Samstag, 27. Juli 2019
sitze ich gerade an eben diesem so gut wie noch nicht eingerichteten Laptop mit bisher nur rudimentärer Programmausstattung, tippe wieder beinahe auf Standardgeschwindigkeit, und habe fast vier Stunden an meiner Hausarbeit geschrieben wie ein junger Gott flow-geleiteter, normalenergetischer und vielleicht sogar motivierter Student das so tut.

Sie sind zwar nur noch halb so lang wie früher, aber: ich kann wieder Nacht-, beziehungsweise jetzt eher Spät-Schreibschichten.

Ich kann wieder denken.
Ich kann wieder wissenschaftlich schreiben.
Ich bin wieder überzeugt - von meinen Textdiagnosen, meinem gewählten Autor, und meinen Fähigkeiten als fucking Germanistin.

Mag es auch eine Momentaufnahme sein, ein Berg an Unwahrscheinlichkeiten vor mir liegen und ich jeden Tag tausend Tode sterben im Kampf um's Vorankommen und vor Allem mein eigenes Gehirn:

Ich kann's noch.
Es bleiben vier Tage bis zur Abgabe und der Beurteilung, ob ich absolute Genialität oder absoluten Bullshit abgeliefert habe, und in der Konsequenz, ob ich einen Betreuer für meine Abschlussarbeit und die Erlaubnis , an meinem Autor, mit dann von mir angepasstem Schwerpunkt, weiter zu arbeiten.

Ich bin kurz vor Zusammenbruch, Hoffnungslosigkeit, der Notwendigkeit einer kompletten ausbildungstechnischen Neuorientierung, habe mein Versprechen an mich selbst, nie wieder so mopsig auf mein Festival zu fahren, nachhaltig gebrochen, den idealen Partner gefunden und aus absolutem Mangel an Gefühlen meinerseits abgewiesen,
brauch' endlich 'ne Krone auf meinem Zahn, Therapeut/in und vielleicht ein paar kleine bis mittelgroße Wunder-
aber vielleicht bau ich die selbst (die Wunder, nicht die Zahnkrone).
Irgendwer muss ja, und der ganze anstrengende Schicksalsscheiß bleibt irgendwie eh dauernd an mir hängen (und wie mich das manchmal nervt!).




Eigentlich hielt ich bereits den Umstand, zwischenzeitlich an einen geliehenen Mac für die Bearbeitung meiner Projekte zu müssen, für maximale Computer-Tortur.

Dann hat mir der Postmensch meinen neuen Gebrauchten überreicht, den ich freudig auspackte, hochgefahren und geladen habe, und schließlich so weit eingerichtet, dass ich meinen Unischeiß machen kann, und ich verkünde hiermit feierlich:

ICH HASSE WINDOWS 10! Seine beschissene Benutzeroberfläche, die ausgesuchte Dreistigkeit, durch Frechheiten wie Edge/Internet Explorer und diesen vermalledeiten Appstore Speicherplatz mit unnötigem, hässlichen, nicht deinstallierbarem Dreck zuzumüllen, und die Tatsache, dass mich das so arg aufregt, dass ich vor lauter Anspannung komplett blockiert bin.

Mag ich auch der einzige Mensch auf der Welt sein, der so fühlt: Ich vermisse Windows XP, und werde es vermutlich immer vermissen.


Es grüßt, nostalgisch-grantig und so wenigstens kurz mal nicht in der Prüfungsangst und Weltuntergangsgewissheit versinkend,
Frau Mayhem.
Immerhin wieder mit halbwegs zuverlässiger Tastatur- und Akkuleistung und einem Laptop, der gefühlt halb so groß ist wie der alte, dafür aber vermutlich doppelt so stabil.




Dienstag, 9. Juli 2019
Krisen durchschiffe ich nicht aus Optimismus, Resilienz oder aufgrund besonderer Begabungen,
sondern aus reinem Trotz und Sturheit.




