Dienstag, 24. April 2012

Bob Dylan - The Times They Are A-Changin - MyVideo
In diesem Eintrag nachfolgende Zitate stammen alle aus dem eingebundenen Lied.



Als ich meinem Vater gegenüber saß, habe ich geredet.
Ich habe geredet über Unterhaltszahlungen und über Wohnung suchen.
Darüber, dass eigentlich nicht seine Freundin die Person ist, die entscheidet, ob ich hier wohne oder nicht.
Übers Dableiben und übers gehen.
Darüber, dass ich eine klare Ansage von ihm hören möchte.
Come mothers and fathers
throughout the land
And don't criticize
what you can't understand
Your sons and your daughters
are beyond your command
Your old road is
rapidly agin'
Please get out of the new one
if you can't lend your hand
For the times they are a-changin...


Als ich all das gesagt habe, hat mich mein Vater angeschwiegen, als ich nach seiner Meinung gefragt habe, hat er wieder kurz aufgelacht und außer einem "welche Meinung?" habe ich auch im weiteren Gesprächserlauf nichts zu hören bekommen.
Nicht, als ich sagte, was mir lieber wäre.
Nicht, als ich sagte, dass ich in meinem Auszug die einzige Möglichkeit sehe, unsere kollabierende Familie irgendwie zu stabilisieren.
Und dass er trotz allem immer mein Papa bleibt, denn das, was er gesagt hat; dass die Tür immer nur angelehnt, aber niemals ganz verschlossen sein wird, egal, für wen, das halte ich ein, daran halte ich mich.
Auch, wenn sonst nichts mehr Halt gibt.


Als ich mit der neuen Mitsanitäterin alias der Nixe geredet habe, habe ich gemerkt, dass ich es geschafft habe, ein Stück weiter zu mir zu finden.
Als ich ihr zugehört habe,
als ihre Worte die selben wie meine damals waren, nur ohne Verliebtsein,
und meine Antworten die der alten Sache.
Als ich ihr unbewusst mehr geholfen habe, als reguläre Freunde und Familie zusammen,
und Fehler verhindert habe, die größere Folgen gehabt hätten als die, die ich selbst mir geleistet habe.

Als der Solariumfan sagte, ich solle mich melden, wenn ich wieder in die Absteige gehe, habe ich ihm zugesagt.
Nicht, weil ich eine Fahrgelegenheit brauche, ich bin bald selbst alt genug, um zu fahren,
und nicht, weil ich mir Vorteile dadurch erhoffe.
Weil er sich ein wenig zu freuen schien, und weil da zumindest temporär eine andere Absteigengruppe zu entstehen scheint, eine, bei der die ruhende Mitte nicht alte Sache, sondern mayhem, und die desorientierte Teilzeitverlorene nicht mayhem, sondern Nixe heißt.
Bei der die immer positive, einfache Person nicht die Schwester, sondern die Nachbarin ist.
Und bei der nicht der Kriemhildfreund fahren muss, sondern wohl öfter der Solariumfan, der das eventuell sogar freiwillig zu übernehmen scheint.

Wenn ich die alte Sache bald übers Wochenende besuche, werde ich versuchen, Klartext zu reden.
Werde sagen, dass ich merke, wie die Freundschaft zerfällt, unsere und die der ganzen Gruppe, und dass ich den Auslöser nur in wenigen Einzelfällen genau definieren kann.
Dass es mir wehtut und ich es eigentlich nicht will, der Prozess aber so weit fortgeschritten ist, dass man ihn nur noch schwer umkehren kann, und ich nicht das Gefühl habe, jemandem läge ähnlich viel daran wie mir.
Und dass ich versuchen werde, das zu akzeptieren.
In Memory of our friendship, die trotz allem so einzigartig und auf ihre Art und Weise toll war, dass ich es nicht sagen kann,ohne verbal den Bereich des Kitschigen zumindest ansatzweise zu streifen.


