Donnerstag, 21. August 2014
Tante Emma und ich haben es uns auf dem WG-Sofa bequem gemacht und tun das, was man wohl gemeinhin als "chillen" bezeichnen würde, wäre da nicht die standardmäßige innere Unruhe, die mein Seelenleben aus dem Exil funkt. Standard soweit.
Dann ein Anruf vom Proll, dem Freund der Prinzessin (Tante Emmas Schwester). Der Herr hat gerade Geld und ihm steht der Sinn nach Party.
In die Glitzerdisco soll es gehen, er würde uns ein Taxi entsenden, sämtliche Getränke bezahlen und mir eine bis zwei Schachteln Zigaretten spendieren, damit ich nicht meinen ganzen Tabak auf(b)rauche, um das musikalische Schlachtfest zu überstehen. "Und wir trinken Kurze." Die brauche ich dann wohl auch.
Mein Ausnahmsweisefeierabendbier sorgt nicht gerade dafür, dass die mir eigene Gutmütigkeit gedämpft wird, und so zeigt Tante Emmas bekiffte Zeitlupen-Argumentation von wegen "Schwester endlich wieder sehen" (Ja, letzte Woche ist schon so lange her), "einfach aufm Raucherbalkon sitzen und chillen" und "Boah, Burger King!" Wirkung.
Gefrustet von allen Exilsachsen und Surfern dieser Welt, der baldigen Besucherin und wie sie alle heißen, sowie der Gesamtsituation, ringe ich mir ein "Is ja gut, sag ihm wir kommen mit. Und zweimal Pall Mall Menthol. Und Salitos. Literweise Salitos und Cuba Libre. Und für dich nen kleinen Kirschsaft" ab.

Im Hintergrund spielt He's a Pirate das Lied aus dem "Spiel mir das Lied vom Tod"-Soundtrack, als ich aus dem Taxi steige, Kampfstiefel an den Füßen, (Kunst-)Lederjacke (nach dem Waschen gemäß Etikett in postapokalyptisch-dunkelgraumelierter Mad Max-Optik) über einem Arm, die glücklich zugedröhnte (dass sie nicht sabbert, ist alles) Tante Emma überm anderen gefaltet, mit wehendem Haar und der Mütze, die mir Mr.Gaunt geschenkt hat, auf dem Kopf (Mütze gibt Sicherheit, zumindest diese), und vielleicht nicht zu hundert Prozent motiviert, aber definitiv stilecht in die Glitzerdisco einmarschiere.

Neben sehr vielen irritierten Blicken bekomme ich vor allem unglaublich schlechte Musik entgegengeworfen und verbringe die ersten zwei Stunden pendelnd zwischen Bar und Raucherbalkon.
Der ist, genau, wie mir der Surfer erzählt hat, als er sich gerade noch ein Glas Wasser holen wollte und Tante Emma und ich abgeholt worden sind, wirklich ganz nett, Sand auf dem Boden, Korbsessel, Sofas, hab schon Schlimmeres gesehen.
Die Sehnsucht, die ich nach derAbsteige, oder alternativ wenigstens dem Gruftkeller, verspüre, ist nicht in Worte zu fassen.

Zwischen ach-so-lasziv (innerhalb ihres Kopfes: hocherotisch, Außerhalb: Paarungstanz einer Lemurendame auf Speed) tanzenden Vierzehnjährigen (Sondermodelle in der Mittzwanzigervariante ebenfalls vorhanden), halb vögelnden Pärchen (langfristig oder für ein paar Stunden), den obligatorischen Obercreeps (die gibts irgendwie überall. Aber selbst die sind im Gruftkeller sympathischer!) und ein paar Swag-Yolo-Prollonauten fühle ich mich so seltsam deplatziert und danke meinem Ego dafür, dass es mich immer noch an Orte gehen lässt, die besser sind als das hier, auch, wenn Mr.Gaunt und neuer Anhang dort ebenfalls anwesend sind.
Würde ich es so machen, wie er nach der Trennung von der Löwin, und über ein Jahr lang nur in Discos und schlechten Elektroschuppen aufschlagen...oh, das erklärt Einiges.
Während ich noch so über die psychischen Auswirkungen wiederholter Folter durch grausame Musik und noch grausamer tanzende Menschen sinniere, flatscht sich ein Arm um meine Schultern, ich werde mit einem "Seeeeers mayhem!" mit in ein Gruppenfoto gezogen und bin später am Abend auf einem der Partyfotoflachbildschirme über der HipHop-Area zu bewundern.
Der Arm hängt am Corsafahrer, einem meiner Tankstellenstammkunden, der so furchtbar unserem Alter entsprechend ist, dass es schon richtig weh tut.
"Äh, ja, Hallo Corsafahrer. Wieso musste ich da jetzt mit aufs Bild?" Eigentlich will ich nur gemütlich Salitos trinken und eine rauchen, danke.
-"Weil wir uns schon eeeeewig nicht mehr gesehen haben ey! Wie gehts dir?"
"Ja, man lebt. Du, ich muss aber echt weiter, siehst du die da drüben aufm Sofa?"
-"Was, die Fertige?"
"Ja, genau! Das is ne Freundin von mir, die muss ich bisschen überwachen quasi-"
-"Die is doch total zugekifft!"
"..schauen, dass sie nicht zu viel trinkt.."
-"Alter, sabbert die?!"
"..aufpassen, dass sie sich nicht vollsabbert und so. Du verstehst? Ah super, ich wusste, du verstehst das, voll einfühlsam und so"
-"Du findest mich einfühlsam? Oh, danke. Hast du Lust, zu tanze-"
"Also, man sieht sich!"

