Thema: oh happy day.
09. Oktober 11 | Autor: mayhem | 0 Kommentare | Kommentieren
"Also dann, Ciao." Ich umarme den Studenten kurz, es ist keine richtige Umarmung, aus verschiedenen Gründen. Eher eine auf Distanz.
"Tschüss, bis..keine Ahnung, bis ich wieder in der Gegend bin". Der Student umarmt mich zurück und lächelt und wartet mit dem wegfahren, bis ich im Haus verschwunden bin, um sicher zu gehen,dass mir nichts passiert.
Er ist gerade eben einfach mal so 40km gefahren, 20 hin und 20 zurück, um mich von einer Musikveranstaltung mit darauffolgendem Pub-Besuch heimzubringen.
Weil der Intelektuelle meinte, es wird bei der Musikveranstaltung nach 24 uhr nicht mehr kontrolliert, er habe das gerade mitbekommen, und der Ausweismann Nr.2, während die alte Sache Ausweismann Nr.1 erfolgreich ablenkte, zu mir sagte, ich könne entweder meinen Ausweis zeigen oder gleich wieder rausgehen. Das Ü18-Bändchen hatte man mir ja aus Versehen gegeben, trotz Ausweiszeigen und abgeben, und an diesem einen Abend hätte ich das gerne ausgenutzt. Konnte ich aber nicht, hatten ja den Perso behalten,also raus, zum Pub und später wollten sie wieder hin, der Student war der einzige,der als Fahrer in Frage kam und so blieb mir keine Wahl. Apruptes Ende eines sonst sehr langen Abends, den ich trotz Nüchternheit nur wie durch Nebel wahrnahm.
Los ging es mit Kriemhild und ihrer 30minütigen Verspätung, deren genaue Ursache sich nicht erörtern lies, ich bemerkte lediglich, dass die Stimmung zwischen ihr und ihrem Freund sehr angespannt war. Seltsame Autofahrt,ein paar Zusatzrunden durch die Stadt, weil wir auf der Suche nach der Feindin waren,die wir mitnehmen sollten, schließlich erreichten wir unser Ziel dann doch, stürmten förmlich den Raum.... und standen in einem fast leeren Saal, auf dessen Bühne ein einzelner Mann stand und mit vollem Einsatz Gitarre spielte.
"Hm. Ich brauche Alkohol", beschloss die Feindin und orderte sich ihr Standardgetränk, während es für mich eine Flasche Wasser blieb.
Es folgten ein paar Runden durch den Raum, schließlich die Eroberung von Sitzplatz und einstündiges Warten auf die alte Sache, die mit Schwester und dem Studenten, aber Gott sei dank ohne Freundin auftauchte. Mich freundlich ansah zur Begrüßung, aber irgendwas stimmte da nicht. Mehr Distanz als sonst, und zu meiner grenzenlosen Überraschung stellte ich fest, dass ich diese Distanz erwiderte.
Somit wieder Gesprächsgruppenbildung, wechselnde Gegenüber der alten Sache, Sehbekannte und unsere Sitzecke wurde immer voller,sodass es mir unangenehmerweise die ganze Zeit auffiel, wie der Student neben mir nervös mit dem Bein wippte.
Ich beschränkte mich darauf, laut, selbstbewusst und outgoing zu sein, nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest gegen meine eigene depressive, seelenschmerzangehaftete Verletztheit und weil mir das manchmal einfach so passiert, diverse Wortwechsel und freundschaftliche (?) -gefechte mit der Feindin und der Student stellt, als wir von der Bar wiederkommen,lachend fest, dass es ja so ruhig war ohne uns.
Ich setze mich wieder auf meinen Eingequetschtplatz neben ihm und Kriemhild, so ladylike, wie das bei einer Bierzeltgarnitur und Minirock eben geht und konzentrierte mich darauf, die Mitdörfler am Nebentisch mit Blicken zu töten.
Leider gingen sie weder in Flammen auf, noch explodierten sie;im Gegenteil, sie saßen da ganz einfach rum und existierten so vor sich hin.
Immernoch Beinwippen des Studenten, jetzt reden wir immerhin auch mal, er schwankt zwischen dem Versuch, mir in die Augen zu schauen und nervösem Wegsehen, und als ich mit ihr rede meint Kriemhild, er würde mich praktisch dauernd ansehen und ich fürchte, dass es stimmt; hatte er doch vorher schon vermehrt Kontakt gesucht, seit wir uns mal wieder kurz über den Weg gelaufen waren.
