Dienstag, 9. Juli 2019
Krisen durchschiffe ich nicht aus Optimismus, Resilienz oder aufgrund besonderer Begabungen,
sondern aus reinem Trotz und Sturheit.




Sonntag, 7. Juli 2019
Mein Goldkettchenrusse haut schon beim harmlosen Kuscheln raus, dass er "zur Zeit keine feste Beziehung" will - ungeachtet der Tatsache, dass ich so weit noch gar nicht gedacht und eigentlich geplant hatte, ihn einfach kennen zu lernen und zu sehen, wohin sich das entwickeln mag, muss ja nicht alles immer schnellschnell gehen.
Aber hey, wenigstens weiß ich jetzt, was für eine "intelligente, wunderschöne und sensible" Frau ich bin, danke ey, voll nett von dir. Kurwa.

Eine weitere angefragte Therapeutin haut eine weitere Absage raus, meine Gyn auf die Frage, ob man irgendwas dagegen machen kann, dass ich mich 7-10 Tage vor der Menstruation schlimmer fühle als in den letzten drei Lebenskrisen auf einmal, ein "dann nehmen Sie halt die Pille", und die wieder auferstandene Vatersfreundin die These, dass ich Alkoholikerin bin, die letzte Flasche Papas Selbstgebrannter hat nur ein Jahr bei mir überstanden und das ist schließlich ein Shot pro Tag im Schnitt.

Ich habe heute angefangen, mein Zimmer aufzuräumen, Die Spülmaschine und den Mülll gemacht und mich sogar dafür gelobt.

Noch 4 Haus- und eine Bachelorarbeit bis zum Abschluss und der Option, sich ne gesundheitliche Hirnauszeit zu gönnen.
Tippen via Bildschirmtastatur, weil der Laptop gerne das Zeitliche segnen würde, wir uns das aber beide nicht leisten können

in ein paar Tagen kleines Tattoo - gratis, weil die Azubine wen zum Üben braucht. Man muss auch mal Glück haben.

Sie kennen mich, ich komme zurecht.




Sonntag, 23. Juni 2019
Habe eine Dozentin zutiefst "erschüttert" und "entsetzt" (Originalzitate), weil ich "gerade einmal eine Woche und einen Tag vor dem Referat" per Mail in Angesicht absolut beschissener Quellenlage (inklusive nirgends verfügbarem Hauptwerk) nach einem Recherchetipp gefragt habe.
Neben ihrem Entsetzen brachte sie den Hinweis, ich könne das ganz einfach im Buchhandel erwerben an und den, dass ich das Werk auch für maximal eine Stunde von ihr ausleihen könne, um es mir zu scannen, vorausgesetzt, sie habe Zeit.

Ich bin ein unsicherer Teenager im Körper einer Kreuzung aus Amazone, Walküre, Eisriese und Yeti, aber von jedem Scheiß lass ich mich auch nicht mehr fertig machen.
Manchmal habe ich wieder sowas wie einen Selbstwert und ich weiß, wo ich mit mir hin will.

Der Dozentin geantwortet, danke für die Mail, und sorry, dass ich den Kurs hängen lasse, aber dieses Referat wird nicht stattfinden.
Ich möchte ungern anhand der Zeit, die ich zur Vorbereitung benutzt habe, be-/verurteilt werden, hab vor Prüfungssituationen eh schon Angst und jetzt erst recht,dementsprechend sehe ich mich nicht im Stande, das zu machen.
Hinweis angebracht, dass chronische Erkrankungen keine Ausreden sind, aber es bei mir eben einfach nicht immer blütenrein nach Plan klappt und ein entsprechender Nachweis der Uni vorliegt.
Der Dozentin die Irritation gegönnt (das Wort "Entsetzen" habe ich bewusst nicht aufgegriffen) und dabei noch ein wenig Ehrlichkeit; einen Hinweis darauf, wie verletzend es sein kann, wenn aus dem Haufen derjenigen, die kurzfristig-Schreiber sind, genau die Person angegangen wird, die nur wenig dafür kann und die es, durch die Frage nach Unterstützung, zugegeben hat.

