Donnerstag, 5. Februar 2015




Die letzten Wochen (Monate?) habe ich damit verbracht, Studentin zu sein und daneben langsam wieder in Depressionen zu schlittern.

Letztere halten sich allerdings meistens vornehm zurück, klopfen immer mal an die Tür, legen den namenlosen, dumpfen Angstschleier über manche Tage und sind an anderen fast nicht zu bemerken, sodass Ersteres bisher noch ganz gut funktioniert.
Meine Gruppe an gleichgesinnten Irren stabilisiert sich, und besonders der Ziegenmann stabilisiert phasenweise mich.
Außerdem ist er sehr einfühlsam, sehr stabil, sehr intelligent, absolut verlässlich und sowieso alles, was man sich eigentlich für eine Beziehung wünschen sollte, wäre da nicht die Tatsache, dass er wirklich absolut unattraktiv ist und wir inzwischen so gut befreundet sind, dass ich es mir definitiv nicht leisten kann, mich zu später Stunde heulend bei ihm anzukuscheln und alkoholkatalysiert mit ihm rumzumachen.
Muss man durch.

Der Philosoph hat sich andere Freunde gesucht, nachdem ich mich tatsächlich getraut hatte, meine Anbaggerversuche in den Bereich zu steigern, in dem sie nicht nur von mir selbst registriert werden, und er meinte, er sei ein absoluter Beziehungsmensch und das würde mit mir nicht funktionieren, weil er so eine wie mich niemals seinen Eltern vorstellen könnte.
Danke auch.

Und der Wikinger wird langsam langweilig, der hat auch nix mehr drauf außer Egotrip-Arroganz und seinem "wahren, verletzlichen Ich" alias Ausheulen an meiner Schulter im Wechsel, was vielleicht bei der Mutter des Miniwikingers und meinem 16jährigen Ich funktioniert (hätte), mir inzwischen aber höchstens immer Mal auf den Sack und ansonsten am Arsch vorbei geht.

Das, eine unangenehm große Anzahl an Begegnungen mit Mr.Gaunt und ganz normaler Klausurenstress haben dazu geführt, dass ich Wein (1/2 Glas pro 2 Abende Klausurenvorbereitung), Räucherstäbchen (kiloweise) und das Tanzen (ja, tatsächlich!) im Gruftkeller für mich (wieder)entdeckt habe.

Und letztes Wochenende habe ich bei meinem Crossover aus wütendem (sehr wütendem!) Rumpelstilzchen und indianischem Fruchtbarkeitstanz doch tatsächlich mutmaßlich jemanden kennen gelernt!
Dank frisch gestochenem Frust-Bauchnabelpiercing (mein geliebtes Mittelhochdeutsch hatte sich in der Klausur auf ganz heimtückische, fiese Art und Weise gegen mich gewandt und den Weg für einen richtigen Scheißtag bereitet) und den daraus resultierenden Schmerzen muss ich ganz besonders toll ausgesehen haben, als ich ihm, ganz naiv davon ausgehend, genug Platz zum tanzen zu haben, mit Schwung und einem hochsympathischen "Mord und Totschlag"-Gesichtsausdruck meine Haare ins Gesicht geschlagen habe, jedenfalls hat er mir nicht den Mittelfinger, sondern ein wirklich sehr ansprechendes Grinsen mit leichten Tendenzen in Richtung Serienmörder gezeigt und sich auch von meinem nervösen Entschuldigungsgestammel nicht vertreiben lassen, bis ich von Tante Emma zum Rauchen geschleift wurde, weil sie ihn laut eigener Aussage genauso gruselig findet wie mich am Anfang (und meinen Tanzstil).
Pluspunkt.

Kernaussage: Ich lebe noch, und eigentlich gäbe es so viel zu erzählen, aber das aktuelle Maß an "Real Life" ist tatsächlich ziemlich zeitintensiv.

Was Sie noch so verpasst haben:

Ein paar Menschen, die so seltsam sind, dass ich eigentlich ein Buch über sie schreiben sollte

Papa Mayhem hatte Geburtstag und ich war tatsächlich so wahnsinnig, ihm einen Gutschein für den Klettergarten zu schenken, also fahre ich nächsten Monat zu ihm und dann in den Klettergarten

Erwähnte ich schon das Frust-Bauchnabelpiercing?
Tussi-Level Up! (Und wenn es verheilt ist, will ich dunkeltürkise Glitzerkugeln)

Zwischen mir und dem Hippiehäuptling ist der kalte Krieg ausgebrochen und ich bin überaus enttäuscht, dass ihn die Vermieter doch nicht rauswerfen

Dieses Jahr steht mal wieder ein bekannteres Festival auf dem Plan, vielleicht werdens auch zwei. Wer also schon immer mal wie oben beschrieben von meinen Haaren verhauen werden oder versehentlich von meinen Stiefeln zermatschte Zehen verpasst bekommen wollte, könnte im April und eventuell im August seine Chance bekommen.

