Donnerstag, 2. Juli 2020
In die Projektbesprechung (Masterkram) eingeloggt mit dem Ziel, zu erklären, warum ich das wahrscheinlich hinschmeiße. Ansprüche und Zeitplan absolut inkongruent mit den anderen, dringenderen Baustellen, gerade in der momentanen Situation. Krieg ich schlicht und ergreifend nicht hin.

Also die Schwierigkeiten beschrieben, und dass das Thema interessant, aber momentan für mich nicht zu stemmen ist.

Dozent findet es super, wie toll ich meinen Arbeitsprozess beschrieben habe, man merke, dass ich da engagiert dabei bin, mich auskennen würde und außerdem hätte ich da wirklich gute Zwischenergebnisse gebracht.
"Viel Erfolg noch, Frau Mayhem! Sie machen das super so, ich freue mich schon auf die Präsentation nächste Woche!"

Das Leben hat Humor.




Alles ein Kampf, der oft wie einer auf dem verlorenen Posten aussieht.

Dann die Seminare, die ich mag. In denen ich gut bin. So gut, dass sogar ich anfange, an meine Kompetenz zu glauben.
Natürlich wieder die Gegenstimme im Hirn, die es abwerten will. Zählt weniger, ist jetzt nicht wichtig, sind ja nur ein paar Kurse, hier ist der, in dem du schlecht bist, hier ist deine Abschlussarbeitsblockade, hier ist die unfertige Hausarbeit aus dem letzten Semester, hier sind Waisenrente, Studienkredit, Krankenkasse und die anderen Sachen, von denen du schon mehrfach gesagt hast, wir machen das nach Anmeldung der Abschlussarbeit, abermanwirdjanochpöbelndürfen.

Nö.

Egal, was sie so ausgräbt: wenn meine Mutter wieder loslegt, sage ich ihr, nö, halt die Fresse, du bist tot, komm mal klar ey.

Rutsche trotzdem manchmal weg. In die Vergangenheit (seit die Therapeutin die Ego States-Geschichte erwähnt hat, kann ich es immerhin benennen. Und seit es einen Namen hat, fällt es mir leichter auf) oder den Dissoziationsnebel. Oder einfach ganz normales AngstAnspannungLähmungErschöpfungÜberlastungEmotionenAAAH.
Ziemlich oft sogar.
Aber: dann ist das eben so. Mach ich meine Sachen halt trotzdem.
Oder versuche es.


Im Seminar Expressionismusquerschlag, ich unvorbereitet, unkonzentriert und verunsichert aber trotzdem ganz vorne mit dabei.
Es klappt, gut sogar.
Einmal vorgespult, wie es sein könnte.
Es hängt an einer Bachelor- und einer halben Hausarbeit. Wieso hänge ich da überhaupt fest? Es wäre bewältigbar. Ich kann das. Ich komme mit komplizierteren Dingen klar. Da müssen nur ein paar Sachen geschrieben werden, beides zusammen gerechnet vielleicht 40, 50 Seiten, das ist doch keine große Nummer.
Ein Kommilitone, gerade ruminterpretierend an KeineAhnungWelchemText wirft ein: "Das mit dem Untergang, also, was wir da beachten sollten: ein Untergang kann ja auch etwas positives sein".


