Sonntag, 24. Februar 2013
"Dann habe ich den Mann, der mein Freund ist, noch ein bisschen toll gefunden..."

Das Ganze steht nicht umsonst im Perfekt.
Während er neben seinen gefühlt alle 10 Minuten stattfindenden Ausflügen zur Bar und den schätzungsweise zwölf Kippenpausen festgestellt hat, dass ich ja auch da bin, und so nebenbei angebracht hat, dass es ja ganz nett sei, dass ich mich endlich "zusammenreißen" und mit seinen Freunden reden würde, habe ich festgestellt, wie verschossen ich in Mr.Gaunt bin.

Der jetzt auch noch in der Band des Raucherbruders spielt.
Und eventuell bald zusätzlich in der des Rauchers.
Der genauso Absteigenstammgast ist wie der Mann, der mein Freund ist.
Und ein guter Kumpel von ihm.
Irgendwie ist das ein bisschen schwierig.

Das restliche Geschehen (Cuba Libre 2, 3 und vier spendiert von Freunden des Rauchers, Persico 1 und 2 ebenfalls, weil ich doch seine Freundin bin, angebitcht werden vom braunhaarigen Fangirlie, angegraben und dann angetatscht werden vom völlig betrunkenen Fremden, der von mir so fest weggeschubst wird, dass er in die Arme des Mischpultmanns fällt, der mir nur Daumen hoch zeigt, Beziehungskrise bei Kriemhild, die drei anderen Bands) bleibt irgendwie im Hintergrund und wird komplett verdrängt von dem Menschen da, der, bei der ersten Band im Anzug und mit Gasmaske, bei der zweiten in Cargohosen und oberkörperfrei, Besucher mit Musik erschlägt, über die Bühne tobt, zwischendurch mitsamt Bass durch die komplette Absteige gehoben und auf dem Bartresen abgelegt wird, wo er kurzerhand weiterspielt.

Und dann steht er vor mir, weil der Raucher gesagt hat, wenn es mich interessiert, soll ich doch einfach fragen, wer das neueste Tattoo auf dem letzten freien Hautfleckchen, das man auf Mr.Gaunts Rücken hatte finden können, angebracht hat.
Weil es so laut ist, muss ich direkt in sein Ohr schreien, was blöderweise genug Nähe bietet, um seinen Duft einzuatmen und dann erst recht traurig zu sein, als die Antwort sehr kurz ausfällt und er sofort die Bar ansteuert.
Auf halbem Weg dreht er dann doch noch um, drückt mir eine Visitenkarte in die Hand und verschwindet für die nächsten zwanzig Minuten.
"Der wird noch offener, wenn er mehr getrunken hat. Sonst isser immer sehr schüchtern", will mich der Raucher beruhigen, der denkt, dass ich mich lediglich aufgrund der sehr knappen Antwort ("Der Pät aus G.") etwas vor den Kopf gestoßen fühle.
"Hm, na dann." Ich lasse ihn in dem Glauben, jammere kurz Ms Golightly voll und versinke ein wenig in meinem Weltuntergang, bis der Raucher mich zur nächsten Band nach vorne zieht und kurz darauf Mr.Gaunt wieder neben mir steht.
Und mich ansieht.
Hach.

Den restlichen Abend über schaffe ich es immerhin, mich ein paar Mal in seine Gespräche mit dem Raucher einzuklinken, im Vergleich zu sonst ist die Distanz zwischen uns aber gefühlt verdreifacht.
Er tanzt auch nicht mit mir betrunkenen Walzer, sondern mit dem Raucher, und sie reden von Männerfreundschaft, die nichts zerstören kann und den ganzen anderen Dingen, die mein schlechtes Gewissen verzehnfachen.
Immerhin reden sie auch über die Löwin, und Mr.Gaunt sagt, das Thema sei für ihn abgeschlossen.
Kritisches "Ganz abgeschlossen?" vom Raucher, absolute Überzeugung als Antwort, die Geschichte sei Vergangenheit.
Wenigstens etwas.
Dann Preisverleihung, er ist mit beiden Bands auf den ersten Plätzen. "Da muss ich ja jetzt aufstehen", er schwankt vor, strahlt wie ein Kind an Weihnachten, der Raucher versucht zum dritten Mal, mich zu sich ran zu ziehen und zu küssen, ich wehre zum dritten Mal ihn und die ultimative Bier- und Rauchwolke, die ihn umgibt und vermutlich alles Leben im Umkreis von zehn Kilometern töten könnte, ab.
Ja, es tut weh.

Dann noch ein bisschen Reden, und als ich gehen muss, weil der Kriemhildfreund gefahren ist und schlafen will, landet Mr.Gaunts Hand auf meiner Schulter.
"Sach mal...wie heißt du eigentlich?"
Autsch. Etwas ungläubig sage ich ihm meinen Namen, und dass wir uns doch schon kennen.
Mehrmals gesehen haben.
Furchtbar schlecht Walzer getanzt haben.
"Hmmmnja, kann sein. Dass ich dich schonmal gesehen habe, hab ich mir gedacht. Aber ich kann mir andere Leute immer so schlecht merken, wahrscheinlich war ich da auch zu besoffen", lacht er. "Sei mir bitte nicht böse, ok?"

Ich sage, dass ich ihm nicht böse bin, sitze die Heimfahrt über stumm und emotionsgelähmt auf der Rücksitzbank, liege daheim hellwach, todmüde und gefühlsgeplagt unter meiner Dachschräge, werde noch ein bisschen zerissen von logischen Gedanken, die immer wieder auf ein "es geht nicht" zurückkommen und viel zu wahren Gefühlen, die sich an einem absoluten "Ich will/es muss aber" festklammern und werde gegen zehn Uhr aus dem Bett geklingelt, weil mein Handy noch im Wohnzimmer liegt und der Raucher heute bei mir sein will.


Ist doch alles scheiße.