Mindestens zwei Klausuren habe ich bestanden, Sprachwissenschaft ist also eventuell doch gar nicht so böse, oder ich habs einfach drauf.




Montag, 19. Januar 2015
"The bravest thing I ever did was continuing my life when I wanted to die."
(Juliette Lewis)

An Weihnachten feiern Tante Emma und ich in der Absteige.
Wir treffen die Mitgitarristin, Ms.Golightly und den Fremden, die Feindin und ihren Freund, ein paar Abikollegen und die alte Sache.
Die kleine Absteige platzt aus allen Nähten, ab 22 Uhr wird niemand mehr reingelassen, bis um 24 Uhr die ganzen U18s raus müssen.
Tante Emma schafft es tatsächlich, den ganzen Abend nüchtern zu bleiben, sie sagt, da seien so viele abschreckende Beispiele um sie herum, dass es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen sei, wie fertig sie selbst oft genug unterwegs ist.
Ich schaffe es, die beste Freundin Mr.Gaunts zu begrüßen, und als sie mich nach Feuer fragt und danach immer noch stehen bleibt, befinde ich mich mit einem Mal in einer neutral-netten Smalltalkunterhaltung mit ihr, ohne versteckte Sticheleien.

Als sie wieder rein geht, kommt Mr.Gaunt raus, und ich höre mich Hallo zu ihm sagen, mit ruhiger, betonfester Stimme und aller Neutralität der Welt, so, als könnte mich nichts erschüttern.
Mr.Gaunt grüßt zurück, mit aller Neutralität der Welt. Dann begrüßt er irgendwen, geht irgendwann wieder rein, steht ein paar Mal auf der Bühne und oft bei seiner Freundin, und es tut weh, aber von weit weg.
Emotional bin ich heute das Michelin-Männchen.
Ganzkörpergepolstert, und die ganze Scheiße stoppt ein paar Milimeter, bevor sie mich wirklich verletzen kann.
Es geht mir gut.
Egal, wie oft ich Mr.Gaunt sehe, und ehemalige Mitschüler, die mich bespuckt und mit ihren Fahrrädern meinen Ordner überfahren haben.
Denn immerhin sehe ich auch ehemalige Mitschüler, die sich freuen, dass ich da bin, und die tief und fest davon überzeugt bin, dass das, was ich mache, das Richtige ist, für mich und überhaupt, und dass alles gut wird.
Schließlich saß ich zuvor über eine Stunde mit meinem Vater, seinem Anhang, deren Sohn und dessen Kind zusammen, ohne dabei in der Luft zerissen zu werden.
Heute bin ich das Michelin-Männchen, groß und fett und unzerstörbar, und immer freundlich grinsend.
Und ihr könnt mir gar nichts.

Neujahr beginnt mit einem Blick über die Unistadt, komplett vernebelt von hunderttausenden von Menschen, die anscheinend sämtliche Feuerwerkskörperbestände aufgekauft haben und jetzt innerhalb von Sekunden abschießen.
Um uns herum mindestens fünfzig weitere jubelnde und johlende Menschen, die die gleiche Idee hatten wie der Ziegenmann und sich dachten, hier oben wäre nicht so viel los und man könne ja ganz nett auf die Stadt gucken.
Der Katzenmann ist auch da, und wenn er nicht gerade im Schnee kniet, um _das_ ultimative Foto zu schießen, schmiert er sich an eine selbsterklärte Metalfee, die ja so gar nicht!!!!!einself!!!1 süß ist, aber alles dafür tut, um "leider" so zu wirken, ran, wobei offensichtlich für beide vernachlässigbar ist, dass sie eine monogame Beziehung hat.
Tante Emma neben mir schimpft auf "die blöde Fotze", das zusammenbrechende Handynetz (man muss doch um 24 Uhr zuhause anrufen) und überhaupt die ganze Welt, nur unterbrochen von gelegentlichen Versuchen, mir Sekt anzudrehen.

