Ein Handspiegel aus Holz, fünf Haarnadeln, die stabil genug sind, um damit einen mittelgroßen Hamster aufzuspießen und zu grillen, und eine Notiz.
Und die Jacke, die 10km gegen den Wind nach Rauch und Kneipe und Dingen, die ich lieber nicht so genau identifizieren will, stinkt.
In einen Karton gesteckt, vor meiner Haustür abgelegt.
Habe ihn gefunden, nachdem ich die Egoschleuder zum Bahnhof fahren musste (er hatte wieder mal vergessen, seinen Wecker zu stellen), und sofort gewusst, dass der Karton irgendwas Kurioses enthält.
Der Postbote bringt nämlich keine Päckchen. Der läuft keine 900 Meter zusätzlich, sondern legt sie bei meinem Vater vor die Garage, egal, ob da jemand daheim ist oder nicht.
Mein erster Verdacht bezüglich des Inhalts (Nagelbombe/abgetrennte Gliedmaßen/irgendwas,das noch bei ihm lag und das er mir jetzt vorbeigebracht hat) bewahrheitet sich netterweise nicht, beim Absender handelt es nicht um den Raucher, sondern um den Patenonkel.
Der, laut beiliegender Notiz, nach Jahren seinen Dachboden betreten und geschaut hat, ob man da noch was verwenden kann.
" Die meisten Sachen von der Oma und dem Opa habe ich wegwerfen müssen, und Sachen von früher als deine Mama noch hier gewohnt hat auch, aber manches war noch gut, und deshalb habe ich es denen geschickt, zu denen es gehört."
Es folgt eine Auflistung der verschickten Güter mit dem Hinweis, wer auch immer Probleme damit habe und sich mit irgendeinem Kleinstmöbel/Buch/etc besonders verbunden fühle, das jemand anders erhalten hat, möge sich doch bitte bei der entsprechenden Person melden.
Außerdem die Bitte, bei Vorhandensein eines Autos mit Anhängerkupplung demnächst mal, samt Anhänger im Idealfall, vorbeizukommen, um das restliche Zeug auf die Mülldeponie zu fahren.
" Viel war nicht mehr da, dein anderer Onkel hat, als die Oma und der Opa gestorben sind, viel mitgenommen und deine Mama auch. Beim Umzug hat sie aber anscheinend Sachen da gelassen, nur das Meiste ist vergammelt, weil auf dem Dachboden ist es feucht in den Ecken, der ist nicht ganz dicht."
Ein Handspiegel aus Holz, der laut Notiz meiner Mutter gehört hat, die ihn von ihrer Großmutter bekommen hat, weil sie doch alte Sachen so gerne mochte, fünf Haarnadeln, die er deshalb an mich geschickt hat, weil ich die einzige Verwandte mit langen Haaren bin und er selbst nicht weiß, wo die eigentlich herkommen, und das große Päckchen liegen vor mir, während Kater Mayhem sich begeistert in die Zeitungsberge wühlt, mit denen das alles gepolstert war.
Der Handspiegel wird auf dem Schminktisch untergebracht, in der Ecke, in der auch ihre Ohrringe aus Prag, die ich vor der Vatersfreundin gerettet habe, ihren Platz haben. Und etwas später auch die Haarnadeln.
Dann sitze ich, mit einer Schere bewaffnet, vor dem großen Zeitungspäckchen und wühle mich durch mehrere Schichten Zeitung, unter denen noch mehr Zeitung zum Vorschein kommt, aber vergilbte, gewellte.
Jahrgang 1988.
Unter der alten Zeitung befinden sich zwei Einkaufstüten eines regionalen Modekaufhauses, das Mitte der Neunziger schließen musste.
Darunter Folie.
Und noch mehr Folie.
Und noch mehr Folie.
Endlose Schichten Folie, darin luftdicht verpackt ein weiches, mehr oder weniger schwarzes Etwas.
Ich glaube, das große ist ihre Jacke. Die hat sie anscheinend beim Umzug dagelassen und jemand hat sie eingemottet. Ich weiß nicht, ob sie noch gut ist, hab sie nicht ausgepackt.