Aber immer langsam, alles wird gut, vielleicht ist er einfach generalschüchtern und immer so, denke ich und bitte Kriemhilds Freund,mir aus der Bar doch bitte etwas mitzubringen.Sofort stimmt der halbe Tische ein, und letztlich begleite ich den Kriemhildfreund, weil er nicht alle Gläser alleine tragen kann und es doch so langsam voll geworden ist im Saal.
Die Bar ist ein abgetrennter Raum, laut und warm und stickig,ständig fällt einem jemand betrunkenes vor die Füße oder rempelt einen an, so wühle ich mir meinen Weg durch die Leute, immer dem Kriemhildfreund nach, um nicht verloren zu gehen.
Endlich sehe ich den Tresen in Reichweite, schubse die letzten im Weg Stehenden zur Seite und mich zum Kriemhildfreund.
Als wir zu unserem Platz zurückkehren, sitzt niemand geringeres am Tisch als der Fremde, diesmal in dunkelgrünem Hemd und schwarzem Jackett aus irgendeinem cordähnlichen Stoff, die Schuhe wieder auf Hochglanz poliert und als Kontrast die ausgeblichene Jeans. Er wirkt entspannter als letztes Mal, ausgeglichener, und als ich vorbeilaufe, ernte ich einen Sekundenblick, aber einen ganz normalen, wie man eben guckt, wenn jemand neu dazukommt. Dafür starrt mich der Student mindestens fünf Sekunden lang an, während ich so tue, als würde ich gebannt die Band, die die Bühne betreten hat, beobachten. Ich versuche, ein paar Fetzen aus dem Gespräch der alten Sache mit dem Fremden aufzuschnappen, bekomme aber nicht viel mit.
Der Fremde scheint ein wenig älter als die alte Sache zu sein, vielleicht auch gleich alt, und sie kennen sich aus Musikertagen und über ein paar Ecken über die Freundin der alten Sache. Als der Student mich in eine Diskussion über diverse chemische Prozesse verwickelt,bin ich gezwungen,kurz wegzuhören, nachdem ich mich frei- und ihn in Grund und Boden diskutiert habe, ist das letzte, was ich vom Fremden höre, bevor er aufsteht und weggeht:"Nein alte Sache. Damit musste ich abschließen und habe das auch getan. Also fange ich nicht jetzt wieder an..." Und wieder was verletztes da. Dann verschwand er Richtung Bar.
Jung und abgefuckt,
abgefuckt im Takt,
taktvoll taktlos das,
takt hier takt der Bass
Ich gehe tanzen irgendwann, stehe immerhin nicht alleine vor der Bühne, und als danach eine Metalband auftaucht bleibe ich gleich stehen, habe dafür aber bald die Schwester der alten Sache neben mir.
In einer Haarschleuderpause schreit sie mir irgendwas ins Ohr, ich verstehe trotzdem nichts.
"Was??",schreie ich zurück. Sie zieht mich zu sich rüber und in einer Lautstärke, die mein Ohr jetzt noch pfeifen lässt,eröffnet sie mir "Ich glaub der Student will was von dir!"
-"Nein,glaub ich nicht!"
"Doch, der starrt dich den ganzen Abend an und hat vorhin dauernd erzählt, wie toll er es findet, dass du heut auch da bist!"
Ach Scheiße, zerstör mir doch nicht meine mühsam aufgebaute Illusion.
Sie fährt fort:"Er is ja auch n ganz lieber."
Ich unterbreche das Gespräch durch impulsives Headbangen. "N ganz lieber" ist in diesem Fall gutes Material für eine Freundschaft, so Leid er mir tut für alles andere aber nicht.
Ich dachte mir, vielleicht lag es ja an meinem Rock. Der war ja ziemlich kurz, eventuell waren diese Anzeichen bei ihm bis morgen abgeklungen und die Welt wieder in Ordnung.
Tja. Als wir zum Pub liefen, hielt er sich beständig neben mir, saß mir dann gegenüber, redete zwar nicht viel, beobachtete aber umso mehr, gerne auch mich.
Die alte Sache unterhielt unsere überschaubarer gewordene Runde, die nur noch aus dem Studenten, der Feindin, seiner Schwester, ihm und mir bestand, bis der Bruder seiner Freundin auftauchte, dann wurde dieser interessanter.