Dass ich, Hauptdiskutierende in fast jeder Seminarsitzung und dabei gelegentlich auch Menschen mit abgeschlossenem Masterstudium zerlegend, in keiner einzigen Sitzung das jeweils behandelte Werk auch nur ansatzweise gelesen, gegoogled oder überhaupt irgend etwas vorbereitet hatte, behalte ich für mich und nach ein wenig Weinen, Wimmern und Schreien schmunzle ich über den Humor des Zufalls, der mir diese Dozentin kombiniert mit einem Referat über satirische Blicke auf Akademiker und ihre "weltfremde Verkopfheit" zugewürfelt hat.
Dann beschließe ich, das Seminar zu schmeißen und den Termin lieber zur Aktenbewältigung (mit der Quarterlifecrisis kommt jede Menge Bürokram auf mich zu. Ich hasse und fürchte Bürokram wie sonst weniges) und, wenn ich es schaffe, die Angstblockade zu überwinden, Arbeit an den beiden noch aus dem letzten Semester stammenden Projekten zu nutzen.
Ohne schlechtes Gewissen und ohne mit einer Wimper zu zucken. Ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was ich kann, wenn ich kann, und mein Potenzial und ich, wir paddeln schon so lange im Sumpf um unser Leben, mit Betonklötzen an den Füßen, den Armen und im Kopf, als verdammte Nichtschwimmerin, dass ich für manche Scheiße einfach zu alt bin.

Dann male ich mir ein Gesicht, krame ein Kleid, das die Balance zwischen "schicker Anlass" und "Schlampe" mit Bravour hält,aus dem Schrank, mache mich auf den Weg zu einer Benefizveranstaltung der Chöre und musischen Gruppen in der Stadt, kriege im Bus kurz Panik, weil mein Vater schon wieder zu seiner Jetzt-Wieder-Freundin zurück ist, der arme, verliebte Hund; ziehe den Lidstrich nach und lasse die Schauspielerin von der Leine.

Ein wenig Applaus später sitze ich an der Bar, lasse mir erzählen, wie toll unsere Truppe und wie schade die Tatsache ist, dass ich das bezahlte Angebot seinerzeit abgelehnt habe, um ihr treu zu bleiben;
noch ein wenig später sitze ich, zusammen mit der Chormutti, die mich unter ihre Fittiche genommen hat, denn hey, Bekloppte müssen zusammen halten, auf einem Sofa, das mehr kostet als meine gesamte Inneneinrichtung, bin froh über meine geistesgegenwärtige Entscheidung für Wodka als ein Getränk, das keine sichtbaren Flecken hinterlässt, und gebe ihr TIpps zur Verzögerung oralverkehrsbedingter Nacken- und Kieferschmerzen sowie zur Pflege tropischer Zimmerpflanzen.
Noch etwas später sitzt der Goldkettchenrusse bei uns und wir haben ausgemacht, demnächst mal zusammen feiern zu gehen, weil sein schwuler Kumpel und mein schwuler Kumpel sich süß finden, aber zu schüchtern sind, um den Scheiß selbst zu klären.
Dann reden wir über die Freuden von Pelmeni und Wodka als multifunktionales Reinigungsmittel im Haushalt (und lohnenswerten Zusatz zu Schnittblumenwasser), ich erfahre, in welcher Sportart sein Vater sowjetischer Meister war und dass Sohnemann als einziger männlicher Nachkomme der Familie eigentlich das gleiche hätte machen sollen, sich aber in der Pubertät doch lieber dafür entschieden hat, auch ein Leben neben dem Sport zu haben und jo, jetzt spielt er halt vier Instrumente und studiert.
Er zählt vergangene Meistertitel auf, während wir seine Tabakreste wegqualmen und uns meine Limo teilen, unterbrochen vom Januar-Liebeskummerauslöser, der versucht, mit mir zu reden, aber genau den oberflächlichen Smalltalk bekommt, den er beantragt hat mit seinem ständigen "Ich habe aber Angst, dass du mehr willst" und dem "wenn wir uns kennen lernen, dann will ich aber, dass das von mir aus geht" und besiegelt mit dem "mir wäre es am Liebsten, ich wäre dir egal". Er ist irritiert und verletzt und ich ein unsicherer Teenager im Körper eines Walkürenamazoneneisriesenyetis, aber ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was ich kann, wenn ich kann, und mein Potenzial,mein Selbstwert und ich, wir fahren schon so lange Achterbahn, mit Höhen- und Platzangst, da muss ich nicht noch mehr Loopings mitnehmen, mir ist eh schon schlecht.

