Montag, 17. August 2020
Marschiere ebenso langsam wie unaufhaltsam auf den Abschluss zu.
Zwei weitere Master-Leistungen abgegeben, eine andere wurde zwischenzeitlich benotet.
45 Minuten Vortrag, sechs Seiten Thesenpapier,meine unvergleichliche Mischung aus Faktenbombardement, Angstautopilot und entsprechenden Übersprungshandlungen (schlechte Witze find' ich spitze), und, wie ich das eben so mache, gnadenloser Ehrlichkeit ("Es kann sein, dass ich aus Nervosität sehr schnell rede oder mal vergesse, zu atmen").
Die Erfolgsserie im Ehemals- Nebenfach setzt sich fort, gelobt werden Engagement, Aufbereitung der Inhalte und Vortragsstil, Abzug für's Thesenpapier, weil Formatieren Krieg ist.
1,3.



Noch ausstehend:
-eine Hausarbeit: nicht fertig, sollte es allerdings seit einer Woche sein. Ich setze auf mein Glück, "ein paar Tage später ist auch in Ordnung" bietet ja einen gewissen Interpretationsspielraum und ich lebe gerne gefährlich
- Abschlussarbeit: Gliederung des Dokuments und ein paar Stichpunkte: check; ansonsten auf Eis liegend, da "dringend vor wichtig", erstmal das machen, was früher abgegeben sein muss.
Dachte ich mir so, bin immer noch nicht mit der letzten Hausarbeit fertig und darf dann dementsprechend eine Abschlussarbeit in zwei Wochen oder weniger basteln.
Was besonders deswegen spaßig wird, weil ich mir natürlich, wie sollte es auch anders sein, mein Thema nicht nach Aufwand, sondern nach Interesse ausgesucht habe.

Es geht voran, vielleicht zu langsam, vielleicht auch nicht.
Die nächsten Krisen werfen bereits ihre Schatten, dabei reicht doch eigentlich die aktuelle.
Zimmer verchaost, Aufstehen ein Kampf, Arbeit an mehr als einer Aufgabe nicht möglich und jede Minute Produktivität eine Qual, weil das Hirn im Sekundentakt Brandbomben wirft. Bumm, Zweifel. Bumm, miese Erinnerung. Bumm, das endlose Schamgefühl. Bumm, die namenlose Angst. Bumm, Unsicherheiten und Zerdenken. Bumm, Dissoziationsnebel. Bumm, Hirnzeitreise, das neunjährige Ich sitzt jetzt am Steuer. Bumm, schau, was du bisher alles falsch gemacht hast.
Ein paar werden schwächer, weil ich sie gnadenlos wegignoriere, aber das Hirn ist kreativ, es gräbt immer neue aus. Andere Erinnerungen, neue Baustellen, wenn da keine wichtigen sind, werden sie eben gemacht.
Am Ende des Tages trotzdem vier Stunden geschafft und ein paar Sätze geschrieben.


Manchmal ist Feuerpause.
Dann habe ich Spaß am Schreiben der Haus- und freue mich auf die Abschlussarbeit.
Dann schaue ich mich in meinem Leben um und stelle fest, da geht was.
Traue mich, zu sagen, wie beschissen es mir geht - und bekomme Verständnis und Hilfsangebote.
Grille mit der Festivalmannschaft und einen ganzen Abend lang bin ich da und bleibe es auch. Spüre ins Gegenwarts-Ich hinein und finde es richtig, richtig gut.
Drucke Anträge aus und gebe sie ab.
Treffe mich mit der Thekenzwergin auf ein Bier und sitze auf einmal mit dem Baumgeist zusammen.
Wir reden bis sechs Uhr morgens, dann heimlaufen durch meine große Stadt und den Berufsverkehr, wieder der Gedanke, überfahren werden wäre jetzt wirklich unpraktisch.
Dann setzen die Nachwirkungen ein, ich bin überflutet und überfordert und fahre Gefühlsachterbahn, weil ich Potenzial sehe, wo tatsächlich welches sein könnte, gleichzeitig aber nach wie vor keine Handynummer habe, er mir gegenüber generell zurückhaltender ist als bei anderen und es außerdem noch zwei, drei Bettgeschichten gibt. Das Tentakelmonster sammelt fröhlich Material für neue Brandbomben, die dazu führen, dass ich mir Vorwürfe mache, weil mir das in der aktuellen Lage, in der eindeutig wichtigeres zu tun ist, etwas ausmacht; Angst habe, in frühere Muster zu rutschen und dementsprechend anfange, regelmäßig zu versuchen, Rationalität und den friendly reminder, dass Zuneigung und Kompatibilität keine Preise sind, die man sich, gegebenenfalls im Wettbewerb mit anderen, erkämpfen muss, in mein Hirn zu klopfen.

