Thema: monolog
(startet bei 0:25)
So viel verpasst, aus Unsicherheit,
zu viel mitgemacht, gerade ihretwegen.
Und dann liege ich so mit dem Raucher auf dem Sofa, rein freundschaftlich, und starre durch die Balkontür nach draußen, während der Fremde betrunken mit Fangirlies und Ghettomädchen durch die Dorfdiscos stolpert, und ich sage, das geht so nicht mehr.
Und der Raucher schaut mich an und weiß nicht, was ich meine.
Und ich sage wieder, das geht so nicht mehr.
Das geht so nicht mehr, und ich will so nicht mehr.
Ich will nicht mehr an ruinierten Abenden seelisch am Zusammenbrechen sein, weil der Fremde wieder mal Mist gebaut hat, eifersüchtig sein, wenn er mit der Ghettofraktion weggeht und vor mich hin leiden, wenn er einerseits schlagartig aufmerksam und freundlich, aber andererseits jedes Fangirl wichtiger als ich ist,
ich will nicht mehr mit kleinen Angstzuständen kämpfen müssen, sobald da fremde Menschen sind, denn verdammt nochmal, nicht jeder findet mich sofort total scheiße oder nähert sich mir nur mit ausreichend Vorurteilen als Polsterung um sich herum und ich sollte das irgendwann mal begreifen,
ich will nicht mehr in Dauersorge ums Mayhemmobil sein, weil es jeden Tag was anderes hat und Papa Mayhem einen Werkstattbesuch kategorisch verbietet, sich aber, trotz entsprechender Aussage, auch nicht selbst drum kümmert,
ich will nicht mehr perspektivenlos in meinem Weltuntergang hängen, weil die Seminararbeit so ein Monster ist, die Vatersfreundin auch, die Nachbarin es nicht schafft, mit ihren Eltern endlich mal einen Termin auszumachen wegen der Wohnung, ich somit immer noch nicht sicher weiß, ob ich nächsten Monat zu dieser Zeit schon Mathe, Chemie, Wirtschaft, Geschichte und einen Umzug hinter mir habe oder eben nicht, die drei erstgenannten Fächer mich so dermaßen aus der Bahn werfen, das fünfte Abifach eine Katastrophe wird, es mit Psychologie nicht klappt und mir die ernsthaften Alternativen fehlen,
denn ich will nicht mehr Alternativbegabungen suchen, weil ich eigentlich genau weiß, dass meine nunmal nicht in den Bereichen liegen, mit denen man normalerweise Geld verdient, ich habe eben nur Sprache und Schreiben, und Fotographieren plus Musik als künstlerischen Kleinkram nebenher als das, was ich wirklich gut kann.
Ich will, nicht zum ersten Mal, etwas mehr emotionale Stabilität und mein kleines Glück im großen Leben, vielleicht wird dann der Schreibzwang weniger, am produktivsten bin ich ja, wenn es wehtut, aber damit kann ich leben. Vielleicht würde ich mich dann aber auch genau darüber beschweren, wer weiß.
Ich will meine Ruhe und meinen Frieden haben, einen Plan und ihn auch befolgen (können), festen Boden unter den Füßen, der mir nicht immer wieder weggerissen wird,
eine Familie, die man auch so bezeichnen kann,
will ganz weit weg von hier,
aber ohne die zu verlieren, die wohl ansatzweise wichtig sind,
und möchte genau vor ihnen fliehen,
ich will heimkommen und nicht feststellen müssen, dass Wohnzimmer und Bad abgeschlossen und alle potenziell mittagessentauglichen Lebensmittel außer dem Fertigkram versteckt worden sind, weil die Vatersfreundin der Meinung ist, dass ich in den neu renovierten Räumen und an den Essensvorräten, die ich ihnen angeblich "wegfressen" würde, nichts zu suchen habe,
ich will nicht traurig werden, wenn ich heim muss,obwohl dort die Katze wartet, weil die Wochenenden so voller Akzeptanz und Verständnis sind und die restlichen Tage so grau und kalt und wie Glassplitter oder Betonmauer mit Stacheldraht,
und ich will, verdammt nochmal, endlich eine Reaktion von Hamburg und Magdeburg, damit ich weiß, ob ich da meine Bewerbung hinschicken muss oder mir den Aufwand und das Porto sparen kann. Ob Flucht eine gute Idee ist, kann ich mir dann immer noch überlegen.