Gelegentlich noch ein bisschen Halbsmalltalk mit mir, und ich verkraftete es erstaunlich gut.
Er sah mich direkt an und ich traute mich, seinem Blick standzuhalten, hielt es sogar eine Viertelsekunde aus, ohne Angst zu haben, er würde es sehen, die Gefühle.
Der Bruder mustert mich mehrfach, er ist einer er ganz trven frostbitten Evil-Metal-Menschen, traut sich aber trotzdem erst nicht, mit mir zu reden, wirft schließlich einen Blick auf meine Tätowierung, hat somit ein Gesprächsthema gefunden und später liefern wir uns eine kleine Schubs-Schlacht, in der er bei aller "Evilness" nicht verbergen kann, dass er doch eigentlich definitiv noch nicht erwachsen und ultrafinster ist.
Erwachsen? Was erwarte ich, er ist ja nur ein bisschen älter als ich...
Schien ihn auch sehr zu irritieren,dass ich anders bin anscheinend,aber da war eindeutig noch was, überhaupt schien ich an diesem Tag bei einigen Leuten irgendwas zwischen Irritiertsein und Faszination auszulösen. Vielleicht lag es daran, dass ich meinen Haaren die Tönung entzogen und sie somit wieder in Richtung naturrot gebracht hatte.
Oder der Lidstrich saß besser.
Der Evilmetalbruder war noch ein wenig evil, die alte Sache redete, der Student guckte, und irgendwann war es 2 Uhr und der Intellektuelle, ein ehemaliger Klassenkamerad der alten Sache, betrat den Pub und wollte uns wieder mit "rüber" nehmen, es würden auch keine Ausweise mehr kontrolliert werden.
Also, bezahlen, rüber, rein- so halb.
An der Tür wurde ich ja aufgehalten, vom Türstehermenschen.
Bevor mir allerdings das passierte, hörte ich noch etwas von drinnen und konnte einen kurzen Blick rein werfen.Kein Frittenbude mehr. War ja auch open stage seit 22 Uhr, jeder, der will,kann auf die Bühne und spielen.Konzentration, dann hörte ich immer mehr.
Erst nur Gitarre, aber gut gespielt. Die Melodie kam mir bekannt vor, aber der Rhythmus..
Dann auf einmal Text, gesungen von einer sehr melancholischen, leisen und etwas rauen Stimme.
"We'll do it all
Everything
On our own.."
Ich stellte mich auf Zehnenspitzen und schubste den Evil Metal Bruder ein Stück zur Seite, immerhin, eine halbe Bühne sah ich, leider die falsche Hälfte.
"We don't need
Anything
Or anyone."
Dann stolperte ich, drängte so den Metalbruder an die Wand und mich ein Stück nach vorne, und mir ging nicht nur ein Licht auf, um welches Lied es sich handelte, sondern ich sah auch, wer da war.
"If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world? "
Auf der Bühne saß der Fremde, klein und einsam auf einem Stuhl, mit geschlossenen Augen und einer Gitarre, und spielte Chasing Cars von Snow Patrol in einer ganz eigenen Version, die er gerade in seinem Kopf zu schaffen schien, überhaupt schien er gerade ganz in seinem Kopf zu sein.
Vor der Bühne war keine einzige Person zu sehen, ein einzelner Scheinwerfer leuchtete die Stelle, auf der der Fremde saß, an, und man sah sein müdes Gesicht und die verwuschelten Haare und die abgewetzte Jeans und hörte ihn singen und spielen.
Gänsehautfeeling.
Und schlagartig stand er auf, mitten im Lied, öffnete die Augen,stellte die Gitarre ruckartig weg,und stürmte beinahe von der Bühne, mit glasigem Blick, raus aus meinem Blickfeld und war so plötzlich weg, wie ich ihn gehört hatte.
"Ausweise bitte, oder willste gleich wieder raus?"
Der Türstehermensch guckt mich an, nichtmal unfreundlich, und ich habe ein schlechtes Gewissen und leider passt mein Geburtsdatum nicht zu meinen Ausgehplänen,also sage ich zum Studenten, er muss mich heimfahren, mache auf dem Absatz kehrt und laufe wieder durch die halbe Stadt, bei klirrender Kälte, weil er sein gottverdammtes Auto nicht in der Nähe geparkt hat, sondern ewig weit weg.
