Donnerstag, 16. Februar 2012
Thema: von herzen
Heute war der Tag, an dem du aufgehört hast, weh zu tun.
Heute war der Tag, an dem kein Positivgefühl mehr da war, als ich dich angeschaut habe.
Heute war der Tag, an dem du mir egal warst.

Ich wankte neben der zweiten Zweckgemeinschaft alias Blondine Nr.1 die Treppe hinunter, Richtung Pausenhalle, krampfgeschüttelt, mit Fieber im Kopf und Schmerzen in Bauch und Waden, die Fünftklässler rannten an uns vorbei, um ja nicht zu spät zu kommen, und dann seid ihr los.
Gerade waren die Blondine und ich in der Pausenhalle angekommen, als ihr, verkleidet mit dem Motto "Barbie&Ken", in die Aula gestürmt seid, Bonbons werfend, schreiend, wahlweise auf Lehrer oder auf meine Jahrgangsstufe schimpfend, mit Britney Spears als Hintergrundmusik.
Fasching. Abiturientenfasching. Wie jedes Jahr, die Horde tanzt in der Pause und überfällt dann die einzelnen Klassenzimmer. Wie jedes Jahr.
Nur mit dem Unterschied, dass es diesmal deine Jahrgangsstufe war.
Und nicht auf irgendeine Q11 geschimpft wurde, sondern auf uns.
Dass ich nicht mehr eine derer war, die begeistert das Spektakel beobachteten, sondern mit Routine langsam zum Ort des Geschehens kam, den Teil, der immer gleich sein musste,schon auswendig konnte, und die Abiturienten, die da tanzten, nicht irgendwer für mich waren, sondern Freunde, Bekannte oder auch du.
Beinahe jeden einzelnen kannte ich mit Namen, und bei beinahe jedem einzelnen wollte es mir nicht in den Kopf, wie diese Leute, die da waren, wie ihr die Großen, die Erwachsenen sein solltet.
Manche haben nicht mitgemacht, der Hipster zum Beispiel, manche wollten sich nicht verkleiden, die hatten ihre normale Kleidung an und ein Blockblatt mit "Ken"-Beschriftung auf den Rücken geklebt.
Einige Jungs hatten sich auch todesmutig in Frauenkleidung geworfen, einer trug sogar eine lange, rote Perücke und konnte problemlos in mindestens zehn Zentimeter Absätzen hüpfen und tanzen, faszinierend.
Du hattest dich nicht verkleidet.
Warst da in deinen Sportshorts und schwarzer Kapuzenjacke, so wie immer, mit deinem Cap auf dem Kopf und Sonnenbrille im Gesicht, wie immer, wenn du betrunken bist und cool sein willst.
Tatsächlich warst zu betrunken, ich fragte mich, wie du das so schnell geschafft hattest in der halben Stunde, während der ich dich nicht gesehen hatte.
Tatsache war aber,dass du völlig dicht warst, während die anderen beim Tanzen gerade Bodenelemente durchturnten, standest du orientierungslos und dumm grinsend am Fleck, du hast dich immer in die falschen Richtungen gedreht, wenn überhaupt, und mehr als einmal wären andere Abiturienten fast über dich drübergestolpert, weil du dich nur ansatzweise und unkoordiniert bewegt hast.
Ich kenne dich,du wolltest dir bestimmt Mut antrinken, damit du dich traust, vor der ganzen Schule zu tanzen, und das immerhin in einem pinken Top, das du dir von deiner Freundin geliehen hast, erwartungsgemäß hat die für dich zu große Menge Alkohol aber nur dazu geführt, dass du dich wieder einmal zur coolsten Sau der Welt erklärt und nichts auf die Reihe gekriegt hast.
Ich habe das so beobachtet, wie du so in deinem Suff cool sein wolltest, wie du zum Musikmenschen gelaufen bist und mit großer "Ey altha!"-Armaustreckgeste gesagt hast, er soll gefälligst lauter machen,als er euer zweites Lied, eins von den Atzen, auf voller Lautstärke laufen ließ, und wie du ihn angemault hast, als er dir sagte, lauter geht nicht.
Habe gesehen, wie der Hiphopfan krampfhaft versuchte, dich irgendwie zumindest in der Reihe zu halten, zusammen mit einem anderen, der in einem dieser Ganzkörperplüschtieranzüge steckte (Wie war das, Motto:Barbie&Ken?).
Wie du die ganze Zeit gegrinst hast, dieses im doppelten Sinne breite Grinsen, dieses bescheuerte Grinsen, in das ich mich seinerzeit verliebt hatte.
Habe dich auch beobachtet, als du Bonbons und Konfetti ins Publikum werfen solltest;selbst das hast du nicht mehr hingekriegt und in einer Kurzschlussreaktion den Inhalt des Konfettibeutels komplett über dem Hiphopfan ausgeleert, der noch Stunden später damit beschäftigt war, sich das Zeug aus seinem Barbieausschnitt zu holen.
Habe dich beobachtet, wie du bei der ersten Polonaise-Runde noch versucht hast, mitzumachen, dann aber aufgegeben und dich neben dem Hipster unter einer der Boxen niedergelassen hast, dein Gesicht versteckt hinter der großen Sonnenbrille, immernoch grinsend, immernoch mit dem Gefühl, der coolste auf der Welt zu sein.
Ein Trauerspiel.
Ja, ein Trauerspiel; du hast richtig gehört.
Es war nicht mehr als ein Trauerspiel, und ich hätte dir nicht geholfen.
der Hiphopfan hat dich irgendwann ins Oberstufenzimmer geschafft, auf ein Sofa gelegt und zugedeckt, du fandest dich immernoch cool, als der Hiphopfan den Kommentator fragte, ob er als Schulsanitäter bitte in seiner Freistunde auf dich aufpassen könnte.
Ich hätte dir nicht geholfen.
Du hättest nonstop kotzen können, meinetwegen in deiner Kotze liegen können, und ich hätte dir nicht geholfen.
Ich wäre hingegangen, hätte dir die Sonnenbrille abgesetzt, in deine,wie immer,wenn du betrunken bist,wässrigen und in die Ferne starrenden Augen gesehen und vor deinem Gesicht auf den Boden gespuckt,um dir zu zeigen, was ich von dir halte.
Ich halte nicht mehr von dir, für mich bist du nicht mehr als das; nicht heute.
Das ist kein Hass.
Ich bringe jeder Lebensform Respekt entgegen, aber heute, da hast du mir bewiesen,dass du es nicht mehr wert bist.
Dass du nicht mehr wert bist, als dir vor die Füße zu spucken und dich in deinem Erbrochenen liegen zu lassen; wobei ja nichtmal das geht, hast dich schon mehr als einmal im betrunkenen Zustand beim Kommentator beschwert, dass du Kotzen willst, damit es dir besser geht, aber es nicht klappt.
Heute hast du mir bewiesen,dass du immernoch der Alte bist, was deine negativen Eigenschaften betrifft.
Und du magst toll sein, du magst wunderbar sein und dieses Grinsen haben,das sonst keiner hat;
Meinen Respekt hast du nicht mehr.