Dann fällt mir auf, dass auch das eine Brandbombe ist, die zu Arbeitslähmung und Energieverlust führt, was ich mir gerade schlicht nicht leisten kann.
Also lasse ich es.
Fahre ich eben Achterbahn.
Keine Diskussionen mit dysfunktionalen, toxischen Personen, das gilt auch für Muttergeister und Tentakelmonster.
Werden ignoriert, bis sie sich benehmen oder krepieren.
Weil ich das so beschlossen habe.
Das Unglück ist eine eitle Frau und will hofiert sein. Beachtet man es nicht, dann stirbt es. (Tucholsky)


Ich sammle Einskommanochwasnoten ein, habe mich innerhalb weniger Monate von zehn Minuten auf vier Stunden Arbeitszeit gesteigert, pflege einen Freundeskreis, der die Bezeichung auch verdient, halte erfolgreich eine Skoliose davon ab, sich zu verschlimmern und den Kurs Richtung persönliches Schönheitsideal, steuere auf akademische Großartigkeiten zu und vollführe das große Trotzdem, und zwar mit Schwung.
Weil ich so bin, und weil ich das kann.


Ich erlaube mir diese Arroganz.
Weil ich sie mir verdient habe.







Mittwoch, 5. August 2020
"Nostra quid aethereis mens est cognatior astris
Si durae Lachesis triste necesse ferat?
(...)
Sic elementa Deus, sic ignea sidera fecit,
Ut neque sideribus subditus esset homo.
Sic puri datur ingenii sollertia major,
Possit ut objectis obvius ire minor.
" *


Oder:
Es gibt kein Erbe Schicksal, das nicht ausgeschlagen werden kann.


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*Aus dem Mathematicus Bernhardus Silvestris'. Was einem das Leben, nach wie vor keine feindliche Instanz, sondern eine neutrale, manchmal sogar humorvolle, eben so entgegen wirft, wenn man damit beschäftigt ist, akademische Großartigkeiten zu vollbringen.




Sonntag, 12. Juli 2020
Am Tag vor meinem Geburtstag liege ich im Bett und höre die Welt unter meinem Fenster vorbeiziehen.
Es ist 12 Uhr, 13 Uhr, 15 Uhr. Es ist Kopfkrieg, Hirnsumpf, Bleischwerdämmernebel, und wieder von vorne.
Irgendwann zwischen 16 und 17 Uhr wühle ich mich da raus, gieße die Pflanzen, augentropfe die Katzen und schaffe es, mich danach nicht postenwended wieder hinzulegen, sondern immerhin zu setzen.
Ich bin angsterschöpft, irgendjemand hat meine Knochen durch Beton und mein Blut durch Blei ersetzt. Was an sich erträglicher wäre, fast schon friedlich, wenn meine Nervenbahnen darauf verzichten würden, sich immer wieder in Starkstromleitungen zu verwandeln.
Tun sie aber nicht, also wechsle ich zwischen Bleibeton und Starkstrom.
War auch schon mal besser.