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Zitate aus: Jung, abgefuckt,kaputt und glücklich von Frittenbude
Chasing Cars von Snow Patrol.
"Tschüss, bis..keine Ahnung, bis ich wieder in der Gegend bin". Der Student umarmt mich zurück und lächelt und wartet mit dem wegfahren, bis ich im Haus verschwunden bin, um sicher zu gehen,dass mir nichts passiert.
Er ist gerade eben einfach mal so 40km gefahren, 20 hin und 20 zurück, um mich von einer Musikveranstaltung mit darauffolgendem Pub-Besuch heimzubringen.
Weil der Intelektuelle meinte, es wird bei der Musikveranstaltung nach 24 uhr nicht mehr kontrolliert, er habe das gerade mitbekommen, und der Ausweismann Nr.2, während die alte Sache Ausweismann Nr.1 erfolgreich ablenkte, zu mir sagte, ich könne entweder meinen Ausweis zeigen oder gleich wieder rausgehen. Das Ü18-Bändchen hatte man mir ja aus Versehen gegeben, trotz Ausweiszeigen und abgeben, und an diesem einen Abend hätte ich das gerne ausgenutzt. Konnte ich aber nicht, hatten ja den Perso behalten,also raus, zum Pub und später wollten sie wieder hin, der Student war der einzige,der als Fahrer in Frage kam und so blieb mir keine Wahl. Apruptes Ende eines sonst sehr langen Abends, den ich trotz Nüchternheit nur wie durch Nebel wahrnahm.
Los ging es mit Kriemhild und ihrer 30minütigen Verspätung, deren genaue Ursache sich nicht erörtern lies, ich bemerkte lediglich, dass die Stimmung zwischen ihr und ihrem Freund sehr angespannt war. Seltsame Autofahrt,ein paar Zusatzrunden durch die Stadt, weil wir auf der Suche nach der Feindin waren,die wir mitnehmen sollten, schließlich erreichten wir unser Ziel dann doch, stürmten förmlich den Raum.... und standen in einem fast leeren Saal, auf dessen Bühne ein einzelner Mann stand und mit vollem Einsatz Gitarre spielte.
"Hm. Ich brauche Alkohol", beschloss die Feindin und orderte sich ihr Standardgetränk, während es für mich eine Flasche Wasser blieb.
Es folgten ein paar Runden durch den Raum, schließlich die Eroberung von Sitzplatz und einstündiges Warten auf die alte Sache, die mit Schwester und dem Studenten, aber Gott sei dank ohne Freundin auftauchte. Mich freundlich ansah zur Begrüßung, aber irgendwas stimmte da nicht. Mehr Distanz als sonst, und zu meiner grenzenlosen Überraschung stellte ich fest, dass ich diese Distanz erwiderte.
Somit wieder Gesprächsgruppenbildung, wechselnde Gegenüber der alten Sache, Sehbekannte und unsere Sitzecke wurde immer voller,sodass es mir unangenehmerweise die ganze Zeit auffiel, wie der Student neben mir nervös mit dem Bein wippte.
Ich beschränkte mich darauf, laut, selbstbewusst und outgoing zu sein, nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest gegen meine eigene depressive, seelenschmerzangehaftete Verletztheit und weil mir das manchmal einfach so passiert, diverse Wortwechsel und freundschaftliche (?) -gefechte mit der Feindin und der Student stellt, als wir von der Bar wiederkommen,lachend fest, dass es ja so ruhig war ohne uns.
Ich setze mich wieder auf meinen Eingequetschtplatz neben ihm und Kriemhild, so ladylike, wie das bei einer Bierzeltgarnitur und Minirock eben geht und konzentrierte mich darauf, die Mitdörfler am Nebentisch mit Blicken zu töten.
Leider gingen sie weder in Flammen auf, noch explodierten sie;im Gegenteil, sie saßen da ganz einfach rum und existierten so vor sich hin.
Immernoch Beinwippen des Studenten, jetzt reden wir immerhin auch mal, er schwankt zwischen dem Versuch, mir in die Augen zu schauen und nervösem Wegsehen, und als ich mit ihr rede meint Kriemhild, er würde mich praktisch dauernd ansehen und ich fürchte, dass es stimmt; hatte er doch vorher schon vermehrt Kontakt gesucht, seit wir uns mal wieder kurz über den Weg gelaufen waren.
