Mein Religionslehrer hat gesagt, die Griechen haben gesagt, in jedem wohnt ein Daimon/Dämon.
Mindestens einen davon, und er sitzt in uns drin und ist mit uns verschmolzen und unsere Persönlichkeit.
Manchmal zeigt er sein Gesicht ganz offen, manchmal nicht, aber da ist er immer.
Der Daimon, das ist unsere Wesensart und, von ihr bedingt, unser Schicksal.
"ethos anthropo daimon".
Der Daimon, der ist eine feststehende Gegebenheit, eine Tatsache, die man nicht komplett ändern kann. Daimon als gegeben akzeptieren, Schicksal annehmen.

Mein Religionslehrer hat gesagt, die Griechen haben gesagt, es gibt zwei verschiedene Arten von Daimon, aber keine Aufteilung in "gut" und "böse".
Deswegen gibt es auch keine schlechten Eigenschaften, sondern jede Eigenschaft hat zwei Seiten, und die sind in jedem unterschiedlich stark ausgeprägt.
Ich fand das ein bisschen tröstlich. Der Gedanke, vielleicht nicht ganz schlecht zu sein. Auch ein bisschen ungewohnt, sich seine schlechten Eigenschaften ins Gedächtnis zu rufen und zu überlegen,was die positive Seite dazu ist.
Das Mädchen am Tisch neben mir meinte, Schwachsinn, und die, neben mir, einzige naturwissenschaftlich Interessierte/Überzeugte, die am Tisch des Mädchens sitzt, stimmte zu.
Ich mag den Gedanken immernoch, vielleicht arbeite ich daran, mich an ihn zu gewöhnen, genauso wie ich beim heutigen völlig ursachenfreien Wiegeschock zum tausendsten Mal beschloss, die Waage nur noch wöchentlich zu besuchen.

Vielleicht ist das ja wirklich so, Wesensart als Schicksal, mit dem man leben soll. Vielleicht ist das ja die Aufgabe, der "Sinn" des Lebens, dass man seinen Daimon finden, verstehen und mit ihm im Einklang möglichst gut leben soll.
Können uns nicht komplett umkrempeln, aber an der Stärke, der Ausprägung der Eigenschaften arbeiten.

" Es gibt keine rein schlechten Eigenschaften."
Doch, ich finde das tröstlich.

Vielleicht mache ich das jetzt zu einer Aufgabe für mich, die gute Kehrseite zu den vermeintlich schlechten Eigenschaften anderer Leute zu finden.
Und wenn sie richtig gemein zu mir sind, bitte ich sie eventuell darum, das selbe vielleicht auch bei mir zu tun.