Und auf einmal ist sie doch da, die Feindin, eingepackt in drei Schals, mit Mütze auf dem Kopf, Taschentuchbox in der Handtasche und Freund am Arm steht sie hinter mir, als die erste Band abbaut, nimmt mich in die Arme, strahlt mich an und sagt, sie kann mich doch nicht einfach alleine lassen.
Dann fügt sie hinzu, dass sich die drei Paracetamol, die sie intus hat, vermutlich nicht mit ihrem zweiten Malibu-Kirsch vertragen und deutet dabei auf das fast leere Glas, das sie in der freien Hand hält.
Als ich offensichtlich sehr besorgt dreinblicke, lacht sie kurz, drückt mich dann nochmal und sagt, ach Maus, du bist schon super.
Habt ihr das gehört, ich bin super. Jawohl.
So sieht das übrigens auch Faust, der keine fünf Minuten später eintrifft, im Schlepptau, oh wunder, die alte Sache, dessen Freundin, die Altesacheschwester, den Kumpel mit der weiblichen Seite und dessen Hasischatzi. Volles Programm, und irgendwie ist es ja doch doof, wenn jeder auf dem Schoß/im Arm von irgendwem hängt und man selbst..naja, irgendwie nicht so.
Faust schien das auch so zu sehen und ließ mich die meiste Zeit nicht aus den Augen, außer,wenn der Rauch der Nebelmaschine mal wieder so dicht war, dass weder Atmen noch Gucken drin war.
Yes, Nebelmaschine. Nachdem die erste Grindcoreband abgerückt war enterte nämlich eine selbsternannte Elektrometalband die Bühne und unterstützte so ziemlich alles, was sie spielte, mit dramatischen Nebelwolken.
War eigentlich nicht mal schlecht, das Elektrometalzeugs,aber leider auch nicht gut,was auch der Nebel nicht wieder wettmachte, und so nutzte ich die Zeit, die ich mit solidarischem Mitwippen verbrachte (Hey, eine halbwegs lokale Band gegen die ganzen anderen, da muss man vorne stehen), um über den ganzen Ubootfunk und das Gestampfe mal in mich reinzuhören. Ob da irgendwo Schmerzen sind.
Da waren keine.
Mein Knie tat weh, aber Beinwechsel war nicht drin, man hat beim bangen und den Vorstufen ein Standbein und ein anderes,ein Wechsel hätte meine Koordination überlastet.
Aber sonst? Nichts. Blick zur alten Sache,der gerade wieder sehr pärchenhaft Pärchen ist.
Melancholie. Ja,so heißt das Gefühl.
Melancholie ist es, was ich empfinde, wenn ich es sehe, die beiden, traurige Melancholie. Ich sollte doch an ihrer Stelle sein.. Aber Schmerz? Nein. Nicht jetzt, nicht heute, vielleicht garnicht.
Und wer sagt, dass ich an ihrer Stelle sein sollte? Wer, außer mein Wunschdenken? Also.
Und was hat mein Wunschdenken der Realität schon zu sagen... garnichts, die hört mein Wunschdenken vielleicht mal kurz an, und dann lacht sie es aus und rotzt ihm vor die Füße.
Etwas zieht an meinem Zopf; es ist die Hand der alten Sache, als ich mich umdrehe, ist da sein Gesicht vor meinem, so vertraut, so wie damals, und er versucht wieder behämmert zu smalltalken, aber stellt sich wieder so doof an wie immer und ich kann deswegen nichts antworten, und in meinem Kopf stehen wir wieder nebeneinander vor der Bühne, hier, wo wir jetzt sind, nur auf der anderen Raumseite, und die Band auf der Bühne ist in meinem Kopf eine ganz andere und sie covert " Auf Gute Freunde" von den Onkelz.
Ich lächle in an, um zu zeigen, dass der Smalltalkversuch zwar missglückt ist, ich ihn aber trotzdem nicht hasse, und er lächelt zurück, wird aber dann gleich wieder von seiner Freundin beschlagnahmt, und im nächsten Moment sehe ich ihn fast nicht mehr,obwohl er so physisch nah neben mir ist, weil diese behämmerte Nebelmaschine schon wieder läuft und ich direkt in der Schusslinie stehe.