Und der Raucher sagt, ich könne das alles so viel besser ausdrücken als er, und dass er es nicht versteht, wieso es immer mich so böse erwischt. Und ich erzähle ihm von dem Zitat aus Tonio Kröger, und er sagt, dass das ungerecht ist und ich Glücklichsein verdient habe. Nicht erst im nächsten Leben, sondern jetzt.
Dass das so doch nicht weitergehen kann.
Und deswegen ändere ich es jetzt, sage ich ihm und an dem Abend gehen wir viel zu spät noch in die böse Kneipe, weil an allen anderen Orten das Risiko, dem Fremden auf Sauftour zurück Richtung Wohnung zu begegnen, zu groß ist, und ich übe, den Fluchtreflex zu kontrollieren.
Tatsächlich falle ich nicht weiter auf, ich tarne mich hinter der Art von Normalität, die hier praktiziert wird, und passe sie, je nach Gesprächspartner, ein wenig an, was auch erstaunlich gut klappt, bis der Schmiertyp auftaucht und mir, selbstverständlich rein zufällig, den Weg verstellt, als ich gerade auf dem Weg vom Tresen zurück zum Raucher bin.
"Ach, das ist ja eine angenehme Überraschung, dich hier zu treffen!" Schmiertypgrinsen, sehr schmierig und mit Tendenz ins Boshafte. Durchatmen, alles wird gut.
Die Linke in die Handtasche krallen, die Rechte leicht auf der Hüfte abstützen, antworten: "Solltest du nicht bei deiner Frau, dem Kind oder schon längst im Bett sein? Mit dem Alter steckt man die Feierei nicht mehr so gut weg."
Egal, ob das gut war oder nicht, ich bin ja sowas von stolz auf mich.
Auch, wenn ich gerade total verängstigt bin.
"Frech sein kannst du ja. Ich sag dir was, ich steh auf die Masche, aber ich kann dir auch ganz schnell zeigen, wer hier der Boss ist.." Und aus dem Weg geht er auch nicht.
-"Danke, kein Bedarf. Such dir irgendeine, die drauf steht, meinetwegen bezahl sie dafür oder so, aber lass mich in Ruhe."
Schmiertyplachen, er setzt an, etwas zu sagen, wird aber unterbrochen: "Geht mal aus dem Weg, da kommt ja kein Mensch durch!"
Mr.Gaunt hat die Kneipe betreten, drängelt sich leicht genervt an mir vorbei und schiebt den Schmiertyp zur Seite. Geistesgegenwärtig folge ich der großen, schwarzen Gestalt so schnell wie möglich, bis ich mich in Sicherheit vor dem Pedobären wähne und mich hinsetzen will, nur, um meinen Platz beim Raucher vom Mischpultmann und den zweiten freien Stuhl vom Musiker belegt vorzufinden.
Mir ist eigentlich nach Weinen und Flucht und mich daheim im Bett vergraben, aber Selbstfahren ist nicht drin, Nullpromillegrenze für Fahranfänger und davon abgesehen zu viel Eis, um mit praktisch profillosen Sommerreifen am Auto und Malibu-Kirsch und Bacchus halbtrocken im Blut heil drüberzukommen, also frage ich am Nebentisch, ob ich einen Stuhl haben darf, drängle mich zwischen den Raucher und den Musiker, der mit seiner übertriebenen, emotional-kindlichen Hyperaktivität, die er betrunken an den Tag legt, gerade das Letzte ist, was ich brauche, und überstehe noch eine Dreiviertelstunde rumsitzen und mit halbem Ohr Gesprächen folgen , die mich eigentlich gar nicht interessieren.
Eventuell auch, weil Mr. Gaunt in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes sitzt und ich ihn sogar drei Stunden beobachten könnte, ohne dass mir langweilig wird, obwohl er nicht viel mehr macht als dasitzen, trinken, ins Nichts starren und gelegentlich mit einem weiblichen Relikt der Achtziger, komplett mit Dauerwelle und Schulterpolstern, reden.
"Brauchst den nicht so anstarren, brauchst gar nicht so starren, du hast eh keine Chance!", durchbricht der Musiker meine fast meditative Versunkenheit.
-"Das weiß ich auch."
"Na also, dann ist ja gut. Alternativen haste nicht so?"
-"Ich dachte, ich hätte eine, aber die Dame ist stumpfer als der Klischeeblackmetalfan, und sie hat Kafka beleidigt."
"Oh, das hätte ja gar nichts werden können. Nee, das hätte nichts werden können, du brauchst wen mit Bildung undso, mit Bildung!"