Ich erinnere mich an eine Mitpatientin aus der Tagesklinik, die von meinem "Charisma" sprach und an meine Mutter, die trotz Mopsigkeit, schlechter Zähne, mieser Haut, blondgesträhnter Kurzhaar-Dauerwelle und was-auch-immer-ihre-Psyche-so-anstellte-wenn-ihr-Hirn-gerade-Freigang-hatte bis zum mitteschweren Verfallslevel verheiratete und nicht verheiratete Männer so effizient abgeschleppt hat, dass die dachten, sie seien selbst auf diese Idee gekommen.
Dann danke ich ihr für die Vererbung ihrer herausragenden Manipulationsfähigkeiten, mir für einen erstaunlich zuverlässigen moralischen Kompass, meiner extremen Emotionalität dafür, dass ich niemanden verletzen will und davon abgesehen sowieso lieber ich selbst bin, und meiner Sexualität dafür, dass sie Mindestansprüche hat und wir lieber enthalsam bleiben, als Probleme auf andere abzuwälzen und Kompensationsficks zum Sport zu erklären.
Danach schimpfe ich ein wenig mit meiner Mutter und mir dafür, dass ich den Rest meines Lebens aufpassen muss, den Griff nicht zu sehr zu lockern, um nicht wie sie zu werden/enden, und denke mir so, der Goldkettchenrusse ist nicht der einzige, der Meistertitel im Boxen hat.

Abschließend bedanke ich mich bei meiner Geistesgegenwärtigkeit dafür, dass es zumindest aktuell noch nicht so ist, ich immer noch alle Zähne und außerdem wieder fast einen Meter Haupthaar habe, ziehe meinen Lippenstift nach, denn Mama hat gesagt, Lavey hat geschrieben roter Lippenstift ftw, und schleiche mich an gruseligen alten Männern, bei denen ich nicht weiß, ob sie aus unlauteren Motiven stieren und sabbern oder aus Senilität, vorbei; zurück zum auf einmal gar nicht mehr so fröhlich wirkenden Liebeskummerauslöser, den Frischfleisch witternden Hyänen des Frauenchors, die unseren Tisch belegt haben, und zum Goldkettchenrussen, der die betrunkene Elfe neben sich kurzerhand vom Stuhl hebt und auf dem Schoß seines Chorkumpels ablädt, als sie auf mein "Sorry, das ist mein Platz, würdest du bitte auf stehen? Entschuldigung? EY TINDERELLA, ICH REDE MIT DIR!" nicht reagiert. Ich gebe mir ein mentales High Five dafür, nicht einfach das Feld geräumt zu haben, er gibt mir eine Ghettofaust für "Tinderella" und die letzte Kippe, die er aus den Tabakresten noch rausgekriegt hat.
"Krieg ich nochmal Feuer, bitte?"
- "Ja klar, aber als nette Gegenleistung könntest du mich eigentlich auf deine Geburtstagsfeier einladen, die Chormutti meinte vorhin, du hast im Juli?" Stahblaue Augen, so ein Grinsen und die Fähigkeit,mich zu überrumpeln und aus dem Konzept zu bringen. Oh.
"Selbstverständlichst bist du als edler Zigarettenspender zu der Feier, die bis jetzt noch nicht existiert, eingeladen;Abfuckeskalation kann ich aber nicht bieten, mehr als gemütliches Rumsitzen, bisschen was trinken und chilliger Abend ist alleine schon vom Platz her nicht drin, und will ich den Katzen auch nicht zumuten." Und meinen Nerven.
- "Damit komm' ich zurecht."
"Das freut mich. "
-"Das heißt, ich bin eingeladen?"
"Wenn du 'nen Abend ohne absolute Eskalation überstehst und keine Katzenhaarallergie hast?" Wie zum Fick bekomme ich es eigentlich hin, immer noch souverän und selbstbewusst zu reden und dabei auch noch zu lächeln?
- "Ok, Getränke statt Geschenke? Und Pelmeni?"
"Aus Kostengründen keine schlechte Idee."


Manchmal werde ich zu meinem eigenen Vorbild und überrasche mich selbst.






