Freitag, 16. August 2019
Das Projekt lag so zwei Jährchen brach, da kann man schon mal weiter machen (Relevanz der vorherigen Einträge wird ggf überprüft/überarbeitet).

Disclaimer
Das Lesen eines spontan runtergetippten Guides einer Bekloppten ersetzt nicht das Gespräch mit Fachmenschen. Wer in Therapie ist, kann, darf und sollte Planung, Ängste, Strategien usw. mit der dazugehörigen Person besprechen; diese kennt individuelle Gegebenheiten und kann spezifische Hinweise und Tipps geben. Ergänzend ist der Austausch mit anderen Betroffenen, meinetwegen im Internet, natürlich auch schön; aber nicht alles ist abstrahierbar (z.B. finden ganz viele Menschen Meditation und PMR total hilfreich, ich bekomme davon aber ausgewachsene Panikattacken bis hin zu dissoziativen Momenten. Noch ein Grund, warum man manches nicht alleine ausprobieren sollte).

Ausgangslage
Damit ein wenig abschätzbar ist, ob und für wen sich das hier lohnt.
Ich habe kleine und große Problemfelder; die in Festival- oder Konzertsituationen relevanten sind:
- Emotionsregulierung: ich empfinde Dinge sehr intensiv, was manchmal cool ist (Festivals sind ultimative Katharsis ), manchmal aber weniger (mindestens ein halber Tag wird mit Welthass- oder untergangsstimmung verbracht, und nur einmal Weinen zählt als Erfolg). Alternativ fühle ic auch einfach mal nichts, weil alles in Watte ist; das kann gefährlich werden.

- Angstmomente: Trigger variieren, können aber reinhauen. Ich fühle mich schnell verloren oder lächerlich, als würde ich der ganzen Welt zur Last fallen, oder mich zum Deppen machen. Alleine irgendwo rumstehen (vor dem Einlass, Toilettenschlange, Duschen) ist in variierenden Graden bewältigbar oder pures Grauen.

- Gedankenkreisen: Verbunden mit den beiden erstgenannten Punkten. Reiz- oder emotionsintensive Momente, Ängste und generelle Unsicherheiten können sich durch die Ausnahmesituation, in der ich mich für ein paar Tage befinde, verstärken und Achterbahnfahrten anwerfen.

- Suchtstoff-Exposition: Ich bin von nichts abhängig, aber das, was meine potenzielle Therapeutin einen "Suchtmenschen" nennt. Genuss-/Suchtmittel (Alkohol zählt auch) können die obrigen Punkte nach erster Erleichterung verstärken (oder auch ohne erste Erleichterung); umgedreht tragen Angst, Emotionsüberflutung, FOMO (fear of missing out) und Gedankenkreisen dazu bei, dass spontane Angebote attraktiver werden können.

Mental Health is not Fight Club, we *can* talk about it - seelische und moralische Vorbereitung
Wichtige Fragen vorab:
-> Wohin gehe ich eigentlich? Wenn die Veranstaltung fest steht und Tickets gekauft sind, hilft es oft, auch auf rationaler Ebene zu schauen, worauf man sich da einlässt.Wie viele Besucher sind dort normalerweise? Wie sind die lokalen Gegebenheiten (Terrain, eher außerhalb oder mittendrin; sobald es akut wird: Wettercheck; Krankenhäuser, Banken, Tankstellen und andere potenziell wichtige Stationen) ?
-> Wen habe ich dabei?
Optimal ist (für mich) die kleine Runde aus bekannten und wertgeschätzten Menschen, bei denen ich mich soweit wie möglich sicher fühle. Das ändert nichts daran, dass ich mich trotzdem mindestens im Stundentakt für die möglichsten und unmöglichsten Dinge bei ihnen entschuldigen werde, auch "prophylaktisch", aber hey, ich arbeite daran. Ein Vorteil vertrauter Personen ist, dass sie von meiner Erkrankung wissen und manche Dinge so besser einschätzen, oder erst mal gut sein lassen können, bis ich mich erkläre.