Mr. Gaunt hat angefangen, irgendetwas aufzuschreiben, sein Tempo dabei reicht problemlos an meines in Deutschklausuren (14 Seiten plus Gliederung plus Schreibplan plus Stichpunkte zur Textzusammenfassung in etwas mehr als zweieinhalb Stunden) heran.
"Brauchst gar nicht so starren, ehrlich!"
-"Mach ich nicht. Wo sind eigentlich der Mischpultmann und der Raucher?"
Als ob ich starren würde. In den dichten Nebelschwaden der als "Raucherklub" ausgewiesenen bösen Kneipe lässt sich sein neues Tattoo sowieso nicht richtig erkennen.
"Pissen."
Mr.Gaunts Aschenbecher quillt über und man kann den Zigaretten förmlich beim Verschwinden zusehen.
-" Sag mal, woher weißt du eigentlich, dass er noch nicht über die Löwin hinweg ist?"
Der Musiker nippt kurz an seinem Campari Orange, seufzt dann auf diese allwissend-pseudoverständnisvolle "Ach Mädchen, was soll ich noch mit dir machen, das ist doch so glasklar"-Art und erklärt dann: "Na, das hat mir der Mischpultmann erzählt."
-"Der Mischpultmann."
"Ja, der hat mich abends mal angerufen, ob ich vorbeikommen will, so kurz mal vorbeikommen auf ein Bier oder so, und ich hab gesagt, nee, Bier mag ich nicht, kein Bier, hab ich gesagt, aber vorbei komm ich trotzdem und bring Berentzen mit. Und bin dann vorbeigekommen, nicht so wie der Fremde, der die Leute einfach sitzen lässt." Oh ja...
-"Ja, und weiter?"
"Ja, und dann hat er erzählt, was mir auch aufgefallen ist, nämlich dass dir Mr. Gaunt aufgefallen ist. Und hat gesagt, dass das gar nicht geht, weil der nicht zu dir passt, viel zu alt und viel zu hässlich."
-"Davon abgesehen, dass ich nichts von ihm will, sinds nur fünf bis acht Jahre, je nachdem, wie alt der jetzt eigentlich ist, und das geht. Bei mir zumindest."
"Genau das hab ich ihm auch gesagt, genau das, die mayhem, die is viel weiter als andere in ihrem Alter, aber wollt er nicht hören, der Mischpultmann. Hat gesagt, das geht nicht, dass so eine wie du sich mit so einem wie dem abgibt, und ich hab gesagt, Alter, sei mal nicht so paranoid, sie wird sich schon nicht total verknallen, das wird sie schon nicht, und wenn sie ihn süß findet, soll sie halt.
Und dann hat er wieder gesagt, dass das so nicht geht, und bestimmt nicht so harmlos ist, schließlich haste gefragt, ob Mr.Gaunt mit in den Gruftkeller geht und warst enttäuscht, als er nicht da war."
-"Jetzt mal abgesehen davon, dass das immer noch nicht bedeutet, dass ich was von ihm will, wäre ich sehr froh, wenn du mal auf den Punkt kommen würdest..."
"Kein Stress Mädel, kein Stress. Ganz ruhig, wir haben alle Zeit der Welt." Er trinkt betont langsam von seinem Campari Orange, bevor er fortfährt, " Jedenfalls hat der Mischpultmann dann noch ne Weile erzählt, warum Mr. Gaunt nicht zu dir passt, und dann gesagt, dass das sowieso nicht gehen würde, weil der ja noch an der Löwin hängt. Und ich hab gefragt, echt?, ist doch schon ewig her, und der hat gesagt, ja, echt jetzt, siehst doch, wie er sich wegsäuft. Und ich hab gesagt, Alter, hab ich gesagt, da könntest du Recht haben. Ich hab immer gedacht, Mr.Gaunt hätt schon immer so viel getrunken und sich halt jetzt mit der Zeit gesteigert, aber der Mischpultmann hat das total plausibel erklärt, dass das eigentlich an der Löwin liegt, weil er noch was von der will. War so voll die Erleuchtung für mich."
Hat das total plausibel erklärt...Verdachtsmoment.
-"Danke. Bin gleich wieder da, ich such mal den Raucher,kann doch nicht sein, dass die so lange brauchen."
"Vielleicht haben sie Probleme mit der Prostata!", ruft mir der Musiker nach, als ich, zielsicher meiner Intuition folgend, nach draußen gehe und den Raucher mit Kippe in der Hand auf der Treppe sitzend finde.
"Wieso rauchst du nicht einfach drinnen?"