Sonntag, 7. Juli 2019
Mein Goldkettchenrusse haut schon beim harmlosen Kuscheln raus, dass er "zur Zeit keine feste Beziehung" will - ungeachtet der Tatsache, dass ich so weit noch gar nicht gedacht und eigentlich geplant hatte, ihn einfach kennen zu lernen und zu sehen, wohin sich das entwickeln mag, muss ja nicht alles immer schnellschnell gehen.
Aber hey, wenigstens weiß ich jetzt, was für eine "intelligente, wunderschöne und sensible" Frau ich bin, danke ey, voll nett von dir. Kurwa.

Eine weitere angefragte Therapeutin haut eine weitere Absage raus, meine Gyn auf die Frage, ob man irgendwas dagegen machen kann, dass ich mich 7-10 Tage vor der Menstruation schlimmer fühle als in den letzten drei Lebenskrisen auf einmal, ein "dann nehmen Sie halt die Pille", und die wieder auferstandene Vatersfreundin die These, dass ich Alkoholikerin bin, die letzte Flasche Papas Selbstgebrannter hat nur ein Jahr bei mir überstanden und das ist schließlich ein Shot pro Tag im Schnitt.

Ich habe heute angefangen, mein Zimmer aufzuräumen, Die Spülmaschine und den Mülll gemacht und mich sogar dafür gelobt.

Noch 4 Haus- und eine Bachelorarbeit bis zum Abschluss und der Option, sich ne gesundheitliche Hirnauszeit zu gönnen.
Tippen via Bildschirmtastatur, weil der Laptop gerne das Zeitliche segnen würde, wir uns das aber beide nicht leisten können

in ein paar Tagen kleines Tattoo - gratis, weil die Azubine wen zum Üben braucht. Man muss auch mal Glück haben.

Sie kennen mich, ich komme zurecht.




Sonntag, 23. Juni 2019
Habe eine Dozentin zutiefst "erschüttert" und "entsetzt" (Originalzitate), weil ich "gerade einmal eine Woche und einen Tag vor dem Referat" per Mail in Angesicht absolut beschissener Quellenlage (inklusive nirgends verfügbarem Hauptwerk) nach einem Recherchetipp gefragt habe.
Neben ihrem Entsetzen brachte sie den Hinweis, ich könne das ganz einfach im Buchhandel erwerben an und den, dass ich das Werk auch für maximal eine Stunde von ihr ausleihen könne, um es mir zu scannen, vorausgesetzt, sie habe Zeit.

Ich bin ein unsicherer Teenager im Körper einer Kreuzung aus Amazone, Walküre, Eisriese und Yeti, aber von jedem Scheiß lass ich mich auch nicht mehr fertig machen.
Manchmal habe ich wieder sowas wie einen Selbstwert und ich weiß, wo ich mit mir hin will.

Der Dozentin geantwortet, danke für die Mail, und sorry, dass ich den Kurs hängen lasse, aber dieses Referat wird nicht stattfinden.
Ich möchte ungern anhand der Zeit, die ich zur Vorbereitung benutzt habe, be-/verurteilt werden, hab vor Prüfungssituationen eh schon Angst und jetzt erst recht,dementsprechend sehe ich mich nicht im Stande, das zu machen.
Hinweis angebracht, dass chronische Erkrankungen keine Ausreden sind, aber es bei mir eben einfach nicht immer blütenrein nach Plan klappt und ein entsprechender Nachweis der Uni vorliegt.
Der Dozentin die Irritation gegönnt (das Wort "Entsetzen" habe ich bewusst nicht aufgegriffen) und dabei noch ein wenig Ehrlichkeit; einen Hinweis darauf, wie verletzend es sein kann, wenn aus dem Haufen derjenigen, die kurzfristig-Schreiber sind, genau die Person angegangen wird, die nur wenig dafür kann und die es, durch die Frage nach Unterstützung, zugegeben hat.