Sonntag, 16. Juni 2019
Eine Informations- und Absolventenanwerbeveranstaltung.
Öffentlichkeitsarbeit, Unternehmenskommunikation, Fachjournalismus.
Traumschwiegersöhne, zierliche Handgelenke mit nicht ganz so zierlichen 600€-Handtaschen, der Quotenrebell in hochgekrempelten Haremshosen und Flipflops, mit zufrieden-verstrahltem Faultiergesicht unter der allwetterfest betonierten chilligen Surfermatte; obligatorisches Buddha-Tattoo (natürlich selbstgestochen, oder zumindest so aussehend) auf der Wade.
Eine mexikanische Bauingenieurin-to-be in zu kleiner Bluse und winzigem Minirock, die jede mögliche und unmögliche Gelegenheit nutzt, um zu betonen, dass sie Bauingenieurin wird.
"11.Semester Bachelor, seit einiger Zeit Praktikantin mit Schwerpunkt Content Management, will mal schauen, was mir der Arbeitsmarkt noch anbieten kann,falls ich doch keinen Bock, bei dem Unternehmen zu bleiben, oder auf 'nen Lehrauftrag am Institut für *obskures Nebenfach* hab."
Ich, Schauspielerin aus Leidenschaft, ganz ok mit Worten und offiziell ernannte Schreib-Maschine in einem Start Up, dessen Chef1 (der mit dem Geld) sich verpisst und Chef2 (der mit dem Hirn) mit offenen Rechnungen, gerade neu eingestellten Mitarbeitern und eben mir allein gelassen hat.
Die begeisterten, marketingliebenden, jung-dynamisch-PR-affinen Young Professionals, die das Unternehmen "soooo spannend, ich bin echt froh, dass ich die Chance habe, hier dabei zu sein!!" finden, waren nach Chef1s Abgang plötzlich nicht mehr so begeistert und durch die Bank so lange krank, wie ihre jeweilige Kündigungsfrist dauert.
Der verbliebene Chef kann mir nicht in die Augen schauen als er mir sagt, ich kann dich nicht bezahlen, deshalb musst du gehen.
"Dann mach ich den Shit bis Ende Juni eben unbezahlt."
Ich, Ausbeuterpraktika hassend und dank Studienkredit immer höher verschuldend, psychisch erkrankt und uniarbeitsblockiert.
Ich, meine Arbeit irgendwie doch ganz geil findend, dank Studienkredit knapp, aber ausreichend über die Runden kommend, und an meinem Grundsatz, keine Projekte mit nach Hause zu nehmen und nicht mehr als 10h/Woche zu arbeiten, festhaltend;
Praktikumsbericht vor mir her schiebend, der mir ganze fünf ECTS-Punkte im Nebenfach einbringt, was in der aktuellen Situation mehr wert ist als jedes Praktikantengehalt.
Ich, einzige verbliebene Texterin; gleichzeitig die Abteilung für Content Management und ihr Kopf; dafür sorgend, dass der verbliebene Chef immerhin nur noch 14-18h pro Tag arbeitet und zahlungsunwillige bis freche Kunden am Telefon zusammenfaltend, wenn seine Frau und kleiner Sohn vorbei kommen, damit der seinen Vater auch mal sieht.
Ich, mit der seit der Grundschule bestehenden, gerne "naiv" genannten Sturheit/fixen Idee, lieber das zu tun, was ich will als das, das mich reich macht.
Ich, ein Drittel eines um's Überleben ringenden Unternehmens, das mir den Glauben an (m)eine gewisse geistige Grundkompetenz und das Vorhandensein (m)eines Schreibtalents zurück gibt; in dem es egal ist, ob ich statt einer Mittagspause lieber alle zwei Stunden unseren Basketball durch's Büro jage, bis ich meine Anspannung in ihren Transportkorb geworfen und das Gedankenrasen müde gespielt habe. Das mich nicht zwingt, feste Zeiten anzugeben, wenn ich eine Phase habe, in der ich gefühlt nur zwei Minuten oder zwei Tage am Stück arbeiten kann, sondern zufrieden ist, wenn ich sage, ab wann ich da bin und ob ich in etwa erraten kann, ob ich 2h schaffe oder mehr.

