Ich erinnere mich an meine Kernkompetenzen; manchmal zumindest. Gelegentlich kann ich sie sogar nutzen.
Eine davon ist es, Dinge auszusitzen. Einfach weiteratmen, gepredigt mir selbst, dem Blog und der Welt (in meinem Kopf), seit es vor einigen Jahren (ich bin immer wieder überrascht, wie lange ich hier schon schreibe) an die Stelle des vorherigen "alles wird gut" getreten ist.
Seit ich beschlossen habe, dass es nicht gut wird und das auch nicht muss; dass es reicht, wenn Dinge werden; was gutes mach ich schon selbst draus.

Ich habe wahnsinnige Angst.
Davor, zu versagen, zu verlieren (Dinge, Menschen, Chancen, Kater Mayhem; gegen Dinge, gegen Menschen, gegen das Leben, gegen mich), mir mein Leben versaut zu haben oder/und es noch (weiter) zu tun. Gegenwart gibt's eben nicht ohne Vergangenheit.
Der alte Begleiter; ich habe mir so viel verbaut, so viele Chancen vertan, es mir so viel schwerer gemacht, als es sein müsste, denn es ist auch so schon schwierig genug.

Ich bin Fachfrau auf dem Gebiet.
Dinge aushalten, die angeblich nicht aushaltbar sind; dabei zu Staubpartikeln aus Elend zerfallen und vier Monate später plötzlich wieder im Türrahmen stehen; im rosa Plüschbademantel, meinen Zebrapuschen, Dampfe (ehemals: Kippe) im Resting Bitchface und die "Töte, du kannst sie nicht alle anlächeln"-Tasse in der Hand, als wäre nie was gewesen.
Vor Jahren hat ein damaliger Kumpel zu mir gesagt, diese "Phönix aus der Asche"-Nummer sei irgendwie meine Special Skill und genau mein Ding. Akut bleibt mir nichts anderes übrig, als das erneut zu beweisen, denn Scheitern ist keine Option.
Nicht aus Egogründen, sondern ganz rational und greifbar.
Wenn ich das Studium verkacke,habe ich einen über sechs Jahre angehäuften Schuldenberg, der nicht mal zu einem popeligen Bachelor geführt hat.
Wenn ich es mit der Akuttherapie nicht durchziehe, ist die Degeneration zurück in's Traumakind besiegelt und nicht mehr aufzuhalten und mein Schaden bricht mir das Genick.
Wenn ich mich nicht verdammt anstrenge, stehe ich wieder ohne Freunde da, weil die, die sind, wegziehen und die, die welche werden könnten von mir vergrault werden.
Wenn ich nicht dran bleibe, addiere ich zu den vorhandenen Eigenheiten meines Körpers noch weitere Schäden; und somit auch zu meiner Psyche.

Es könnte anders sein.

Der Hufeiseneffekt, das Schaukeln vom Hoch, durch's Tal, zur Maximalamplitude des Möglichen und wieder zurück, könnte sich auflösen. Oder mich zumindest zu einem neuen Hufeisen werfen.

Ich könnte einen Bachelor schaffen, der gut genug ist, um mich für einen Master, der was taugt, zu qualifizieren. Oder für ein Volontariat mit Zusatzspezialausbildung, Fachjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit.
Riesiges, seelenloses Unternehmen, Fachbereiche, die auf der Biomüll-Katzenbaby-Skala der Begeisterung irgendwo kurz vor Valium liegen.
Dafür mit dem Zug gut zu erreichen (denn ich werde hier verdammtnocheins nicht weg ziehen, das hier ist jetzt meine Heimat und die halte ich fest), bereits nach dem ersten Jahr ein Gehalt, das mehr ist, als mein Vater je verdient hat, und ein aufgemöbelter Lebenslauf, wie ihn die Arbeit in Unternehmen, die im Alltag kein Schwein kennt, die in ihrem Spezialgebiet aber auch international einen gewissen Rang haben, so mit sich bringen kann.
Was sie dafür gerne von mir hätten: eine Workshop-Teilnahme im kommenden Semester, Flugreise zu einem vom Unternehmen veranstalteten Kongress, an dem ich doch mal so beiläufig zeigen darf, dass ich es drauf habe, und einen Bachelor mit schlechtestens 2,0.
Eventuell auch den Verkauf meiner Seele; in jedem Fall aber das Einschläfern (oder wenigstens Einfrieren) meiner Persönlichkeit. Und bitte, Frau Mayhem; sollten Sie für uns arbeiten wollen, entfernen Sie das Metall aus Ihrem Gesicht und den Ohren und befreien Sie letztgenannte von den Durchgucklöchern. Vielleicht können wir nach zwei, drei Jahren Betriebszugehörigkeit nochmal darüber reden; wenn klar ist, ob Sie Ihre Kompetenz in einem Maße einbringen können, das uns gemeinsam weiter bringt. Großflächige Tätowierungen haben Sie nicht geplant, oder? - Wie Sie sehen, sind meine Blusen sowieso langärmlig, das sollte doch dann nicht auffallen, oder? - Das ist eine Sache das Prinzips; wenn Sie auffällige Tätowierungen hätten und ein Geschäftspartner dessen gewahr wird, weil Ihr Ärmel verrutscht, wirft das ein schlechtes Licht auf uns.
- Achso.
Fickt euch, ich überzeuge nicht mit meinem Aussehen, sondern mit meiner Kompetenz.