Wenn ich mich traue, werde ich diese Woche nicht nur ein Päckchen zur Post bringen, sondern auch einen Brief.
Der Brief wird an meinen Taufpaten, den Bruder meiner Mutter, gehen, und ich werde darin versuchen, zu erklären, warum ich mich seit ihrem Tod nicht mehr gemeldet und alle Kontaktversuche vehement abgelehnt habe.
Vermutlich wird er es nicht verstehen, was ich da schreibe, von emotionalen Blockaden und all dem, und dass ich es einfach nicht konnte, das Kontakthalten.
Ich kann es ja selbst nicht genau begründen.
Wenn ich mich traue, zu schreiben, werde ich ihm schreiben, dass es mir Leid tut, und ich hoffe, dass er, wenn er auch nicht verstehen mag, was eigentlich mit mir los war, doch zumindest diese Entschuldigung akzeptiert und den Fakt, dass das alles für mich notwendig war, um die ganze Sache wenigstens ansatzweise verarbeiten zu können.
Ich bin mir auch jetzt nicht sicher, ob ich ihm schreiben soll.
Eigentlich gibt es keine Zweifel, ich sollte schreiben, die Frage ist, ob ich es kann.
Wir werden sehen.


Und ich habe nicht nur die Nixe vor der größten Fehlentscheidung ihres Lebens und den Fotokursleiter vor seinem endgültigen privatfotobedingten Untergang bewahrt, sondern auch die Inkarnation des Bösen zumindest in Sachen Deutschklausurnote in Grund und Boden gekämpft, eventuelle ansatzweise Unterstützung gefunden, heute den Fremden nüchtern und außerdem wieder einen Regenbogen gesehen; den vierten innerhalb von vier Tagen.

Und ich habe Klartext mit meinem Vater geredet, ohne, dass er vorzeitig aufgestanden und weggegangen ist. Ich weiß nicht, ob es etwas gebracht hat und wenn ja, was; aber ich habe es ausgesprochen und er hat zwar nicht reagiert, und vielleicht hat er auch nicht richtig zugehört, aber wenigstens ist er bis zum Schluss sitzen geblieben.
Heute hat er mir einen Artikel über Kurt Cobain aufgehoben und gegeben. Er hat sich daran erinnert, dass meine Nirvanaphase vor ein paar Jahren die höchstmögliche Begeisterungsstufe erreicht und seitdem nicht mehr von da oben runtergekommen ist.
Ich glaube, Sie können sich nicht vorstellen, was so ein simpler Zeitungsartikel, akurat ausgeschnitten und an mich weitergereicht, weil auf dem Bild Kurt Cobain und im Untertitel "Nirvana" zu finden war, für mich bedeutet.
Und nicht, weil es da um Kurt Cobain und Nirvana geht.


Trotzdem gibt es da nichts mehr zu retten und zu richten, nicht dauerhaft und nicht, solange diese Frau, die ich eigentlich nie ablehnen wollte, an seiner Seite ist.
Es tut weh, sich das einzugestehen, und Teil wehrt sich auch noch dagegen, aber jetzt ist vermutlich die Zeit gekommen, in der für mich das Hoffen aufhört und der Rest anfängt.

The line it is drawn
the curse it is cast
The slow one now
will later be fast
As the present now
will later be past
(...)
For the times they are a-changin.




