Freitag, 6. März 2020
Das Leben scheint sich ein Beispiel an meinem Dickschädel zu nehmen.
Oder an meinem Humor.
In jedem Fall produziert es gerade eine ganz erstaunliche Menge an Phänomenen, die ich noch nicht klar als Wunder, Skurrilität, oder Vorboten der nächsten Runde auf der Geisterachterbahn einordnen kann.

Angstblockade in allen Uni- und Alltagsbereichen, Genialitätsanfälle im Freundeskreis (nach wie vor noch nicht vergrault) sowie vor und auf der tatsächlichen Theaterbühne.
Therapiefortschritte, Ernährungsfortschritte und die Unfähigkeit, das als Erfolge zu wertschätzen, weil die Unibaustelle wichtiger ist und ich dort (gefühlt, die Therapeutin sagt, ich soll mich nicht dauernd selbst fertig machen) versage. Oder das Versagen droht, und ich aus meiner beschissenen Selbstsabotage anscheinend doch nicht rauskomme.
(Oder Angst habe, sie nicht früh genug/lange genug ruhig stellen zu können. Empfinde es als relativ entmutigend, dass die dumme Sau gerade jetzt wieder auf den Plan tritt, wenn ich sie am wenigsten gebrauchen kann.)

Jemanden kennen gelernt, der zu denken scheint, dass er mich mögen könnte.
Der Cousin einer Schauspielkollegin wurde zum Souffleur ernannt, und dieser Souffleur scheint irgendwas besonderes an mir zu sehen.
Sitzt da so rum und macht sein Ding, schaut dabei aber immer mal wieder nach mir. Ob es mir gut geht.
Ob er seine Sache richtig macht.
Ob er nach der Arbeit vorbeifahren und mich einsammeln soll, damit ich nicht zum Aufführungsort pendeln muss. Und dass er mich danach auch heimfahren kann.
Dass er mir gerne nen Kaffee oder was zu Essen mitbringt, als Schauspieler vergesse man sowas bestimmt manchmal?
Wie es meinen Katzen geht.

Ich pendle zwischen Faszination und Fluchtreflex.
Faszination am Anfang, die ersten paar Male, als er da plötzlich rumgestanden hat.
Fluchtreflex, seit er vorsichtig meine Nähe sucht.
Nicht aufdringlich, nicht schmierig-gruselig-eklig, stets mir die Entscheidung überlassend, wie viel ich gerade ertrage.
Eskalation auf der Kommandobrücke - Houston, wir sind getriggert.

Der Souffleur taugt nicht zum Idealbild, was prinzipiell eine gute Sache ist. Scheiß auf die Vergötterung; ein Lob der Realität, der tragfähigen.
Er ist ein paar Jahre jünger als ich und vielleicht so ein bisschen Dorfkind, wobei noch unklar ist, ob er das ist oder seine Unsicherheit. Die Nervosität, das Gefühl, besonders cool, besonders witzig, besonders sein zu müssen.
Kommt skurrilerweise nicht aus meinem Hirn, sondern aus seinem.
(Ein Lob dem Therapiefortschritt.)
Dabei spart er sich das Idealisieren oder Dämonisieren, weil das Kennenlernen anscheinend schon spannend genug für ihn ist.
Er gibt sich Mühe, aber es hat nicht den Anschein, dass er das mit einer bestimmten Agenda tut - kein manipulieren, kein hinarbeiten auf irgendeine Idealvorstellung eines Postens, den ich besetzen soll.
Nope, der macht das einfach so. Als wäre ihm was dran gelegen, Zeit mit mir zu verbringen und zu schauen, wer ich eigentlich bin.
Verstörend.

Er hat nach meiner Nummer gefragt und ob wir nach den Aufführungen, wenn wir beide mehr Zeit haben, mal was machen wollen, Gruftkeller oder so.
"Du hörst das doch gar nicht, fühlst du dich dann nicht unwohl?"
- "Das eine Mal werd' ich schon überleben. Dir gefällt's da, oder?"
"Geht schon. Ist auch meistens mein Vorschlag für Leute, denen ich die Konzerte nicht antun will, die ich sonst besuche.
Ist aber trotzdem komplett andere Ecke und ich möchte nicht, dass du dich da irgendwie verpflichtet fühlst, wir können echt auch wo anders hin."
-"Das weiß ich auch, dass man bei euch in der Stadt immer wo anders hin kann. Aber deine schräge Musik gehört halt zu dir dazu, und wenn das dein Schuppen is', zieh ich mir das eben rein."

Sollte ich dem Unterfangen zustimmen (und er nach wie vor ebenfalls), werde ich also in naher Zukunft mit dem Souffleur im Schlepptau tanzen gehen.
Weil er, silberkettchentragend, mit schlechten Tattoos dekoriert und gefühlt aus dem Ghetto heraufbeschworen, beschlossen hat, dass er mich, festivalbändchentragend, mit ziemlich grandiosen Tattoos dekoriert und vermutlich aus irgendeinem Sumpf gekrochen, kennen lernen und sich dabei nach mir richten möchte.

Und weil ich es mittlerweile hinkriege, beim Männer-/Frauen-TÜV zwischen "Das brauche ich" und "das möchte ich" zu unterscheiden.