Videochat mit Legolas, keine Ahnung, wann wir das letzte Mal Kontakt hatten. Paar Jahre bestimmt, da hieß es von mir noch "wenn du dein Abi nachgeholt hast, hab ich hoffentlich meinen ersten Abschluss fertig".
Legolas ist Schnellstudierer und generell so produktiv, dass sogar er selbst Angst bekommt. Dabei wächst es nicht mal aus Verdrängung oder Wahn, sondern einfach so, auf einem, hold your beer, stabilen Fundament.
Dann und wann hüpft auf dieser oder jener Seite des Bildschirms eine Katze durch's Bild, oder zwei.
Allgemeiner Musikabgleich, was man so verpasst hat.
Immer noch unendliche Dankbarkeit seinerseits, dass ich einfach ganz pragmatisch in den Sumpf gestiefelt bin und ihn da rausgezogen habe, als wäre das ein Routine-Eingriff und keine große Sache.
Allgemeiner Lebensabgleich, was man so verpasst hat.
Mit dem Großteil des gemeinsamen Freundeskreises haben wir beide nichts mehr zu tun und stellen fest, ist auch eigentlich egal, was die so machen.
Ob ich es gehört habe, Mr.Gaunt und Heirat und so.
-Jaja, hab ich mitgekriegt, manchmal freue ich mich für die zwei, meistens ist es mir aber tatsächlich echt egal.
Hm, ja, das hat dich ja damals schon mitgenommen.
- Ja, passiert halt.
Dann, feierlicher Legolas-Moment:
"Projektionen sind ja etwas menschliches. Und das war ja damals auch so eine Sache. Aber:
Alles, was du in ihm sehen wolltest, und was er so gerne sein wollte:
Das extrovertierte, manchmal laute, wahnsinnig intensive, verpackt mit der Musik, den ganzen Piercings und Tattoos und den Haaren in eine Persönlichkeit, die ihr eigenes Gravitationsfeld hat.
Das bist du nicht nur geworden. Das hast du übertroffen.
Und ich bin mir sicher: du vollbringst noch Großes."

Könnte ich eigentlich mal machen.
Irgendwo muss ich mit meinem Potenzial ja schließlich hin.




Dienstag, 2. Juni 2020



Allgemeine Hirnüberlastung, mittlerweile hinterfragen allerdings etwa 10% meines Verstandes die anderen 90%, die von Rückschritt oder absolutem Stillstand, in jedem Fall aber unausweichlichem Super-GAU sprechen.
(Dory hat mal gesagt, Stillstand sei das Aufrechterhalten eines erreichten Zustands, es überführe diesen in den dauerhaften Bereich und gelte somit auch als Fortschritt).

Die Arbeit an der Abschlussarbeit ist nach Bestätigung der Fristverlängerung temporär pausiert, weil der Gottimperator eines Masterseminarprojekts beschlossen hat, dass das Ding noch vor dem Ende der Vorlesungszeit fertig sein muss.
Ich bin mit Zwischenschritt 1 mittlerweile eine Woche zu spät dran, eigentlich sollte Zwischenschritt 2 bis spätestens übermorgen erledigt sein und generell grenzt die Mission so ein bisschen an Wahnsinn, Prüfungsleistung und -zeitpunkt sind allerdings alternativlos.
Kurz Krise, dann Mail schreiben, dann: "Sie hatten ja einen Nachteilsausgleich bis letztes Semester. Sofern Ihre Einschränkungen noch bestehen, gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass er verlängert werden wird und Sie arbeiten einfach so zügig wie möglich".
Kurz Krise, weil das keine absolut klare Zeitangabe ist und außerdem wieder irgendwas aus dem Hirnsumpf ruft, dass ich Dinge gar nicht so gut und zügig mache wie möglich, sondern mich nur anstelle, nur Ausreden suche, nur faul bin. Dann packe ich das Projekt auf die Liste der akuten Monstrositäten, auf eine mehr oder weniger kommt's bei der Gesamtbilanz eh nicht mehr an.
Auch nicht darauf, ob da was unwahrscheinliches oder was beinahe-unmögliches erledigt werden muss.
Die Gesamtbilanz sagt nämlich, dass ich genau das kann.


Die Hirnüberlastung wird manchmal von tatsächlicher Erschöpfung abgelöst, die im Vergleich zum Kopfkrieg deutlich einfacher zu handhaben ist. Sie ist rational und logisch, und sie hat Manieren. Sie nimmt mich ebenso ernst wie ich sie; weiß, dass es in den nächsten Monaten keine nachhaltige Entspannung geben wird, und ist daran interessiert, Kompromisse auszuhandeln, die ihr ebenso weiterhelfen wie mir und dem Zukunfts-Ich.