Irgendwann nach 18Uhr habe ich es geschafft, zu duschen, meine Zähne zu putzen und das Antragsformular für meine Abschlussarbeit auszudrucken.
Weil die Welt gerade Dystopie spielt, muss es handschriftlich ausgefüllt, eingescannt, an den Betreuer geschickt, von ihm weiter ausgefüllt, eingescannt, an mich zurückgeschickt, zur nächsten Instanz geschickt, weiter ausgefüllt, eingescannt, an mich zurückgeschickt und dann an das Prüfungsamt geschickt werden.
Etwas umständlich, aber in der Theorie machbar.
In der Praxis ist das natürlich wieder nicht so einfach, ich drucke fünfmal aus, fülle fünfmal aus und jedes Mal passt irgendwem in meinem Kopf irgendwas nicht.
Mal ist es die schief geratene Mailadresse - normalgroße Formularfelder sind meinem Vor- und Nachnamen schlichtweg nicht gewachsen, also muss ich quetschen, also wird es krumm und winzig und hässlich.
Dann sind es die Felder, in die meine Daten rein sollen, aus dem gleichen Grund.
Ich versuche es ein paar Mal und schäme mich, und das theoretische Wissen, dass das nicht so wichtig ist und verdammt nach Vermeidung oder Prokrastination aussieht, ändert auch nichts daran, dass das gerade wirklich, wirklich schwierig ist.
Als das Ausfüllen geschafft ist, greift sich die Uniblockade das nächste Detail - Scanqualität.
Mein Drucker ist uralt, aber er kann das. Nicht besondes hübsch, aber leserlich, und es geht hier nur um eine Formalität, erkläre ich mir und dem Selbst, dass da gerade so verloren auf der Kommandobrücke rumsteht, weil ich gerade wieder auseinanderfalle und eine Vergangenheitszeitreise mache.
Freundliches Erklären hilft aber irgendwie auch nicht weiter, das Vergangenheitsselbst und ich, wir haben ganz furchtbare Angst, sind ganz grausam verloren und es tut ganz schrecklich weh.
Ich mache drei Scans mit unterschiedlichen Einstellungen, schreibe zwei Entwürfe für die dazugehörige Mail, lösche beide und schreibe drei neue, dann klappe ich den Laptop zu, weil der Zeitreise-Effekt immer stärker wird, gefühlt falle ich in ein neun- bis zwölfjähriges Ich, und Kinder sollten gehört und wertgeschätzt, aber nicht ans Steuer gesetzt werden.
Die Therapeutin hat gesagt, wenn ich merke, dass das Selbst auseinander fällt und Zeitreisen passieren, kann ich ein paar Übungen ausprobieren, also mache ich das.
Sie hat auch gesagt, ich soll stolz sein, wenn ich es bemerke, egal, ob die Übungen helfen oder nicht, also versuche ich das.


Ein paar Stunden vor meinem Geburtstag sitze ich mit Thekenzwergin und Thekenzwerginmann hoch oben auf dem Betonklotz, esse vegane Lasagne, höre die Bands, die ich eigentlich gesehen hätte und schaue mir an, was der Himmel so macht. Die Thekenzwergin hat Abschlusskram vollbracht und meine Mutter vor einiger Zeit das Ergebnis ihres Fremdficks aus sich rausgepresst, das kann man schon mal feiern.
Statt Kuchen und ein paar Bier habe ich nur mich selbst mitgebracht, macht aber irgendwie anscheinend nichts; dass ich aufgetaucht bin, sei Leistung genug, sagen sie und meinen es anscheinend auch so und ich bin wieder überlastet und selbst das ist ok und überlastet mich darum noch mehr.
Kann ja keiner damit rechnen, dass so ein Leben auf einmal anfängt, zu funktionieren,nur, weil man seit Jahren an dem Ding und sich selbst arbeitet.

Am Morgen meines Geburtstags laufe ich durch die große, schlafende Stadt, die meine ist. Höre ihr beim Atmen und schaue der Sonne beim Aufgehen zu.
Ich denke an ein paar vergangene Aufführungen und gelesene Theaterstücke, und zwischendurch an ganz banale Dinge wie die Frage, ob ich bei rot über die Ampel gehen kann, wenn mich keiner sieht.
Ich entscheide mich dagegen; kann ja sein, dass da gerade kein Auto kommt, aber überfahren werden wäre jetzt wirklich unpraktisch.

Also stehe ich an einer Kreuzung, minutenlang, es kommen immer wieder LKWs vorbei aber immer in Abständen, die groß genug wären, um von Verkehrsinsel zu Verkehrsinsel bis zur anderen Straßenseite zu kommen.
Ein Radfahrer kommt kurz neben mir zum Stehen und fragt mich auf russisch, ob ich von hier bin, und dann sicherheitshalber nochmal auf englisch; erklärt mir, dass ich da ruhig rübergehen kann.
"Danke, ich möchte da aber kein Risiko eingehen, überfahren werden wäre momentan wirklich unpraktisch."
Ich habe Katzen, die auf mich warten und Freunde, denen ich fehlen würde.
Eine Stadt, die meine Heimat ist.
Einen Vater, dem ich nicht egal bin.
Ich habe einen Studienkredit abzubezahlen.
Ein Masterprojekt zu erledigen, einen Vortrag zu verschriftlichen und einen weiteren vorzubereiten.
Eine letzte Haus- und eine erste Abschlussarbeit zu schreiben.
Familienbannkreise zu brechen und Wahrscheinlichkeiten zu töten.
Ich vollbringe gerade das große Trotzdem, ich habe keine Zeit für Unfälle.
Also warte ich, bis die blöde Fußgängerampel endlich grün wird.
Komme auf der anderen Seite an und dann irgendwann auch nach Hause.
Grüße die Katzen, schminke mich ab, putze meine Zähne.


