Mittwoch, 16. Januar 2013
Thema: monolog
Wir fassen uns an den Händen, nein wir lassen nicht los...
Dass Schwule keine richtigen Menschen wären, hat er gesagt.
Dass jeder "rechtes Gedankengut" in sich trägt, hat er gesagt.
Dass er sich an Fasching wieder mal richtig vollaufen lassen wird, hat er gesagt.
Dass das eben dazugehört, hat er gesagt.
Dass Lesben fast so schlimm sind wie Vegetarier, hat er gesagt.
Dass ich ihm wichtig bin, hat er gesagt. Dass ich toll bin.

Er ist dauerangepisst und auf Distanz gegangen, um meine überraschend-luftabschürend intensive Herzschmerzwand damit zu durchbrechen, mir zu erklären, dass es nicht an mir liegt, sondern daran, dass wir so wenig Zeit zu zweit verbracht haben die letzen Wochen.
Darum der Beschluss, sich den Freitag freizuhalten, dann: er möchte mich zum Essen einladen.
Als ich mich wegen Rückenproblemen nichtmal richtig aus dem Bett bewegen konnte, er Urlaub hatte und alles, was ich brauchte, (m)eine Wärmflasche war, war er beim Pinguin, zocken, und konnte sie deshalb leider nicht vorbeibringen.
Als ich zum von ihm erbetenen Termin angerufen habe, der einzige Tag in der Woche, an dem wir uns gehört hätten, wurde ich auf unbestimmte Zeit vertröstet, der Pinguin war gerade da.
Als die Kombination Schlafmangel-Ibuprofen Halluzinationen verursacht hat und ich, weil niemand erreichbar war und ich Angst hatte, ihn angerufen habe, wurde ich noch im ersten Satz abgewürgt und im Hintergrund hörte man den Pinguin über mich lästern.
Als wir übers Schwimmen lernen gesprochen haben, meinte er, man könne ja mal mit dem Pinguin ins Schwimmbad gehen, der habe sowieso noch Gutscheine.

Mein Hirn stellt mir gegenüber fest, dass ich bei jedem anderen Kerl, der sich so verhält und so eine Einstellung hat, wie es beim Raucher anscheinend der Fall ist, schon längst das Weite gesucht hätte, und mein Gewissen nennt mich inkonsequent.

Warum mir das nicht früher aufgefallen ist, frage ich mich. Warum er es die ganze Zeit so gut versteckt hat und so schmerzerregend ... passend war.
Warum er mir trotzdem so wichtig ist.


..doch wir bleiben nicht stehn
Dass er jetzt eine Freundin hat, erzählt er, ganz stolz.
Dass sie ja auch mit aufs Festival gehen könnte, findet er.
Dass ich mich bestimmt gut mit ihr verstehen werde, meint er.
Dass sie so viel gemeinsam haben, glaubt er.

Dass sie eigentlich kein Bier trinkt und keine laute Musik mag, weiß ich.
Dass sie deswegen dauergelangweilt mit dem Handy online ist, wenn sich auf der Bühne Leute die Seele aus dem Leib prügeln und das Publikum Weltschmerz auf die Bühne wirft.
Dass sie sich wegen ihm die Haare dunkler gefärbt und anstelle eines Besuches beim schwedischen Modehändler beim Onlinehalbmainstreammetalmailorder bestellt hat, hat sie erzählt.
Dass sie Metal eigentlich scheiße findet, und die Texte der besten Band der Kleinstadt sie verwirren, hat sie mir anvertraut.

Der Fremde ist mit dem braungefärbten Fangirlie zusammen, inzwischen ist sie sogar volljährig, und als er sich mit ihr an unseren Tisch setzen und diesen Anlass feiern wollte, habe ich mir die Sadistin unter den Arm geklemmt und bin mit ihr rauchen gegangen, und wissen Sie was, meine Welt steht immernoch, das große Erdbeben blieb aus, ich bin immer noch hier.
Ich hab schon schlimmeres mitgemacht.


so viele Farben, kennst du die Stadt schon?
Und ihren Hafen
Die leeren Straßen?
Ohne die Menschen ist sie ertragbar..

