Im Radio läuft Def Leppards Bringing on the Heartbreak , während ich in der viel zu sauberen Kantine eines Rotkreuzhauses zusammen mit 30 Kindern, die maximal im Grundschulalter sind, 2 zugekifften Berufsrotkreuzlern und meiner Mitsanitäterin an einem Tisch sitze und die Einzige bin, die nur Schulsani und nicht einmal in einer Bereitschaft ist.
Mitsanitäterin erzählt irgendwas von irgendwem, der angeblich noch später kommt, während meine eine Hirnhälfte Radio hört und die andere sich mit, wer hätte es gedacht, dem 6-Jahres-Problem und der Tatsache, dass er heute todsicher dorthin geht, wo ich nicht hinkann, weil ich keine Heimfahrtgelegenheit habe,und dort..beschäftigt sein wird, beschäftigt. Vielleicht besser so, muss ich mir das ganze wenigstens nicht anschauen, sondern drehe nur die ganze Zeit mittelleicht am Rad.

Samstags ist keiner in der Kantine, wird uns erklärt, darum kocht dann ein Mitrotkreuzler, der aber gerade noch einkauft.
.Erstmal Tee holen. Kinderschlange zu lang, bei Mitsanitäterin schnorren.
Irgendein Vanilleirgendwastee, viel zu süß. An und für sich ist das nicht so schlimm, bis ich auf die Idee gekommen bin, dass es ja auch Leute geben soll, die ihren Tee, wenn sie ihn schon süßen müssen, mit Honig oder schlimmer, Zucker mischen. Jetzt ists allerdings zu spät, halbe Tasse leer.
"Du sag mal, dein Vater hat den Tee aber echt ziemlich gesüßt." Ja, ihr Vater hat ihr eine Thermoskanne Tee gemacht. Warum? Einfach so. Mein Vater erlaubt mir nichtmal, dass ich meine Zimmertür wieder einhänge, und ihrer macht ihr Tee, wenn sie zu einer Fortbildung geht.
"Is immer so. Der haut da immer sauviel Zucker rein; aber dann schmeckt der Tee wenigstens gut, ich brauch des einfach."
Sauviel Zucker. Ganz klasse. Passt ideal zur heute schon gegessenen Pizza. Kantinenessen fällt definitiv aus und ich steige nach meiner Tasse Vanilleirgendwastee mit geschätzten 2Pfund Zucker auf den ungesüßten Früchtetee, der für alle bereit steht, um.
Irgendwann spüre ich einen Luftzug im Rücken, anscheinend ist jemand hereingekommen, als ich mich umdrehe, sehe ich aber nur jemanden in der Küche verschwinden, aus der gut 20 Minuten später ein Kopf auftaucht, und in die Runde fragt:"Hamma hier Vegetarier?". Ich bin die einzige die sich meldet. "Gut dann koch ich dir was extra." Der Kopf trägt Dreads, und es ist nicht irgendein bedreadeter Kopf, sondern der, der zu "Mimimimischi" alias dem Bedreadeten gehört. "Danke, ich hab keinen Hunger. Das war mehr sone Reflexmeldung."
-"Und ob du Hunger hast, du hast dich den ganzen Tag mit den Kindern rumgeschlagen und bist fortgebildet worden und musst nachher praktische Übungen machen."
"Nein, hab ich nicht. Ist schon in Ordnung."
-"Ich koch nicht nur wegen dir vegetarisch, falls es das is; Ich ess auch kein Fleisch."
"Ich will echt nichts."
Grummeln, er verschwindet wieder in der Küche und die Kinder um mich rum sehen mich verwirrt an.
"Wieso willst du nix essen?"
"Hab schon viel gegessen und sonst werd ich ganz dick und dann kann ich nicht mehr laufen, sondern nur noch rollen." Was ja eigentlich jetzt schon der Fall ist, das dicksein.
Kind lacht, Mission erfüllt.
Nächstes Kind will beschäftigt werden, und ich finde mich in einem Halbkreis aus Minimenschen wieder, denen ich spontan improvisierte Geschichten erzähle, in denen die Prinzessin den Prinz retten muss, in denen alles gut wird und am Schluss alle heiraten und furchtbar glücklich in einem Haus mit Veranda, Hollywoodschaukel und Katzen leben, und die ganzen strahlenden Kinderaugen um mich herum haben mich genauso..traurig (?) gestimmt wie die Geschichten, die ich erzählt habe.