Vielleicht warst du nicht der Einzige, der getrunken hatte, mit Sicherheit nicht; aber mal wieder warst du der Einzige, der es total übertrieben hat, weil du aus Prinzip sehr viel in sehr kurzer Zeit in dich reinschüttest, aber das eben nicht veträgst.
Aufgrund der Tatsache,dass du das ja immer so machst und trotzem hackedicht bist, dürftest du inzwischen eine Alkoholtoleranz haben, von der manche Kampftrinker nur träumen, aber trotzdem schaffst du es jedes Mal wieder, so voll zu sein,dass du jemandem effektiv die Veranstaltung versaust.
Sonst war ich es, die dich leidend beobachtet hat, aufgepasst hat,im Stillen, die sofort da gewesen wäre, wenn du hingefallen wärst und dir den Kopf aufgeschlagen hättest, wenn du umgekippt wärst, wieder eine Alkoholvergiftung gehabt hättest, sogar, wenn du sentimental geworden wärst und eine Schulter gebraucht hättest.
Ich wäre gerne die Schulter gewesen;
Ich wäre gerne mehr als die Schulter gewesen, die ganze Zeit.
Ich wäre gerne jemand gewesen für dich.

Heute war es der Hiphopfan, der sich Sorgen um dich gemacht hat, und das, obwohl er selbst einiges intus hatte, wie ich später erfuhr und wie man auch roch,wenn man an ihm vorbeilief;
heute war nicht ich diejenige, die auf dich aufgepasst hat, im Stillen, ohne, dass du es merkst,
und ich werde es nie mehr sein.
Solltest du eines Tages, zum Beispiel am Rosenmontag, wenn ich wieder Dienst habe, auf meiner Trage liegen und ein Notfall sein, werde ich dir helfen, aber nicht,weil ich es will,sondern weil es meine Pflicht ist;
weil es meine Pflicht ist, jedem zu helfen, der Hilfe braucht, denn ich bin beim Roten Kreuz und das mit Herz und Seele, werde ich dir helfen, wie ich jedem anderen auch helfe, und falls du an die Rettungssanitäter übergeben werden musst, wovon ich ausgehe, werde ich dir nachsehen, wie ich jedem nachsehe, den wir weitergegeben haben.
Danach werde ich meinem Kollegen helfen, den Wagen wieder zu säubern, und wenn er fragt,ob alles in Ordnung ist, werde ich Ja sagen.

