Freitag, 16. August 2019
Das Projekt lag so zwei Jährchen brach, da kann man schon mal weiter machen (Relevanz der vorherigen Einträge wird ggf überprüft/überarbeitet).

Disclaimer
Das Lesen eines spontan runtergetippten Guides einer Bekloppten ersetzt nicht das Gespräch mit Fachmenschen. Wer in Therapie ist, kann, darf und sollte Planung, Ängste, Strategien usw. mit der dazugehörigen Person besprechen; diese kennt individuelle Gegebenheiten und kann spezifische Hinweise und Tipps geben. Ergänzend ist der Austausch mit anderen Betroffenen, meinetwegen im Internet, natürlich auch schön; aber nicht alles ist abstrahierbar (z.B. finden ganz viele Menschen Meditation und PMR total hilfreich, ich bekomme davon aber ausgewachsene Panikattacken bis hin zu dissoziativen Momenten. Noch ein Grund, warum man manches nicht alleine ausprobieren sollte).

Ausgangslage
Damit ein wenig abschätzbar ist, ob und für wen sich das hier lohnt.
Ich habe kleine und große Problemfelder; die in Festival- oder Konzertsituationen relevanten sind:
- Emotionsregulierung: ich empfinde Dinge sehr intensiv, was manchmal cool ist (Festivals sind ultimative Katharsis ), manchmal aber weniger (mindestens ein halber Tag wird mit Welthass- oder untergangsstimmung verbracht, und nur einmal Weinen zählt als Erfolg). Alternativ fühle ic auch einfach mal nichts, weil alles in Watte ist; das kann gefährlich werden.

- Angstmomente: Trigger variieren, können aber reinhauen. Ich fühle mich schnell verloren oder lächerlich, als würde ich der ganzen Welt zur Last fallen, oder mich zum Deppen machen. Alleine irgendwo rumstehen (vor dem Einlass, Toilettenschlange, Duschen) ist in variierenden Graden bewältigbar oder pures Grauen.

- Gedankenkreisen: Verbunden mit den beiden erstgenannten Punkten. Reiz- oder emotionsintensive Momente, Ängste und generelle Unsicherheiten können sich durch die Ausnahmesituation, in der ich mich für ein paar Tage befinde, verstärken und Achterbahnfahrten anwerfen.

- Suchtstoff-Exposition: Ich bin von nichts abhängig, aber das, was meine potenzielle Therapeutin einen "Suchtmenschen" nennt. Genuss-/Suchtmittel (Alkohol zählt auch) können die obrigen Punkte nach erster Erleichterung verstärken (oder auch ohne erste Erleichterung); umgedreht tragen Angst, Emotionsüberflutung, FOMO (fear of missing out) und Gedankenkreisen dazu bei, dass spontane Angebote attraktiver werden können.

Mental Health is not Fight Club, we *can* talk about it - seelische und moralische Vorbereitung
Wichtige Fragen vorab:
-> Wohin gehe ich eigentlich? Wenn die Veranstaltung fest steht und Tickets gekauft sind, hilft es oft, auch auf rationaler Ebene zu schauen, worauf man sich da einlässt.Wie viele Besucher sind dort normalerweise? Wie sind die lokalen Gegebenheiten (Terrain, eher außerhalb oder mittendrin; sobald es akut wird: Wettercheck; Krankenhäuser, Banken, Tankstellen und andere potenziell wichtige Stationen) ?
-> Wen habe ich dabei?
Optimal ist (für mich) die kleine Runde aus bekannten und wertgeschätzten Menschen, bei denen ich mich soweit wie möglich sicher fühle. Das ändert nichts daran, dass ich mich trotzdem mindestens im Stundentakt für die möglichsten und unmöglichsten Dinge bei ihnen entschuldigen werde, auch "prophylaktisch", aber hey, ich arbeite daran. Ein Vorteil vertrauter Personen ist, dass sie von meiner Erkrankung wissen und manche Dinge so besser einschätzen, oder erst mal gut sein lassen können, bis ich mich erkläre.

Jetzt ist das mit der vertrauten, kleinen Runde aber nicht immer möglich.
Meine diesjährige Mannschaft besteht aus Personen, die ich zwar kenne, aber die Verbindung geht nicht über den Bekanntschaftsgrad hinaus. Wer auch immer das liest und in einer ähnlichen Situation ist: ich bin gnadenlos und unerbittlich stolz auf Sie/dich für den Mut, den es erfordert, das, was man will (Festival besuchen) auch dann durchzuziehen, wenn das vertraute Sicherheitsnetz fehlt. Wirklich. Ehrlich. Aus der Nummer gibt es kein Entkommen, Sie haben's/du hast's drauf.
-> Ohne Sicherheitsmenschen/vertraute Campingmannschaft ist die Selbstverantwortung natürlich höher; Isolation dennoch nicht optimal. Ich empfehle, aus der Personenschar eine oder mehrere auszuwählen und und mit einem Briefing zu versehen.
"Hey, ich freu' mich voll, bei euch mitzufahren. Ich fühle mich aber etwas unsicher, weil ich mit manchen Dingen etwas Schwierigkeiten habe. Da ich dich für eine vertrauenswürdige Person halte/mir der Kontakt zu dir leichter fällt/ich dich sympathisch finde, wende ich mich damit an dich, einfach, damit jemand weiß, was los ist, wenn ich mal meine Ruhe brauche/plötzlich von den Bühnen fliehe/das Bier partout nicht will/etc" ist so mein Spontanansatz; falls nicht in den Beispielen aufgeführt, passe ich die Menge der Details an mein Bauchgefühl an. Ein " weil ich das Gefühl habe, dass das ohne Erklärung zu Irritation führen könnte, wollte ich dir gegenüber ansprechen, dass es kein böser Wille ist, wenn ich grantig/verzweifelt/gereizt bin/nicht zu einer Band gehen möchte, die ich eigentlich unbedingt sehen wollte. Mein Gehirn ist sehr schnell reizüberflutet, das ist wie Stau auf 'ner sechsspurigen Autobahn. In den USA. Zur Rush Hour vor Thanksgiving. Mit einem Tornado hintendran. Als der einzige Geisterfahrer, der in die andere Richtung will, weil der Herd noch an ist" war bis jetzt auch kein Ding.
Anpassung an persönliche Symptome und Befindlichkeiten natürlich empfohlen. Wer sich wohl damit fühlt, kann der Vertrauensperson/den Vertrauenspersonen auch den Diagnosebeutel hinwerfen (auch schon gemacht).
-> Ebenfalls rein persönlich: bei Angst vor Situationen, die möglich sind, aber nicht so passieren müssen, jemanden in's Vertrauen ziehen. Also ein "ich habe Angst, dass mir das zu viel wird/ich neige dazu, einen über den Durst zu trinken, will das aber wirklich nicht machen/hab keine Lust, mir wen anzulachen, weil mir das nicht gut tut, neige bei Reizüberflutung aber zu sowas" kombiniert mit einer Behandlungsempfehlung ("Wenn du siehst, dass ich den Kerl da abschleppen will, hau mir bitte eine rein/wenn ich diese oder jene Symptome zeige, setz mich bitte wo hin und sag mir, ich soll atmen/wenn das oder jenes passiert und ich es nicht selbst tue, wirf mir bitte eine dieser Tabletten rein, du findest sie hier in meiner Tasche/...).