Sonntag, 22. April 2012
Da stehen wir an der Autobahnraststätte und warten.
Die Nachbarin hat ihre riesige Sonnenbrille aufgesetzt, der Solariumfan trommelt auf dem Dach seines Autos, ich atme Abgasluft, lasse mir den Wind durchs Haar wehen und muss die Augen zusammenkneifen, weil zur Abwechslung die Sonne scheint.
Manchmal sind die kleinen Momente die wirklich epischen.
Stehen an der Autobahnraststätte, weit genug weg von zuhause, um langsam aufzuatmen, aber nah genug dran, um immernoch die dunklen Schatten zu sehen, die "daheim" auf mein Leben wirft.
Dann sollen sie mich eben bedrohen, die Schatten.
Sehe zur Nachbarin, die sich inzwischen ins Auto gesetzt und angefangen hat, sich zu schminken, weil sie dazu vorher keine Zeit gehabt hat, sie musste früher mit der Arbeit aufhören und ist mit dem Fahrrad hergefahren, um uns noch zu erwischen.
Es ist immernoch seltsam, wieder Kontakt zu ihr zu haben, aber nicht unbedingt negativ.
Meine Angst vor fremden Menschen und davor, mit ihnen zu reden, hat die Angewohnheit, in der Gegenwart der Nachbarin entweder zu verschwinden oder sich zu ungeahnter Intensität zu steigern; für diesen Abend hoffe ich auf Letzteres.
Irgendwann hält das schwarze Auto, eine Hand winkt dem Solariumfan zu, er winkt zurück und die nächsten zwei Stunden fahren wir hinter dem Anderen her, bis wir irgendwann in der Stadt sind und etwas später vor einem Gebäude halten, das rein optisch einer Mischung aus Absteige, Luxusabsteige und Bordell gleicht.
Dort soll sie als Vorband spielen, die Gruppe um den Solariumfan.
Aus dem anderen Wagen steigen der Bruder des Fremden, der immer aussieht wie ein verlorener Plüschpinguin, der Musikmensch, ein mir Unbekannter und am Schluss der Fremde, mit etwas Abstand zum Rest, einer sehr niedergeschlagenen Ausstrahlung, seiner üblichen Anzugjacke und mit Augenringen, die selbst meinen Konkurrenz machen.
Gegrüßt werden wir nur vom Musikmenschen.
Ich schiebe es auf die allgemeine Anspannung und helfe, Musikinstrumente die vier Stockwerke nach oben zu tragen, bis irgendwann alles verräumt ist, wobei ich mir vorstelle, wie es wäre, wenn ich heute Sanitätsdienst hätte und jemanden von dort oben runter zur Straße schaffen müsste.
Beschließe, ab jetzt nicht mehr nur was für die Ausdauer zu tun, Hundertachtzigkilopatienten so weit zu schleppen, weil es keinen Aufzug gibt, ist nämlich definitiv kein Spaß. Aber irgendwer muss es ja machen.
Zwischen zweimal Schleppen lässt der Schlagzeuger der anderen Band einen blöden Spruch in meine Richtung wandern, den ich möglichst grimmig guckend ignoriere, die Nachbarin ist wieder im Dauergrinsmodus, der Solariumfan nicht ansprechbar, der Rest der Band sowieso nicht und auch der Fremde und sein unbekannter Begleiter sprechen lediglich miteinander oder tippen synchron auf ihren Handys.
How wonderful.

Dann kommt der Soundcheck, eine Basssaite reißt, der Fremde holt sich sein zweites Bier, sieben Minuten später geht es weiter und er holt sich sein drittes.
Bis der Soundcheck der ersten Band vorbei ist, hat der Fremde bereits vier Bier intus, steht aber stabil und wirkt auch so, sieht man von seiner Niedergeschlagenheit ab.
"Irgendwie sind die voll unfreundlich!", beschwert sich die Nachbarin, "keiner von denen sagt Hallo und die haben es nichtmal nötig, mit uns zu reden!"
-"Normalerweise sprichst du doch immer einfach die Leute an.."...und ich habe gehofft, dass du das heute auch tun würdest.
"Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist."
Das Gefühl kenne ich.