Die Erschöpfung verordnet mir eine mehrtägige Pause und lässt nicht mal vom Kopfkrieg Widerworte zu.
Ungefähr 30 Seiten für's Masterseminarprojekt gelesen, ein paar Sätze geschrieben, mehr nicht. Zwischendurch mit Tante Emma telefoniert, weil sie das gerade braucht. Mental davon verabschiedet, sie aus der Beziehung zu dem grenznarzissistischen Spinner, der ihr Verlobter ist, rausholen zu können. Bin es Leid, die immergleichen, immer wiederkehrenden Probleme mitzufühlen, mitzudenken und das immer wieder, immer gnädig, jedes Mal, wenn sie wieder zurückrudert oder relativiert.
Kann sie verstehen, sagt sie. Sie hat irgendwie schon auch das Gefühl, dass da was nicht passt, aber er kann ja auch nett sein. Dann muss sie auflegen, weil er ist grad aus seinem Nachmittagsschläfchen aufgewacht und regt sich auf, dass sie auf dem Balkon sitzt, auf den er sie befohlen hat, weil er sonst nicht schlafen kann.
"Ok."
Ich investiere da nicht mehr. Erschöpfung macht nicht emotionslos, aber pragmatisch.

Wäsche waschen, ein paar Pflanzen umtopfen.
Selbst das ist ein immenser Kraftakt, wie auch das Pause machen an sich, weil der Kopfkrieg keine Ruhe geben will. Die Stimme meiner Mutter gibt ein Geisterachterbahnkonzert.
Ich teile ihr mit, dass sie ganz schön selbstbewusst ist für jemanden, der in keinem einzigen Lebensbereich je das erreicht hat, was ich schon jetzt geschafft habe, und der seine gesamte Zeit damit verbringt, andere sabotieren zu wollen, um nicht mit dem eigenen Versagen konfrontiert zu werden und um davon abzulenken, dass er vielleicht nicht am Ursprung, wohl aber an Umfang und Dauer seiner Misere selbst schuld ist. Es gibt kein Erbe, das nicht ausgeschlagen werden kann.

Beschließe, dass ich jetzt lerne, freiwillige Pausen zu machen und sie auszuhalten, auch, wenn irgendwer aus dem Hirnsumpf meint, dass das so nicht geht und alles viel zu lange dauert (hab schließlich besseres zu tun, als auf betrunkene ü40-Frauen zu hören, die seit 13 Jahren tot sind).


Im Zuge dieser Maßnahme auch die Thekenzwergin und ihren Mann besucht; der erste (zwischen)menschliche Kontakt seit März.
Also, emotional, nicht physisch.
Maske im Bus, Abstand auf der Dachterasse.
Trotzdem: Menschen.

Der Thekenzwerginmann grillt, die Thekenzwergin macht Unisachen und Hundadoptionssachen. Wir sitzen in Campingstühlen und trinken Bier, zwischendurch schauen Leute aus Fenstern, betreten ihren Teil der Terasse oder gehen wieder rein, weil es langsam kalt wird.
Die Gegend ist sehr sauber, sehr modern und sehr teuer; wären wir nicht auf dem Dach eines riesigen hässlichen Betonklotzes, würde ich sie 'nobel' nennen.
Trotzdem sind irgendwie alle freundlich. Man winkt uns, wünscht weiterhin gute Gesundheit und noch einen schönen Abend.