Dann ist die fünfte Schicht Folie abgewickelt und mir schlägt derart intensive Rauch-und-Kneipen-Luft entgegen, dass zweifelsfrei klar ist, wer die Jacke in seiner Jugend getragen hat und warum der Patenonkel sie mir geschickt hat.
"...und deshalb habe ich es denen geschickt, zu denen es gehört."
Sie gehört zu mir, die Jacke. Zumindest bis auf weiteres.
Nach zwei Tagen Lüften im Freien riecht sie immer noch, als hätte sie fünf Jahre ohne Unterbrechung in der Raucherecke der Absteige verbracht, aber wenigstens der Kneipenstunk verabschiedet sich langsam, was das gute Stück allerdings nicht daran gehindert hat, Teile seiner Duftwolke erstaunlich hartnäckig auf mich zu übertragen, als ich sie fünf Minuten an hatte, um abzuschätzen, ob ich sie tragen kann.
Sehe es als Wink des Schicksals, dass ich es kann.
Obwohl Größe 36 drinsteht.
Geht sogar zu, das Ding. Und sitzt dann trotzdem eigentlich gut, nur nicht obenrum, da der Schnitt offensichtlich für Personen konstruiert wurde, die entweder die Pubertät noch vor sich, oder von Natur aus beinahe keinerlei Oberweite haben.
Da ich zu keiner der beiden Personengruppen gehöre, hieße das bis auf weiteres Jacke offenlassen.
Eine Taktik, die sie zeitlebens praktiziert hat, wenn sie zwischen zwei Größen stand und die kleinere tragen wollte.
Tja, und jetzt sitzen wir da, die Jacke und ich.
Mittlerweile bin ich ihrem Innenleben mit Textilerfrischer zu Leibe gerückt, sobald zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass es sich doch um Echtleder handelt, wird die Außenseite folgen, in der schwachen Hoffnung, dass sich Rauchgestank, der sich jahrzehntelang in seiner luftdichten Verpackung gehalten hat, von einer geballten Ladung Frischluft und Moonlight Vanilla beeindrucken lässt.
Davon abgesehen hat sie ein paar kleinere Löcher im Innenfutter und so ziemlich alle ihre Knöpfe scheinen nur noch durch ein Wunder zu halten.
Das schwarz ist auch nicht mehr das, was es mal war. Und ein paar Stellen am Bund sind abgeschubbert.
Aber wissen Sie was, eigentlich ist das egal.
Und auch, ob ich die Jacke tragen kann, oder eben nicht.
Ich brauche ja auch keinen Handspiegel.
Oder noch mehr Haarnadeln.
Eigentlich brauche ich nicht mal Ohrringe, die immer unter den Plugs reinzuklemmen ist nämlich manchmal verdammt unbequem.
Eigentlich geht es auch gar nicht um einen Holzspiegel, oder Haarnadeln, oder Ohrringe, oder eine total verrauchte Lederjacke, die mindestens so heruntergekommen aussieht, wie ich
Eigentlich geht es um Erinnerungen.
Und Erinnerungen behalte ich bei mir.
huehnerschreck,
Donnerstag, 27. Juni 2013, 13:42
die erinnerungen sind es oft genug, die uns zu dem machen, was wir sind.
am rande: ja, reißverschlüsse können rosten. falls gewünscht, hilft folgendes: ein bisschen feine polierpaste (z.b."elsterglanz") drauf, mehrmals auf und zu machen, paste abwischen (ein grauer schleier kann bleiben, der vergeht nach ner weile). färdsch. bisschen nachölen (kerzenwachs geht auch), um weiterem rost vorzubeugen.
gegen abgestoßene stellen hilft lederfarbe (die teure version), schwarze schuhcreme (achtung bei hellen sachen drunter, das kann abfärben) oder - ganz schnöde - wasserfester edding. der allerdings auch abfärben kann.
wenns leder ist: mal gründlich einfetten. teuerste version: leder- oder sattelfett. günstiger (und mMn nicht schlechter): kokosfett.