" If the sun won't shine for you, it won't either shine for me, my mistakes took me apart, I've faded and lost my path"
Weißt du, was du da mitsingst?
Das möchte ich ihn fragen, den Fremden, jetzt in diesem Moment, in dem er, mit der achten Bierflasche in der Hand, vor der Bühne steht und mitsingt, während sein Bruder und der Musikmensch ebendiese Zeilen ins Publikum werfen und mich dabei fester treffen, als mir lieb ist.
Er wirkt verlorener denn je, geredet haben wir immernoch nicht und ich will es in diesem Moment auch nicht ändern, zuviel von Musik ausgelöster Seelenschmerz bei mir, zuviel von Musik getriggerter Seelenschmerz bei ihm und zuviel Alkohol in seinem Blut.
Ob es ihn gerade wieder einholt?
Mein Blick wandert wieder zu ihm, und ich sehe gerade noch, wie er seine Flasche leert und sich auf den Weg zur Bar macht, um Nachschub zu holen, als ich unsanft angerempelt werde.
Nicht in Stimmung dafür, Leute dumm anzumaulen, drehe ich mich also nicht ganz so motiviert um und stehe auf einmal dem Rotkreuzmädchen gegenüber.
"Mayhem!"
-"Rotkreuzmädchen!"
Umarmung.
Sie hat es doch noch hergeschafft, ist nach der Arbeit und mit Tempo 160 durchgefahren, erzählt sie. Und dass ich gut aussähe, und sie es unglaublich fände, wie lang meine Haare geworden sind.
"Bist du alleine da?", will sie wissen.
-"Die Nachbarin ist dabei, und ich bin mit dem Solariumfan, das ist der da, der Schlagzeug spielt und gerade dem Musikmenschen beim Bühneumbauen hilft, hergefahren. Hast du noch jemanden mitgebracht?"
"Nö, ich finds so aber auch ganz nett, ehrlich gesagt".
Schön.
Sie erzählt von der Arbeit, nervigen Kollegen und davon, dass sie vielleicht doch studieren will,während auf der Bühne ein Keyboard und eine Harmonika, vor der Bühne der Fremde und sein neuntes Bier auftauchen und es trotz meiner Freude darüber, dass das Rotkreuzmädchen doch da ist,schaffen, meine Aufmerksamkeit ein wenig abzulenken, als sie zum dritten Mal das Gleiche erzählt.
"Duhu, Rotkreuzmädchen, wie viel Bier kann man, wenn man das öfters macht, an einem Abend trinken, also ohne, dass man umkippt?", fragt irgendwann die Nachbarin, die sich zwischendurch einen Sekt geholt und den Fremden wohl ebenfalls beobachtet hat.
Das Rotkreuzmädchen zieht eine Augenbraue boch. "Was soll denn jetzt die Frage?"
"Ach, ich hab da so einen gesehen", beginnt die Nachbarin, sieht kurz den Fremden an, dann mich und schließlich wieder das Rotkreuzmädchen, "und der hat schon beim ersten Soundcheck vier oder fünf Bier getrunken und bis jetzt keine Pause gemacht."
"Scheiß Säufer", flucht das Rotkreuzmädchen und nimmt einen tiefen Zug von ihrem Wodka-O. Damit ist das Thema für sie wohl auch beendet, jedenfalls schweigt sie, bis die Band fertig gespielt hat.
Auch bei der semibekannten Band gibt es Probleme mit der Technik, und so zieht die Nachbarin zunächst ihre Stiefel aus und setzt sich neben ihnen auf den Boden, beschließt aber nach einer Weile, dass ihr eher nach frischer Luft zumute ist und verabschiedet sich nach draußen.
Das Rotkreuzmädchen und ich, wir schweigen uns weiter an.
Eigentlich weiß sie, dass ich schnell verunsichert und keine Meisterin des Smalltalks bin, somit gehe ich davon aus, dass sie gerade nicht reden will. Sie ist eine sehr bestimmte Person, die einem auch sehr direkt die Meinung sagen kann und generell den meisten anderen Menschen skeptisch gegenüber steht, insofern bin ich erstaunt, dass sie sich über gerade meine Einladung gefreut hat und gekommen ist.
Ich überlege, ihr das zu sagen; das Risiko, eine nicht allzu nette (wenn auch nicht böse gemeinte) Antwort zu bekommen, ist ja leider doch relativ hoch..
"Hallo Leute, wir sind die semibekannte Band! Freut mich,dass ihr da seid! Geht's euch gut?"
Meine Fresse, wie ich "gehts euch gut", "könnt ihr mich hören" und andere tiefgründige Publikumsinteraktionsaufrufe hasse.
"Man ey, solche blöden Fragen kotzen echt an!", spricht das Rotkreuzmädchen meine Gedanken aus.
Trotzdem ist die Band ganz gut, und irgendwann geht der Sänger auch dazu über, einfach Sänger zu sein und das mit dem Pseudomoderatorenentertainment einfach wegzulassen.
"Ich freue mich übrigens, dass du hergekommen bist."
Da, ich habe es gesagt.
Und sie lächelt. "Jo, ist ja ganz gut hier, und ich hab schließlich gesagt, wenn wieder was ist, kannste dich melden."
In einer Pause sagt sie dann trotzdem, dass sie losmuss, und nach ein paar weiteren Liedern geht sie tatsächlich; Schichtdienst und nur 2 Stunden Schlaf sind eben nicht gerade ideale Voraussetzungen, um ein ganzes Konzert zu überstehen.
Ich bringe sie noch zur Garderobe, umarme sie zum Abschied, vergewissere mich, dass es der Nachbarin gut geht, die immernoch draußen sitzt und inzwischen mit einem der Türsteher über Zoobesuche spricht, und sehe auf dem Rückweg den Fremden an der Bar stehen und wieder Bier holen.
Ein Teil meines Gehirns zögert, diesen Fakt anzunehmen, er wäre dann beim 10., und das hört sich irgendwie nach zu viel für diesen eher kurzen Zeitraum an, und nach zu viel, um noch gesund zu sein.
Es war aber keine Einbildung, und als wir wieder vor der Bühne stehen, er mittig, ich seitlich, wirkt er enthemmter, headbangt auf einmal, wippt und hüpft mit, wenn die Entertainerseele des Sängers wieder mal zum Vorschein kommt und uns dazu auffordert, tut wieder so, als fände er ihn total toll und gröhlt beim Refrain mit.
Ach, Fremder...