Jetzt ist das mit der vertrauten, kleinen Runde aber nicht immer möglich.
Meine diesjährige Mannschaft besteht aus Personen, die ich zwar kenne, aber die Verbindung geht nicht über den Bekanntschaftsgrad hinaus. Wer auch immer das liest und in einer ähnlichen Situation ist: ich bin gnadenlos und unerbittlich stolz auf Sie/dich für den Mut, den es erfordert, das, was man will (Festival besuchen) auch dann durchzuziehen, wenn das vertraute Sicherheitsnetz fehlt. Wirklich. Ehrlich. Aus der Nummer gibt es kein Entkommen, Sie haben's/du hast's drauf.
-> Ohne Sicherheitsmenschen/vertraute Campingmannschaft ist die Selbstverantwortung natürlich höher; Isolation dennoch nicht optimal. Ich empfehle, aus der Personenschar eine oder mehrere auszuwählen und und mit einem Briefing zu versehen.
"Hey, ich freu' mich voll, bei euch mitzufahren. Ich fühle mich aber etwas unsicher, weil ich mit manchen Dingen etwas Schwierigkeiten habe. Da ich dich für eine vertrauenswürdige Person halte/mir der Kontakt zu dir leichter fällt/ich dich sympathisch finde, wende ich mich damit an dich, einfach, damit jemand weiß, was los ist, wenn ich mal meine Ruhe brauche/plötzlich von den Bühnen fliehe/das Bier partout nicht will/etc" ist so mein Spontanansatz; falls nicht in den Beispielen aufgeführt, passe ich die Menge der Details an mein Bauchgefühl an. Ein " weil ich das Gefühl habe, dass das ohne Erklärung zu Irritation führen könnte, wollte ich dir gegenüber ansprechen, dass es kein böser Wille ist, wenn ich grantig/verzweifelt/gereizt bin/nicht zu einer Band gehen möchte, die ich eigentlich unbedingt sehen wollte. Mein Gehirn ist sehr schnell reizüberflutet, das ist wie Stau auf 'ner sechsspurigen Autobahn. In den USA. Zur Rush Hour vor Thanksgiving. Mit einem Tornado hintendran. Als der einzige Geisterfahrer, der in die andere Richtung will, weil der Herd noch an ist" war bis jetzt auch kein Ding.
Anpassung an persönliche Symptome und Befindlichkeiten natürlich empfohlen. Wer sich wohl damit fühlt, kann der Vertrauensperson/den Vertrauenspersonen auch den Diagnosebeutel hinwerfen (auch schon gemacht).
-> Ebenfalls rein persönlich: bei Angst vor Situationen, die möglich sind, aber nicht so passieren müssen, jemanden in's Vertrauen ziehen. Also ein "ich habe Angst, dass mir das zu viel wird/ich neige dazu, einen über den Durst zu trinken, will das aber wirklich nicht machen/hab keine Lust, mir wen anzulachen, weil mir das nicht gut tut, neige bei Reizüberflutung aber zu sowas" kombiniert mit einer Behandlungsempfehlung ("Wenn du siehst, dass ich den Kerl da abschleppen will, hau mir bitte eine rein/wenn ich diese oder jene Symptome zeige, setz mich bitte wo hin und sag mir, ich soll atmen/wenn das oder jenes passiert und ich es nicht selbst tue, wirf mir bitte eine dieser Tabletten rein, du findest sie hier in meiner Tasche/...).