Dann erinnern wir uns ans letzte Silvester.
Sie in der Kleinstadt-WG und alle so zugedröhnt, dass sie Silvester verpennt haben.
Ich mit Mr.Gaunt bei Legolas und dem Grinsebuddha, erst panisch, dann traurig, dann aggressiv, und nochmal von vorne.
Tante Emma sagt, Weihnachten war schön. Da hatten sie einen kleinen Baum, und einen Weihnachtsmannbezug für den Klodeckel, und alle waren nur so zugedröhnt, dass man angenehm gefeiert hat, aber nicht bis zum Zusammenbruch.
Weihnachten war ich alleine, bis auf einen Tag. Da saßen wir erst bei Mr.Gaunts Eltern und dann in der Absteige, und alles war so idyllisch, dass ich es mir erlaubt hatte, darauf zu hoffen, dass alles wieder wird.

Dieses Silvester sind wir hier.
Mitten in der Riesenstadt, sie auf Therapie, ich an der Uni.
Auf einem Berg im Nirgendwo, unter lauter fremden Feierwütigen, und die einzigen Menschen, die wir kennen, sind gerade in sich selbst versunken (der Ziegenmann), oder in glühender Zuneigung zu ach so krassen Ich-bin-nicht-süß-aber-eigentlich-ja-doch-Metalfeen entbrannt (der Katzenmann), oder knutschen gerade ihren Freund ab (der schwule Innenarchitekt, mit dem ich mich während einer von Tante Emmas Schmollphasen unterhalten habe).
Bis auf ein bisschen Alkohol nüchtern, alle beide.
Nichtmal kettenrauchend, denn natürlich geht die Welt unter, und natürlich sind wir unsicher, und ja, wir haben Angst; zumindest Tante Emma hat Angst.
Aber das kommt alles nicht zu uns durch. Nicht völlig.
Wir sind heute Michelin-Männchen.

Ich erlaube mir nicht, daran zu denken, was als nächstes kommt. Was die Grausamkeiten der letzten beiden Jahre übertreffen könnte, ob ich nur verdränge und mich alles wieder überrollt, schon wieder und in einem furchtbar ungünstigen Augenblick.
Ich erlaube mir nicht, zu hoffen, dass alles gut, aber vertraue zutiefst darauf, dass alles besser wird.

Ich halte Tante Emma kurz im Arm, als es ihr zu viel wird mit den ganzen Menschen, dann marschieren wir wieder runter, zurück zur WG des Ziegenmanns, und weil wir die einzigen zwei Raucher sind, bleiben wir noch kurz vor der Tür.
"Wir habens halt echt überstanden."
Die Kleinstadt-WG und den Umzug.
Den schlimmsten Zusammenbruch meines Lebens und viele von ihren, zwei Trennungen, Abschied vom besten aller Autos und von der Tanke, vom Kater.
Ich habe das Unmögliche möglich gemacht und als arbeitslose Studentin mit zwei Katzen ein WG-Zimmer bekommen bei einem Haufen wahnsinnig nerviger, aber immerhin erträglicher Menschen, und wenn ich die anstehenden Klausuren überstehe, habe ich das zweite Semester gepackt.
Wir habens halt einfach mal geschafft.


Der Januar dümpelt so vor sich hin.
Es etabliert sich ein kleiner Stammtisch von Nebenfachmenschen, die sich einmal die Woche nach dem letzten Seminar auf ein Bier treffen, und den ich mehr oder weniger initiiert habe.
Der Ziegenmann, Tante Emma und ich fahren im April zusammen auf ein Festival, und die Amazone lässt manchmal ganz kurz ihre menschliche Seite zu, wenn wir alleine sind und es sonst niemand sieht.
Gelegentlich traue ich mich zu Vorträgen oder Theateraufführungen, meistens in Begleitung von ein, zwei Stammtischmenschen, damit ich nicht vor lauter Unsicherheit doch zuhause bleibe.
Was ich aber tue, wenn es gar nicht anders geht.
Beim Feiern werde ich regelmäßig für die selbstwusste Bekloppte gehalten und erleichtere es so den Heerscharen an Verehrern, die sie hat, einen Zugang zu Tante Emma zu finden, die noch nicht ganz im Michelin-Männchen-Anzug steckt und deshalb meistens zwischen loderndem Hass und nackter Panik schwankt, wenn sie angesprochen wird.


Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
Aber es geht weiter, davon bin ich überzeugt.
Und das ist mehr, als ich in den letzten beiden Jahren sagen konnte.




Freitag, 2. Januar 2015
"Bei euch Geisteswissenschaftlern gibts doch eigentlich nur zwei Typen:
Die, die es sich leisten können, schön bequem alternativ und ja soooo krass kreativ zu sein, und grade so weit zu rebellieren, dass es für Mutti und Papi, die ja alles finanzieren, nicht unbequem wird.
Und die, die einfach nicht anders können.
Tja, und du gehörst halt zu der ersten Gruppe, mit deinem Bürgermeistervater. Wahrscheinlich wählst du genauso CSU, und kommst dir richtig alternativ und rebellisch vor, wenn du mal sagst, dass du links oder sowas wählst, wenn einer von deinen Hipsterfreunden fragt.
"

Hachja, Heimatbesuche. Frohes Neues, und so.