Dass ich, Hauptdiskutierende in fast jeder Seminarsitzung und dabei gelegentlich auch Menschen mit abgeschlossenem Masterstudium zerlegend, in keiner einzigen Sitzung das jeweils behandelte Werk auch nur ansatzweise gelesen, gegoogled oder überhaupt irgend etwas vorbereitet hatte, behalte ich für mich und nach ein wenig Weinen, Wimmern und Schreien schmunzle ich über den Humor des Zufalls, der mir diese Dozentin kombiniert mit einem Referat über satirische Blicke auf Akademiker und ihre "weltfremde Verkopfheit" zugewürfelt hat.
Dann beschließe ich, das Seminar zu schmeißen und den Termin lieber zur Aktenbewältigung (mit der Quarterlifecrisis kommt jede Menge Bürokram auf mich zu. Ich hasse und fürchte Bürokram wie sonst weniges) und, wenn ich es schaffe, die Angstblockade zu überwinden, Arbeit an den beiden noch aus dem letzten Semester stammenden Projekten zu nutzen.
Ohne schlechtes Gewissen und ohne mit einer Wimper zu zucken. Ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was ich kann, wenn ich kann, und mein Potenzial und ich, wir paddeln schon so lange im Sumpf um unser Leben, mit Betonklötzen an den Füßen, den Armen und im Kopf, als verdammte Nichtschwimmerin, dass ich für manche Scheiße einfach zu alt bin.

Dann male ich mir ein Gesicht, krame ein Kleid, das die Balance zwischen "schicker Anlass" und "Schlampe" mit Bravour hält,aus dem Schrank, mache mich auf den Weg zu einer Benefizveranstaltung der Chöre und musischen Gruppen in der Stadt, kriege im Bus kurz Panik, weil mein Vater schon wieder zu seiner Jetzt-Wieder-Freundin zurück ist, der arme, verliebte Hund; ziehe den Lidstrich nach und lasse die Schauspielerin von der Leine.

Ein wenig Applaus später sitze ich an der Bar, lasse mir erzählen, wie toll unsere Truppe und wie schade die Tatsache ist, dass ich das bezahlte Angebot seinerzeit abgelehnt habe, um ihr treu zu bleiben;
noch ein wenig später sitze ich, zusammen mit der Chormutti, die mich unter ihre Fittiche genommen hat, denn hey, Bekloppte müssen zusammen halten, auf einem Sofa, das mehr kostet als meine gesamte Inneneinrichtung, bin froh über meine geistesgegenwärtige Entscheidung für Wodka als ein Getränk, das keine sichtbaren Flecken hinterlässt, und gebe ihr TIpps zur Verzögerung oralverkehrsbedingter Nacken- und Kieferschmerzen sowie zur Pflege tropischer Zimmerpflanzen.
Noch etwas später sitzt der Goldkettchenrusse bei uns und wir haben ausgemacht, demnächst mal zusammen feiern zu gehen, weil sein schwuler Kumpel und mein schwuler Kumpel sich süß finden, aber zu schüchtern sind, um den Scheiß selbst zu klären.
Dann reden wir über die Freuden von Pelmeni und Wodka als multifunktionales Reinigungsmittel im Haushalt (und lohnenswerten Zusatz zu Schnittblumenwasser), ich erfahre, in welcher Sportart sein Vater sowjetischer Meister war und dass Sohnemann als einziger männlicher Nachkomme der Familie eigentlich das gleiche hätte machen sollen, sich aber in der Pubertät doch lieber dafür entschieden hat, auch ein Leben neben dem Sport zu haben und jo, jetzt spielt er halt vier Instrumente und studiert.
Er zählt vergangene Meistertitel auf, während wir seine Tabakreste wegqualmen und uns meine Limo teilen, unterbrochen vom Januar-Liebeskummerauslöser, der versucht, mit mir zu reden, aber genau den oberflächlichen Smalltalk bekommt, den er beantragt hat mit seinem ständigen "Ich habe aber Angst, dass du mehr willst" und dem "wenn wir uns kennen lernen, dann will ich aber, dass das von mir aus geht" und besiegelt mit dem "mir wäre es am Liebsten, ich wäre dir egal". Er ist irritiert und verletzt und ich ein unsicherer Teenager im Körper eines Walkürenamazoneneisriesenyetis, aber ich weiß, wer ich bin, ich weiß, was ich kann, wenn ich kann, und mein Potenzial,mein Selbstwert und ich, wir fahren schon so lange Achterbahn, mit Höhen- und Platzangst, da muss ich nicht noch mehr Loopings mitnehmen, mir ist eh schon schlecht.