"Ich rauch noch eine, dann fahren wir,ok?"
Der Solariumfan, nach abgeschlossenem Konzert wieder ansprechbar, zündet sich eine Zigarette an und prüft extra den Wind, um zu vermeiden, dass die Nachbarin, seine Band oder ich in der Rauchwolke stehen,was ich sehr rücksichtsvoll finde.
Gesprochen hat trotzdem keiner der anderen mit uns, entsprechend deplatziert komme ich mir in unserer kleinen Runde auch vor, und als der Fremde als Letzter die Treppen runterstolpert, sich zu uns stellt und dabei den Kreis so schließt, dass die Nachbarin und ich außerhalb stehen, ist auch dieses Thema beendet.
Außer der Nachbarin, dem Fremden und mir rauchen alle, wobei er er als Einziger Kritik an der Qualmerei äußert. "Das ist nicht gesund für dich, Solariumfan, es stinkt und schadet anderen, das ist schlecht", mahnt er.
"Deine Räucherstäbchen stinken auch", lacht der Pinguinbruder des Fremden, der daraufhin nur betroffen auf den Boden starrt und schließlich seine letzte Flasche abgibt.
"Wieviel hat der eigentlich getrunken?", fragt die Nachbarin den Solariumfan.
"Kann sein, dass es wieder fast ein Kasten war", meint er, "Das passiert bei dem aber manchmal, ist wohl normal".

Ob das normal ist, will ich von der Nachbarin wissen, als wir zurück zum Auto laufen und der Solariumfan noch mit dem Musikmenschen spricht.
Sie wisse es nicht, wirklich. Eine Weile überlegt sie noch, was sie sagen könnte, dann:
"Vielleicht musst du mal mit dem reden."
-"Warum?"
"Naja", erklärt sie, "der sah traurig aus, aber nicht so, wie man traurig ist, wenn jemand eine Verabredung vergisst, oder was ausverkauft ist, oder es Oma nicht gut geht, sondern so traurig wie du."
"Wie traurig sehe ich denn aus?", frage ich sie, und irgendwo in mir meldet sich ein wunder Punkt als leicht getroffen.
"Anders traurig. Das normale traurig wird schnell leichter, aber das andere traurig von dir und von dem Fremden, das geht nicht leicht weg,sondern das bleibt ganz lange da und man wird es nicht richtig los."
Wie lange sie schon über diese Traurigkeit nachdenke, möchte ich wissen. Ganz lange, lautet die Antwort. Schon seit wir wieder Kontakt haben, weil dieses Traurigsein, wie sie es nennt, schon so lange da ist. Der Fremde sei neben mir die einzige Person, bei der sie es gefühlt und gesehen habe, und bei ihm sei es sehr stark ausgeprägt.
"Nachbarin, denkst du, man kann ihm helfen?"
-"Das würdest du gerne machen,oder?"
Sie grinst mich an und fährt fort. "Ich weiß doch, dass du das oft machst, anderen so helfen, dass sie nicht mehr traurig sind. Aber der, der ist anders traurig als die Normalen, der ist so traurig wie du. Dann kann es entweder sein, dass ihr euch gegenseitig helfen könnt, oder dass es dann schlimmer wird.
Ich glaube aber, dass das dann besser wird. Und dass du jemand wie den Fremden brauchst, der dich versteht."


