Montag, 8. September 2014
Thema: monolog
Mit drei Stunden Verspätung (schließlich sind wir ja mit dem Postboten gefahren) auf dem Zeltplatz einmarschiert.
Die Flagge gehisst, das erste Bier aufgemacht.
Eine Runde gedreht und die paar Menschen begrüßt, die keinen zu schlimmen Brechreiz auslösen.
...Unter Menschen spüre ich in Insekten auf der Haut..
Später auch ein paar nettere Sichtungen. Der Raucher, der Friseur, der Rentiermann und Co.
Natürlich auch der Exilsachse; das Ignorier-und-Anstarr-Spiel beginnt wieder.

Dann tritt Mr.Gaunts Band auf, reißt mir dabei routinemäßig mein kleines Herz raus, legt einen Brand in der leeren Höhle und liefert nebenbei ein absolut episches Konzert ab.
Gewöhnt man sich dran.
Auch daran, Mr.Gaunt mit neuer Freundin zu sehen, die gar nicht mehr so neu ist.
An den Fluchtreflex.
Daran, ihm nicht mehr in die Augen sehen zu können, weil sonst das fragile Gerüst, das gerade mein emotionales Innenleben darstellt, in sich zusammenfällt und tonnenschwer auf mich herab stürzt.
Unsere Ignoranz ist kein Spiel, sondern absolute Gleichgültigkeit auf der einen, und der stockende Versuch eines Heilungsprozesses auf der meinen Seite.
Unter Menschen stelle ich mich lieber mal ins Abseits, bevor ich alles abfackel und mit euch verbrenn..

Gegen Abend beschließe ich, dass mich der Exilsachse vorerst genug möglichst auffällig nicht beachtet hat (und umgedreht) und begrüße ihn. Es folgen ein paar Versuche seinerseits, mich verbal aus der Reserve zu locken, auf die ich so gekonnt reagiere, dass ich mir selbst ganz unheimlich bin und mich fast ein bisschen freue.

Die Freude vergeht mir, als er nach der letzten Band mit seiner Gelegenheitsaffäre (sie will eigentlich eine Beziehung und fühlt sich ausgenutzt; er sagt, sie soll ihn nicht stressen), der Frau mit dem Pferdegebiss, die Zweisamkeit seines Zeltes meiner Gesellschaft vorzieht.
Auch Tante Emma hat irgendwie besseres zu tun (vor Allem mit dem Rentiermann), als mir seelische und moralische Unterstützung zu leisten, und Ms Golightly ist seit heute Nachmittag verschollen.
Also parke ich meinen Klappstuhl vor unserem auf einmal so geräumigen Zelt, stelle meine Stiefel daneben ab, und mache es mir zwischen Tante Emmas Gepäck, das für eine italienische Großfamilie reichen würde, und Ms Golightlys Plüschtieren bequem.
Alleine.
Bitte ein mitleidiges "Oooooooh" an dieser Stelle.

Am letzten Abend habe ich die Fielmannfrau gefunden, die wieder aufgetauchte Angst/Aggression/Ekel vor/gegen fremde/betrunkene Menschen nach ein paar Versuchen halbwegs nieder gerungen, höre meine Nackenmuskulatur weinen und bin erneut zu der Erkenntnis gekommen, dass Mr.Gaunt die Art des Lebens ist, das, was ich dem Raucher emotional angetan habe, wieder auszugleichen.
Außerdem habe ich vom Grinsebuddha genug "Band Member"-Getränkebons bekommen, um außer der Fielmannfrau (und natürlich den Menschen auf der Bühne) nur noch das Barpersonal anschauen zu müssen.
Die Versuche des Exilsachsen, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ignoriere ich mit gelassener Gleichgültigkeit; erst, als ich nach einer Kippenpause wieder vor die Bühne gehe und er gerade von dort kommt, treffen sich unsere Blicke, genau die halbe Sekunde lang, die er braucht, um an mir vorbeizulaufen.
Mit der Frau mit dem Pferdegebiss.

"Heeeeey mayhem, lässt dich auch mal bei uns im Camp Deluxe blicken?"
-"Sorry Friseur, ich hol nur meinen Klappstuhl." Eigentlich wollte ich auch einen Brandsatz auf das Zelt des Exilsachsens werfen, aber das wäre mehr Emotionalität, als er verdient hat.
"Och maaaaan".

Vor meinem eigentlichen Zelt sitzen Ms Golightly, Tante Emma, der Fremde und eine Freundin von ihm, die Bikerin. Einfach so, sind sie alle wieder da.
Man hat sogar eine Lücke für meinen Klappstuhl gelassen, und zur Begrüßung drückt mir die Bikerin wortlos eine Zigarette und unsere Packung Gummibärchen in die Hand.
Manches braucht keine Worte.
Dann sagt sie, wenn der Fremde, der so geistesgegenwärtig war, seine Gitarre mitzubringen, und ich nicht sofort für sie Snuff, Trough Glass und rein aus Prinzip irgendwas von Pink covern, skalpiert sie mich mit bloßen Händen und verspeist mein Gehirn.


"Schön haste gesungen", findet die Bikerin, als ich sie am nächsten Morgen mit der Fielmannfrau zum Toilettenwagen eskortiere.
-"Wenn du das sagst."
Weil ich mich hinter meiner Sonnenbrille verstecke, sieht der Exilsachse nicht, ob die Tatsache, dass er dort steht und die Pferdegebissfrau im Arm hält, meine Gleichgültigkeit auch nur ansatzweise berühren kann.
Er sieht auch nicht, dass meine Zigarette erst halb aufgeraucht war, als ich sie gerade weggeworfen habe, um so schnell wie möglich in den Toilettenwagen flüchten zu können.
Aber ich sehe, dass seine Gleichgültigkeit durch mein Auftauchen zumindest kurz ins Schwanken gerät.
Dass er den Arm weg zieht, mich ansieht, und sofort weg schaut.
Die Sprüche, die er in Richtung Fielmannfrau wirft, wirken fast so hölzern wie die, die sie sich zur vermeintlichen Tarnung meiner Unsicherheit von mir anhören muss, als wir wieder raus gehen und er immer noch da steht.
Als die Bikerin mit einem absolut befriedigten "Boah Leute, ich musste sowas von kacken!" den Toilettenwagen verlässt, können wir endlich gehen, nachdem ich den Exilsachsen aus Versehen angeschaut, dabei aber keine Miene verzogen und absolute Immunität gegen seinen Huskyblick bewiesen habe.
Kopf hoch, Kippe an, und weiter gehts.

Ich verabschiede mich nicht (weshalb sollte ich?) ; erst, als der Friseur mir etwas später schreibt, erzähle ich irgendwas von alkoholbedingtem Totalausfall und entschuldige mich, einfach gegangen zu sein, ohne ihm, dem Rentiermann, und Bauarbeiterbob Tschüss gesagt zu haben.

Ich weiß nicht, ob ich Lust auf Spielchen habe.
Die Glasglocke um mich scheint so viel möglich werden zu lassen, aber es bin immer noch ich, die darunter sitzt.
Und so, wie es aussieht, wäre Zuneigung in egal welcher Form gerade das Beschissenste, was ich im Hinblick auf den Exilsachsen ausbrüten könnte.
Ich bin zu alt zu kaputt für so eine Scheiße.