Montag, 26. Dezember 2011
Der Feindinfreund wirkt genauso begeistert wie ich, allerdings steigert sich seine Begeisterung ins Unendliche, als wir, nach 10 Minuten Aufdemparkplatzwarten, von einem Bekannten seiner Freundin gesichtet werden und sie von diesem umarmt und hochgehoben wird.
Ich finde den Bekannten auch nicht gerade sympathisch, was aber daran liegt, dass er stolz erzählt, wie betrunken er doch ist, und aus seinem Shirtkragen ein Teil der Brusthaare den Weg in die Freiheit gefunden hat. Uwaaaaah.
Stelle ich zu hohe Ansprüche an die Männerwelt, wenn ich ein im Zaum gehaltenes Brusthaar...toupet wünsche?
Anyway. Wenigstes war ihm nicht kalt, und dank ihm waren wir es, die an der Schlange vor der Luxusabsteige vorbeigewunken wurden und geradewegs Richtung Bühne marschieren konnten, ohne von irgendwem aufgehalten zu werden, und der Gitarrenmann auf der Bühne war trotz übertriebener Nebelmaschinen-(argh, schon wieder.. ich habe das letzte Mal noch nicht verarbeitet)Laser-Blitz-Licht-Flash-Show so gut, dass er sogar davon ablenkte, dass wir uns in der Luxusabsteige befanden, die so... nichtabsteigenlike ist, dass man dort vermutlich sogar gefahrlos den Wasserhahn auf der Toilette aufdrehen und gleich die Hände zum Waschen drunterhalten kann.
Verkehrte Welt.

Entweder lag es daran (Kulturschock, wer weiß..), oder vielleicht auch an den vor uns stehenden Pubertätsidioten, die sich trotz genügend Platz vor ihnen immer weiter gegen uns drängelten, sodass mir nichtmal klatschen möglich war, weil ich die Hände nicht nach oben nehmen konnte, dass mir mit der Zeit ziemlich schwindlig wurde.
Dehydrierung schloss ich aus, ich habe Frittenbude und vorher Egotronic durchgetanzt, ohne was zu trinken, Schwangerschaft war ebenfalls eher unwahrscheinlich, höchstens spontan unbefleckte Empfängnis, so zu Weihnachten, somit beschloss ich, weiter witzuwippen und dem Gitarrenmann zuzuhören, vielleicht würde sich das Schwindliggefühl ja noch verabschieden (Ja, als Rotkreuzmensch sollte ich es besser wissen).
Als mir dann bei Zugabe Nr.1 nicht mehr nur schwindlig war, sondern die Rückenschmerzen auch unerträglich wurden, überlegte ich, eventuell rauszugehen, an die frische Luft, vielleicht würde es ja auch gegen die spontane Übelkeit helfen.
Schlau wie ich bin, wollte ich die Feindin bitten, mitzukommen, sichtete aber dummerweise genau in dem Moment das Problem und seine neue Freundin auf der Treppe neben uns und redete, wohl aufgrund dieser Ablenkung, vermutlich zu leise oder in die falsche Richtung.
Jedenfalls reagierte sie auf mein aus akutem "Mir wird schwarz vor Augen" resultierendes Festklammern eher verzögert, ließ sich dann aber dazu herab, mich nach draußen zu begleiten. Schwankende Frau Mayhem vorbei am Problem und sehr vielen Leuten, die ich alle nur als schwarze Konturen im schwarzen Flimmern wahrnahm, und alles, was ich dachte, war, nicht umkippen. Nichtumkippennichtumkippennichtumkippen.
Alles wird gut. Nur nicht umkippen.
Keine Ahnung, was die dachten, bestimmt, dass ich betrunken war oder so, war ich aber nicht, bin ich ja praktisch nie. Nichtumkippen.
Da, Stufen. Nicht runterfallen. Bänke? Reingeräumt, Winter. Aber ne Mauer. Mit Geländer. Nichtumkippen.
Auf die Mauer setzen. Gottseidank.
Atemerleichternde Haltung. Stelle aber fest, dass Übelkeit und Schwummrigsein schlimmer sind als die Luftholprobleme, lasse es somit und bitte die Feindin, mir irgendwas zuckerhaltiges, trinkbares zu holen.