Bleib stabil, Brudi- Vorbereitung physischer Natur und Sicherheitsmaßnahmen
-> Packliste erstellen, oder nach geeigneten suchen und diese mit eigenen Punkten ergänzen.
-> dafür sorgen, dass die Ausgangsbedingungen so gut wie möglich sind: genug Wasser einpacken und auch trinken; Nahrungsangebot prüfen und eigene Vorräte entsprechend einplanen (und mitnehmen); Sonnencreme (viele Psychopharmaka sorgen für eine erhöhte UV-Empfindlichkeit), Medikation (dafür sind diese Omi-Pillenschachteln optimal) sowie im Zweifelsfall einen Nachweis darüber, was das ist und dass man es nehmen sollte, einpacken.
-> Auch vor Ort möglichst gute Rahmenbedingungen schaffen: bequemes Schlafmaterial, wer möchte, ein Kuscheltier (mir hilft das), Vitamine (optimal: Frischobst/-gemüse, alternativ: vorbereiteter Smoothiekram oder welche aus der Dose), eventuell schlaftauglicher Gehörschutz. Wetterschutz einplanen oder Möglichkeiten sichten. Nahrung in möglichst einfach zuzubereitender Form (man braucht schon genug Energie für den anderen Kram, existieren zB), die aber auch geschmacklich was taugt (ich teste neues Dosenfutter vorher, oder koche auf Vorrat).
-> Wenn möglich, in der Zeit vorm Festival halbwegs gesunde Schlaf- und Essensmengen konsumieren; keiner Party-Eskapaden, und sofern möglich: kein spontanes Ändern der eingenommenen Medikation (außer auf ärztliche Empfehlung, im Angesicht fiesbrutaler Nebenwirkungen oder bei sonstigen Ernstfällen). Sorgen bezüglich möglicher Probleme nicht komplett beiseite schieben, sondern aufschreiben und überlegen, welche Maßnahmen in so einem Fall angebracht wären (ggf. im Gespräch mit Therapeut*in).
-> Die Versorgung von Haustieren und Zimmerpflanzen klären (ich leide jeden Tag, den ich von meinen Katzen weg bin, unendlich und bin in dieser Zeit fest davon überzeugt, eine schlechte Katzenmama zu sein. Wenn die Kinder in zuverlässiger Betreuung sind, z.B. durch geeignete Mitbewohner*innen, Bekannte o.Ä. ist das zumindest ein bisschen beruhigend).
-> Bei Notfallmedikation (Allergien, Insulin, psychopharmakologische Vorschlaghammerpillen zur Vermeidung von Weltuntergängen) : Haltbarkeit und vorhandene Menge prüfen, ggf. für Nachschub sorgen. Einpacken, mindestens eine Person aus der Campingmannschaft informieren oder/und einen Hinweiszettel dort tragen, wo er im Ernstfall gefunden wird.

Notfallzettel
Ob Erkrankung oder nicht, so ein Ding ist generell sinnig. Im Geldbeutel oder am Körper platzieren, sodass er gefunden wird (Rock-/Hosen-/Hemdtasche, BH, etc).
Inhalt nach persönlichem Ermessen, auf meinem steht:
- ACHTUNG MEINE KATZEN SIND ALLEINE DAHEIM, wenn mir etwas zustößt, rufen Sie SOFORT und nachdrücklich diese Kontaktperson an, damit sich jemand um meine Haustiere kümmert
- Unverträglichkeit ggü eines bestimmten Antibiotikums, diverse Schmerzmittel dürfen mir aufgrund von Wechselwirkungen nicht gegeben werden; laktoseintolerant; Allergie gegen Wespenstiche und Spinnenbisse
- meine Blutgruppe
- welche Medikation ich in welcher Dosis einnehme, sicherheitshalber ergänzt mit dem Namen des Wirkstoffs. Weil verzögerte Aufnahme und vorschnelles Nachdosieren ebenso mies sind wie sofortige Wechselwirkungen, und so.
- Diabetes, Hämophilie u.Ä. kommen hier ebenso mit hin wie abnormer Blutdruck und alles andere, was medizinisch seltsam wirkt, wenn man bewusstlos ist und es nicht erklären kann
=> Zettel falten, Beschriftung entweder mit "Im Notfall" oder der englischen Abkürzung ICE (In Case of Emergency),gleiches Prinzip bei Notfallkontakten im Telefon.
- Wenngleich es nicht meiner Überzeugung entspricht: wer aus religiösen oder anderen Gründen Blutspenden o.Ä. ablehnt, kann es an der Stelle ebenso vermerken.
- ungeimpfte Personen (ob aus gesundheitlichen oder Überzeugungsgründen) bitte ebenso
- Anpassung gemäß persönlicher Gegebenheiten vornehmen. Auf den Notfallzettel soll alles, was medizinisch relevant ist/sein könnte und durch Schock, Überlastung oder Bewusstlosigkeit sonst unter den Tisch fallen kann.