Dass er nach dem Tod seiner Mutter so viel gelaufen ist, dass sein Ruhepuls unter 40 war und seine eine Herzklappe nicht mehr richtig geschlossen hat, weil die Blutpumpe zu groß geworden ist, hat er geschrieben.
Dass Leben sinnloses Leiden ist, hat er geschrieben.
Dass er alleine ist, das aber eigentlich auch schon immer war, hat er geschrieben. Dass das schon so passt.
Dass er nicht weiß, wofür das Ganze, hat er geschrieben.
Dass er die Todestage so fröhlich wie möglich verbringen will und deswegen auch schonmal den seiner Schwester vergessen hat, hat er geschrieben.
Dass sein sozialer Kontakt sich auf die Mittagspausen mit der Azubine beschränkt, die 30 Jahre jünger, aber sehr nett ist, hat er geschrieben.
Dass er oft traurig ist, hat er geschrieben

aber will es auch nicht ändern. Oder kann es nicht.
Der Patenonkel ist kein Kämpfer, sondern konventionell-verzweifelter Weitermacher. Und ein Einzelgänger, schon immer gewesen, zwischenmenschlich irgendwie unfähig, die dicke Glaswand um einen rum. Man selbst drin und die anderen Lebensformen draußen.
Kennt man.
Zu oft Grund des Scheiterns.


Aber manchmal, da muss man sich eben zusammenreißen und das tun, was wichtig ist.


da hinten geht der richtige Zeitpunkt,
dort drüben fährt unsere letzte Chance.
Da vorne fällt die größte Lüge,
dort oben sitzt er auf seiner Wolke und lacht


Deswegen ist der einzige Faschingsumzug, dem ich beiwohne, der, bei dem ich Sanitätsdienst habe, und wenn der Raucher auf große Sauftour gehen will, dann ist das eben so;
deswegen werde ich in nächster Zeit kein Konzert der besten Band der Kleinstadt mehr besuchen, eineinhalb von drei Bandmitgliedern kann ich zur Zeit nämlich nicht in meiner Nähe ertragen, ohne kotzen oder weinen zu müssen.

Kurzerhand habe ich beschlossen, das einzig Vernünftige zu tun, den Dienst angenommen, den finalen Versuch, die übliche Truppe wieder zusammenzutrommeln, gestartet, die Vatersfreundin so laut angeschrien, dass mein Pfeif-und-Tinnitus-Ohr danach zwei Tage lang beleidigt war, den literarischen Grundstein für eine längere Geschichte (hooray for fantasy, man will ja nicht aus der Übung kommen) gelegt, mich von der roten Haarfarbe verabschiedet und der alten Sache geschrieben.

Kein deplatziertes Rumstehen beim betrunkenen Raucher und dem schlecht verkleideten Pinguin, dafür Antifasching in der Absteige, mit der üblichen Truppe.
Da muss er durch, ist alt genug.
Mal wieder "gemeinsames" Rauchen mit Faust, Sternegucken mit der alten Sache (er hat es vorgeschlagen und versprochen), ein Glas Wein mit Mr.Gaunt (er ist es mir noch schuldig und vielleicht bin ich mutig genug, ihn darauf anzusprechen), danach unfähig-taktloses Tanzen mit eben jenem (ich schulde es ihm und vielleicht ist er nüchtern genug, sich daran zu erinnern) und ginge das so einfach, ich würde sofort zu Ferienbeginn nach Prag fahren.

Das Mayhemmobil läuft so gut, man könnte fast glauben, es sei vollständig regeneriert, und ich habe zwar immer noch nicht die Bücher meiner Mutter, oder das Hometrainerdings, das sie nie benutzt hat, oder den großen Gymnastikball zum draufsitzen, den ich laut Ärztin für meinen Rücken bräuchte, dafür aber die Sparbücher, die für mich angelegt wurden, damals.


Nachdem ich auf Euro umschreiben und alle Zinsen eintragen lassen habe, habe ich die Reparaturen fürs Mayhemmobil wieder drin und außerdem 600 Euro mehr als eigentlich gedacht, was bedeutet, dass die Welt zumindest auf finanzieller Ebene nicht mehr ganz so akut untergeht.

Den Rest versuche ich zu ignorieren, an die Wand zu werfen, irgendsowas.
Fordere mein Recht ein, glücklich zu sein.
Auch, wenn der Mensch, der so irgendwie an meiner Seite ist, auf einmal ins komplette Gegenteil umschlägt, jetzt, wo ich mich daran gewöhnt habe.
Und mich einengen will, und einfangen, jetzt, wo ich Mr. Gaunt nicht mehr aus meinem Kopf kriege.
Und ich zu feige bin, es einfach zu lassen und ihn in den Wind zu schießen, weil er eben doch irgendwas bedeutet.

Vermutlich bin ich die größte Spinnerin von allen.