Ich könnte mir einen zuverlässigen Freundeskreis aufbauen und vielleicht sogar an ihn glauben.
Das Schaukeln, die (platonische) Liebe und ihr Ausbrennen zur Holzasche der Belanglosigkeit, das Himmel-oder-Hölle-Kinderspiel zwischen den Funktionsgruppengefügen; ich könnte es ersetzen durch was, das Seele hat.

Ich könnte die heiligen Gebote der Mutter Mayhem durch meine eigenen ersetzen oder sie zumindest umschreiben.
Aus dem Algennetz dessen, was/wer ich sein kann, einen Teppich weben, oder eine Decke.
Rausfinden, was von mir übrig bleibt, wenn ich diesen erneuten Häutungsprozess nicht nur überstehe, sondern dabei die Abszesse öffne und das kranke Gewebe rausschneide.
Mir eine Identität zulegen, die irgendwie tragfähiger ist und von mir selbst gebaut, nicht von dem, was in meinem Gehirn ist; nicht von den Automatismen, die machen, dass ich handle, oder bin, ohne mich zu fragen, ob ich das gerade so haben will. Ich weiß, nach Goffmann spielen wir sowieso alle Theater, und ich kann das manchmal ziemlich gut; aber wenn ich schon in einer lebenslangen Inszenierung mitwirke, will ich mir wenigstens meine Rolle aussuchen, am Drehbuch mitschreiben und mitentscheiden, wie das Stück aufgeführt wird.


Ich weiß nicht, ob das noch geht.
Die meiste Zeit verbringe ich in Angst und Selbstekel, wie immer.
Rückkehr zu alten Mustern.
Ich weiß aber auch, dass dass das eben alte Muster sind, und dass ich noch andere habe.
Wenn das Verlorengehen, das Festhängen, die Selbstsabotage, die Angst, die Unsicherheit, die Verluste, der Ekel, der Hass von der Vergangenheit als Scherenschnitte auf die Bühnenwand und in mein Hirn projeziert werden, weil die verdammte Hure unfähig ist, mich mal für mehr als einen Abend in Ruhe zu lassen, soll sie eben da bleiben und mir ein paar Schablonen zum Mitmachen geben. Dann bastel ich mir eigene Scherenschnitte, setze mich dazu und wir machen eine Neuinszenierung.
Wenn ich schon so fremddefiniert war/ bin, wie es scheint, kann ich mir auch ein paar neue Zeilen ausborgen.

Pickelfresse?
Passt nicht mehr; gelobt seien chemische Peelings und guter Sonnenschutz.
Fett?
War ich damals nicht, würde heute besser passen; da ich mich offiziell vom 29er-BMI und in eine gesündere Richtung verabschiedet habe (und weiterhin werde) und es außerdem ein rein optisches, kein persönlichkeitsdefinierendes, Merkmal ist, kann das zwar weiter in meinem Hirn sitzen, hat sich da ja schließlich über Jahrzehnte häuslich eingerichtet , mehr aber auch nicht. Langfristig werde ich diesem Merkmal die Wohnung kündigen zwecks Eigenbedarf und eine andere Mietpartei einziehen lassen, die mir näher steht.
Helferkomplex?
Wegreflektiert.

Es bleiben die Definitionen meiner Kindheit.
Immer am Lesen, immer am Schreiben, immer mit dem einen Plüschtier unterwegs.
Extrem sensibel, richtiggehende Mimose.
Meistens ruhig, ansonsten hypermegaextremaufgekratztaktivschwungvolleskalierend.
Erwachsen, extrem pflegeleicht, intelligent.
Altklug.
Einzelgängerin, das Meiste mit sich selbst ausmachend, tagtraumaffin und Paralleldimensionen bauend.

Ich weiß nicht, ob ich das alles je war, und warum. Aber vielleicht kann ich es sein.

Fangen wir an.