Bleib stabil, Brudi- Vorbereitung physischer Natur und Sicherheitsmaßnahmen
-> Packliste erstellen, oder nach geeigneten suchen und diese mit eigenen Punkten ergänzen.
-> dafür sorgen, dass die Ausgangsbedingungen so gut wie möglich sind: genug Wasser einpacken und auch trinken; Nahrungsangebot prüfen und eigene Vorräte entsprechend einplanen (und mitnehmen); Sonnencreme (viele Psychopharmaka sorgen für eine erhöhte UV-Empfindlichkeit), Medikation (dafür sind diese Omi-Pillenschachteln optimal) sowie im Zweifelsfall einen Nachweis darüber, was das ist und dass man es nehmen sollte, einpacken.
-> Auch vor Ort möglichst gute Rahmenbedingungen schaffen: bequemes Schlafmaterial, wer möchte, ein Kuscheltier (mir hilft das), Vitamine (optimal: Frischobst/-gemüse, alternativ: vorbereiteter Smoothiekram oder welche aus der Dose), eventuell schlaftauglicher Gehörschutz. Wetterschutz einplanen oder Möglichkeiten sichten. Nahrung in möglichst einfach zuzubereitender Form (man braucht schon genug Energie für den anderen Kram, existieren zB), die aber auch geschmacklich was taugt (ich teste neues Dosenfutter vorher, oder koche auf Vorrat).
-> Wenn möglich, in der Zeit vorm Festival halbwegs gesunde Schlaf- und Essensmengen konsumieren; keiner Party-Eskapaden, und sofern möglich: kein spontanes Ändern der eingenommenen Medikation (außer auf ärztliche Empfehlung, im Angesicht fiesbrutaler Nebenwirkungen oder bei sonstigen Ernstfällen). Sorgen bezüglich möglicher Probleme nicht komplett beiseite schieben, sondern aufschreiben und überlegen, welche Maßnahmen in so einem Fall angebracht wären (ggf. im Gespräch mit Therapeut*in).
-> Die Versorgung von Haustieren und Zimmerpflanzen klären (ich leide jeden Tag, den ich von meinen Katzen weg bin, unendlich und bin in dieser Zeit fest davon überzeugt, eine schlechte Katzenmama zu sein. Wenn die Kinder in zuverlässiger Betreuung sind, z.B. durch geeignete Mitbewohner*innen, Bekannte o.Ä. ist das zumindest ein bisschen beruhigend).
-> Bei Notfallmedikation (Allergien, Insulin, psychopharmakologische Vorschlaghammerpillen zur Vermeidung von Weltuntergängen) : Haltbarkeit und vorhandene Menge prüfen, ggf. für Nachschub sorgen. Einpacken, mindestens eine Person aus der Campingmannschaft informieren oder/und einen Hinweiszettel dort tragen, wo er im Ernstfall gefunden wird.

Notfallzettel
Ob Erkrankung oder nicht, so ein Ding ist generell sinnig. Im Geldbeutel oder am Körper platzieren, sodass er gefunden wird (Rock-/Hosen-/Hemdtasche, BH, etc).
Inhalt nach persönlichem Ermessen, auf meinem steht:
- ACHTUNG MEINE KATZEN SIND ALLEINE DAHEIM, wenn mir etwas zustößt, rufen Sie SOFORT und nachdrücklich diese Kontaktperson an, damit sich jemand um meine Haustiere kümmert
- Unverträglichkeit ggü eines bestimmten Antibiotikums, diverse Schmerzmittel dürfen mir aufgrund von Wechselwirkungen nicht gegeben werden; laktoseintolerant; Allergie gegen Wespenstiche und Spinnenbisse
- meine Blutgruppe
- welche Medikation ich in welcher Dosis einnehme, sicherheitshalber ergänzt mit dem Namen des Wirkstoffs. Weil verzögerte Aufnahme und vorschnelles Nachdosieren ebenso mies sind wie sofortige Wechselwirkungen, und so.
- Diabetes, Hämophilie u.Ä. kommen hier ebenso mit hin wie abnormer Blutdruck und alles andere, was medizinisch seltsam wirkt, wenn man bewusstlos ist und es nicht erklären kann
=> Zettel falten, Beschriftung entweder mit "Im Notfall" oder der englischen Abkürzung ICE (In Case of Emergency),gleiches Prinzip bei Notfallkontakten im Telefon.
- Wenngleich es nicht meiner Überzeugung entspricht: wer aus religiösen oder anderen Gründen Blutspenden o.Ä. ablehnt, kann es an der Stelle ebenso vermerken.
- ungeimpfte Personen (ob aus gesundheitlichen oder Überzeugungsgründen) bitte ebenso
- Anpassung gemäß persönlicher Gegebenheiten vornehmen. Auf den Notfallzettel soll alles, was medizinisch relevant ist/sein könnte und durch Schock, Überlastung oder Bewusstlosigkeit sonst unter den Tisch fallen kann.