Ich erinnere mich an eine Mitpatientin aus der Tagesklinik, die von meinem "Charisma" sprach und an meine Mutter, die trotz Mopsigkeit, schlechter Zähne, mieser Haut, blondgesträhnter Kurzhaar-Dauerwelle und was-auch-immer-ihre-Psyche-so-anstellte-wenn-ihr-Hirn-gerade-Freigang-hatte bis zum mitteschweren Verfallslevel verheiratete und nicht verheiratete Männer so effizient abgeschleppt hat, dass die dachten, sie seien selbst auf diese Idee gekommen.
Dann danke ich ihr für die Vererbung ihrer herausragenden Manipulationsfähigkeiten, mir für einen erstaunlich zuverlässigen moralischen Kompass, meiner extremen Emotionalität dafür, dass ich niemanden verletzen will und davon abgesehen sowieso lieber ich selbst bin, und meiner Sexualität dafür, dass sie Mindestansprüche hat und wir lieber enthalsam bleiben, als Probleme auf andere abzuwälzen und Kompensationsficks zum Sport zu erklären.
Danach schimpfe ich ein wenig mit meiner Mutter und mir dafür, dass ich den Rest meines Lebens aufpassen muss, den Griff nicht zu sehr zu lockern, um nicht wie sie zu werden/enden, und denke mir so, der Goldkettchenrusse ist nicht der einzige, der Meistertitel im Boxen hat.

Abschließend bedanke ich mich bei meiner Geistesgegenwärtigkeit dafür, dass es zumindest aktuell noch nicht so ist, ich immer noch alle Zähne und außerdem wieder fast einen Meter Haupthaar habe, ziehe meinen Lippenstift nach, denn Mama hat gesagt, Lavey hat geschrieben roter Lippenstift ftw, und schleiche mich an gruseligen alten Männern, bei denen ich nicht weiß, ob sie aus unlauteren Motiven stieren und sabbern oder aus Senilität, vorbei; zurück zum auf einmal gar nicht mehr so fröhlich wirkenden Liebeskummerauslöser, den Frischfleisch witternden Hyänen des Frauenchors, die unseren Tisch belegt haben, und zum Goldkettchenrussen, der die betrunkene Elfe neben sich kurzerhand vom Stuhl hebt und auf dem Schoß seines Chorkumpels ablädt, als sie auf mein "Sorry, das ist mein Platz, würdest du bitte auf stehen? Entschuldigung? EY TINDERELLA, ICH REDE MIT DIR!" nicht reagiert. Ich gebe mir ein mentales High Five dafür, nicht einfach das Feld geräumt zu haben, er gibt mir eine Ghettofaust für "Tinderella" und die letzte Kippe, die er aus den Tabakresten noch rausgekriegt hat.
"Krieg ich nochmal Feuer, bitte?"
- "Ja klar, aber als nette Gegenleistung könntest du mich eigentlich auf deine Geburtstagsfeier einladen, die Chormutti meinte vorhin, du hast im Juli?" Stahblaue Augen, so ein Grinsen und die Fähigkeit,mich zu überrumpeln und aus dem Konzept zu bringen. Oh.
"Selbstverständlichst bist du als edler Zigarettenspender zu der Feier, die bis jetzt noch nicht existiert, eingeladen;Abfuckeskalation kann ich aber nicht bieten, mehr als gemütliches Rumsitzen, bisschen was trinken und chilliger Abend ist alleine schon vom Platz her nicht drin, und will ich den Katzen auch nicht zumuten." Und meinen Nerven.
- "Damit komm' ich zurecht."
"Das freut mich. "
-"Das heißt, ich bin eingeladen?"
"Wenn du 'nen Abend ohne absolute Eskalation überstehst und keine Katzenhaarallergie hast?" Wie zum Fick bekomme ich es eigentlich hin, immer noch souverän und selbstbewusst zu reden und dabei auch noch zu lächeln?
- "Ok, Getränke statt Geschenke? Und Pelmeni?"
"Aus Kostengründen keine schlechte Idee."


Manchmal werde ich zu meinem eigenen Vorbild und überrasche mich selbst.