"Und, wars so schlimm?" Damit wir bei der Guten-Morgen-Kippe ein Gesprächsthema haben, erkundigt sich der Surfer, der am Vorabend ganz überrumpelt davon war, dass es mich auch in hübsch zurechtgemacht gibt, am nächsten Tag nach bleibenden Schäden, die der Abend hinterlassen haben könnte.
-"Worte können nicht beschreiben, wie schlimm. Ich hätte alle fünf Sekunden jemandem ins Gesicht schlagen oder vor die Füße rotzen können."
"Hach, so haben wir dich hier kennen und mögen gelernt."
-"Und alle sind sie unfähig, Mindestabstand zu halten! Oder zu tanzen! Nur verzweifelt-notgeile, wild rumzuckende Vollidioten! Ich hätt eigentlich jeden einzelnen umtreten müssen! Und nur mit brennender Kippe rumlaufen und alle anzünden, die zu blöd sind, nen verdammten Mindestabstand zu halten! Argh!"
"Deine liebevolle Art ist jedes Mal wieder herzerfrischend. Das sagt man doch so, oder?"
-"Irgendwie hab ich das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst."




Mittwoch, 20. August 2014
Thema: gefunden.
I see that lantern trimmed low burning in our home.
And though I feel like crying, I swear tonight, I'll cry no more.






You should have closed your windows and got another dog.
You should have chained up all the doors and switched up all the locks...




Sonntag, 10. August 2014
Vermutlich liegt es an mir.
Der Hippiehäuptling, ein Freund Mr.Gaunts, den ich letztens wieder getroffen und Tante Emma zuliebe eingeladen habe, Tante Emma, und zwei ihrer Bekannten, der Limp Bizkit-Fan und der Offizier, sitzen um mich rum auf unserem Dach und halten mit Ausschau nach Sternschnuppen.
Könnten wir alle gebrauchen, sowas.
Tante Emma und der Freund Mr.Gaunts sind im Laufe des Abends zu einem verknalltheitstriefenden, klebrigen Einheitsbatzen geworden, der fröhlich händchenhaltend mit der jeweils freien Hand die Decke einascht, die sie aus dem Wohnzimmer mit hier hoch genommen haben, während der LimpBizkitFan irgendwann flüchtet, das verträgt sich alles nicht mit seinem Liebeskummer.
Der Offizier quatscht währenddessen den Hippiehäuptling voll, von wegen ich wäre ja so eine Traumfrau.
"Dann frag sie halt mal nach ihrer Nummer".
-"Boah, das mach ich." Der Offizier, der direkt neben mir sitzt, dreht sich wieder zu mir. "Hey, mayhem, würdest du mir deine Nummer geben?"
Da ist so viel naive, ganz normale Freude und Erwartungshaltung in seinem Gesicht, dass selbst das Gefühl, irgendwie..außerhalb zu stehen, die Alienhaftigkeit, die es sich heute Abend in meinem Gehirn bequem gemacht hat, für einen Moment nicht weiß, was sie dazu sagen soll.
"Ja, meinetwegen". In diesem Moment ist er einfach nur irgendein Endzwanziger, der sich einen Ast darüber freut, dass er die Handynummer der Fürstin der Verdammnis kriegt.
Armes Kind.

Es liegt an mir. Nicht am Wein, nicht an Medikamenten, die ich im Moment nicht mehr nehme, nicht an sonstwas.
Da sind Tante Emma und ihr neuer Anhang in Arbeit, der sie irgendwann rein trägt und sich mit ihr im Gästezimmer ablegt, weil sie beide total fertig sind.
Und der Hippiehäuptling, der sich ultimativ verbunden mit der Erde fühlt, als er so auf unserem Dach liegt und mit den Füßen die Farbrollen streichelt, die immer noch zum Trocknen hier liegen, obwohl mein Zimmer schon längst fertig ist.
Und der Offizier, der mich zur Traumfrau, nein, seiner Traumfrau erklärt hat.
Ich könnte mich nicht isolierter fühlen.
Aber vielleicht soll das so.