Mittwoch, 14. August 2019
Ich habe es gerade geschafft, eine meiner Hauptfach-Hausarbeiten abzugeben.

Die Mindestanzahl an Zeichen und Sekundärquellen ist nicht erfüllt, was vom Dozent als ein Kriterium für die Entscheidung, ob er sich eine Arbeit überhaupt durchliest oder nicht, angeführt wurde.
Da es der gleiche Dozent ist, der freiwillige Rücksichtnahme auf meine Beklopptheit praktiziert, habe ich es trotzdem darauf ankommen lassen.

Ich habe die letzten Tage jeweils von acht Uhr morgens bis drei Uhr nachts an dem Ding geschrieben (Pausendauer max.45min),
mich, statt sinnlose Quellen zum Aufblähen des Literaturverzeichnisses zu nutzen, an die (vom Dozent selbst empfohlene) Methodik gehalten, vom Autor selbst verfasstes Material zu nutzen (und bei "meinem" Autor geht das gut, zu gut),
die Relevanz meiner Arbeit angezweifelt,
sie zu nichtssagendem, qualitativ nicht ausreichenden bis miesem Bullshit erklärt,
deswegen mehrfach geweint und mein universitäres Totalversagen als Gewissheit betrauert
dem Gefühl nach eine Sehnenscheidenentzündung mit linksseitiger Betonung (und ich bin verdammt nochmal Linkshänder)
nebenher eine WG-Besichtigung gewuppt, denn meine Mitbewohnerin zieht aus und ich muss innerhalb der nächsten zwei Wochen alle Pflichten übernommen, Bürokratieelemente geregelt und einen neuen Mitbewohner installiert haben
noch mehr geweint
mich in Verzweiflung verloren
mein eigenes müdes, aufgequollenes Gesicht nicht mehr als meins, sondern nur noch im Maß seines Ekels traurig erkannt
einen Spaziergang gemacht, der auch nicht viel half
Migränen wegignoriert
Schaffens-, Sinn- und Lebenskrisen durchwandert, mehrfach täglich bis mehrfach stündlich
wieder eine Zigarette geraucht (aber nur diese eine)

bei der Online-Abgabe geweint,
sie trotzdem vollbracht,
und mir im schieren, unerklärlichen Wahnsinn der letzten Tage bewiesen, dass ich, mit Kollateralschäden, unter Schmerzen und dem Verzweiflungsblobb,
entgegen aller Wahrscheinlichkeiten
entgegen jeder Logik sowieso
vielleicht ohne das Ziel zu erreichen

extremes, keinesfalls nachhaltiges, von reiner Sturheit selbst bei absoluter emotionaler, kognitiver, mentaler und physischer Kapitulation weiter getriebenes Erreichen beinahe unmöglicher Unwahrscheinlichkeiten immer noch kann.

Ich bin vielleicht am Arsch, physisch, mental und emotional jetzt, und universitär in absehbarer Zeit,
aber mein verdammtes krankes Extremhirn hat sich als mein großesTalent herausgestellt. Nicht zum ersten Mal, aber nach langer Zeit wieder, und selten so nachhaltig.
Ich bin wieder an dem Punkt, an dem einfach weiteratmen zum einzig möglichen Lebensprinzip wird.
Und mit dieser Erkenntnis hab' ich beim Durchsegeln von Untergängen immer noch eine Scheißangst, aber wenigstens ein Schlauchboot.




Freitag, 9. August 2019
Gestern habe ich es geschafft, etwas für die Uni zu machen und heute, ein Gefühl distinktiv benennen zu können.
Ich war traurig.

Beim Scrollen das Profil der Frau gesehen, die wahrscheinlich meine Halbschwester ist.
Angeklickt.
Festgestellt, dass sie immer noch ein wenig aussieht wie eine Kreuzung aus Discopüppchen und Supermodel - wir kratzen beide an den 1,80m, haben lange Beine und eine harmonische Masseverteilung (mit dem Unterschied, dass ich nicht sportlich und daraus resultierend gefühlt doppelt so breit bin), große Augen, Schmollmund. Wenn ich sie sehe, erinnere ich mich daran, dass ich auch hübsch sein kann, und bin wieder motivierter, mich ein bisschen besser um mich und meinen Körper zu kümmern.

Sie hat aufgehört, zu färben; wir haben beinahe die gleiche Naturhaarfarbe, meine sieht, vermutlich durch die Weißen, nur etwas heller aus und wächst nicht auf okayer Basis raus, sondern im Kontrast zum Farbstrudel der Verdammnis. Und meine Haare sind doppelt so lang, ab Rückenmitte aber schätzungsweise nur noch ein Viertel so dicht.
Wir sind so gut wie gleich alt; dennoch braucht sie für den Abschied von Augenbrauenunfällen ein wenig länger. Aber ich fühle mit ihr; the struggle is real, und sie ist auf einem guten Weg.

Sie reist durch die Welt und hüpft dabei inzwischen nicht mehr durch Partymeilen, sondern klettert durch Gebirge;
ich sitze auf meinem riesigen Studienkredit und risikiere fortwährend das Erreichen meines lumpigen Bachelor-Abschlusses. Sie ist Krankenschwester.
Ich wusste nie, und wüsste es auch heute nicht, ob sie mich eigentlich ok findet. Wir haben zweieinhalb Universen und nicht ganz fünfhundert Meter auseinander gewohnt; den Berg rauf, und man war da. Jeder Waldspaziergang hat zwingend dort vorbei geführt, und es hat sich jedes Mal komisch angefühlt. Manchmal habe ich überlegt, zu klingeln, es aber doch gelassen. In dem einen, einzigen Telefonat zwischen ihrem Vater/meinem Erzeuger und mir meinte er schließlich, er wisse nicht, woher diese hochschädlichen Gerüchte kämen, und seine Ehe liefe gerade so gut.
Seine Ehe mit der Frau, deren geistige Einfachheit er immer wieder zur öffentlichen Lächerlichkeit macht; nicht nur, wenn er betrunken damit prahlt, dass er drei Kinder hat, und nicht präzisiert, ob da sein eigenes inkludiert ist - so oder so, offiziell hat er nur diese eine Tochter.