Aber immer langsam, alles wird gut, vielleicht ist er einfach generalschüchtern und immer so, denke ich und bitte Kriemhilds Freund,mir aus der Bar doch bitte etwas mitzubringen.Sofort stimmt der halbe Tische ein, und letztlich begleite ich den Kriemhildfreund, weil er nicht alle Gläser alleine tragen kann und es doch so langsam voll geworden ist im Saal.
Die Bar ist ein abgetrennter Raum, laut und warm und stickig,ständig fällt einem jemand betrunkenes vor die Füße oder rempelt einen an, so wühle ich mir meinen Weg durch die Leute, immer dem Kriemhildfreund nach, um nicht verloren zu gehen.
Endlich sehe ich den Tresen in Reichweite, schubse die letzten im Weg Stehenden zur Seite und mich zum Kriemhildfreund.
Als wir zu unserem Platz zurückkehren, sitzt niemand geringeres am Tisch als der Fremde, diesmal in dunkelgrünem Hemd und schwarzem Jackett aus irgendeinem cordähnlichen Stoff, die Schuhe wieder auf Hochglanz poliert und als Kontrast die ausgeblichene Jeans. Er wirkt entspannter als letztes Mal, ausgeglichener, und als ich vorbeilaufe, ernte ich einen Sekundenblick, aber einen ganz normalen, wie man eben guckt, wenn jemand neu dazukommt. Dafür starrt mich der Student mindestens fünf Sekunden lang an, während ich so tue, als würde ich gebannt die Band, die die Bühne betreten hat, beobachten. Ich versuche, ein paar Fetzen aus dem Gespräch der alten Sache mit dem Fremden aufzuschnappen, bekomme aber nicht viel mit.
Der Fremde scheint ein wenig älter als die alte Sache zu sein, vielleicht auch gleich alt, und sie kennen sich aus Musikertagen und über ein paar Ecken über die Freundin der alten Sache. Als der Student mich in eine Diskussion über diverse chemische Prozesse verwickelt,bin ich gezwungen,kurz wegzuhören, nachdem ich mich frei- und ihn in Grund und Boden diskutiert habe, ist das letzte, was ich vom Fremden höre, bevor er aufsteht und weggeht:"Nein alte Sache. Damit musste ich abschließen und habe das auch getan. Also fange ich nicht jetzt wieder an..." Und wieder was verletztes da. Dann verschwand er Richtung Bar.
Jung und abgefuckt,
abgefuckt im Takt,
taktvoll taktlos das,
takt hier takt der Bass
Ich gehe tanzen irgendwann, stehe immerhin nicht alleine vor der Bühne, und als danach eine Metalband auftaucht bleibe ich gleich stehen, habe dafür aber bald die Schwester der alten Sache neben mir.
In einer Haarschleuderpause schreit sie mir irgendwas ins Ohr, ich verstehe trotzdem nichts.
"Was??",schreie ich zurück. Sie zieht mich zu sich rüber und in einer Lautstärke, die mein Ohr jetzt noch pfeifen lässt,eröffnet sie mir "Ich glaub der Student will was von dir!"
-"Nein,glaub ich nicht!"
"Doch, der starrt dich den ganzen Abend an und hat vorhin dauernd erzählt, wie toll er es findet, dass du heut auch da bist!"
Ach Scheiße, zerstör mir doch nicht meine mühsam aufgebaute Illusion.
Sie fährt fort:"Er is ja auch n ganz lieber."
Ich unterbreche das Gespräch durch impulsives Headbangen. "N ganz lieber" ist in diesem Fall gutes Material für eine Freundschaft, so Leid er mir tut für alles andere aber nicht.
Ich dachte mir, vielleicht lag es ja an meinem Rock. Der war ja ziemlich kurz, eventuell waren diese Anzeichen bei ihm bis morgen abgeklungen und die Welt wieder in Ordnung.
Tja. Als wir zum Pub liefen, hielt er sich beständig neben mir, saß mir dann gegenüber, redete zwar nicht viel, beobachtete aber umso mehr, gerne auch mich.
Die alte Sache unterhielt unsere überschaubarer gewordene Runde, die nur noch aus dem Studenten, der Feindin, seiner Schwester, ihm und mir bestand, bis der Bruder seiner Freundin auftauchte, dann wurde dieser interessanter.
Gelegentlich noch ein bisschen Halbsmalltalk mit mir, und ich verkraftete es erstaunlich gut.
