Geschrieben nach Abgabe der Abschlussarbeit, wollte es eigentlich umschreiben, lass es jetzt aber einfach so.

Die geplante Pausenwoche hat sich in eine IchMacheWasAberZuWenig-Mehrwöchigkeit verwandelt, der große Zusammenbruch war noch nicht da. Entweder bereitet er einen besonders fulminanten Auftritt vor, oder er hat sich dafür entschieden, sich lieber etwas weniger intensiv, dafür aber längerfristig und nachhaltiger zu entwickeln (was ich gerade ein bisschen vermute).
Oder er bleibt einfach aus, kann ja passieren, ich ziehe auch das mittlerweile durchaus in Erwägung. Schließlich scheinen Unwahrscheinlichkeiten, die eintreten und das große Trotzdem gerade quasi zum Modus Operandi zu werden - noch eine 1,2, diesmal knallhart Sprachwissenschaft, gute zwei Notenstufen besser als das, was ich da sonst so vollbracht habe. Kann natürlich auch sein, dass das ein dramaturgischer Kunstgriff des Zufalls ist, um es für ein wenig Situationskomik mit einem Versagen in der Abschlussarbeit zu kombinieren.

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(Wie es mir geht und wonach sich das Lied anfühlt: Nebeldecke, Zwischenwelten, Zwischenzeiten, irgendwo dahinter ein Irgendwas, vielleicht das große Trotzdem, vielleicht das Gegenteil, vielleicht auch beides)

Die Suche nach passenden Worten.

Camus:
Mitten im tiefsten Winter wurde mir bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt.
Hmpf.

Dürrenmatt:
Aber nun schloss ich mich ein, besiegte meine Furcht. Allein. Es war schwer, nun ist es getan. Ein Zurück gibt es nicht.
Hm.

Dirk Bernemann:
Es gibt keine Lösungen, nur Angst und manchmal Mut.
Hm?


Ich
...übergebe meine Seele dem Gott, der
Nee.
...übergebe mein Schicksal dem Betreuer meiner Abschlussarbeit, dem Prüfungsamt und dem Kollektiv des Studienkreditsatans.
Auch nicht.

...habe weder die innere Schönwetterfront des Camus- noch die Angstfreiheit des Dürrenmatt-Zitats.

Muss ich vielleicht auch gar nicht haben.
Schamloses Eigenzitat, weil treffende Feststellung:
"Krisen durchschiffe ich nicht aus Optimismus, Resilienz oder aufgrund besonderer Begabungen,
sondern aus reinem Trotz und Sturheit.

Ich habe mich für Abschluss+Selbstüberwindung+Lebensbewältigung entschieden, das Beibehalten dieser Bewegungsrichtung ist eine logische Selbstverständlichkeit. Träge Masse, Newtonsche Gesetze.

Nach ein paar Tagen wird es zum Experiment, ich sehe es als Fallstudie an; teilnehmende Beobachtung, wenn ich mir selbst über die Schulter gucke beim Kampf gegen gefühlt eine ganze Existenz.
Das tue ich in dieser Zeit oft; Existenzkämpfe ausfechten und mir über die Schulter gucken, gleichzeitig am Ende und außerhalb von allem. Ich sag's ja immer wieder, das menschliche Gehirn ist eine Wunderkammer.

Der Zeitpunkt, an dem ich emotional und psychisch zerstört scheine, ist irgendwann erreicht, weinen ist gar kein Ausdruck für das, was manchmal passiert. Zwischendurch sitze ich auf meinem Bett, dem Boden oder irgendwo anders und schreie fünf Minuten am Stück, nicht bloß ein Urschrei, mehr, anders, es fühlt sich nicht mehr wie etwas Menschliches an. Aber irgendwer hat es stummgeschaltet - die Haltung passt, die Mimik passt, die Stimmbänder tun ihren Job, aber es kommt kein einziger Ton raus.
Nach einer Weile macht das lautlose Abgrundtiefe dem Nebel oder einer regulären Verzweiflungswelle Platz, ich panikattacke so vor mich hin, sterbe ein bis tausend Tode, mein Herz scheint auch mitmachen zu wollen, sich aber unklar darüber zu sein, ob es Rhythmusstörungen, einen Infarkt, plötzlichen Tod oder eine Explosion aufs Parkett legen will.

Dann setze ich mich wieder an den Schreibtisch und mache weiter, ich habe schließlich akademische Großartigkeiten oder zumindest eine ausreichende Abschlussarbeit zu vollbringen.
Wenn das gefühlte Existenzende ein besonders beeindruckendes war, mache ich vorher noch ein paar Notizen, Experimente sollten dokumentiert werden, Forschungsreisen sowieso. Ein ähnliches Prinzip wie das, das Papa Mayhem auf übriggebliebene Schrauben und Muttern und die Orginalverpackungen elektrischer Geräte anwendet: für irgendwas kann man das bestimmt mal brauchen.
Zwischendurch sagt das Hirn, eigentlich wär's einfacher, wenn wir uns umbringen, dann wäre wenigstens Ruhe. Ich bedanke mich beim Hirn für die Information, man soll ja alles erst mal wertfrei annehmen, weise es dann aber darauf hin, dass wir gerade nicht wirklich sterben wollen, sondern lediglich keinen Ausweg sehen und es mir egal ist, ob irgendwas "einfacher" wäre - ob Ghostwriting oder Todesflucht, beides wäre Verantwortungsverweigerung, und sowas machen wir hier nicht. Newtonsches Gesetz, träge Masse in Bewegung, ich habe 2014 beschlossen, dieses Studium aufzunehmen und erfolgreich zu beenden, also mache ich das. Ich lass mich doch nicht von Geldproblemen, altem Trauma, neuer Scheiße, tragikomischer Lebensdramaturgie, so ein bisschen Pandemie oder einem psychischen Totalausfall aufhalten. Wäre ja noch schöner.