Da ist also nicht nur diese Frau, die hochwahrscheinlich meine Halbschwester ist.
Da ist mindestens ein, vielleicht sogar zwei weitere Kinder, jetzt eher Erwachsene, die hochwahrscheinlich ebenfalls meine, "unsere" Halbgeschwister sind.
Ich bin ein Einzelkind mit zwei oder drei Geschwistern, irgendwo da draußen.
Und ich wüsste so gerne, ob sie es wissen. Ob sie vielleicht auch bekloppt sind, oder ob der Haupt-Impact wirklich von meiner Mutter kam (wovon stark auszugehen ist). Unser hochwahrscheinlicher Erzeuger ist ein komplexbeladener Waschlappen, sobald man seine Egomanie und Arroganz aushebelt.
Aber er kann das gut; arrogant sein, selbstherrlich, sich für etwas besseres und den tollsten Typen der Welt halten. Obwohl er fett und haarig ist. Und es scheint bei ihm genauso gut zu funktionieren, wie es bei meiner Mutter funktioniert hat; die Illusion von Charisma, ein Herunterschrauben der Ansprüche, weil man Bestätigung braucht und das anscheinend auf diesem speziellen Weg, ist vermutlich das, was sie zueinander gebracht hat.
Ich habe damals nie verstanden, warum sie überhaupt mit ihm spricht, wenn er doch laut ihr (und da hatte sie Recht) ein arroganter, rechthaberischer Arsch war, und sie sich nur angebitcht und ständig diskutiert haben; dachte mir aber, sie kann ihm ja schlecht aus dem Weg gehen, sie spielen ja zusammen Theater. Und klar kommt er dann mal zum Textlernen vorbei; für viele funktioniert das besser, wenn man Szenen mit den Schauspielern durchgeht, mit denen man auch auf der Bühne steht.

Ich erinnere mich schwammig, meinem Großvater hat es sich ins Gedächtnis gebrannt, bis Schlaganfall 1 und 2 sein Hirn frittiert haben. Jetzt ist er tot, und falls es kein Jenseits gibt, kann man ihn auch nicht mehr fragen.

Ein ganzes Dorf redet, ein ganzes Dorf will ja alles gewusst und so viel Mitgefühl haben.
Ein ganzes Dorf hat nie etwas gesagt. Nicht zu meinem Erzeuger, nicht zu meiner Mutter, nicht zu meinem Vater. Dem hat seine Übrigens-mal-wieder-Freundin mitgeteilt, er sei kein richtiger Mann, wenn er sowas durchgehen lässt.
Ebenfalls schweigt sich ein ganzes Dorf darüber aus, dass Ehefrau A beim Feuerwerfest nicht mit Ehemann A, sondern Ehemann C auf dem Mattenwagen gefickt hat.
Dennoch besteht ein ganzes Dorf darauf, so besorgt um seine Kinder zu sein, vor Allem um die "Verlorenen".

Die "Verlorenen" sind der Aggressionsstörungsjunge von der Sonderschule, bei dem man sich anschickte, sich Sorgen zu machen, als er mit 20 Lungenkrebs bekommen hat und fast krepiert wäre. Vorher war das der Assi-Sohn von der Ossi-Tussi und dem alten Schmuddeltrucker.
Ich habe aus Mitleid mehrfach versucht, mich mit ihm anzufreunden; einfach, damit er nicht so alleine ist.
Er hat sein Heil im Metal gefunden und lebt ihn; leider als Regelsatz zur Persönlichkeitsgestaltung, weil seine so schwierig ist, nie einen Platz bekommen hat, an dem sie sitzen durfte, und dann irgendwo verloren gegangen ist.
Selbst ich habe zu viel Mitgefühl, um die Wände, in die er gequetscht ist, zu sprengen und zu schauen, wer er eigentlich ist.

Dann gibt es mich, den klassischen Fall von "wir haben es alle gewusst, wir haben alle versucht, zu helfen, welch ein Drama!". Habe mein Heil im Black Metal gefunden und zwischendurch immer mal ein Stück meiner Identität (aber genau so oft auch wieder abgeschuppt, was übrigens ziemlich weh tut). Wenn ich es zulasse, sehe ich wie die exakte genetische Kopie meiner Mutter und meines Erzeugers aus, und manchmal schaue ich in den Spiegel, auf Merkmalssuche, und weine ein bisschen.
Dann streiche ich über meine Tattoos, um mich zu vergewissern, dass sie noch da und echt sind, stecke einen Finger durch meine gedehnten Ohrlöcher, um mich ein bisschen anzugruseln, und stelle mir vor, was ich antworten würde, wenn mich jemand fragt, ob ich das mache, damit ich ihr nicht mehr so ähnlich sehe.
Kurz ist es ruhig; dann können mein Unterbewusstsein und ich den imaginären Fragesteller anlächeln. Ich bin mehr als ererbte Merkmale, auch wenn sie mir gerne mal die Kniescheiben zerschmettern wollen oder die Achillessehne durchschneiden.
Mit jedem Metallstück, das ich durch meine Haut gebohrt oder bohren lassen habe, jedem Millimeter mehr in den Tunneln und jedem Tintenfleck mehr unter der Haut mag ich mich pseudo-individualisiert haben; vor Allem habe ich mir aber bewiesen, dass die Entscheidungskraft über mich mir gehört. Dass mein Gehirn und mein Körper meins sind, ich da drin wohne und sonst niemand, und ich entscheide, wer was damit anstellt. Ich habe meine Haare nicht wachsen lassen, weil meine Mutter immer kurze hatte und ich mit ihrem Vornamen und dem Zusatz "die kleine" angesprochen wurde, solange es meine auch waren; ich habe sie wachsen lassen, weil ich das so lange nicht durfte und einfach Bock auf lange Haare hatte. Weil mir das gefällt, weil ich mich damit wohler fühle; weil ich sie, falls sie wieder dichter werden, als Schal benutzen kann, als Zensurbalken für Speckrollen, und weil ich damit krass cooles Zeug anstellen kann, zum Beispiel Suebenknoten (sieht an mir nicht cool aus) oder den Elling-Frau-Dutt oder anderen historischen Kram rekonstruieren.
Ich werde immer wieder ich; und das wirkt manchmal unmöglich und aussichtslos, aber manchmal, da finde ich doch ein Stück. Und eines davon sieht aus, als würde es deine Kinder fressen, und braucht mindestens 1,20m Haupthaar, um die Frisur einer Moorleiche nachzubasteln.