Die Nachbarin hat Talent dafür, mich ohne jegliche böse Absicht endgültig total aus der Bahn zu werfen, in der ich mich vorher sowieso nur noch unsicher schwankend halten konnte.




Donnerstag, 19. April 2012
Im Gesicht der Vatersfreundin der blanke Hass, in mir die altbekannte Verzweiflung.
Sie am schreien, mein Vater am Schweigen, die Sätze fliegen mir entgegen wie Handgranaten und weglaufen geht nicht, also lasse ich sie zu meinen Füßen detonieren und hoffe darauf, mit dem Leben davonzukommen.
Und sie schreit und schreit und lässt mich nicht zu Wort kommen, keinen Ton darf ich sagen, eigentlich solle ich noch viel weniger dürfen als nichts, und mit 18 würde ich rausgeworfen, von ihr höchstpersönlich, wenn es mein Vater nicht über sein kleines, kaputtes, eingegangenes Herz bringen sollte.
Keinen Cent Unterstützung werde ich von ihnen bekommen, schreit sie mir entgegen, Kindergeld und die halbe Waisenrente würden ja wohl dicke reichen, würde mir eigentlich auch sowieso beides nicht zustehen.
Lässt mich nicht zu Wort kommen, als ich sie darauf hinweisen möchte, dass ich dafür auch praktisch alles außer Strom und Wasser selbst bezahle und man von dem Geld mit Glück gerade die Kaltmiete für eine Wohnung zusammenbekommt.
Schreit, ich solle in mein Zimmer gehen, sonst würde sie gehen.
Dass ich sie und meinen Vater kaputt mache. Und damit aufhören soll, ich soll mich gefälligst selbst kaputt machen, man habe ja an meiner Mutter gesehen,dass ich das kann.
Wie meine Mutter sei ich, genau so.
Und wieder, entweder ich gehe oder sie geht.
Mein Vater im Hintergrund. Hatte sich hinter ihrer Wut und seinen Akten versteckt und tut es eigentlich immernoch, sieht aber ein, dass er Stellung beziehen muss.
"Geh jetzt in dein Zimmer". Ganz leise sagt er es und mit der Ruhe, die er sonst nur zeigt, wenn wir Dienst haben.
Der Kopf ist frei, doch das Herz ist so schwer, es könnte leicht sein, doch es wird immer mehr
Sehe der Vatersfreundin in die Augen, ohne ein Wort, eine Minute lang, und der blanke Hass starrt zurück und keift wieder, dass ich gehen soll, es würde sonst eskalieren, da ist dieses Vorahnungsgefühl, das man hat, wenn aggressive Familienmitglieder kurz davor sind, handgreiflich zu werden, und ich drehe mich um und gehe, bevor ich ihr die Gelegenheit gegeben hätte, ihre ungewaschenen Hände in mein Gesicht zu schlagen.

Sie schwankt zwischen betont fröhlich und vertontem Hass, beides möglichst so laut, dass ich es mitbekomme.
Da wird im Nebenzimmer ganz laut gelacht, um sich anschließend in der Küche über einen noch nicht in die Spülmaschine geräumten Löffel aufzuregen. Nicht mein "Neger" sei sie, und wenn ich unfähig sein "drinnen zu fressen", solle ich "auf dem Hof fressen, was anderes als fressen macht die ja nicht".
Ich bin mindestens acht Zentimeter größer als die Vatersfreundin und zwei Kilo schwerer.
Wobei man Gefühle ja nicht wiegen kann.