Und sobald ich wieder ansatzweise klar denken kann, meldet sich das schlechte Gewissen. Wegen mir verpasst sie die Zugaben des Gitarrenmanns.
Draußen sind nur die Kettenraucher, die rauchen müssen weil sonst ihre Welt untergeht, der Rest ist drinnen, beim Gitarrenmann, oder ein Stockwerk tiefer, bei Drum'n' Bass oder in der Bar zwischendrin.
"So Maus." Die Feindin drückt mir eine Flasche Cola in die Hand, selbst nachdem ich sie geleert habe, geht es mir nicht besser, aber die Feindin friert und ich sehe zumindest wieder was, also gehen wir rein, in die Bar, wo es auch Sitzmöglichkeiten gibt.
Ganz langsam, ich bei ihr eingehakt.

In der Bar ist es voll und verraucht und das Licht ist grün,so ein schönes blaugrün. Fichtenwaldgrün. An den Wänden hängen Bilder von Auftritten, die hier mal stattgefunden haben, und die Tische und Stühle erinnern schon eher an die Absteige.
Ich mag das.
Außerdem die Kuriositätensammlung hier, man sieht auch andere Großohrlochträger und Hautverzierte außer mir, und als die Feindin mich Richtung Tresen zieht, um meine leere Flasche abzugeben, begegnen wir ihrem Bekannten, und er sucht Körperkontakt zu mir und ich sage, Alter, kannste knicken.
Und weil es mir so scheiße geht weil und das Problem eine Freundin hat, packt mich auf einmal das Selbstbewusstsein, und ich überlege, den beim reingehen gesichteten Halbgutaussehenden, der beim anderen Barkeeper herumsteht und auf sein Getränk wartet, doch mal anzusprechen.
Einfach so, um zu gucken, wie er so reagiert. Wenn gut, dann gut, ansonsten ists halt doof, aber meine Güte, mein Herz hat gerade zu viel zu tun, um an jemanden verschenkt zu werden.
Ich lasse es trotzdem, das mit dem Ansprechen, weil mich eine Horde Mitkollegiatinnen sichtet und in ein Gespräch verwickeln will, doch just in dem Moment steigert sich mein Schwindelgefühl und die Übelkeit gleich mit, sodass mich die Feindin weg von ihnen und auf einen freien Barhocker schubst. Anscheinend funktionerte gerade halten auch nicht mehr so gut.
"Maus, ich bin gleich wieder da, ich sag nur meinem Freund Bescheid. Beweg dich am besten nicht hier weg, ok?" Und weg war sie.
Hm. Langsam wieder Klarheit, aber der Rest immernoch scheiße. Vorsichtig drehte ich den Kopf und sah mich weiter um. War ja auch ganz nett hier.
Und weil die doofen Zufälle nur dann passieren, wenn sie gerade nicht passen, sichte ich tatsächlich den Fremden, nichtmal weit weg, fast direkt neben mir. Mit Reden war halt leider nix, weil mein Kreislauf spontan beschlossen hatte, sich in den Keller zu stürzen und dort zu bleiben.
Blöd, aber noch blöder war, dass ich zwar Ansprechmut hatte, aber es am Physischen scheiterte. Denn der Fremde war nicht alleine, sondern mit Begleitung da. Zwei Vermutlichfreunde, von denen mich einer wohl vom Barhocker gehauen hätte, würde dieses Risiko nicht sowieso schon bestehen.
Nicht klassisch schön war er, dafür war seine Nase zu groß.
Skischanzennase, genau wie meine. Auch ansonsten nicht überdurchschnittlich, so rein objektiv betrachtet. Aber ich betrachte ja nicht objektiv.
Sein Gesicht hatte etwas besonderes, irgendwie,nicht näher definierbar, was und er hatte braune, längere Locken, Durchwuschelhaare.
Allein das hätte im Extremfall schon gereicht, in Verbindung mit der Restperson kam aber etwas interessantes raus. Ich tippe auf Musiker, er hat so etwas an sich, man erkennt das mit der Zeit..
Vielleicht ja ein Bandkollege, oder ein Absteigenbekannter des Fremden.
Irgendwie kommt er mir ja auch bekannt vor.. mir fällt aber nicht ein, woher. Hab das Gesicht aber schonmal gesehen, mehrmals sogar. Hm.