Er sah mich direkt an und ich traute mich, seinem Blick standzuhalten, hielt es sogar eine Viertelsekunde aus, ohne Angst zu haben, er würde es sehen, die Gefühle.
Der Bruder mustert mich mehrfach, er ist einer er ganz trven frostbitten Evil-Metal-Menschen, traut sich aber trotzdem erst nicht, mit mir zu reden, wirft schließlich einen Blick auf meine Tätowierung, hat somit ein Gesprächsthema gefunden und später liefern wir uns eine kleine Schubs-Schlacht, in der er bei aller "Evilness" nicht verbergen kann, dass er doch eigentlich definitiv noch nicht erwachsen und ultrafinster ist.
Erwachsen? Was erwarte ich, er ist ja nur ein bisschen älter als ich...
Schien ihn auch sehr zu irritieren,dass ich anders bin anscheinend,aber da war eindeutig noch was, überhaupt schien ich an diesem Tag bei einigen Leuten irgendwas zwischen Irritiertsein und Faszination auszulösen. Vielleicht lag es daran, dass ich meinen Haaren die Tönung entzogen und sie somit wieder in Richtung naturrot gebracht hatte.
Oder der Lidstrich saß besser.
Der Evilmetalbruder war noch ein wenig evil, die alte Sache redete, der Student guckte, und irgendwann war es 2 Uhr und der Intellektuelle, ein ehemaliger Klassenkamerad der alten Sache, betrat den Pub und wollte uns wieder mit "rüber" nehmen, es würden auch keine Ausweise mehr kontrolliert werden.
Also, bezahlen, rüber, rein- so halb.
An der Tür wurde ich ja aufgehalten, vom Türstehermenschen.
Bevor mir allerdings das passierte, hörte ich noch etwas von drinnen und konnte einen kurzen Blick rein werfen.Kein Frittenbude mehr. War ja auch open stage seit 22 Uhr, jeder, der will,kann auf die Bühne und spielen.Konzentration, dann hörte ich immer mehr.
Erst nur Gitarre, aber gut gespielt. Die Melodie kam mir bekannt vor, aber der Rhythmus..
Dann auf einmal Text, gesungen von einer sehr melancholischen, leisen und etwas rauen Stimme.
"We'll do it all
Everything
On our own.."
Ich stellte mich auf Zehnenspitzen und schubste den Evil Metal Bruder ein Stück zur Seite, immerhin, eine halbe Bühne sah ich, leider die falsche Hälfte.
"We don't need
Anything
Or anyone."
Dann stolperte ich, drängte so den Metalbruder an die Wand und mich ein Stück nach vorne, und mir ging nicht nur ein Licht auf, um welches Lied es sich handelte, sondern ich sah auch, wer da war.
"If I lay here
If I just lay here
Would you lie with me and just forget the world? "
Auf der Bühne saß der Fremde, klein und einsam auf einem Stuhl, mit geschlossenen Augen und einer Gitarre, und spielte Chasing Cars von Snow Patrol in einer ganz eigenen Version, die er gerade in seinem Kopf zu schaffen schien, überhaupt schien er gerade ganz in seinem Kopf zu sein.
Vor der Bühne war keine einzige Person zu sehen, ein einzelner Scheinwerfer leuchtete die Stelle, auf der der Fremde saß, an, und man sah sein müdes Gesicht und die verwuschelten Haare und die abgewetzte Jeans und hörte ihn singen und spielen.
Gänsehautfeeling.
Und schlagartig stand er auf, mitten im Lied, öffnete die Augen,stellte die Gitarre ruckartig weg,und stürmte beinahe von der Bühne, mit glasigem Blick, raus aus meinem Blickfeld und war so plötzlich weg, wie ich ihn gehört hatte.
"Ausweise bitte, oder willste gleich wieder raus?"
Der Türstehermensch guckt mich an, nichtmal unfreundlich, und ich habe ein schlechtes Gewissen und leider passt mein Geburtsdatum nicht zu meinen Ausgehplänen,also sage ich zum Studenten, er muss mich heimfahren, mache auf dem Absatz kehrt und laufe wieder durch die halbe Stadt, bei klirrender Kälte, weil er sein gottverdammtes Auto nicht in der Nähe geparkt hat, sondern ewig weit weg.
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Zitate aus: Jung, abgefuckt,kaputt und glücklich von Frittenbude
Chasing Cars von Snow Patrol.