftraurig sie es fände, dass ich nicht zu "meinen" Taten stehen würde.
Es ist Advent, also verzichte ich darauf, zu ihr zu gehen, ihr ins Gesicht zu spucken, oder sie an eine Wand zu quetschen, Ellbogen-gegen-Hals, so, wie das mein Vater mal mit mir gemacht hat, als meine Mutter noch da war, oder ihr eine zu scheuern, oder, besser, ihr ins Gesicht zu schlagen.
Arme, jämmerliche, kranke Frau.
Ich verachte dich aus tiefstem Herzen.
Und eventuell würde ich mich auf deinen Psychokrieg einlassen, wenn ich die Zeit hätte, oder genug Motivation, denn auch, wenn ich verletzlicher bin als du, sensibler vielleicht oder emotionaler, halte ich tausendmal mehr als dich aus.
Tausendmal dich und die ganze Welt dazu.
Das Einzige, was mich kaputt machen kann, ist mein Herz.
Und das hasst dich.
Das reicht, um dich zu überleben, und die ganzen Alltagssticheleien.

Die Drohung, den Tierschutz zu rufen, wenn du fünf Minuten vor mir aufstehst und feststellst, dass die Katze logischerweise noch nicht gefüttert ist.
Die Tatsache, dass sich unser Haus in eine grelle, blinkende, leuchtende, funkelnde Hölle aus übertrieben großer, kitschiger Weihnachtsdeko verwandelt hat und mein Zimmer somit auch nachts und durch heruntergelassene Jalousien und zugezogene Vorhänge gefühlt taghell eleuchtet wird,
den mehr als robusten Mistelzweig, der an unserer Haustür auf exakt der Höhe hängt, die allen anderen (mehr oder weniger) rechtmäßigen Bewohnern des Hauses erlaubt, bequem darunter durchzugehen, während ich, wenn ich nicht aufpasse, fast skalpiert werde, weil sich die Verästelungen nicht nur in meinem Haar verfangen, sondern sich förmlich festkrallen,
das tägliche Keifen wegen Kleinigkeiten, das sich ankündigt durch pseudo-enttäuschtes Ansprechen auf Verbrechen meinerseits, seinen Höhepunkt erreicht, wenn ich es wage, mich zu rechtfertigen, und vorwiegend dann einsetzt, wenn ich zum Bus laufen oder eigentlich lernen muss,
das ständige Tatsachenverdrehen, bei dem ich nie weiß, ob das jetzt aufgrund geistiger Beschränktheit oder aus purer Boshaftigkeit geschieht und jedes Mal als Verliererin dastehe, denn da gibt es noch den Fakt,
dass Papa Mayhem sich inzwischen wohl als kinderlos sieht und auch nicht das Bedürfnis hat, irgendwann mal ein Wort gegen dich zu sagen.

Du sollst deinen Willen haben, ich räume das Feld.
Morgen, wenn du wieder hier übernachtest, schlafe ich beim Raucher, und er ist es auch, der mich heute wieder heimfährt, nachdem ich das Mayhemmobil in die Werkstatt gebracht habe.
Falls du heute auch hier schläfst, hole ich meine Schulsachen und die Stoffrobbe, die ich seit meiner Geburt habe, und fahre wieder mit zu ihm.
Eine Zweitzahnbürste habe ich schon seit ein paar Wochen dort, ebenso eine Probiergröße Shampoo, Duschgel und ein Handtuch.
Eigentlich solltest du diejenige sein, die hier nur zu Besuch ist, nicht ich.
Stattdessen flüchte ich zu diesem anderen Menschen, wann immer ich es mit meinem schlechten Gewissen dem Katerchen gegenüber vereinbaren kann, und nur die Angst vor einer weiteren Strafpredigt lässt mich sonntags vor Sonnenuntergang wieder heimkommen.
Ich räume das Feld, sobald mir der Vermieter endlich die Schlüssel gegeben hat, kann ich nochmal ausmessen, meine Sachen und die Möbel, die ich von der Raucherschwester und ein paar Absteigenleuten bekomme, rüberbringen und noch vor dem 52. Geburtstag meines Vaters bin ich endgültig draußen und du hast das erreicht, was wohl dein oberstes Ziel ist. Alles weg, nichts mehr da, was an die "alte" Familie Mayhem erinnert.
Wozu braucht mein Vater die denn noch, er hat doch schließlich dich und den Quasistiefbruder.

Es wird nicht besser werden, weil du weißt, dass ich da bin, im selben Dorf, in der selben Straße, mit dem selben Nachnamen wie er,
und dass meine Mutter noch da ist, nicht nur auf dem Friedhof, sondern auch in seinen Erinnerungen, und meinen, wenn du mich ansiehst, auf den Fotos, die noch in seiner Garage lagern und die du noch nicht weggeworfen hast, in deinen Gedanken, in deinen Wahnvorstellungen, von denen du mir manchmal erzählt hast.
Sie verfolgt dich.
Sie wird dich weiter verfolgen. Bis du dich damit abfindest und deinen Frieden damit schließt.

Ich werde dich verfolgen. In deinen Gedanken, vielleicht in deinen Wahnvorstellungen, in den Gerüchten, die du verbreitest, in deinen Lästereien mit der Vermieterin, in Gesprächen mit anderen Dorfmenschen, die zerknirscht zugeben müssen, dass ich nicht, wie prophezeit, in der Geschlossenen gelandet bin, sondern in der Abiturklasse des Gymnasiums.
Ich hoffe, dass du leidest, ich hoffe, dass du fällst, endlos tief, und dass der Aufprall so hart wird, dass es dir sämtliche Luft aus den Lungen presst und du denkst, du musst sterben.
Damit du weißt, wie es ist.
Vor allem aber, damit du endlich wieder auf den Boden zurückkommst und anfängst, dich wieder wie ein Mensch zu verhalten.


Neben dem ganzen Hass heute vor allem Positivgefühl empfunden, als der Busfahrer bewusst darauf verzichtet hat, den entsprechenden Abriss der Sechserkarte zu entfernen und mir somit eine komplette Fahrt geschenkt hat, und als der Raucher sich sofort bereiterklärt hat, mich nachher heimzufahren, weil die Vatersfreundin zu sehr mit der Dämonisierung meiner Person beschäftigt ist und als Strafmaßnahme für meine angeblichen Lügen ihr Versprechen, mich abzuholen, wieder zurückgenommen hat.
Außerdem einen Lebkuchen geschenkt bekommen, weil die Mensaköchin der Meinung war, den könne ich gebrauchen.

Und jetzt fahre ich mein von selbst beschleunigendes Auto durch den Sturm da draußen in die Werkstatt.