Am Morgen meines Geburtstags sitze ich vorm Laptop, schreibe eine Mail, hänge einen Scan an und drücke auf Absenden.

Und am Nachmittag meines Geburtstags sagt mir eine Mail, das ist doch alles bürokratische Kackscheiße,für so ein Hin und Her hat doch niemand Zeit, ich hab da mal ein bisschen nachgeholfen. Viel Erfolg, Ihre Abschlussarbeit ist jetzt angemeldet. Alles Gute zum Geburtstag, Frau Mayhem, Sie machen das schon.




Montag, 6. Juli 2020
..ich zu sämtlichen Instanzen und Selbsts in meinem Kopf. Kleinigkeiten begegne ich mit Ausnahmezustand, Ausnahmezuständen mit Pragmatismus.

Der Kopfkrieg erscheint immer öfter wie ein Ringkampf mit meiner Mutter; weniger, weil sie da plötzlich mitspielt (ok, ein bisschen mehr als sonst vielleicht, aber die Welt macht gerade auch seltsame Sachen), eher, weil ich es immer häufiger schaffe, das, was aus dem Hirnsumpf hochtentakelt, zu packen und, wenn schon nicht immer auf den Seziertisch, so doch wenigstens unter die OP-Leuchte zu hieven (in Blitzgeschwindigkeit, bevor es mir wieder entgleitet).
Und naja, meistens ist es dann doch kein Seeungeheuer, sondern einfach nur meine Mutter oder eine ihrer Streubomben.
(Ich war versucht, zu schreiben, dass ein Seeungeheuer vielleicht einfacher zu handhaben wäre - da ich kein Seeungeheuer persönlich kenne und auch keine Lust habe, dass der Hirnsumpf eines ausbrütet, um das zu ändern, habe ich es dann doch lieber gelassen)

Meistens tue ich dann das, was sie schon zu Lebzeiten furchtbar aufgeregt hat: ganz ruhig und gelassen darauf hinweisen, dass Streubombenabwerfen auf Andere nichts an den eigenen Baustellen ändert und es eine ziemlich armselige Nummer ist, sich auf diese Art Ersatzbefriedigung dafür verschaffen zu wollen, dass man sein eigenes Leben verkackt hat. "Ich krieg's nicht hin, mir meine Probleme einzugestehen und an ihnen zu arbeiten, deshalb gehen sie nicht weg, und deshalb muss ich dafür sorgen, dass andere auch welche haben"? Nee Mama, so funktioniert das nicht.

Hört sie natürlich nicht gerne. Und die Stille, wenn ich sie danach ignoriere und mich jeder weiteren Diskussion verweigere, erst recht nicht. Ist mir aber egal, da muss sie jetzt durch. Ich bin alt genug, um mir selbst eine ganz hervorragende MutterVaterKind-Personalunion zu sein.

Das ist natürlich alles nicht so friedlich, wie es jetzt klingt.
Schließlich ist meine Mutter die Person, von der ich die Emotionalität, das Intensive und das Chaos habe, und Schauspielerin ist sie auch noch.
Btw, ich bin besser.
Wollte ich nur mal so erwähnt haben.
Spiele nämlich gemeinhin mehr als ein- und die selbe Rolle, und kann außerdem beurteilen, wann an die Stelle des kompulsiven Schauspiels vielleicht doch lieber Lebensbewältigung treten sollte.


Apropos Lebensbewältigung:
Die finale Version des Abschlussarbeit-Konzepts ist erledigt, abgegeben und seit heute genehmigt. Das heißt, ich kann sie jetzt anmelden.
Das heißt, dass es bald los geht mit dem Ding.
Das heißt, dass ich, sofern ich die andere Hausarbeit auch noch fertig kriege, in absehbarer Zeit den ersten Abschluss geschafft habe.