Auch das Elektrometalgematsche geht vorbei und mir fällt auf, dass die Einlassleute vergessen haben, meinen Ausweis einzubehalten; somit ziehe ich es vor, Kriemhild und den Kriemhildfreund nicht über die richtige Uhrzeit aufzuklären und mir die letzte Band noch anzuhören, was sich als schlaue Entscheidung erweist, die sind nämlich richtig gut.
Ich somit ganz vorne, und mir pustet es regelmäßig Nebelwolken ins Gesicht, sodass sich mein Hirn irgendwann auch benebelt fühlt, und ich frage mich,kann man von dem Zeug high werden?
Anscheinend ja, der Metalmensch mit den Theo-Waigel-Gedächtnisaugenbrauen,der an der anderen Ecke der Bühne steht, spielt schon die ganze Zeit übertrieben Luftgitarre und schleudert seine immerhin schulteraufliegenden Haare, was er auch schon beim Elektromatsch gemacht hat. Und in den Pausen.
Sonst stehen in der ersten Reihe nur mein schmerzendes Knie, die Melancholie und ich, am anderen Eck, bis er auftaucht.

Den Fremden habe ich den ganzen Abend nicht gesehen, bis er auf einmal mitten vor der Bühne steht, in der Hand eine Bierflasche, zur Abwechslung mit offenem Hemd und Bandshirt drunter. Seine Haare sind kürzer, zu kurz, um überhaupt verwuschelt zu wirken, und die ausgeblichene Jeans ist einer schwarzen gewichen.
Manchmal tut er sich mit dem Metalmenschen zusammen und sie schleudern ihre teilimaginären Haarmatten um die Wette, sehr oft schleudert er aber alleine und wirkt mit fortschreitender Zeit immer betrunkener.
Wird von jemandem weggezerrt, weil er sich mit einem der Grindcorefans anlegen wollte, der drei Köpfe größer und geschätzt 20kg Muskelmasse schwerer ist als er.
Zeigt sich erstaunlich stark, sodass der etwas massigere, gemütliche Absteigenangestellte Probleme hat,ihn festzuhalten, und in meinem Herz macht sich ein seltsames Gefühl breit.
Die Musik, so gut sie ist, rückt in den Hintergrund, ich sehe mehr den wankenden, schwankenden kleinen Mann, der da so einsam steht und die Musik so übertrieben feiert, und zwischendurch so tut als habe er sich unsterblich in den Sänger der Band verliebt.
Meine Reflexe reichen gerade noch,um einen Schritt nach vorne zu machen,als die Band gegen Ende Gratiscds verteilt,ich drehe mich aber wieder um, zum Kumpel, frage ihn, ob er mit vorgeht,weil ich das einzige Mädchen und die einzige Nüchterne bin, und es doch viel zu viele Leute für viel zu wenige Cds seien.
Eigentlich hatte ich auch ein bisschen Angst.
Ein dumpfer, dunkler Angstsumpf, der sich aufs Herz gesetzt hat, Ursprung unbekannt, Größe bis jetzt noch klein,aber man bemerkt ihn.
Hasischatzi hält den Kumpel fest und die CDs werden immer weniger, also stelle ich mich dazu, vor mir der Rücken des Fremden, der die letzte CD angeln will und ich denke mir na gut dann nicht, bis der Sänger, der austeilt, mich sieht, seinen Arm über den Fremden streckt und sie mir reicht.
Der Fremde, sein Blick war mit der CD mitgegangen wie der meiner Katze, wenn sie den Bändel meines Armbands im Visier hat...
Jetzt schauen wir uns an, und der Angstsumpf verschluckt mit einem Mal das ganze Herz, und ich starre in seine Augen, diese leeren, vernebelten Augen, diese schrecklich leeren, stumpfen Augen in diesem schrecklich leeren Gesicht, und er starrt zurück,aus seinem grausam leeren und vernebelten Gesicht, und lallt, hey, du hast mir meine CD weggenommen, und ins betrunkene mischt sich ein wenig Wut, aber keine echte, sondern diese betrunkene Pesudowut, die sie haben, wenn sie auf einmal ein riesiges Selbstbewusstsein haben, die Betrunkenen; aber ich merke es nichtmal wirklich.
Dieses leere Gesicht. Dieses furchtbar leere, benebelte, vernebelte, gequälte Gesicht.
Inzwischen spielt die Band schon wieder, aber ich stehe immernoch da, das Blut in meinen Adern gefroren, und sehe seine Augen vor mir, seine leeren Augen.
Bewege mich irgendwann mechanisch zum Rand, muss mich an der Wand anlehnen. Er kommt zurück,mit noch einer Flasche Bier, kann schon fast nicht mehr laufen, registriere ich.Und sehe immernoch dieses Gesicht, nein, eher den Ausdruck darin, der gar keiner war. Diese Leere, dieser gemeine,alles verzehrende Leere.
Schon gesehen, schmerzhaft gesehen.
Es ist nicht irgendeine Leere, sondern die Leere.
Die Leere, die man nur sehr selten bei Betrunkenen sieht, und da niemals bei den regulären Fällen.
Der letzte Betrunkene, bei dem ich Anzeichen dieser Leere gesehen habe, war ein gescheiterter Suizidversuch, der auf meiner Rotkreuztrage lag.
Das letzte Mal, dass ich die Leere wirklich gesehen hatte,war bis dato, als ich sie gefunden habe. Meine Mutter. Ihr Gesicht gesehen habe, ihr aufgedunsenes, totes Gesicht, die Augen nicht ganz zu und in ihren Augen,in ihrem Gesichtsausdruck diese schreckliche, grausame, furchtbare,alles auffressende, mir so schreckliche Schmerzen zufügende Leere.
Jetzt habe ich sie wieder gesehen, die Leere, in seinem Gesicht.