Der andere "Verlorene" ist der Albino-Junge mit dem Herzfehler; nachdem er sich zu Pubertätszeiten größte Mühe gab, ein guter Dorfjunge zu sein und zu entsprechender Beliebtheit gelangte, indem er mitgesoffen, mitgefeiert, und am Volkssport "Mayhem fertig machen" teilgenommen hat, habe ich ihn vor zwei Jahren auf einem Konzert getroffen.
Wir haben vor zehn oder mehr Jahren das letzte Mal miteinander geredet, und es war irgendwas unfreundliches. An dem Abend ist er zu mir gekommen, hat gefragt, ob ich Mayhem bin, und sich entschuldigt.
Er wisse, was er gesagt und gemacht habe. Er wisse, dass es keine Ausrede sei, es darauf abzuwälzen, dass er gerne wie die anderen gewesen wäre, und dass es ihm besser gegangen ist, wenn wir uns einfach alle auf mein Falsch-Sein konzentriert haben statt auf seins, das sonst unweigerlich Thema gewesen wäre oder war.
Ich habe ihm gesagt, dass ich es verstehe und das Gleiche getan hätte, hätte ich es über's Herz gebracht.
Er hat sich nochmal entschuldigt und gesagt, dass es mich auszeichnet, so ein Sensibelchen zu sein.
Nach langer Zeit im Krankenhaus habe er beschlossen, in den Schwarzwald zu ziehen, bis er genug Geld beisammen hat, um auszuwandern.
Ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört, aber sehe manchmal Fotos von ihm, wie er im selbstgestricken Norwegerpulli vor einer Holzhütte in Schweden, manchmal auch Finnland, sitzt, einen Tee schlürft und wie der zufriedenste Albino-Almöhi wirkt, der mir jemals begegnet ist.
Ich kenne allerdings nicht viele Almöhis.




Mittwoch, 7. August 2019
Ich bin, für voraussichtlich ein dreiviertel Jahr, auf der Warteliste einer Therapeutin, die ich noch vom "Anfang" kenne, die mich damals mochte und ich sie, und die sich in den letzten fünf Jahren umfangreich fortgebildet hat - und zwar genau bezüglich meiner Krankheitsbilder.
Bis dahinsteht eine Kurzzeit-/Akuttherapie ab September in Aussicht. 12h Gesamtkontingent, die Therapeutin macht das noch nicht so lange und hat einen riesigen Respekt vor Borderline-Fällen, aber Erfahrungen mit der (Verhaltens-)therapie von Jugendknastmenschen und stationären Adipositaserkrankten. Habe also (statt an Unikram zu arbeiten, was gerade wieder mental und emotional ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint), recherchiert, was dazu überlicherweise gehört, und ob ich etwas abstrahieren/für mich nutzen kann.

Kann ich.
Es folgen zwei Beispiele und ein Abstieg ins Untergeschoss, den Keller, und unters Fundament meiner Psyche.



- mentale Kontrollmechanismen fragiler Natur: Wenn etwas schief geht, oder nicht nach "Plan" läuft, empfinden die Patienten großes emotionales Leid und der ganze Kontrollmechanismus bricht zusammen.
Davon ab, dass sich darauf bezogen wurde, dass Essenskontrollmechanismen rein kognitiver Natur (so und so viele Kalorien zu den Zeiten, Essensplan, gute und böse Lebensmittel,..) statt irgendwie flexibler-"gesünder" (Regulierung durch Hunger- und Sattgefühl) seien und ich das Beispiel "ungeplant eingeladen worden, Kuchen gegessen, Weltuntergang", bzw. was das auslöst innerlich igendwie nachfühlen kann:
Jo. Im Bezug auf meine Emotionsextreme sowie alles, was daraus resultieren kann.
und meine Gedankenwelt ist zutiefst davon überzeugt, dass ich, wenn mir ein Fehler passiert, verloren habe.
Dass ich beständig richtig und gut sein und Leistung bringen muss, damit mich jemand mag oder zumindest ok findet. Nicht auf Essen bezogen, sondern auf meine Existenz.
Dass ein, oder sogar zwei Tage, an denen ich nichts (das kann tatsächlich nichts, oder aber fast nichts, also ein paar Sätze, Untersuchung auf Relevanz und Ausformulierungen, oder das reservieren oder abholen von Büchern in der UB sein) für die Uni mache, dafür sorgen, dass ich alternativlos scheitern werde. Ehrlich, verdammt, es fühlt sich wie ein riesiger Kampf an, Bücher abzuholen, oder in vier Stunden drei Sätze hinzukriegen, aber es ist einfach so gut wie nichts, und ich komme damit nicht klar, und ich kann darauf auch nicht stolz sein, selbst, wenn ich es vielleicht sollte, weil es immerhin mehr ist als nichts, oder ich dafür andere Dinge (Waschmaschine machen, zweimal tgl. Zähne putzen, Müll rausbringen) gepackt hab.

Sie macht, dass ich mich unfähig fühle, unfähig bin, das Steuer wieder rumzureißen, wenn ich bis nachmittags geschlafen habe, und der ganze Tag verschenkt bleibt. Obwohl ich doch auch spätabends/nachts arbeiten kann/könnte?

Dass ich mich schlecht fühle, sobald ich für irgendwas nicht absolut lebensnotwendiges (neuer Eyeliner, für 10 Euro eine Unterwegs-Minidampfe, Vorratsbestellung, wenn Aromen und Nikotinshots im Angebot sind; nicht die billigsten, sondern die zweitbilligsten Socken, weil die schöner sind; ein, zwei Keilrahmen im Euroshop, weil ich wieder ein bisschen male) kaufe. So ausgeprägt, dass ich aktuell ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich überhaupt irgendwas einkaufen gehe (auch Lebensmittel), und dabei manchmal, Novum, Schweißausbrüche kriege.