Meine allgemeine Traurigkeit wird unterbrochen durch den Bedreadeten, der mit einem "Du isst das jetzt" schwungvoll einen überladenen Teller Nudeln mit Käsesahnesauce vor mir auf den Tisch knallt.
Langsam, aber sicher wird freundlich bleiben schwierig.
"Ich finde es ja schön, dass du dich so um mich kümmerst, aber ich habe keinen Hunger, sondern Magenschmerzen, heute sowieso schon extrem viel gegessen und überhaupt, was fällt dir eigentlich ein?"
Irgendwas falsches muss ich gesagt haben, da ist ein Ansatz von Gefühlen in seinem Gesicht, und passend dazu stimmt irgendeine Sängerin einer Grungeband ein melancholisches Machwerk an. Themawechsel, sofort.
"Was ist das eigentlich für ein Sender?"
Er steht immernoch mit dem Teller in der Hand da, wirkt verwirrt, versteht dann aber.
-"Delta Radio, Grunge Stream. Isn Websender, ich lass die Musik ja übern Laptop laufen, der war eh wegen der Präsentation da."
Uh, ich bin doch nicht die einzige, die Internetradio hört.
"Is nichtmal schlecht."
-"Du kennst doch sowieso die Bands nicht."
"Richtig. Aber darum gehts ja auch nicht, im Moment zumindest."
-"Worum gehts denn dann?"
"Um die Musik an sich. So wie eigentlich immer, zumindest theoretisch und in Idealvorstellungen."
-"Schlau gesagt. Vielleicht biste doch keine blöde Emotusse. Trotzdem isst du jetzt."
"Vielleicht bist du doch kein atzenhörendes, pubertierendes, hormon-und schwanzgesteuertes, möchtegernmännliches..Wesen. Aber du machst grad alle Sympathiepunkte wieder zunichte.Wieso ist dir das mit dem Essen eigentlich so wichtig?"
-"Meine inzwischen Exfreundin sitzt in der Klinik wegen genau so einem Verhalten, und du siehst ihr einfach verdammt ähnlich, also vom Gesicht her und vom Stil und alles." Ach du scheiße. "Vermutlich hab ich überreagiert, einfach.. du mussts nicht essen, wenn du nicht willst."
"Ich ess ja. Aber nur wenn du dich hersetzt und auch was isst."
Was mache ich da eigentlich?
-"Weil dus bist, Süße."
Der hat sich ja schnell wieder gefangen.
"Wenn du mich noch einmal Süße nennst, bist du kastriert."
-"Geht klar, Süße."
Idiot.
So wichtig ist die inzwischen Exfreundin anscheinend doch nicht.
Nach schweigend verbrachten 15 Minuten, in denen ich mir Essen aufzwang, um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, und vergeblich versuchte, den Kindern um mich herum oder meiner Mitsanitäterin neben mir einen Teil von meiner Portion abzugeben, kommt der Abschluss der Fortbildung, der gleichzeitig der schlimmste Teil ist, die gemeinschaftsfördernden Gruppenübungen. Schon scheiße, wenn einem da alles beigebracht wird, für jede Situation, auch sowas.
Noch scheißerer, wenn man Zweiergruppen bilden muss und einen die Mitgitarristin im Stich lässt, weil sie mit dem Bedreadeten eine Gruppe bilden möchte. Also schnappe ich mir den kleinen Asiaten, mit dem keiner Gruppe sein will und habe einen Übungspartner, der 4 Jahre alt und geschätze 1,30m kleiner ist als ich und den ich in der letzten Übung durch den Raum führen muss, während er die Augen zu hat. Sinn der Übung? "Lernen, sich auf andere zu verlassen." Nach Runde eins eine Predigt der Übungsleiterin, und auf einmal steht der Bedreadete mit Mitsanitäterin neben mir. -"Süße, wir tauschen Partner. Müssten für die Übung ja mehr auf einer Höhe sein."
"Du nimmst meinen Asiaten und ich krieg sie?"
-"Nee, sie kriegt den Asiaten und ich nehm dich."
"Hättste gern."
"Ja."

Da er in der ersten Runde meine inzwischen beleidigte Mitsanitäterin geführt hat, ist ganz klar er derjenige, der die Augen zumachen muss. Das selbe Argument führt er allerdings auch dafür an, dass ich eigentlich geführt werden müsste. Fünfminütige Diskussion, in deren Verlauf ich erfolglos meine großkotzige Seite raushängen lasse.-"Du kannst scheiße tun so lang du willst, is mir egal. Du bist dran mit geführt werrden und ende."