-"Weil ich mich schäm."
"Musst du nicht." Ich setze mich neben ihn.
-"Aber ich wollt doch aufhören."
"Rückschläge hat man immer. Und aufhören willst du ja immer noch und schaffst das auch."
-"Wenn dus sagst..."
"Das weiß ich, du kennst mich doch, ich hab immer Recht."
"Stimmt auch wieder."
-"Siehst du. Und die Schachtel müsste doch auch bald leer sein, oder?"
"War die Letzte." Als Beweis überreicht er mir die leere Schachtel. "Und jetzt kauf ich mir keine mehr und nehm keine mehr an. War grad nur scheiße,weil da drin echt jeder gequalmt hat, außer dir und dem Mischpultmann..."
-"Ach Mensch, ist doch nicht schlimm". Ich umarme ihn kurz, weil ich mir denke, dass ihm das jetzt vielleicht ganz gut tun könnte, und baue ihn seelisch wieder ein bisschen auf. Dann erzähle ich ihm vom Gespräch mit dem Musiker.
"Du meinst, der Mischpultmann könnt den Musiker angelogen haben?", fasst der Raucher meine Gedanken folgerichtig zusammen.
-"Kann ja sein. Denkst du, der macht sowas?"
" Naja, der kann richtig gut lügen, wenns drauf ankommt... Und dasser was von dir will,merkt man auch. Hm. Weiß nicht,könnt schon sein."
-"Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?"
"50/50, würd ich sagen. Obwohl, vielleicht sogar mehr."
Ja super.
arboretum,
Dienstag, 30. Oktober 2012, 11:41
Mag sein, dass der Mischpultmann nicht uneigennützig argumentiert. Dennoch stellt sich auch hier die Frage: Was willst Du mit einem Kerl, der so viel säuft?
kathleen,
Mittwoch, 31. Oktober 2012, 23:49
Alternative option:
Just keep breathing and remember: this, too, will pass.
Just keep breathing and remember: this, too, will pass.
mayhem,
Freitag, 2. November 2012, 04:08
@arboretum: im moment will ich gar nichts mit/von ihm.
eine gewisse anziehung ist da, aber das muss noch nichts bedeuten, und spätestens nach dem fremden sollte ich gelernt haben, bei männern, die nach 11 bier noch völlig normal reden und gerade laufen können, eventuell so ein bisschen die notbremse zu ziehen.
@kathleen: ich weiß. auch,dass mit der zeit alles vorbei geht und eventuell auch besser wird (oder schlimmer, aber in jedem fall anders), auf dauer wird das ganze aber etwas kräftezehrend. vor allem, weil jetzt noch die probleme mit der wohnung dazukommen (meine nachbarin, mit der ich zusammen in eine mietwohnung gezogen/geflohen wäre, ist unterwegs, wenn ich anrufe, reagiert nicht auf sms und kriegt es seit mehr als einem monat nicht auf die reihe, einen termin zur besprechung mit den vermietern auszumachen) und der andere, eher emotionale stress.
(OT: "This too shall pass" ist in meiner mappe mit den ideen und zeichnungen für noch geplante tätowierungen, aus verschiedenen gründen.)
ansonsten war ja "einfach weiteratmen " immer so ein bisschen mein standardsatz, um mich selbst wieder ein bisschen zu beruhigen.
eine gewisse anziehung ist da, aber das muss noch nichts bedeuten, und spätestens nach dem fremden sollte ich gelernt haben, bei männern, die nach 11 bier noch völlig normal reden und gerade laufen können, eventuell so ein bisschen die notbremse zu ziehen.
@kathleen: ich weiß. auch,dass mit der zeit alles vorbei geht und eventuell auch besser wird (oder schlimmer, aber in jedem fall anders), auf dauer wird das ganze aber etwas kräftezehrend. vor allem, weil jetzt noch die probleme mit der wohnung dazukommen (meine nachbarin, mit der ich zusammen in eine mietwohnung gezogen/geflohen wäre, ist unterwegs, wenn ich anrufe, reagiert nicht auf sms und kriegt es seit mehr als einem monat nicht auf die reihe, einen termin zur besprechung mit den vermietern auszumachen) und der andere, eher emotionale stress.
(OT: "This too shall pass" ist in meiner mappe mit den ideen und zeichnungen für noch geplante tätowierungen, aus verschiedenen gründen.)
ansonsten war ja "einfach weiteratmen " immer so ein bisschen mein standardsatz, um mich selbst wieder ein bisschen zu beruhigen.