Die Thekenzwergin, einzige Studentin unter den Mitgliedern der 593919345124921 Mietparteien sagt, sie war anfangs auch verwirrt, man gewöhnt sich aber dran und meint damit den Klotz ebenso wie eine Realität, in der Dinge plötzlich gut werden.
In der man nach geschmissenem Erststudium und Fachwechsel auf einmal kurz vorm Bachelor ist, während man den Master angefangen hat, in ein paar Wochen die erste Abschlussarbeit abgeben wird und irgendwie scheint es tatsächlich zu klappen.
In der Geldsorgen bewältigbar sind und auch die Angst.
In der glückliche Ehen passieren, weil neben diesem Liebe-Ding, das sich auf Menschen bezieht statt auf Projektionen, auch die Kommunikation funktioniert, konstruktiv, respektvoll und ehrlich,wie man das so macht, und die Punkte auf der "Ich brauche das"-Liste der menschlichen Eigenschaften erfüllt sind.
In der Omas nach Afrika auswandern, aber trotzdem zweimal im Jahr selbstgestrickte Socken schicken.
Und Eltern über ein derart unerschütterliches Maß an Freude, Stolz-Sein und Vertrauen verfügen, dass es selbst dann noch da wäre, wenn die Sonne implodiert und uns alle auffrisst.

Der Thekenzwerginmann sagt, er ist immer noch regelmäßig verwirrt, verängstigt, überfordert oder gleich alles auf einmal, aber vielleicht gewöhnt man sich daran und meint damit nicht den Klotz (er ist ein Stück älter und finanzstärker als wir), sondern eine Realität, in der Dinge plötzlich gut werden.
In der man nach zwei Studiengängen und achtzehn Semestern einen Job findet, der nur entfernt und mit sehr großzügiger Betrachtungsweise etwas mit den studierten Fachbereichen zu tun hat, weil zufällig jemand an der richtigen Stelle sitzt und der Meinung ist, dass geht schon, Persönlichkeit und Menschlichkeit sind einfach mal wichtiger als die paar Wissenslücken, die sich locker beseitigen lassen.
Und in der es dann tatsächlich auch geht.
In der man trotzdem beschließen kann, den Job zu schmeißen. Und dann auch wieder einen neuen findet.
Und danach noch einen.
Und dann ist man auf einmal auf nem Beamtenposten und verdient genug, um nebenher noch ein drittes Studium per Fernuni aufnehmen zu können.
In der die eigenen Eltern zu denen gehören, die machen, dass man sich selbst die MutterVaterKindPersonalunion sein muss.
Und dann hat man auf einmal 'ne Freundin und deren Eltern nehmen einen einfach an und auf und überhaupt.
Eine Realität, in der der Beziehungen traumatisieren und der ganze andere Scheiß eh, also verarbeitet man und arbeitet dran. Immer wieder und immer weiter.
Vollbringt nebenher Großartigkeiten und fällt in Abgründe. Immer wieder und immer weiter.
Und man wird besser.
Und auf einmal sind da Chancen und Möglichkeiten und Potenziale, und Dinge passieren, gute Dinge, und das Glück haut dir auf die Fresse und das Leben mit geballter Positivfaust in die Magengrube, dass dir die Spucke weg bleibt.
Und es fühlt sich vielleicht nicht wie Normalität an, verhält sich aber trotzdem so und bleibt einfach dabei.
Egal, wie misstrauisch man es beäugt.

Das Mögliche Ist Ungeheuer
Das Ungeheure Ist Möglich.




Freitag, 29. Mai 2020
1. Ich bin immer noch fähig, die Hölle heraufzubeschwören

2. Wenn ich die Hölle heraufbeschwöre, klappt's auch mit den Nachbarn mit der netten Dame, die für meine Zeugnisfristen zuständig ist.




Montag, 11. Mai 2020
Die Vatersfreundin schreibt und schickt Sprachnachrichten. Das tut sie öfter, es ist ein Wechselbald der Gefühle.

Sie ist ein Wrack und ihre Psyche ein Minenfeld, und wie das unbetreute Minenfelder so an sich haben, fliegt einem zwischendurch mal was um die Ohren.
Aktuell ist sie wieder schwer besorgt um Papa Mayhem, der ganz eindeutig den Verstand verliere.