Ich, gelegentlich mit unserem Übersetzer und früher auch dem Computerkrammensch (bevor er plötzlich zu Beginn seiner vorletzten Arbeitswoche krank wurde und sich auf Mallorca kurieren musste), meistens aber nur mit Mannfüralles-Chef und der Grünlilie, die ich in das Büro, von dem wir nicht wissen, wie lange es noch unseres ist, mitgebracht habe, sitzend; dabei in die Psyche von Zielgruppen eintauchend, von deren Existenz ich nicht mal wusste; dampfend, grübelnd, optimierend und um unser Überleben schreibend.
Meine Loyalität ist nicht kaufbar. Aber wer sie sich verdient hat, dem bleibe ich treu.



Tante Emmas Geburtstag.
Bierbankrunde im Nirgendwo mit ihrem manipulativen, narzisstischen Verlobten, der so alt ist wie mein Vater, so breit wie meine Oma (die, die damals zu adipös war, um eine Krebs-OP zu kriegen), so dumm, dass mir vom Zuhören IQ-Punkte verloren gehen und so deutsch, dass ihn selbst seine Kollegen im örtlichen AFD-Verband zu krass finden.
In den Nebenrollen:

-Tante Emmas Schwester als Stellvertreterin der Eltern, die aufgrund des Verlobten nicht angereist sind;

-der Nachbar, Mähdrescher-Manni (nicht verstehend, warum Tante Emma eine Langzeittherapie für Suchterkrankte macht und darüber sinnierend, dass sie sich das Problem nur einbildet, während er sein Bier, dass er trotz ihres alkoholfreie-Party-Wunsches mitgenommen hat, in sich reinkippt, was ist denn schließlich ein Grillnachmittag ohne Bier?)

-seine Frau, Pissblond-Paula (daran glaubend, dass so eine E-Zigarette viel schädlicher ist als rauchen, weil da ist ja auch Nikotin drin und außerdem ist das was künstliches!);

- der dazugehörige Sohn, zu still und unauffällig, um einen Spitznamen zu bekommen

-Tuning-Tommi, Kumpel des Verlobten, neben seinem Beruf als Automechaniker begabter Psychologe ("Ich versteh ja nich', warum der Sohn vom Tante-Emma-Verlobten jetzt meint, er muss in so ne Klinik. "Depression", dass ich nich' lache. Der hat nur ein Problem, ein Problem hat der nur: der kriegt seinen Arsch nicht hoch und ist einfach faul wie Scheiße, ganz ehrlich. Dem hat seine Mutter immer den Arsch nachgetragen und jetzt, wo er hier wohnt, merkt er mal, dass man auch was arbeiten muss, und das kriegt der nicht hin. Und einsam und depressiv wär ich auch, wenn ich mich immer bloß in meinem Zimmer vergrab' und nich' rausgeh und mit niemandem sprech. Der ist einfach faul, will nix machen und gammelt nur in seinem Zimmer, der ist zu faul und zu dumm, auf Leute zuzugehen und behauptet dann, er kann das nicht. Und seine Mutter ist noch so blöd und glaubt dem das, und holt dem von irgend nem Arzt irgendwelchen Medikamentenscheiß und sagt, ja wenn der Bub in ne Klinik will, soll er das machen. Ich hätte dem ne Schelle gegeben und gesagt, dass er mal was schaffen soll!")

-Rockabilly-Rebecca, im sechsten Monat schwanger, seit fünf Monaten Tuning-Tommis Partnerin (seit drei Monaten Verlobte), nachdem dessen Ehefrau zwangseingeliefert wurde. Raucht trotz Schwangerschaft Zigaretten und deckt ihren Flüssigkeits- sowie Kalorienbedarf ausschließlich über Energy-Drinks, lässt sich von ihrem Verlobten erklären, dass ja heutzutage jeder "bekloppt" ist, wenn man nen Arzt fragt, während sie an frischen Schrunden knibbelt, bis er beruhigend einlenkt und ihr sagt, sie beträfe das ja nicht, sie sei ja geheilt und wenn was ist, dann helfe er ihr da schon raus.
Stellt fest, dass ihr Sohn aus vorheriger Beziehung, sie und ich am gleichen Datum Geburtstag haben (sie ist allerdings vier Jahre jünger als ich) und das ein Zeichen sein muss; erzählt mir von ihrer Klinikkarriere und spricht immer von "wir Borderliner sind so", wenn ich eine meiner Eigenheiten offen lege, seit sie weiß, dass wir vermutlich eine unserer jeweiligen Diagnosen teilen.