Vielleicht bedeutet "stabil" nicht, auf die klassische Art und Weise klar zu kommen; eingegliedert zu sein und sich heimisch in dem, was da draußen ist, zu fühlen.
Vielleicht bedeutet "stabil sein", zumindest das, das auch ich erreichen kann, in sich selbst sein Zuhause gefunden zu haben.
Und vielleicht ist diese erreichbare Stabilität, das Verankertsein in dem da draußen, das, was einen vorm Umfallen bewahrt, auch einfach nur die Glasglocke, unter der man sich bewegt, und die einen abschirmt.
Manchmal kann es ganz schön einsam unter dem Ding sein.
Manchmal ist das gut, manchmal auch nicht.
Aber vielleicht muss das so.




Samstag, 9. August 2014
Zwischen Tag und Nacht wechsle ich zwischen neutraler Positivstimmung und namenlosem Heimweh.
Gelegentlich backe ich Pizza mit der neuen WG, oder wir sitzen im Garten, rauchen und schauen der Sonne beim Verschwinden zu.
"Wir", das waren bis jetzt die meiste Zeit Mitbewohner3 alias der Surfer und ich, da der Hippiehäuptling mit seiner Freundin im Urlaub war und sich der schüchterne Asiate nur selten aus seinem Versteck locken lässt.
Der Surfer ist kurzhaarig, beinahe untätowiert, gerade mal vier oder fünf Jahre älter als ich, seit zwei Jahren aus allen kriminellen Machenschaften ausgestiegen ohne Rückkehrwunsch und kein aktiver Metalmensch.
Dieses Wochenende ist er bei seinem Bruder zu Besuch, dann auf einer Fortbildung, ab Oktober wohnt er nicht mehr hier und nebenher macht er irgendwas komisches mit meinem kleinen, finsteren Herz.
Ein paar kurze, unverfängliche, vielleicht zufällige Berührungen an ein paar Bierabenden stehen im Kontrast zur absoluten Kumpelschiene, die er ansonsten fährt.
Vielleicht besser so. Normalen Menschen tue ich nur selten gut.
Trotzdem bleibt das "Es könnte ja sein", zusammen mit dem "was wäre wenn"; es schwebt neben mir die Treppenstufen hoch, wenn wir schlafen gehen, ich im Dach- und er im Kellerbunker.
Sitzt neben mir im Hauseingang, wenn ich, rein zufällig natürlich, gerade eine drehe, wenn er aus dem Garten kommt, oder wenn er schon da sitzt und auf mich wartet.
Rollt sich neben meinem Kopfkissen zusammen, wie Kater Mayhem auf meinem Bauch, wenn mein Herz ganz optimistisch rosa Glitzer kotzt, während es sich darauf freut, dass er am Sonntagabend hier ist, bevor er am Montag für eine Woche weg fährt.

Mir macht das Angst.
Das winzige bisschen Optimismus, das sich eingeschlichen hat und sich auch von ganz viel Kumpelschienenwahrscheinlichkeit nicht beeindrucken lässt, nicht mal ansatzweise.
Ich sollte eigentlich demnächst Besuch aus einer sehr, sehr großen Stadt bekommen, etwas Ablenkung, einfach, unkompliziert; zumindest, solange bei der Gegenseite keine Gefühle aufkommen, ich habe nämlich zur Abwechslung mal keine.
Es könnte so verdammt einfach sein.

"Ich habe keine".
Schreibe ich und versinke abwechselnd in Heimatlosigkeit, Isolation, und der pinken Glitzerwolke, die irgendwas in mir auskotzt, das für Gefühle, Schwärmereien und alles andere an mentalen Reifrock-Konstrukten* mitverantwortlich ist, sowie den Unsicherheiten, die sie produziert.
Dabei hatte ich mir gerade erfolgreich erklärt, dass ich vielleicht nicht ganz stabil, aber eindeutig absolut charismatisch. sowas von anziehend und allgemein ein toller Mensch bin; es ging sogar so weit, dass das andere Leute auch geglaubt haben.

Dann kam die Heimatlosigkeit, die Isolation und der Glitzerscheiß, und auf einmal geht alles wieder von vorne los.

Vielleicht ist es die Entfernung.
Der Bruch mit Menschen, auf die ich eigentlich gezählt hatte, und gleichzeitig die beinahe permanente Unterstützung, Betreuung und Bemutterung Tante Emmas, zusammen mit klassischem Coming of Age.
Verzögerte Erleichterung, weil ich noch zu sehr unter Schock stehe. Irgendwas.


"Auf dem Scheißhaus meiner Seele ist ein Rohr geplatzt".
Ich bin damit beschäftigt, den ganzen Dreck aufzuwischen.
Zwischen Bierabenden, Weinabenden, Pizza backen, Möbel rücken, Karten spielen und den endlosen Ausführungen des Surfers über sein getuntes, Pokale gewinnendes Auto.

Bis die ganze Scheiße wieder im Abfluss verschwunden ist, lassen endgültige Erleichterung und das Ankommen hier wohl noch etwas auf sich warten.
Muss man durch.







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*Je nach Ausführung etwas irritierend oder vielleicht sogar ganz nett, eventuell etwas kitschig, aber absolut unpraktisch, und Wegrennen ist auch nicht mehr drin, wenn man mal drin steckt.