"Vertraust du mir nicht oder wie?"
-"Ich vertrau Mädchen prinzipiell nicht mehr."
Gruppenleiterin hat sich unauffällig angenähert, krallt ihre Hand in meine Schulter, schiebt mich in seine Richtung und sagt:".., DU WIRST geführt. Und die Augen bleiben zu, verstanden?Setzt ihr euch jetzt endlich mal in Bewegung?"
-"Haha."
Also laufe ich mit zur Sicherheit sogar verbundenen Augen, weil sie mir nicht traut, an der Hand des bedreadeten Mimimimischi, der anscheinend auch Rotkreuzmensch ist und Kochen kann und eine essgestörte Exfreundin hat, orientierungslos durch einen Raum, werde zwischendurch etwas unsanft hin und her geschoben, um nicht irgendwelche Kinder umzuwerfen, und fühle mich alles in allem ziemlich hilflos, wozu dann auch noch mittelschwere Panik kommt, weshalb ich beschließe, in die Richtung zu laufen, in der ich den Ausgang vermute.
"Süße du bleibst mal da."
Hände um meine Taille sind prinzipiell immer eine Rechtfertigung, zuzuschlagen. Kann den Reflex aber unterdrücken, zerre mir nur das gottgefickte Band vom Kopf und drück es ihm in die Hand.
"Ich geh raus, meine Magenschmerzen habens nicht gerade vertragen, dass ich was essen musste, außerdem kotzen mich solche scheiß Übungen an und dass du mich dauernd Süße nennst sowieso."
-"Du hastn Problem mit Nähe, kann das sein?"
Bäm, in die Fresse.
"Selbst wenn, dir kanns egal sein."
Einfach rausgehen.
Atmen.
Einfach weiteratmen.
Panik runterwürgen, Hilflosigkeit runterwürgen, Wut runterwürgen.
Gott.
Was will der eigentlich?
Ich meine, schon genug, dass er wegen meinem Ausraster und dem Maurer weiß, was mit meiner Mutter ist, aber wieso laufe ich ihm wieder über den Weg, und wieso erzählt er mir von seiner Ex und verhält sich mit gegenüber so scheiße.
Arschloch.
Im Schnee um mich herum sind Katzenfußspuren zu sehen.
Da sich wieder reingehen sowieso nicht lohnt, folge ich ihnen und stehe schließlich vor einem Holzverschlag, aus dem nach längerem Locken eine rotgetigerte Katze herauskommt und sich streicheln lässt. Wenigstens auf Katzen ist Verlass. Mögen mich immer, reden nicht so viel Mist und sind im Normalfall (meine ist eine Ausnahme) gute Zuhörer.
Die Katzenidylle wird durch Zigarettenrauch gestört, der vom Bedreadeten kommt. Anscheinend ist der auch irgendwann raus, jedenfalls lehnt er sich an das Treppengeländer hinter mir und raucht so vor sich hin.
"Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?"
-"Rauchen wird man ja wohl noch dürfen. Außerdem kenn ich die Katze persönlich."
"Das arme Tier."
Die Katze scheint nicht zu wissen, wer gut und wer schlecht ist, jedenfalls dackelt sie wie auf Knopfdruck zum Bedreadeten. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr hinterherzulaufen, alleine in meiner Schneeecke beim Verschlag rumstehen ohne Grund ist auch doof.

Haben schweigend rumgestanden, er rauchend, ich guckend, beide abwechselnd katzestreichelnd, bis meine Mitfahrgelegenheit und alle anderen so langsam aus der Tür rauströpfelten und ich heimmusste.
Bin wortlos weg, ohne mich umzudrehen. Als wir nach einem fast schon abenteuerlichen Wendemanöver noch einmal vorbeigefahren sind, stand er noch immer an der selben Stelle, die Kippe im Mundwinkel und die Katze auf dem Arm.





sanoff, Sonntag, 28. November 2010, 22:16
Hey ich würd mal glatt sagn der Typ steht auf dich ;)
Sonst würd er dir niemals so "hinterher dackln" I.wie is des aber süß von ihm, er gibt sich da voll die Mühe mit dir zu redn und so obwohl du eiskalt bist :)