Mein Unterbewusstein, oder meine Psyche, oder wer auch immer da in meinem Kopf sitzt, ist zutiefst überzeugt davon, dass ich maßlos bin. Dass ich zu viel faulenze, zu viel Geld ausgebe, zu viel rede, mich zu sehr reinstresse, mir gegenüber meines Umfelds zu viel herausnehme, entweder viel zu wenig mache oder mich zu sehr verkrampfe und reinsteigere, und an den Fäden zieht der Autpilot in meinem Kopf, der macht, dass ich einfach mache, aber nicht auf die gute Art, und mich währenddessen oder danach schäme und hasse, aber irgendwie nicht anders kann.

Erlernen von Mechanismen zum Umgang mit Versagen oder als Versagen wahrgenommenen Zuständen; Umgang mit Anspannung, innerem Druck, und anderen unangenehmen Gefühlszuständen
Ein großer Teil meiner akuten Gewichtszunahme (und ich habe einen 29er-BMI, das ist nicht mehr mein Standard "du hast halt eine weibliche Figur und Kurven", das ist kurz vor Adipositas, egal, ob man es bei mir "nicht so sieht", weil ich groß bin) kommt vermutlich genau da her.

Meine Regulationsmechanismen der Vergangenheit waren deutlich ungesünder, ja; die aktuellen sind aber auch nicht cool.
Denn egal, wie konstruktiv und hilfreich das mit dem Malen oder Schreiben sein kann: Wenn ich so unter innerem Druck oder Anspannung stehe, dass ich das Gefühl habe, mein Körper ist mir zu klein und ich platze gleich raus, oder wenn ich so überlastet oder so leer bin, das sich mich nicht mehr aushalte, ist da nicht viel mit niederschwelligen Reizen und konstruktivem Kanalisieren.
Seit zwei Tagen klappt es wieder manchmal, zu überlegen, was ich jetzt machen könnte; vorher hab' ich die letzte Zeit halt einfach gegessen. Weil ich dann so vollgestopft war, dass ich Bauchschmerzen hatte, und so fresskomatös, dass nicht mehr viel ging außer Selbsthass (siehe oben angesprochenes Katastrophisieren).

Mir kann kein Therapeut der Welt erzählen, dass das nur der "gesteigerte Appetit von den Neuroleptika, versuchen Sie jetzt nicht auch noch, an ihrem Essverhalten oder Gewicht zu arbeiten, Sie haben gerade noch andere Baustellen" ist und ich das einfach so weiter laufen lassen soll. Das ist kein versehentliches oder vernachlässigbares Zunehmen; das ist ein Regulationsmechanismus gone wrong. Früher habe ich getrunken, dauergequalmt, gekifft oder/und Booty Calls platziert, wenn ich mich nicht mehr ausgehalten habe, jetzt ist es essen.

Meine Hormone, meine Gelenkschmerzen und meine Haut machen schreckliche Sachen, je mehr ich zunehme. Und zwar nicht nur in meinem Kopf, sondern objektiv sichtbar; genetische Komponenten vorhanden.
Aber die Therapeutin und einer meiner Bekannten, der in einer Psychatrie arbeitet, sagen mir, zunehmen passiert halt, das ist nicht wichtig jetzt, und der Bekannte fragt, ob ich wahnsinnig bin, was ich denn jetzt mit einer, zitiere, "Abmagerungskur" will?
Ich will doch gar nicht abmagern, oder crash-diäten, oder auf mein medizinisches Idealgewicht, oder meinen Wunschkörper haben; für den ist später immer noch Zeit, das stimmt.
Ich will einfach nur aufhören, noch mehr zuzunehmen, und wieder normalgewichtig werden. Nicht nur, weil ich mich schäme (ich schäme mich eh dauernd für irgendwas, da käme es auf auf einen Grund mehr oder weniger auch nicht mehr an), und sicher nicht aus der Idee heraus, bei der, gar nicht so ernsthaft/dringlich betriebenen, Partner*innen-Suche oder der Akquise menschlicher Heizdecken mehr Erfolg zu haben.
Sondern einfach, weil ich mir meine Gesundheit nicht (noch mehr) kaputt machen mag. Und weil ich lernen will, mit mir und dem Ding in meiner Psyche auch ohne Kollateralschäden umzugehen.
Wenn ich sage, dass ich keine Genuss-mittel wie Alkohol als emotionales Pflaster mehr missbrauche, ist das gut.
Wenn ich sage, dass ich aufhören will, Essen als emotionales Pflaster zu missbrauchen, soll ich das nicht machen, weil es diesem Zeitpunkt unmöglich und später noch genug Zeit, und die nahende Adipositas eben ein hinzunehmender Fakt sei.
Mindfuck.

Sonstige Regulationsmechanismen, die ich, wenn auch eingestaubt, im Repertoire habe: Unkontrollierte Wein- , Angst- oder Panikattacken; Saufen, Ketterauchen und was man noch so machen kann; sich von Menschen anflirten oder/und abschleppen lassen, wobei man sich bereits währenddessen schlecht fühlt (dann gerne auch in Kombination mit den oben genannten Mechanismen inkl. Panikattacken, wenn ein gewisses Nähelevel droht, erreicht zu werden) ; sinnlos Geld ausgeben (die Ausprägung ist aber vermutlich nicht so stark, wie ich sie wahrnehme, s.o.). Die habe ich mir bereits größtenteils abgewöhnt, und ich möchte nicht wieder auf sie zurückgreifen.

Und dann die heilsamen, kathartischen, gerade nicht verfügbaren:
-Theater spielen, von meiner Rolle gefressen und danach als Haufen Elend wieder ausgespuckt werden; oft ein anderer als zuvor.

-Theater sehen, vom Stück gefressen, danach wieder ausgekotzt werden und feststellen, dass es gnädig genug war, ein paar meiner Unerträglichkeiten in seinem Magen zurück zu behalten.
Therapeutisches Horrorkramschauen geht immerhin manchmal auch, mich triggert nicht der richtig fiese Kram, sondern nur die harmloseren, die man auch mit anderen Menschen ansehen kann.
Ich gehöre zu den Leuten, die sich Dokumentationen über Albert Fish, Fritz Haarmann,Jeffrey Dahmer oder ihre Kollegen, Lars von Trier-Filme, puren Gore oder den Fotokanal eines Tatortreinigers zur Beruhigung ansehen. Reiz und Gegenreiz setzen, anyone?