gegen stink hilft nur reinigen oder eeeeeeeeeeeewig lüften lassen (im zweifel auch beim tragen - hab ich so gemacht). die teile haben nun mal charakter. (so wie wir ;) )
vorsicht mit parfüm/textilerfrischer usw.: das kann (KANN!) kunstleder angreifen. leder ist deutlich unempfindlicher ( =es geht nicht kaputt davon), bekommt aber u.u. flecke.
leder von kunstleder unterscheiden: schau dir die schnittkanten an. kunstleder ist völlig glatt, und man kann oft den textilen unterbau sehen. die rückseite von leder ist rauer. wenn aber die kanten schon lange beim tragen beansprucht wurden, können die auch bei leder ganz glattgeschrubbelt sein.
vllt ein brauchbares how to: http://www.helpster.de/leder-oder-kunstleder-so-erkennen-sie-den-unterschied_30499
am rande: ja, reißverschlüsse können rosten. falls gewünscht, hilft folgendes: ein bisschen feine polierpaste (z.b."elsterglanz") drauf, mehrmals auf und zu machen, paste abwischen (ein grauer schleier kann bleiben, der vergeht nach ner weile). färdsch. bisschen nachölen (kerzenwachs geht auch), um weiterem rost vorzubeugen.
gegen abgestoßene stellen hilft lederfarbe (die teure version), schwarze schuhcreme (achtung bei hellen sachen drunter, das kann abfärben) oder - ganz schnöde - wasserfester edding. der allerdings auch abfärben kann.
wenns leder ist: mal gründlich einfetten. teuerste version: leder- oder sattelfett. günstiger (und mMn nicht schlechter): kokosfett.
gegen stink hilft nur reinigen oder eeeeeeeeeeeewig lüften lassen (im zweifel auch beim tragen - hab ich so gemacht). die teile haben nun mal charakter. (so wie wir ;) )
vorsicht mit parfüm/textilerfrischer usw.: das kann (KANN!) kunstleder angreifen. leder ist deutlich unempfindlicher ( =es geht nicht kaputt davon), bekommt aber u.u. flecke.
leder von kunstleder unterscheiden: schau dir die schnittkanten an. kunstleder ist völlig glatt, und man kann oft den textilen unterbau sehen. die rückseite von leder ist rauer. wenn aber die kanten schon lange beim tragen beansprucht wurden, können die auch bei leder ganz glattgeschrubbelt sein.
vllt ein brauchbares how to: http://www.helpster.de/leder-oder-kunstleder-so-erkennen-sie-den-unterschied_30499
mayhem,
Dienstag, 2. Juli 2013, 02:11
danke für die tipps bzgl der jacke. lüften lassen beim tragen praktiziere ich, ansonsten wird sie immer ins freie gehängt und riecht langsam, aber sicher auch weniger nach rauch, obwohl sie dieses wochenende eigentlich ziemlich verräuchert worden ist.
die abgeschubberten stellen finde ich nicht sonderlich schlimm, das einzige war/ist echt der geruch, aber das wird schon noch.
und das gute stück ist wohl wirklich aus kunstleder, jedenfalls legt das die oberflächenstruktur im direkten vergleich mit einer echtlederjacke nahe.
die abgeschubberten stellen finde ich nicht sonderlich schlimm, das einzige war/ist echt der geruch, aber das wird schon noch.
und das gute stück ist wohl wirklich aus kunstleder, jedenfalls legt das die oberflächenstruktur im direkten vergleich mit einer echtlederjacke nahe.
c17h19no3,
Donnerstag, 27. Juni 2013, 17:09
<3
du wird es mal weit bringen mit deiner art zu denken und der fähigkeit, das in worte zu fassen. du darfst nur nicht meinen fehler machen, nicht dran zu glauben und das zu billig zu verkaufen.
du wird es mal weit bringen mit deiner art zu denken und der fähigkeit, das in worte zu fassen. du darfst nur nicht meinen fehler machen, nicht dran zu glauben und das zu billig zu verkaufen.