Vielleicht werde ich auch nein sagen, weil du immer etwas besonderes für mich bleiben wirst;
Aber ich werds überstehen, denn du bist nicht mehr auf die eine Art und Weise besonders.
Du hast mein Herz nicht mehr, ich nehme es hiermit offiziell wieder an mich; du hast es nicht mehr verdient, genauso wenig, wie du meinen Respekt verdient hast; nichts von mir hast du verdient, so viel von mir hast du kaputt gemacht.
Wirst immer den so oft in Kitschromanen und Liebesfilmen zitierten Platz in meinem Herz haben,einfach, weil du immer besonders bleiben wirst, für mich.
Besonders bleiben wirst,weil du mal die Welt für mich warst, und noch viel mehr;
aber ich habe mich dafür entschieden, dir diesen Platz abzunehmen, schrittweise, und ihn wieder frei zu machen, so, wie ich mich entschieden habe, mir mein Herz zurückzuholen.
Ich räume dir deinen Platz darin ein, nach all den Jahren, aber du wirst ihn nicht überschreiten.

Nie wieder wirst du mein ganzes Herz haben, und nie wieder wirst du meine ganze Welt sein, hörst du?
Warum?
Weil ich es nicht will.
Ich will es nicht mehr und wollte es schon so lange nicht mehr, kann es nicht mehr und möchte es nicht mehr.
Ich möchte nicht mehr,dass du mein Herz hast.

Eigentlich wollte ich keinen Eintrag mehr schreiben, nur über dich, so oft habe ich all das schon geschrieben;
eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben unter diesem Titel, aber dann kam mir wieder dein Bild in den Kopf, wie du den Musikmenschen angemault hast und durch die Gegend geschwankt bist, und wie du dich wieder hinter deiner Sonnenbrille und unter deinem Cap versteckt hast.
Dein Selbstbewusstsein ist geschrumpft, und du musst deine Unsicherheiten immernoch so verstecken.

Wenn du das möchtest,kann ich dich nicht davon abhalten; überhaupt kann ich dich von nichts abhalten, weder vom coolfühlen, noch vom Freundin haben, noch vom Trinken, und ich habe auch nicht länger vor, dir irgendwie helfen zu wollen.
Ich möchte, dass du weißt, dass du diesen einen Platz in meinem Herzen immer haben wirst, aber auch,dass ich dir nicht mehr einräumen werde;
dass du weißt, dass ich dir nicht helfen werde, außer,wenn ich muss;
dass du weißt, dass ich nicht mehr länger versuchen werde, irgendjemand für dich zu sein;
dass du weißt, dass ich nie wieder in meiner optischen Gestaltung auf das Rücksicht nehmen werde, was du schön findest;
dass ich nie wieder irgendwo hin gehe, wo ich dich vermute.
Dass ich versuchen werde, endlich zu begreifen,dass du eine Freundin hast;
zu begreifen, dass es endet, die Zeit, die du hier bist,und zwar jetzt;
zu begreifen, dass du nicht das bist,was ich mir vorstelle,denn ich neige zum Idealisieren;
zu begreifen, dass du anders besser aufgehoben bist;
und dass ich nicht in dein Leben gehöre, auch,wenn du vielleicht in meins gehören solltest.

Vielleicht wirst du da auch bleiben, ein Stück weit, in schwachen Momenten präsenter als in starken;
Ich habe viel mehr schwache als starke Momente und besonders die Prozesse des Begreifens werden eine Weile dauern, sollte ich sie überhaupt auf die Reihe bekommen;
Aber ich lasse es jetzt so sein,wie es ist.

Ich lasse es jetzt so sein, wie es ist, mit all dem Schmerz und dem Weinen und den anderen Dingen, und in meinem Kopf ist das Bild von dir in deinen Sportklamotten, mit deiner Sonnenbrille und dem Cap, und ich weiß nicht,ob es da jetzt bleibt oder morgen von dem, was ich gerne als deine Normalform wüsste, wieder verdrängt wird;
vielleicht ist dann morgen wieder ein schwacher Moment.
Aber ich werde meine Energie nicht mehr darauf verwenden, dir helfen zu wollen, dir gefallen zu wollen oder mir meinen Platz in deinem Leben zu erkämpfen. Happy End- Wunsch hin oder her.
Ab heute.

Denn heute war der Tag, an dem du meinen Respekt verloren hast, an dem ich vor lauter Krämpfen und Fieber und Schüttelfrost meinen Vater anrief, um mich abzuholen,
an dem ich somit die ersten Fehlstunden meines Oberstufendarseins sammelte,
an dem ich das erste Schulsanitätertreffen seit Beginn meines Schaffens ausfallen ließ,
an dem ich unfreundlich zu meinem Großvater war,
und an dem ich eine Zwölfpunkte-Matheabfrage hinlegte.