Es ist toll, dass das geklappt hat.
Weniger toll ist, dass es auf den letzten Drücker war, weil in meinem Kopf ein derartiges Spektakel gefeiert wurde, dass ich drei Stunden vorm Mailprogramm saß, bis ich die Nachricht abgeschickt hatte und ich zweimal eine Panikattacke niederringen musste.
Ich meine, ich hab' ja Routine mit sowas, und das darf meinetwegen alles rumschreien und tentakeln wie es will,wenn es unbedingt will, aber doch bitte mit etwas Rücksichtnahme auf den Zeitplan.
Ich habe hier nicht nur im Hirnsumpf zu fischen und Mutterstreubomben auszuweichen, sondern auch akademische Großartigkeiten zu vollbringen, da kann man schon mal höflich darum bitten, dass im Hirnwohnzimmer wenigstens dann Ruhe ist, wenn ich versuche, zu arbeiten.


Immerhin, ein weiteres Mal das große Trotzdem auf dem Weg zum richtig großen Trotzdem vollbracht.
Nachts, mit runter geheultem Makeup (Nein, der Eyeliner war wohl doch nicht wasserfest), zwischenzeitlich mal auf dem Boden zusammengerollt und hyperventilierend, irgendwann wieder am Rechner, einen Satz tippen, und nochmal das Ganze, und wieder zurück an den Rechner.

Und, Novum: nicht ganz alleine.
Gegen 22 Uhr der Thekenzwergin geschrieben, ob sie sich das Konzept mal durchlesen kann, im meinem Hirnwohnzimmer tobt gerade eine dermaßen laute infernale Party, dass ich nicht mehr höre, wie der Text zu beurteilen ist und ob ich den abschicken kann.
Die Thekenzwergin wundert sich nicht, die Thekenzwergin beschwert sich nicht, die Thekenzwergin stellt keine Fragen. "Schick mir das mal, ich lese mir das durch und danach können wir telefonieren, wenn du das möchtest."
Fast eine Stunde für vier Seiten Korrekturlesen erscheint mir dann irgendwie etwas viel, gleichzeitig traue ich mich aber nicht, nachzuhaken.
Also beobachte ich, was ich so mache, versuche, das Selbst wieder einzusammeln, wenn es auseinanderfallen und Zeitreisen in die Vergangenheit starten will und schaffe es, ein paar Kleinigkeiten im Konzept zu verbessern.

Klingt wieder friedlicher, als es war - man muss sich im Hintergrund das Geschepper der infernalen Party im Hirnwohnzimmer vorstellen, sekündlich einschlagende Mutterstreubomben und den ganzen anderen Kram, der sich so meldet, wenn man circa 0,37cm davon entfernt ist, in den Hirnsumpf zu fallen.

Trotzdem, in dieser Nacht falle ich nicht rein.
Die Thekenzwergin antwortet, sie wollte eigentlich nur kurz Henna in die Haare packen, hat aber unterschätzt, wie lange sowas dauern kann, letztes Mal hatte das ihr Mann für sie übernommen, aber der schläft schon. Nee, das ist voll ok, dass wir jetzt das Uni-Ding machen und telefonieren, sie geht eigentlich nie vor vier Uhr schlafen, Abschlussdruck und Thekentätigkeit formten diesen Schlafrhythmus.
Wir verquatschen uns, weil man sich mit der Thekenzwergin immer verquatscht, und während sie so von der Arbeit erzählt, und vom Haarefärben, und vom geplanten Hund und den Festivals und der Musik und dem Alltag und dem Leben da draußen und und und und und und

legt sich der Schalter in meinem Kopf um und die Zeitreise hört auf.
Sammle ich die Selbsts wieder ein, füge sie zusammen und bringe sie in die Gegenwart.
Fange ich an, ganz schlimm zu weinen, aber ohne Panik und ohne plötzliches Dissoziationsnebelende.
Legen die Hirnsumpfgestalten auf der infernalen Party eine Spielpause ein.
Gehen wir das Konzept durch und sie sagt, das wäre sogar für eine Doktorarbeit gut genug, woraus wir schließen, dass es den Ansprüchen meines Betreuers knapp genügen dürfte, und irgendwie ist das tatsächlich lustig.
Sie bleibt am Telefon, als ich noch ein paar Format-Sachen ändere und das Ganze in ein pdf umwandle.
Und auch, als ich versuche, endlich die dazugehörige Mail zu schreiben.

Es klappt.
Um 0:57 Uhr ist das Konzept abgeschickt.

Um 09:30 Uhr kommt eine Mail vom Betreuer zurück.
Schönes Konzept, klingt, als wisse ich, was ich vorhabe und wie ich es umsetze, er ist schon gespannt, was dabei rauskommt.

Das bin ich auch.