Ich habe Angst.





threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 03:06
Wovor hast du angst?
dass er sich etwas antut?


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 03:14
vor dieser leere. glaube ich. ich weiß es nicht genau wovor, aber sie hat es ausgelöst. wieder.
leere beschreibt sie eigentlich noch garnicht richtig, das ist einfach so ein gefühl.. man kann es nicht in worte fassen, oder ich kann es nicht, aber es tut weh und frisst einen auf.

ich war schon lange nicht mehr so...geschockt, fertig, aufgelöst (?) nach dem blick in ein gesicht.
Dafür weiß ich jetzt,was es heißt, wenn einem das Blut in den Adern gefriert.

Ich glaube, das ist rational nicht nachvollziehbar.


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 03:19
Wenn ich das so lese dann denke ich... vielleicht ein blick in den abgrund ?


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 17:38
das trifft es wohl am ehesten, ja.
wobei ich abgründe schon öfter gesehen habe...aber sowas, gestern mit eingerechnet, erst zweimal. und so extrem wie gestern vorher noch nie.

rein objektiv gesehen hab ich keine ahnung, wieso mich das so verstört. aber ich sehs ja immernoch vor mir.

kann man angst bekommen, weil man in den augen einer anderen person einen höllenschlundartigen abgrund sieht, der gleichzeitig diese leere ist?
anscheinend ja.
wobei angst und das alles als verstört zusammengefasst werden kann, in dem fall passt das wohl am besten.


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 17:43
naja - ich erinnere mich an den anblick meines "besten freundes" als er betrunken war und wieder mit dem leben abgeschlossen hatte. das löst in mir auch alarmstufe rot aus, weil er mir trotz seiner ständigen bemerkungen sehr viel bedeutet. und wer erträgt es auch schon jemanden leiden zu sehen. aber ich denke doch, dass ich diesen blick der noch immer bei dir herumgeistert und dich verstört nicht ..."verstehen" kann. ich hoffe nur du konntest gestern noch schlafen...


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 17:47
sowas ist auch grausam, ja.. ich kenn das auch.
bei mir ist das teilweise immernoch so bei einem jungen, in den ich sehr lange sehr..verliebt(?) war, jahrelang, ist wohl zur angewohnheit geworden, manchmal immernoch angst um ihn zu haben..
um deinen besten freund mach ich mir anhand dessen,was ich lese, mehr als sorgen. auch,wenn dir das jetzt nichts bringt...

ich frage mich halt,was das auf einmal ist, das mich da gestern wieder erwischt hat, und wo es herkommt. den fremden kenne ich ja nicht. und dann sowas, und in der intensität... ich weiß nicht.
vielleicht macht das einen teil der angst aus,dass ich nicht weiß, wo es herkommt.

(solange ich mich selbst in so einer situation noch halbwegs durchanalysieren kann...)

schlafen war nicht drin, bin dauernd aufgewacht. ist aber standard.


