Mittwoch, 14. September 2011
Thema: monolog
Guten Tag, ich bin die Zukunft.
Nicht etwa, weil mich der Größenwahnsinn völlig vereinnahmt hat, nein. Ich kann mich daran erinnern, wie das früher gesagt wurde, zu meinen Eltern, "Kinder sind die Zukunft", und heute saßen wir da so, die angehenden Abiturienten, jetzt großen Qualifikationsphase 1, erstes Semester, und der Mensch, dieser Mensch, der letzte, der uns in Mathe unterrichten wird, hat so etwas ähnliches gesagt. Während der Religionlehrkörper sich darauf beschränkte, uns zu erklären, wie verdammt stolz wir sein können, überhaupt so weit gekommen zu sein, uns allesamt zur Elite erklärte und ankündigte, das nächste große Ziel sei das Abitur und ich mir dachte, ich muss erstmal dieses Halbjahr/Semester schaffen, sagte der Mathelehrer, wir seien die Zukunft. Vielleicht sogar sowas wie Hoffnung.
Und ihm nimmt man das irgendwie ab.

Wahrscheinlich enden wir als arbeitslose Akademiker; zumindest diejenigen, die es schaffen,wir wurden ja mehrfach darauf hingewiesen, dass die Quote derer, die durchfallen, im Vergleich zu den G9-Jahrgängen viermal so hoch ist.
Aber es endet.
Ich sag es so halb ironisch, wir werden alt, und für mich fühlt es sich trotzdem noch so oft so gleich an, gesiezt wird immernoch nicht, sicher, wir haben in Mathe und Wirtschaft jetzt richtigen Unterricht, in Chemie muss ich effektiv ein ganzes Jahr nachlernen und die Mitschreibpflicht entfällt, aber wir haben immernoch den selben midlifecrisisgeplagten Deutschlehrer, bei dem ich nichts lerne und das Gefühl habe, er würde die Noten würfeln, und in den Pausen beobachte ich immernoch manchmal das ehemalige Problem..

Und dann fällt mir auf, dass es doch nicht mehr dasselbe ist. Kleinigkeiten sind es.
Busfahrkarten selbst kaufen, über 22 Euro für eine Woche, Vergünstigung beantragen und eventuell Teilerstattung; Stundenpläne muss man sich in nicht vorhandener Freizeit selbst zusammenschreiben und dabei auch gleich, in welchen Kursen man sitzt, es gibt ein eigenes Sekretariat, man darf legal den Arbeitsraum betreten und in den Pausen sitzt man nicht mehr in der Aula, sondern im Oberstufenzimmer, oder man läuft zum Supermarkt um die Ecke und holt sich Kaffee.

Und in diesem Oberstufenzimmer mit den abgeranzten Sofas, die vom Sperrmüll geholt wurden, wummert schlechter Techno aus dem alten Computer, den nur die 12. Klasse benutzen darf, die, die jetzt Abitur machen, und beim Computer sitzt das ehemalige Problem, verkifft wirkend wie immer, obwohl er anscheinend inzwischen nichtmal mehr raucht, sitzt da, entweder in Jogginghose und Kapuzenpullover und mit ungekämmten Haaren, oder, seltener, in Jeansröhre und Shirt, und lebt einfach sein Leben so vor sich hin.
Sitzt einfach da und exisiert so radikal an mir vorbei, dass es trotz aller Distanz ein bisschen wehtut, aber ich kann ehrlich nicht sagen, wieso.
Vielleicht Macht der Gewohnheit.

Und wir sitzen so alle in unserem Oberstufenzimmer, mit Sperrmüllsofas, angesprayten Wänden,Röhrenbildschirm, schlechter Technomusik und einem Waschbecken, nach dessen Benutzung die Hände dreckiger sind als davor, und auf einmal sind wir die "Großen".
Auf einmal sind wir es, für die es die ganzen Infoblätter gibt, die mehrmals die Woche zur Berufsberatung herangezogen werden, die Seminararbeiten schreiben müssen.
Die, in seinem Fall, Abitur schreiben, nicht in ein paar Jahren, sondern jetzt,und irgendwie hat er sich zwar verändert, aber ich weiß noch, als ich zum ersten Mal mit ihm geredet habe, da war ich in der 5.Klasse.
Jetzt steht nichtmal mehr ein Buchstabe hinter der Zahl, sondern davor, Q11, und bei ihm steht Q12.
Und es ergeben sich durch Kurswahl Freistunden zu den beschissensten Zeiten, und in den Freistunden sitzt man jetzt doch da und arbeitet manchmal für die Schule, Notizen aus dem Unterricht in sinnvolle Hefteinträge umwandeln; manchmal auch einfach nur reden und rumsitzen, auf den Sperrmüllsofas im abgeranzten Oberstufenzimmer. Manchmal nur auf der Kante vom Sitz,weil so viele Leute da sind, manchmal könnte aber auch jeder von uns drei Sofas haben, je nachdem, wer gerade Unterricht hat.

Und ich gehöre immernoch nicht dazu. Die ehemals Parallelklassmenschen reden nicht mehr (mit mir), weil die einzige Fastfreundin sich an die Fachoberschule verzogen hat und meine soziale Ader eine neue Zweckgemeinschaft hat entstehen lassen, mit einem Mädchen,das wirklich ganz alleine ist, aber noch unbeliebter als ich, und ich merke wieder, dass ich es mit Plastikmenschen zu tun habe. Also beschränke ich mich auf Zweckgemeinschaften, und wenn die nicht zustande kommen, weil niemand da ist, setze ich mich neben die eine Zweiergruppe aus Plastikmenschen, die in den Kursen sitzt, in denen ich sonst alleine bin, und wirke wenigstens ein wenig angeschlossen. Man könnte sagen, wie früher auch, mit der Ausnahme,

dass es mir egal ist. Genau so egal wie dumme Blicke anderer Plastikmenschen, blöde Kommentare und alles,was dazugehört.

Der einzige, der in mir noch ein bisschen Unbehagen und Zweifel hervorrufen kann, ist das ehemalige Problem. An schlechten Tagen vielleicht etwas mehr, an ganz schlechten Tagen können vielleicht auch andere ein bisschen Unbehagen auslösen, aber nicht gestern und nicht heute.


Aber der einzige, der mir wehtun kann, ist die alte Sache,
und das hat er schon. Ohne es zu wollen.
Tausendfach, Milliarden an Kleinigkeiten.
Mehrere große Schläge.
Mein Herz ist krankenhausreif.


Mein Herz krankenhausreif und ich am Ende vom Ende, richtig gelesen, ich fühle Licht am Ende des Tunnels, völlig ohne Grund und ohne Anlass (zu hoffen), in mir drin die leise Stimme, die sagt,dass es doch nur der Anfang vom Ende ist, großer Paukenschlag und fertig, aber es gibt auch eine Gegenstimme.


" Das ist die Ruhe vor dem Sturm."