Montag, 19. August 2013
Als Mr.Gaunt und ich das Kleinfestivalgelände betreten, ich voraus, ganz zielstrebig, ganz kontrolliert, ganz stabil, ist der Erste, der uns sieht, der Pinguin.
Und er begrüßt mich, mit Umarmung, betrunken-freundlich, lallt irgendwas und dampft wieder ab,
und ich gehe weiter voraus, ganz zielstrebig, ganz kontrolliert, nach wie vor stabil.
Zu Ms Golightly, Begrüßungsumarmung, zum Fremden, Begrüßungsumarmung und ein Danke fürs Herkommen und ein letztes Mal die Band unterstützen. Daneben noch das braunhaarige Fangirlie und ein Freund von ihr.
Kleine Gruppe auf einem kleinen Festival.
Komm ich mit klar.
Ein bisschen Smalltalk, ein Kompliment für meine Haarfarbe, den Schnitt, die Länge.
Ein paar Witze über Ms Golightly, die schon wieder an Krücken gehen muss.

Bei zu viel Positivstimmung bekomme ich Angst.
Aber geht schon, einfach weitermachen. Kontrolliert, ansatzweise stabil.
Mr.Gaunt ist auch deswegen verfrüht vom anderen Festival zurückgekommen, weil er ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, wenn ich alleine hier her gefahren wäre, auch, wenn ich versucht habe, ihn davon zu überzeugen, dass er das nicht muss; da ist es naheliegend, zu versuchen, ihm den Abend wenigstens nicht komplett zu vermiesen und somit Angstzustände und Konsorten bestmöglichst auszusperren.

Und dann steht der Raucher neben mir.
Begleitet wird er vom Schlagzeuger, der mich nichtmal begrüßt, geschweige denn eines einzigen Blickes würdigt, und sie sagen zum Fremden, komm mit, es geht los.
Abschiedskonzert.
Ich sammle über den Parkplatz verstreute Bekannte und die Fetzen meines gerade in sämtliche Einzelteile zersprengten Herzens ein, stehe zu den ersten Takten des alltbekannten Openers in der Schlange für mein Bändchen, hole mir beim ersten Schreipart was zu trinken und sitze beim Refrain neben Ms Golightly und ihren Krücken auf einer Bank am Lagerfeuer.
Sicherheitsabstand?
Zwecklos.
Von der Bühne schreit der Mensch, der mal meiner war, seinen Weltschmerz auf den Acker raus und zu uns runter, lässt ihn auf mich einhageln und durchbohrt einen Fetzen Herz, der noch an Ort und Stelle gehangen hat.
Bis hier runter sieht man die Narben, manche noch von damals, manche sind wohl nach der Trennung neu dazugekommen.
Und bis hier runter spüre ich, wie wahnsinnig beschissen es ihm geht.
Ja, es tut weh.

Und ich sage es mir immer wieder vor, solange sie spielen.
Dass ich ihm zu viel bedeutet habe und er mir zu wenig (?).
Dass ich die Zuneigung vermisse, und die Wärme, und Verständnis, und auch die/seine physische Nähe, aber nicht ihn.
Immer wieder. Sage es mir vor, solange sie spielen, solange er mir das Herz zerschreit.
Sage es mir auch später noch, und immer dann, wenn Mr.Gaunt vom Bierstand oder aus seiner Gedankenwelt zurückkehrt und und seine leichte Frustration darüber, sein Party-und Trinkbedürfnis nicht ausleben zu können, nonverbal kultiviert.

Irgendwie überstehe ich auch das letzte Lied, einen geballten Herzschmerzbatzen mit erstaunlich wenig Geschrei und erstaunlich viel Gesang, den eigentlich der Fremde geschrieben hat und nach dem der Raucher von der Bühne direkt zum Bierstand schießt, ohne zu implodieren.
Absolut instabil, völlig außer Kontrolle, aber irgendwie noch funktionierend.
Einfach weiteratmen.
Es war das Richtige.
Hoffe ich.

Und eigentlich ist es das Richtige, dass ich jetzt hier in der Umarmung eines sehr schweigsam-angespannt-grummeligen Mr.Gaunts sitze statt in der des Rauchers.
Und eigentlich ist es auch besser so, sowohl für mich, als auch irgendwann für ihn.
Es tut trotzdem weh.
Aber manche Schmerzen muss man eben ertragen, da muss man halt durch, wenn es besser werden soll.
Und es soll besser werden. Es wird besser werden.

Dann, wenn es nicht mehr weh tut, sondern nur noch Erinnerung ist.

Bis es soweit ist: Einfach weiteratmen.