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 17:53
dass ich die gründe für viele meiner reaktionen (ich fasse da mal alle schlechten dinge zusammen) nicht kenne ist bei mir auch oft - aber dann gibt es wieder tage da sehe ich so manches ganz klar. aber immer dann wenn es von bedeutung ist - wenn ich die chance kriege was zu ändern, vermassle ich es wieder mal.

zu den schlafproblemen- gibts da was das dich beruhigt ?
bei mir ist das z.b. ein bestimmtes lied oder tee trinken beruhigt mich manchmal auch und es löst die innere kälte und verkrampftheit bei mir auf.


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 18:04
im nachhinein verstehe ich vieles ein bisschen besser, inzwischen ist es aber auch oft so, dass ich, auch,wenn ich irgendwas total blödes mache, weiß, wieso.
hier war es nicht so.
und dinge dauerhaft zu ändern gehört, zumindest für mich, zu den schwierigsten aufgaben überhaupt.


bis jetzt nicht wirklich; ich denke aber, alle ursachen (nachdenken, gelegentlichsehr seltsame träume, bei denen ich nicht weiß, ob man sie albträume nennen kann, die vaterfreundin, die wahlweise sehr laut redet oder hustet, einfaches "ich kann nicht schlafen" ohne grund..) kann ich garnicht bekämpfen. wird sich hoffentlich irgendwann von alleine legen,war bis jetzt immer so.


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 18:08
ja dinge dauerhaft zu ändern ist auch schwer.
hmmm dann hoffe ich dass es sich von selbst legt - ansonst findest du vielleicht ja eines tages etwas das hilft. das wünsche ich dir auf jeden fall


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 18:13
hab ich bis jetzt noch nie geschafft.
Das einzige,was halbwegs funktioniert, ist,dass ich mich an meine unsicherheit gewöhne. bringt zwar objektiv sehr viele nachteile, mir aber ein besseres bauchgefühl, weil es halt doch eher "mir" entspricht.

schlafprobleme tauchen bei mir sowieso meistens phasenweise auf und gehen dann auch (hoffentlich) früher oder später wieder..


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 18:21
ich habs damals auch als einzige möglichkeit gesehen das ganze einfach zuzulassen, es nicht veruschen zu unterdrücken, mich daran zu gewöhnen. ich hatte es zwar besser im griff nach und nach aber eigentlich hat sich das ganze dadurch nur verschlimmert.


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 18:27
vielleicht kommt es einem ja nur als verschlimmeruung vor (so gings mir nämlich auch),weil man es mit einem mal zulässt? vorher hat man es ja mehr oder weniger "in die ecke gedrängt", und wenn man dann sowieso noch verunsicherter ist, weil man die verunsicherung auf einmal eben zulässt, kann das schon schlimmer wirken, als es ist.
legt sich aber mit der zeit, zumindest ein bisschen.
Ich fluche zwar innerlich öfter wegen meiner unsicherheit, aber ich akzeptiere sie inzwischen halbwegs. meistens.


threebluesheeps, Sonntag, 6. November 2011, 18:34
hmmm aber im sommer hab ichs geschafft dass ich mich wieder als normaler mensch fühlte. und es zuzulassen macht mir ehrlich angst.


mayhem, Sonntag, 6. November 2011, 18:37
normaler mensch fühlt sich besser an als fremdkörper.. ich strebe das an, dieses "normaler Mensch"-gefühl.

mir doch auch. aber im endeffekt ist es das einzige,was hilft. funktioniert zwar nicht alles auf einmal, aber langsam, in minischritten, und man kommt voran, man darf nur nicht komplett das handtuch werfen.

selbstakzeptanz ist für mich etwas sehr schwieriges.

huehnerschreck, Montag, 7. November 2011, 09:24
küchenpsychologischer gedanke: die leere in seinen augen hat deine alten verletzungen getriggert. meiner erfahrung nach rennt man wieder und wieder in solche triggersituationen wie in ein offenes messer, bis man sie "verarbeitet" hat, was immer das bedeutet.
und das kann dauern. (wie man ja hervorragend an mir sehen kann.)

ich find dich auch super, übrigens! pass auf dich auf.


mayhem, Dienstag, 8. November 2011, 00:13
aber dass das so eine emotionale reaktion auslöst..
normalerweise bin ich relativ trigger-immun, flashbacks ja, aber nicht..so.
der mann verwirrt/verstört mich.

na dann.. vielleicht fange ich irgendwann ja mal an,mich selbst auch super zu finden,im idealfall dauerhaft. ist ja in arbeit.

das pass auf dich auf gebe ich übrigens zurück.