Die Abschlussarbeit wird fertig. Nicht, weil ich die Angst überwunden oder einen großen Erleuchtungsmoment gehabt hätte.
Ich habe beschlossen, dass sie fertig wird, also wird sie fertig.
Ich habe beschlossen, dass ich sie abgebe, also mache ich das.

Nachdem die letzten Sätze geschrieben sind, renne ich zum Copy Shop. Einerseits, weil die Zeit drängt, andererseits, weil die Ur-Angst und der damit einhergehende Fluchtreflex da sind. Angst vor Menschen, Angst vor Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, Angst vor allem, wie ein wildes Tier, das man gefangen und in der Stadt ausgesetzt hat.
Zweimal drucken, zweimal binden, einmal auf CD, einmal Briefumschlag bitte.

Danach laufe ich durch meine große Stadt und während ich mir so dabei zuschaue, erinnere ich mich an das, was Legolas von Menschen und Kriegen erzählt hat. Und an einen Theatermenschen, der nach einem Stück gesagt hat, andere spielen ihre Rolle, Frau Mayhem wird vom Menschen zur Naturgewalt.
Ein paar mal werde ich fast von Rad- oder Autofahrern überrollt, die der Meinung sind, so eine rote Ampel wäre eher ein Vorschlag als eine Anweisung; ich widerstehe dem Impuls, irgendwie zu reagieren oder auch nur einen Schritt langsamer zu laufen. Ich lass mich doch nicht von Arschlochmenschen oder meinem Bedürfnis, ihren Schädel auf den Asphalt zu schlagen, bis nur noch blutiger Glibber übrig ist, aufhalten.


Nach ein paar Abkürzungen über Firmenparkplätze, durch den ein oder anderen Hinterhof und einen Bürobetonklotz (ich lauf doch keinen Umweg, wenn ich da einfach geradlinig vorne rein- und hinten wieder raus marschieren und so mehrere Minuten sparen kann) bin ich noch zur richtigen Uhrzeit am richtigen Gebäude.


Zwei Minuten später ist die Abschlussarbeit abgeben und ihr pünktlicher Eingang bestätigt.


Wieder zuhause ergreife ich prophylaktische Sicherheitsmaßnahmen für den großen Zusammenbruch, der hinter dem Nebel lauert und irgendwann rauskommen wird.
Sicherstellen, dass genug Lebensmittelvorräte für die nächsten Tage da sind, eine schwere Decke bereit legen und schon mal ein paar Filme raussuchen. Was stumpfsinnig-lustiges, falls das doch mal hilft, was verstörend-grausiges, falls ich mich in die Realität zurücktriggern muss. Lars von Trier zur Beruhigung, für die Rückkehr zu emotionaler Ausgeglichenheit und Seelenfrieden.
Wie abgemacht kurzes Telefonat mit der Therapeutin, um meine Verfassung zu evaluieren.
Ganz viele Emotionen, aber alle unter einer dichten Nebeldecke. Zwischenwelten, Überforderung, Traumahirn.
Ich widerstehe der Versuchung, den Nebel für mehr Produktivität ausnutzen oder zwanghaft verjagen zu wollen.
Stattdessen verordne ich mir eine mehrtägige Pause, bis zu eine Woche verschreibe ich mir, beruhige mich aber, dass ich das nicht einhalten muss, wenn ich nicht möchte.
Verschiebe die Jobsuche auf das Ende jener Pausenwoche, das Weiterschreiben an den anderen Master-Angelegenheiten auch. Meine Aufgaben sind jetzt, mich zu entspannen (eine Maßnahme, deren konsequente Umsetzung, bzw. das notwendige Festhalten daran trotz der Zwischenrufe aus dem Kopf, durchaus auch stressig sein kann), Yoga zu machen, schrittweise Zimmer und Wohnung wieder hübsch zu kriegen und aufzuarbeiten, was alles an Erwachsenen-Dingen liegen geblieben ist.
Später.
Erst mal Pause.

Muss mich ja nicht auch noch fahrlässig in (weitere) Abgründe stürzen, nur, weil die erste Abschlussarbeit abgegeben ist.





arboretum, Montag, 12. Oktober 2020, 20:23
Hey, hey! :-)

Und dann auch noch eine 1,2 in Sprachwissenschaft.

Die Pause hast Du Dir verdient. Ich wünsche Dir, dass Du Dich gut entspannst und von den Strapazen erholst.