Als er etwas zur anderen Fremdenbegleitung sagt, stelle ich fest, dass für die Stimme des Wuschelhaarigen das selbe gilt wie für den Rest: Nicht klassisch schön, aber interessant, auf positive Art und Weise. Irgendwie ja doch ganz angenehm.
Im Gesamtbild wesentlich besser, als es jetzt klingt, und ich hätte vermutlich "anziehend" geschrieben und wäre total verknallt gewesen, wäre ich nicht gerade irgendwie seelisch kaputt.
Ja, wäre ich nicht gerade irgendwie seelisch kaputt, wäre ich wahrscheinlich massivst geflasht gewesen von dieser Person, und hätte ich trotzdem das "Ach, scheiß drauf, ich rede jetzt mit dem"-Gefühl gehabt, dass ich hatte, hätte ich vermutlich.. ja, mit ihm geredet.
So saß ich da, in dieser Bar, einer Absteigenoase in der Luxusabsteige,und man hörte sogar hier den Gitarrenmann noch.
Er sang darüber, dass er, wenn er die Welt retten müsste wie Tim Bendzko, die Welt Welt sein lassen würde und zu seinem Mädchen gehen würde, um den Rest solle sich irgendein anderer Idiot kümmern.
Und dann war das Lied rum, und der Gitarrenmann sang über traurige Liebe, und ich dachte mir, verdammt Feindin, mach schneller, ich muss hier raus.
Fehlte nur noch, dass das Problem auftauchte, doch dieser Zufall blieb mir glücklicherweise erspart.
"Willst du was trinken?" Der Barkeeper tippt mir auf die Schulter, in seinem Gesicht steht eine Mischung aus freundlichem Interesse und Genervtsein.
"Nein Danke, ich hab mich nur hingesetzt, weil mir schwindlig und nicht so gut ist.. ist das ok?"
-"Ja schon ok, aber bevor du umkippst, sag Bescheid, alright?" Wie seltsam er dieses "alright" ausspricht.

"Naja, wenn der ... am Schlagzeug sitzt, kann garnix schiefgehen!" Der Fremde, ausnahmsweise normallaut.
Bei diesem Satz grinst er, und anscheinend sitzt seine interessante Begleitperson am Schlagzeug, jedenfalls schaut die nach unten, leicht verlegen. "So gut bin ich jetzt auch nicht..." Uh, bescheiden ist er auch noch.
Vielleicht auch regelmäßiger Absteigenbesucher.
Falls ja, und falls mein Ansprechmut bleibt, und ich mich wieder auf die Reihe kriege, und alles besser wird....
Schon wieder so viele Eventualitäten in dem Satz, die mich verunsichern, so weit, bis ich wieder in meinem Normalzustand bin.
Ein bisschen beobachte ich den Schlagzeuger noch aus dem Augenwinkel, wie er redet, mit Gesten, aber nur, wenn er etwas betonen will, das breite Grinsen, mit Zähnen, wenn er lacht, und wie seine Locken ein bisschen mitwippen, wenn er begeistert von etwas erzählt.
Die Feindin kommt wieder, mit Freund, ich rutsche von meinem Barhocker und halte kurz inne.
Der Gitarrenmensch singt "Ja wenn das ein Film wäre,dann hätte er spätestens jetzt Applaus verdient".
Er singt immernoch über traurige Liebe, glaube ich, und er macht das sehr schön, meiner Meinung nach.
Er kommt von hier, wo er jetzt gerade spielt; ich habe mal wieder eine Heimfahrt vor mir, während der ich vermutlich länger schlafen werde als früher während Physik.
Aber ich fühle mich da verstanden, gerade, jetzt, in diesem einen Lied, und mit dem einen Lied, da hätte er mich fast zum Weinen gebracht.

Aber die Feindin, der Feindinfreund, ihr Kumpel und ich, wir gehen, weil sie weiterwollen, ein letzter Blick zurück und der Schlagzeuger schaut mich an, ganz kurz, weil da auf einmal Bewegung in die Masse kommt, dann sind wir draußen, und da stehen das Problem und seine Freundin, einfach so. Und er guckt. Aber nicht zu mir, sondern zu ihr. Glücklich. Sie. Sie wirken so glücklich.
Stehen da rum und sind einfach so glücklich.