Alles wie Bleigewichte an meinen Füßen, eigentlich zieht schon das Restleben stärker, als es sollte, und so werde ich mal wieder nach unten gezogen, gefühlt geht es diesmal tiefer denn je.
Frage mich wieder, wo mein Kompensationsverhalten hin verschwunden ist, und wieso ich noch halbwegs funktioniere, obwohl es sich anfühlt, als würde ich jeden Moment zerspringen, einfach so.
Es tut weh, mehr denn je, jede Sekunde tut es das und ich übertreibe nicht.
Trotzdem geht es weiter. Die Ferien hindurch, bis jetzt, und auch morgen wird es weitergehen, wenn der Fakt, dass ich vor lauter Kaputtgehen viel zu wenig gelernt habe, sich in der Klausur aus der Hölle rächen wird.

Es wird auch am Samstag weitergehen, wenn ich mit der Nachbarin, dem Solariumfan und diesen fremden Menschen unterwegs bin.
Anfangsabsteigenphase, nur gesteigert und je nachdem, wie ausgeprägt sich meine Schmink- und Schauspielfähigkeiten an diesem Abend zeigen, ohne u18-Bändchen.
Und ohne die alte Sache, seine Schwester, die Feindin, sie und die Anhängsel.
Geht verloren, all das. Ist vielleicht schon verloren gegangen.

Geht alles verloren,inklusive mir, und eigentlich sollte doch alles ganz anders sein, leichter zu ertragen und nicht so kaputtmachend.
Keiner hat mir gesagt, dass es mich so kaputt machen wird.

Aber es hat auch keiner gesagt, dass es leicht wird.
Meine Mutter hat gesagt, ich muss kämpfen. Wir müssten kämpfen, und es war ja so, wir beide gegen den Rest der Welt. Immer wir beide..
Sie gegen mich.
Sie gegen ihn.
Der Rest der Welt gegen sie.
Ich zwischen den Fronten.
Aber immer wir beide gegen den Rest der Welt.
Es gibt niemanden, dem ich eine derartige Verbundenheit entgegenbringe, wie ich es bei meiner Mutter tat, und es gibt nur wenige Personen, die ich ähnlich verabscheute, wie ich sie.

Ich verabscheue die Vatersfreundin.
Ich verabscheue sie für alle Handgranatensätze, die sie auf mich abgeworfen hat und abwirft, verabscheue sie für ihre aufgestauten Aggressionen, ihre Wut, ihren Hass, ihr Reinsteigern, ihr Nichtausredenlassen, ihr Tatsachenverdrehen und vor allem dafür, dass sie es an mir auslässt und auf mich konzentriert.
Die Quasi-Stiefgeschwister hatten, als sie alt genug waren, alle den Kontakt zu ihr abgebrochen, eine von ihnen hat daran bis heute nichts geändert.
Sollte ich so lange durchhalten, werde ich es vermutlich genauso handhaben.

Durchhalten ist wohl das Wort der Stunde, mehr denn je.
Durchhalten und hoffen, dass Amtsgewalten und das Schicksal gleichermaßen auf meiner Seite sind und möglichst auch bleiben.
Durchhalten und vergessen, dass es für mich schon schwierig ist, fremde Menschen nach der Uhrzeit zu fragen, und eigentlich unmöglich, ihnen meine Situation auf den Schreibtisch zu werfen, um Hilfe zu bitten und zu erklären,dass es keine andere Option gibt.
Alleine.
Wie eigentlich fast immer in den schwierigsten Situationen.
Das ist jetzt wohl einer der Momente, in dem ich mir wünsche, die alte Sache, der Kumpel oder irgendeiner dieser (ehemals?) so wichtigen Menschen hätte es ernst gemeint, als er sagte, er sei immer da, egal, was ist.

Vermutlich bin ich noch naiver als gedacht.











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Zitat aus Einfach nicht leicht von Frittenbude




Sonntag, 15. April 2012







Von der Belichtungsituation überlastete Kamera+Sonnenuntergangmodus= hat was.

Nur das erste Bild ist nachbearbeitet.

Ich bin ja generell so ein Sonnenauf- und untergangsfan, eventuell editiere ich später noch ein paar Bilder hier rein.