-Auf ein Konzert oder Festival gehen und Black Metal Bands den Hass, das ganze Leid, den Schlund der Verzweiflung, das allausfüllende Gefühl, falsch und schlecht zu sein, die messerscherbendschlundtiefe Verlorenheit, den Weltschmerz, den Selbst- und Fremdekel, das zerspringende, aufreißende, zerplatzende Herz, die Unmöglichkeit des Seins in einer knochenberstenden Druckwand aus mir und durch mich pressen lassen, damit das ganze dreckige Abwasser voller Mentalfäkalien mit einem blutigen Schlag aus jeder einzelnen Pore schießen und endlich abfließen kann.


Ursachensuche.
Meine inneren Naturgesetze hat weder die Evolution, noch Gott oder Satan selbst aufgestellt, sondern einfach meine Mutter.
Mit jeder Häutung werde ich ein Stück ihrer Glaubenssätze los, aber ihre Gebote bleiben, tiefer verinnerlicht als alle Orthodoxen; auf der Grenze zur Realität gepflanzt und in ihr Metastasen streuend, die ich mit einem stumpfen Taschenmesser aus meinem Fleisch schneide.

Woher sollte ich wissen, was Grundvertrauen ist? Ich war entweder eine erwachsene beste Freundin, oder ein parasitärer Klotz an ihrem Bein. Irgendwie das Einundalles, aber irgendwie auch ganz anders behandelt, als das andere Leute mit ihrem Einundalles zu tun scheinen.

Woher soll ich wissen, dass ich mir Grundvertrauen leisten kann?
Es gibt niemand, der dauerhaft, zuverlässig,aus freien Stücken und ohne bösartige Hintergedanken (auch unbewusst möglich) bei dir bleibt.

Wie sollte ich glauben, dass mich jemand liebt?
Wenn ich aufhöre, zu performen, zu entschuldigen, krampfthaft zu versuchen, wieder gut zu machen, folgt die Flucht, weil ich allen zu viel bin außer ihr.
Zu Mama kannst du immer kommen, Mama kannst du dein Leid klagen; wenn sie dich nicht gerade als übersensible Mimosen-Heulboje, die sich nicht so anstellen soll, diagnostiziert, ist Mama die einzige, die dich jemals ausgehalten hat.

Wie soll ich glauben können, dass mich irgendjemand aushalten kann?
Nicht mal meine Mutter hat mich ausgehalten. Die hat gesoffen, geschrien, Haare gezogen und Schläge und Tritte verteilt, weil sie nicht damit zurecht kam, dass ich dauernd alles falsch gemacht habe.
Mama sagt, dein Vater wollte lieber einen Sohn, dein Vater behandelt dich wie eine kleine Erwachsene und nicht wie ein Kind, Mama sagt, dein Vater will immer, dass alles perfekt ist, oder so aussieht, egal, ob es die Wohnung oder der Eindruck, den wir als Familie abgeben ist; aber das ist aufgesetzte, unechte und unerträgliche Kackscheiße, so funktioniert das nämlich nicht. Die Dorffrauen, die den sauberen Haushalt und die perfekten Kinder haben, sind neurotisch bis zwangserkrankt, essgestört, oder, im besten Fall, einfach genau so verblödet wie ihre Kinder. Du, mein Kind, bist besonders intelligent, und in deiner Gesamtheit halt, leider, besonders. Aber irgendwann im Leben kriegst du das entweder in den Griff, oder kannst es zu deiner Bitch machen.

Mama sagt, ich bin fett, faul, gefräßig, eine Lügnerin, unsportlich und hässlich und dumm. Dass mein Schwarm aus der fünften Klasse (der mir aufgefallen ist, weil er plötzlich nett zu mir war und mich pseudo-geärgert hat, was ich aber verkackt habe, weil ich's übertrieben und, obwohl ich es besser wusste, auf einen wunden Punkt, die schlechte Note, gezielt habe) mich nur toll findet, wenn ich mehr wie die anderen Mädchen werde, aber das kriegen wir hin - ich soll einfach mit ihr Diät machen, ein bisschen reicht schon, und vor Allem regelmäßig Sport. Ja Kind, du willst nicht hier in den Verein, weil die anderen Kinder alle gemein zu dir sind; das versteh' ich, ihre Mütter sind gemein zu mir, und von irgendwem schauen sie es sich halt ab. Weißt du was? Scheiß auf deinen Schwarm. Das ist ne andere Welt als unsere.
Der steht eh auf die Jaqueline von der Hauptschule, schon immer, und war nur nett zu dir, weil ihr beide von hier seid und du halt als einziges Mädchen an's Gymnasium bist. Oder weil er sich über dich lustig machen will! Das ist es! Eine Wette oder sowas, ob du darauf reinfällst! Und du tust es auch noch! Du bist absolut lächerlich. Naiv, egozentrisch und dumm. Sei froh, dass wenigstens ich Gnade mit dir habe.


Die Grundregeln, nach denen die Welt funktioniert, alias die Offenbahrungen der heiligen Mutter Mayhems

1. Es gibt nur schwarz und weiß.
Wer etwas Schlechtes tut, ist schlecht. Wer etwas Gutes tut, ist sehr sicher auch schlecht, tut aber etwas Gutes, um dich zu manipulieren.
Ebenso bist auch du schlecht, wenn du etwas schlechtes tust, und Liebe, Annerkennung oder Akzeptanz nicht mehr wert. Und du tust oft Schlechtes, also brauchst du dich nicht wundern. Wenn dich jemand nicht mag, bist du selbst Schuld, und es ist genau deswegen.

2.Trau Männern nicht.
Siehe oben. Außerdem sind es schwanzgesteuerte Arschlöcher.

