Dienstag, 5. Februar 2013
Ich versuche, mich auf ihn zu konzentrieren.
Sitze im Auto des Rauchers, auf dem Weg zu seiner Schwester, und ein wenig freue ich mich sogar, ihn zu sehen. Bei mir zu haben. Bei ihm zu sein
Habe aber auch keine andere Wahl.

Der Raucherschwesterhund wirft mich zur Begrüßung um, Kopf meets Marmorfliesen, aber ich bin bekannt für meinen Dickschädel, also geht das, und während der Raucher sich gerade vom Freund seiner Schwester alias der Dogge erzählen lässt, was in der Wohnung alles auf Kredit maßangefertigt worden ist, rapple ich mich wieder auf und versuche, meinem strauchelnden Gehirn Fluchtmöglichkeiten abzuringen.
Klappt eher suboptimal, während ich noch versuche, irgendwas sinnvolles in meinem Gedankenmatsch zu erkennen, werde ich schon von dem Mann, der mein Freund ist, eingearmt, ins Wohnzimmer geschleift und auf dem kreditfinanzierten Sofa geparkt, das in etwa den Wert meiner kompletten Wohnungseinrichtung haben dürfte.
Man flatscht mir ein vermutlich kreditfinanziertes Kühlbeutel-Geschirrtuch-Arrangement auf den Kopf und ich versuche, mich voll und ganz auf die Abwehr des völlig überdrehten Höllenhundes, der mich im Sitzen beinahe überragt, zu konzentrieren und seine Sabbersturzbäche irgendwie von mir weg zu lenken, während die Dogge am laufenden Band Scheiße verzapft und der Raucher immerzu andächtig nickt.
Klappt auch ganz gut, bis: "Also ich find das super, dass ihr jetzt richtig zusammen seid. Habs im Gesichtsbuch gelesen und mich richtig gefreut."
-"Wir waren auch vorher "richtig" zusammen", erwidere ich dem Kreditfan und mache mich auf eine weitere Endlosdiskussion über das Thema "offene Beziehung" gefasst.
Die Dogge lacht ein selbstgefälliges Ichweißallesbesserlachen. "Offene Beziehung,lächerlich. Hab mich gefragt, was das für eine lächerliche Scheiße sein soll, als ichs gelesen hab".
Ein betretenes Kippesuchen der Raucherschwester, ein triumphierendes "Siehste, da hörstes" des Rauchers.
Letzteres verletzend/verunsichernd genug, um mich endgültig davon zu überzeugen, den heutigen Abend in meinem Schneckenhaus zu verbringen und es nur bei Bedarf (Essen, Trinken, Toilette) zu verlassen.
Hab so schon genug Negativgefühl.
Fühle mich so schon deplatziert genug.
Bin so schon verunsichert ohne Ende.

Man nimmt bei der Wahl des ersten Films, der auf dem glorreichen (kreditfinanzierten) 3D-Fernseher in Sabberhundgröße gezeigt werden soll, sogar Rücksicht auf mich, wobei die Dogge keine Gelegenheit auslässt, sich über meine Angst vor Horrorfilmen lustig zu machen, zu sticheln und blöde Kommentare rauszuhauen, während der Raucher brav mitlacht und sich darüber wundert, dass sich mein Kuschelbedürfnis sehr in Grenzen hält.
Dann eine Strafpredigt der Dogge, weil ich es wage, den Raucher nach seiner siebten Zigarette darauf hinzuweisen, dass er heute eigentlich nicht mehr als zwei rauchen wollte (worum er mich gebeten hatte), die mich vor die Wahl stellt, ihm entweder sofort die schlecht gestochenen Piercings aus dem fleischigen Gesicht zu reißen, oder aber heulend aus dem Raum zu rennen.
Eventuell auch beides.
Die große Schwebesekunde, in der die Raucherschwester nervös an ihrer Kippe zieht, die Dogge hämisch grinst und der Raucher die Situation hätte retten können.
Unsicheres Grinsen bleibt seine einzige Reaktion und ich weiß, dass es jetzt eigentlich Zeit ist, zu gehen.

Ich bleibe.
Bleibe sitzen und wehre die Sabberfontänen des einen Hundes ab, während sich der andere vor dem Mann, der mein Freund ist, profiliert und der ergeben nickt, zustimmt, an den richtigen Stellen lacht und zwischendurch immer mal unsicher in die kreditfinanzierte Sofaecke schaut, in der ich mich verkrochen habe und still vor mich hin leide.
Dann Handyvibrieren und somit ein Grund, auf den Balkon zu fliehen. Anrufer: Papa Mayhem.


"Tut mir Leid, wenn ich dich gerade störe, ich wollte nur mal anrufen."
-"Danke, Papa."
"Ich kann auch wieder auflegen, wenn es später besser passt".
Das vermutlich ehrlichste "Danke" seit Langem verlässt mich, findet irgendwie durchs Handynetz seinen Weg heim und schreit nach einer väterlichen Umarmung.
Und auf dem Geländer hängend heule ich mich bei Papa Mayhem aus, so gut es eben geht, wenn man sowas 18 Jahre lang nicht gemacht hat. Eigentlich wissen wir beide nicht so wirklich, was man in so einer Lage machen muss, und eigentlich hatte er nur fragen wollen, wann ich die Unterlagen für den Vaterschaftstest rüberbringe, aber mein Papa scheint die Situation halbwegs zu erfassen, schweigt die allgemeine Weltuntergangsstimmung geübt in Grund und Boden und bringt es auf den Punkt: "Mit ihm geht also ganz sicher nicht, ohne aber irgendwie auch nicht."
-"So sieht es aus."
"Du bist genau so ein Schaf wie ich."
-"Ich weiß".
Und anscheinend reicht es, um im richtigen Moment zu wissen, wann man da sein sollte.
Und vielleicht sind wir uns inzwischen nah genug, um es dann auch zu sein. Da. Und so.
Vielleicht ist ja doch nicht alles verloren.

Den restlichen Abend überstehe ich durch gezieltes Schweigen und gezielten emotionalen Rückzug unter meine Schafswolle. Sollen sie doch gemein sein. Und unsensibel.
Sollen sie mich doch verletzen.
Hab schon schlimmeres überstanden.
Der Raucher bemerkt es nicht und sagt mir auf der Heimfahrt ganz stolz, wie mutig ich gewesen bin, und wie gut ich mich geschlagen habe, trotz fremder Umgebung und fremder Menschen.
Ich will ihm sagen, wie schmerzhaft ich die Gesamtsituation finde und den Abend fand, und dass ich das eigentlich nicht kann, so, wie es jetzt ist.
Es reicht, um anzumerken, wie unsympathisch ich die Dogge, wie unpassend-gemein ich seine Bemerkungen bezüglich einer nicht-klassisch eingeschränkten Beziehung und meiner gesamten Einstellung gefunden habe und dass ich mir sowohl sachliches Diskutieren, als auch einen Wutausbruch sehr hatte verkneifen müssen.

Er versucht es mit Beschwichtigungspolitik, obwohl ich längst nicht mehr wütend, sondern schon eine ganze Weile wieder am Boden zerstört bin.

Frage mich, wo es hin ist. Das, was da am Anfang war. Auch bei mir.
Wer es versteckt hat und wo.
Mit ihm geht also ganz sicher nicht, ohne aber irgendwie auch nicht.
Wenigstens haben Papa Mayhem und ich eine Gemeinsamkeit in Form unserer absoluten zwischenmenschlichen Unfähigkeit gefunden.