Das tut er, wenn man von ihrer Wahrnehmung ausgeht, eigentlich kontinuierlich, aber alle sechs bis zwölf Monate "endgültig".
Er sei nur am Arbeiten, sie müsse nur arbeiten, zu anderen sei er viel netter und ihr höre er nie zu, wenn sie ihm erklärt, dass er vollkommen bekloppt geworden ist und nicht mehr richtig tickt und das so nicht weiter geht.
Es sei alles so anstrengend, sie könne das nicht mehr aushalten und würde bald ihre Sachen zusammen packen und gehen, "egal, wie nett er dann ist".

Ich kann es mir nicht verkneifen, sie darauf hinzuweisen, dass wir das zum wiederholten Male durchexerzieren - so oft wiederholt, dass ich den Überblick verloren habe.
Erneut die Leier, es ist ja so schlimm, er ist ja vollkommen durchgeknallt.
Weil: er hört ihr nicht zu, wenn sie ihm sagt, dass er durchgeknallt ist, weil er anderen, die ihn nicht mögen, hilft und viel arbeitet. Darum ist er, und das muss nochmal betont werden, durchgeknallt, und dass er ihr nicht zuhört, wenn sie ihm erklärt, dass er durchgeknallt ist, zeigt, wie extrem durchgeknallt er ist.

Ich haue ihr distanzierte Konstruktivität in die Fresse, sie antwortet, wie sie eben antwortet.
- Konstruktive Kommunikation suchen, redet miteinander, ohne Vorwurfsmühle, sondern hört euch mal an, wie es der Andere wahrnimmt, wie sich das für ihn anfühlt, versucht, das ernst zu nehmen und gemeinsam eine Mitte zu finden -> Ja haha, das sagst du so einfach du weltfremdes Kind, ich hab hier zu tun, ich muss arbeiten, ich muss dekorieren und Wände streichen.

- du schreibst mir das nicht zum ersten Mal, ich hab das Gefühl, das ist ein wiederkehrendes Thema. Ebenso, dass du es nur schwer aushalten kannst und überlegst, zu gehen. Ich kann diese Entscheidung nicht für dich treffen. Es ist deine. Du entscheidest. Und entweder entscheidest du dich für das gemeinsame Arbeiten daran, oder dafür, dich damit zu arrangieren, oder dafür, zu gehen. Es gibt nur die drei Optionen, und welche passt, kann ich nicht entscheiden. Es ist deine Entscheidung. Und du hast die vergangenen Male jedes Mal erzählt, wie schwierig es ist, und dass du das nicht mehr kannst, und dass du jetzt für immer gehst. Es ist deine Entscheidung. Finde heraus, was davon für dich das richtige ist. Und dann lebe damit.
-> Ich hab dir doch oben geschrieben, dass ich gerade arbeiten muss, ja, wir telefonieren heute Abend, ja, ich muss gerade arbeiten, ja. Jetzt sei deswegen aber nicht wieder gleich angepisst, weil du immer so empfindlich bist.

- Ich schreibe dir jetzt zurück, weil ich jetzt Zeit habe. Du musst darauf nicht sofort antworten, kein Stress.

- Ja ich hab auch Stress, ich hab dir gesagt, wir telefonieren heute Abend!




Das Narrenschiff fährt wieder, mit dem immergleichen Narrativ:
Sie leidet ja so darunter, dass mein Vater total am Rad dreht, nur arbeitet und ganz offensichtlich den Verstand verliert, außerdem hört er ihr nie zu, wenn sie ihm das sagt und sie hält das ja alles nicht aus und wenn sie das nicht mehr aushält, geht sie, und dann ist eben jeder für sich und überhaupt.