- die harte Helga, Mittfünfzigerin, die gerne Kettenbriefe und Bilder mit tiefsinnigen Sprüchen weiter leitet; beinharte und extrem taffe Powerfrau, Vollzeit-Mama aus Leidenschaft (auch, wenn die Kinder nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen), kennt das Leben, die Männer, und sowieso alles.

Weitere Auftritte:
-Friseurunfall-Florian, Sohn des Tante-Emma-Verlobten und Opfer eines modernen Haarschnitts. Saß mit der Familienkatze auf dem Balkon und hat geraucht, bis sein eigentliches Problem und die so einfache Heilung dafür von Tuning-Tommi postuliert wurde.
Öffnet seine Zimmertür schließlich, als ich ihm zusichere, dass ich alleine gekommen bin, um nach ihm zu sehen,und schlicht weil ich wissen will, wie es ihm geht; dass ich nicht so denke wie Tuning-Tommi, ihn weder anschreien, noch auslachen werde; meine vergangenen Zimmer unter Garantie ranziger aussahen, als es seines tut ("Ehrlich Florian, und das ist nicht übertrieben: als meine Mum noch gelebt hat, sah's aus wie bei so RTL-Messis, und einmal, als ich meine erste eigene Wohnung ausgeräumt hab, hatte ich danach sieben Müllsäcke voll und genug Pfandgeld für'n Wocheneinkauf"); und dass ich, wenn er es möchte, wieder gehe oder alternativ bei ihm warte, bis seine Mutter da ist und ihn abholt.

-Dauerwellen-Dora, Exfrau des Tante-Emma-Verlobten und Mutter von Friseurunfall-Florian.
Zofft sich nach ihrer Ankunft lautstark mit ihrem früheren Gatten, dem sich einmischenden Tuning-Tommi und dem Fachexperten für alles,Mähdrescher-Manni, weil sie als Mutter ja wohl am Besten wisse, was ihr "kleiner Junge" braucht, und der Rest der Welt sich einen Dreck um ihn scheren täte. Informiert nebenher Tante Emma darüber, dass sie vollkommen krank im Kopf sein müsse, sich freiwillig mit den Arschlöchern hier abzugeben und das größte davon auch noch heiraten zu wollen; empfiehlt ihr, möglichst weit und möglichst schnell zu fliehen.
Ist etwas irritiert, als sie das Zimmer ihres Achtzehnjährigen betritt und ihn auf seinem Bett liegend, luftabdrückend eng an eine neben ihm liegende junge Frau geklammert, die zwar Mitte zwanzig ist, aber eher wie Anfang dreißig aussieht, findet. Entspannt sich etwas, als sie,feststellt, dass alle Beteiligten auch unter den Decken (Decke1: Bettdecke; Decke2: mein glorioses Haupthaar) vollständig bekleidet sind, und als ich ihr, hoffentlich glaubhaft, versichere, dass ich weder eine Entjungferung durchgeführt, noch geplant habe.
Fragt, ob ich die "asoziale, verrückte Tätowierte" bin, von der ihr Exmann berichtete; kommt nach Bestätigung dieser Aussage zu dem Ergebnis, dass ich dann ja kein schlechter Mensch sein könne.

Requisiten (Auswahl):
- Überdimensionierte Sporttasche und Rucksack: Beinhalten die für den Klinikaufenthalt benötigte Ausstattung Florians und werden von Dauerwellen-Dora zum Auto getragen, gleich, nachdem sie den darin versteckten Zigarettenvorrat gefunden, in einen Mülbeutel gepackt und sich unter den Arm geklemmt hat ("jetzt fang nicht auch noch mit der Scheiße an, Florian!")

- Bandshirt, nach wie vor am Oberkörper der Protagonistin angebracht und nassgeweint von Florian

- Bukowski-Postkarte, auf deren Rückseite ich meine Lieblingszitate geschrieben und sie als Lesezeichen genutzt hatte; in Florians Jackentasche gesteckt, weil er gesagt hat, dass er die Zitate mag und weil niemand gezwungen sein sollte, einen Weltuntergang ohne Literatur zu bestreiten.