3.Trau Frauen nicht.
Siehe oben. Außerdem sind es alles gestörte, hinterfotzige Minusgestalten. Wenn du schon Vertraute brauchst, rede lieber mit Männern, die sind zuverlässiger und ehrlicher; zumindest, solange du nicht ihre Frau bist.

4. Es gibt keine glücklichen Familien und keine glücklichen Ehen.
Sie tun nur so, weil sie ihr Gesicht nicht verlieren wollen.

5. Du bist schlauer als der Rest.
Dazu habe ich maßgeblich beigetragen, weil ich in der Schwangerschaft immer viel Hüttenkäse auf Körnerstangen und Salat gegessen und dich als Baby immer beim Kochen neben's Radio gestellt habe, damit dein Hirn neue Eindrücke kriegt. Außerdem hast du deswegen so lange, dichte Wimpern bekommen; würdest du an dir arbeiten, könntest du richtig hübsch sein.
Deshalb werde ich dich mit allen Mitteln zwingen, Salat zu essen, auch, wenn du nicht willst, un du wirst auch als Erwachsene noch komplett blockieren; unabhängig von der konkreten Zusammensetzung, Zubereitung und Menge wird alleine das Sehen oder Riechen eines Salats ausreichen, aus deinem Magen einen verkrampften Muskelklumpen zu machen, dich emotional aufzuregen und abzufucken, und eine Übelkeit auszulösen die, je näher der tatsächliche Konsum rückt, eine Ausprägung erreicht, die du sonst nur von einer Lebensmittelvergiftung kennst.
Und ja, das wird auch bei "grüner Deko" auf einem Teller passieren. Und du wirst dich schlecht fühlen, weil die dann weggeworfen wird, weil du sie nicht gegessen hast.

6. Dein Vater ist herzlos, unterkühlt und böse. Für ihn zählt nur der Schein, und, wenn wir schon dabei sind: geldgeil ist er auch, ich muss alle Rechnungen vom Einkaufen mitnehmen und ihm vorlegen, damit er sie in seinen Ordner eintragen kann. Wir verlassen ihn.
Sobald du die Wohnung, die einer Messi-Bude gleicht, von deinem Anteil bereinigt hast, denn eindeutig hast du dazu maßgeblich beigetragen.

7. Ich bin keine Alkoholikerin.
Du bist ja meistens daheim, du siehst doch, dass ich nur ein paar Gläschen Sekt und ein bisschen Bier trinke. Dein Vater sagt das nur, weil er spinnt und ich ihm nicht perfekt genug bin.

8. Du bist Abschaum, aufmüpfig, aggressiv, nicht zu kontrollieren.
Deswegen rufe ich jetzt das Jugendamt an, dann kommst du in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Denn genau das bist du, wie die schwer erziehbaren Kinder im Fernsehen. Ich gebe alles als deine Mutter, und du bist einfach nicht mehr kontrollierbar.*Führt Telefonat mit nicht gewählter Nummer, erklärt, ich habe sie "schon wieder geschlagen", ja, es gehe wirklich nicht anders, ich sei vollkommen gestört und außer Kontrolle. Sagt, sie habe das Telefonat geführt, selbst nachdem ich ihr das Wählprotokoll zeige. *

9. Ich schlage dich nicht!! Hör auf mit deinem Gelaber, dass das seit 2000 oder 2004 verboten ist, es interessiert mich nicht, denn ich schlage dich nunmal nicht!
Ein paar Schellen haben noch nie geschadet, Arschversohlen mit Kochlöffel oder Geschirrtuch auch nicht, und das mache ich schon fast ein halbes Jahr nicht mehr!! Dir glaubt keiner, wenn du sagst, dass ich dich schlagen würde, weil nichts davon "schlagen" ist!
(Point in Case: einmal davon erzählt. Mir wurde tatsächlich nicht geglaubt, dass meine coole, lockere, sympathische Mutter manchmal nicht cool, locker und sympathisch ist).

Und Nummer 10, das Sondergebot, aufgestellt durch die Dorfgemeinschaft :
Es tut mir so Leid, wir haben ja schon immer gewusst, dass mit der Frau was nicht stimmt.
Ich habe ihr ja so oft meine Hilfe angeboten, aber sie wollte nie.
Und das arme Kind, die arme Mayhem, die tut mir ja so Leid. Ich habe mir ja ganz oft gedacht, dass da was nicht passt, aber sie hat ja nie etwas gesagt.
Meine braven Kinder haben sie so oft zum Spielen eingeladen oder zum mitmachen, aber sie hat immer nein gesagt und sich komplett abgekapselt.

Als ich drei war, haben die braven Kinder zu mir gesagt, sie stecken mich in den Kamin und verbrennen mich, weil mich keiner will.
Als ich dreizehn war und meine Mutter gestorben ist, wollte ich das gleiche mit ihnen, ihren Eltern, ach, aus Seuchenschutzgründen am Besten dem ganzen Dorf machen, meine Mutter hatte Recht, Lügner und Heuchler, deren größte Priorität ist, gut dazustehen und die dabei keine Grenzen, kein Schamgefühl und keine Menschlichkeit kennen.

Das Dorf steht noch, die Menschen leben noch, und ich werde gegen keinen dieser beiden Fakten etwas unternehmen.
Manchmal denke ich mir, dass es doch nicht wahr sein kann; dann will ich zu ihnen gehen, fragen, was die Erzählungen sollen, und sie richtig stellen.
Dann fällt mir wieder ein, dass jeder Mensch nach seinen eigenen Regeln funktioniert, und meine nicht für andere gelten müssen, egal, wie gerne ich das hätte.


Mit jedem Häutungszyklus schaffe ich etwas mehr Zugriff auf die in meinem Unterbewusstseinssumpf eingebetteten Grundannahmen; das einzige in mir, das Wurzeln hat. Und jedes mal enttarne ich mehr davon als falsch erlernte Nicht-Tatsachen; es mag die Realität in ihrem Gehirn gewesen sein, aber es muss nicht auch meine werden. Oder bleiben?

Vielleicht schaffe ich es irgendwann, dass mein Kopf vollständig mir gehört.
Aber, wenn man das hat, was macht man dann damit?
Und was bleibt denn dann noch von mir übrig?