An dieser Stelle kann ich Ihnen versichern, dass ich mich (bis auf die Kosten fürs Zugticket am zweiten Weihnachtsfeiertag, die Papa Mayhem übernommen hat, ohne, dass ich darum gebeten habe) selbst finanziere; bisher durch den Studienkredit, vor einem oder zwei Monaten teilweise durch eine im unteren zweistelligen Bereich angesiedelte Spende Papa Mayhems; demnächst, ausreichende Leistungen beim Probearbeiten und sowas wie eine Stabilisierung meiner Psyche vorausgesetzt, ergänzt/teilweise ersetzt durch gute, ehrliche Arbeit an einer Tanke;
dass ich die meiste Zeit nicht zwanghaft kreativ und auf Rebellion gebürstet, sondern eher verplant und verwirrt durch die ehrenwerten Hallen der Uni / endlosen Gänge der Bibliothek schlurfe und mich dabei nur deshalb in 80% aller Fälle an einem Becher Kaffee festhalte, weil ich sonst auf der Stelle einschlafe und ich zudem weiß, welcher Automat immer mal einen gratis ausspuckt;
dass meine Verwandschaft nicht automatisch in irgendeine (durch Bildung oder/und Kontostand definierte) Oberschicht aufrückt, nur, weil mein Vater der Bürgermeister eines Kleindorfes, dessen Einwohnerzahl zur Hälfte durch Hühner, Ziegen und Schafe zustande kommt, geworden ist;
dass ich keine Hipsterfreunde habe, weil ich mich nicht auf messie-undone-abgewrackt style, sondern mich einfach schon so verstrubelt-zerknautscht aus dem Bett rolle und meine Augenringe manchmal düsterer sind als meine Musik, weshalb die Hipster sich meistens vor lauter Angst nicht mal trauen, mich nach Feuer zu fragen,

und vor Allem, dass ich niemals, zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit, und auch zu keinem in der nahen Zukunft, die CSU/CDU gewählt habe/wählen werde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!




Mittwoch, 24. Dezember 2014

I'm good at feeling bad.


Eigentlich war ich die letzte Zeit ziemlich stabil davon überzeugt, mir selbst genug zu sein.
Ich habe mich phasenweise attraktiv, mindestens aber annehmbar gefunden, und gelegentlich fanden das auch andere.

Dann hat das Weihnachts-Wrestling angefangen.
"Frohe Weihnachten an dich und deinen Freund!"
Danke, der hat im Februar beschlossen, dass das alles nur die Anfangseuphorie war.
"Vor nem Jahr hat du einfach vor meiner Tür gestanden!"
Da kam ich von Mr.Gaunt und kam mir vor wie der stabilste Mensch der Welt, mit dem stabilsten und wunderbarsten Menschen an meiner Seite.
"Macht es dir eigentlich was aus, wenn wir am Freitag auch Mr.Gaunt und seine Freundin sehen?"

So ein Pech aber auch.

Zur Vorbereitung auf die Mischung aus Heimatbesuch, Konzert und emotionalem Selbstmord, die mich erwartet, tue ich das Einzige, was in solchen Situationen an vernünftigen Optionen bleibt:
Tee trinken, Schokoriegel vernichten und versuchen, einen großen Bogen um die Musik zu machen, die negative Erinnerungen wecken oder das mühsam zurückgehaltene Selbstmitleid entfesseln könnte (also quasi alles, was sich aktuell auf meinem Handy tummelt).
Morgen vielleicht ein Kneipenbesuch mit der ehemaligen Feindin.

Würde ich unser Haus im leeren Zustand nicht so furchtbar gruselig finden, könnte ich mich wenigstens mit einem Glas Wein (oder nem Bier) in die Badewanne legen.
Aber ich hätte eh nichts da.
Kommt davon, wenn man fast nie was trinkt.

Bis ich in zwei Tagen also wie Phönix aus der Asche auferstehe, wünsche ich Ihnen aus meiner Schokoladenpapierchen-Zigarettenasche-90er-Jahre-Versenkung angenehme oder zumindest erträgliche Weihnachten.
Ich versuche solange, das aufkeimende Selbstmitleid in positive Energien (Welthass, Wut, Aggression, etwas mehr Motivation beim Unterfangen, Legolas flachzulegen,...) und noch mehr Positivmusik im Keim zu ersticken.

Peace, Love und ein paar Katzenhaare,
mayhem.