Sie will mit mir telefonieren und planen, was zu tun ist, wenn Papa Mayhem plöztlich an Überarbeitung oder Wahnsinn stirbt, das könne nämlich quasi jede Sekunde passieren und darauf müssen wir vorbereitet sein.
Weil er immer nur sagt, dass für solche Fälle alles geplant ist und keiner Angst haben muss, aber das ist ihr egal, was er dazu meint, sein Bruder ist schließlich geldgeil und ich mit jedem Mist überfordert, also muss sie jetzt planen, was wir dann machen, weil sonst plant das ja keiner und dann steht sie wieder ohne Wohnung da (weil sie ihre verkauft hat und zu ihm gezogen ist, weil: "Niemals verkaufe ich die Wohnung und ziehe nach Mayhemsdorf") und ohne Partner, und sie hat echt keine Lust, wieder ohne Wohnung und mit dem zweiten toten Partner da zu stehen.

Ich schreibe: darüber können wir sprechen, aber ausschließlich zu dritt, das betrifft meinen Vater.

Sie schreibt: Ja der ist ja nur am Arbeiten und dreht total am Rad, und ich hab dir gesagt, wir telefonieren heute Abend ich hab gerade zu tun!!

Ich teile ihr nochmals mit, dass ich heute Abend keine Zeit habe, ich ihr mögliche Gesprächstermine genannt habe und schriftliche Nachrichten den Vorteil haben, dass man sie auch zu späteren Zeitpunkten lesen und beantworten kann, ich es aber gerne unterlasse, wenn das Wissen, dass unbeantwortete Nachrichten da sind, ihr unangenehm ist.



Dann lege ich das Handy zur Seite, widerstehe der Versuchung, Mitgefühl für diese zwei Baustellenmenschen zu haben, die immer wieder in die gleichen Muster rutschen und immer wieder die gleiche Scheiße durchexerzieren, weil sie sich beständig weigern, Selbstreflektion zu betreiben und sich Hilfe zu suchen (der, nicht zum ersten Mal angebrachte, Hinweis auf die Dauerhaftigkeit dieser Baustelle und die Freuden der Psychotherapie wurde erneut gekonnt ignoriert).

Höre in mich hinein, was mein Gefühlsleben so spricht.
Mein Gefühlsleben schreit nach Feuer, Verdammnis, verbalem Mord und Totschlag.
Den Schrotthaufen in die Luft jagen, entweder versteckt sich irgendwo ein Funken Selbstreflektion oder es pulverisiert die Einzelteile genug, um sie zu diesem Phönix-Ding zu bewegen, bei dem sich was neues aus ihnen zusammen setzt. Oder es ist Ruhe.
Mein Gefühlsleben will in ihr Hirn gehen und dort so lange auf alles einschlagen, was sich bewegt und alles, was sich versteckt, bis nichts mehr davon übrig ist.

Mein Verstand weiß, dass ich das kann.

Mein Verstand weiß auch, dass es gerade wichtigere Dinge gibt als Menschen, die sich selbst ins Gehirn geschissen haben.

Deshalb entscheiden sich mein Gefühlsleben und mein Verstand dafür, sich um wichtigeres zu kümmern.
Genau das zu tun, was ich ihr vorgeschlagen habe: auf eigene Baustellen schauen und Grenzen ziehen.

Handy zur Seite, Platz machen für den heiligen Zorn, damit er vor sich hin brennen kann, und sich auf das konzentrieren, was ich tatsächlich beeinflussen kann.

Zähne putzen.
Gesichtspflege.
Haare flechten und im Dutt verräumen.
Kleidung anziehen.
Mails checken und feststellen, dass meine Themeneingrenzung vorläufig genehmigt ist.
Notiz machen, dass ich spezifizieren und mir was für die beschissene Quellenlage und eine Gliederung überlegen muss.
Bisschen Panik, weil ich mal wieder Nachbarwissenschaften mit rein nehme und das ein Seiltanz ist, dessen Ausgang von der Gnade meines Betreuers abhängt. Einfach Germanistik ist für Anfänger, Profis hauen noch Theater- und Musikwissenschaft mit rein.

Wetter sichten, Musik rauskramen, Schuhe an und los.