Samstag, 5. September 2020



Erfahre am Montag, ob ich zwei Wochen Verlängerung für die Abschlussarbeit kriege. Es sieht gut aus: die Therapeutin hat Himmel, Hölle und alles dazwischen beschworen und in Briefform gebracht, kurz waren wir überrascht, als wir festgestellt haben, dass es keine Übertreibung ist,nichtmal ein bisschen, sondern der tatsächlichen Realität entspricht.
Zwei von drei Instanzen sind überzeugt, die dritte wird sich am Montag melden, wurde aber prophylaktisch bereits telefonisch von der Therapeutin heimgesucht, dem Betreuer erscheint eine Verlängerung ebenfalls logisch, wäre doch irgendwie doof, wenn eine unverschuldete Krise mir die akademische Karriere versaut.
(ER SIEHT ANSCHEINEND DIE MÖGLICHKEIT EINER AKADEMISCHEN KARRIERE! Euphorie und schlagartig hochgeschraubte Selbstansprüche an die Abschlussarbeit nehmen sich an der Hand und tanzen über die verminte Spielwiese meines Verstands)

Nachdem alles in die Wege geleitet ist kommt die große Erschöpfung.
Nur wenig geschrieben, dann ein Tag Pause, dann gerade mal zwei Stunden am Rechner, Definitionsteil prägnanter fassen, sprachlich aufmöbeln, natürlich noch nicht fertig damit - kommt davon, wenn man sehenden Auges in Forschungsfelder einmarschiert, in denen sich über die Jahrzehnte selbst Koryphäen verlaufen haben und nie wieder aufgetaucht sind; nur, um sich dann auch noch eine Ecke auszusuchen, die sich weder Koryphäen noch Normalsterbliche bisher so genau angeschaut haben. Oder überhaupt.
Genau genug sein, aber den Rahmen nicht sprengen, Fässer aufmachen und auf den Grund tauchen, aber nicht zu sehr, die ewige Herausforderung. Eigentlich müsste ich schon alleine deswegen noch einen Doktor anhängen, um endlich mal gründlich alles ausbreiten zu können; die ganzen "ok, das ist skurri- Halt, ich glaube, ich hab da was festgestellt"-Momente mal gnadenlos raushauen. Wie der Typ, der eine meiner Quellen des Definitionsteils stellt. 600 Seiten Wälzer, in einer Randbemerkung erfährt man, dass es sich um die für die Veröffentlichung etwas gekürzte Doktorarbeit handelt, absolute Gnadenlosigkeit im Bewusstsein, gerade einen kompletten Diskurs auf den Kopf zu stellen, und zwar gründlich, stilistisch und gedanklich unüblich und selbstbewusst, weil mans einfach kann.
Hat geklappt, er schwurbelt nämlich nicht nur, sondern hat tatsächlich was auf dem Kasten. Ich stelle mir sein Gehirn vor als einen riesigen Abgrund, aus dem alles mögliche und unmögliche an Wissen aufsteigt, sich in Anfällen spontaner Genialität zusammen findet und dann von ihm aufs Papier geworfen wird.

Der Thekenzwerginmann ist davon überzeugt, dass es sich dabei um eine Vision meiner Zukunft handelt, sofern ich nicht doch Coaching, Human Ressources oder Weltherrschaft anpeile, da sieht er mich ja eigentlich.
Sogar Papa Mayhem glaubt mittlerweile an mich, wenn er auch etwas daran zweifelt, ob man mir wirklich die Weltherrschaft anvertrauen sollte. Aber so ein bisschen Großartigkeit?
" Du bist so einer von den Menschen, die so ein Unikat sind. Die können gar nicht in der Masse untergehen. Die gehen an sich selber unter, oder in die ganz, ganz andere Richtung, so weit, wie man sich das gar nicht vorstellt als Normalbürger."


Ob genial-wahnsinnige oder wahnsinnig geniale Beiträge zur Forschung, Weltherrschaft oder sonstige Späße, damit das klappt, muss es mit der Abschlussarbeit klappen.
Ich pendle also weiter schwungvoll zwischen Krise und der besten aller Welten. Ringe um jede Minute Arbeiten und übe, zu vertrauen.
Mir, meinem Hirn, und der Neigung des nicht vorhandenen Schicksals, zuverlässig zufällig Skurrilitäten und Großartigkeiten zu produzieren.
Quasi Business as usual, nur irgendwie lauter, brutaler und von etwas größerer Tragweite.
Augen auf und durch.